Kapitel 10

INSTITUTIONENGESCHICHTE
(RÖMISCHES P RIVATRECHT)
SOMMERSEMESTER 2015
PROF. DR . JOHANNES PLATSC HEK
X.
1. Gesetzliche Erbolge (ab intestato)
* UE 26,1
„Die Erbschaften Freigeborener ohne Testament stehen zunächst den Eigenerben (sui heredes)
zu, das heißt den Kindern, die in der Hausgewalt stehen, und den übrigen, die an der Stelle von
Kindern stehen. Wenn es keine Eigenerben gibt, den nächsten Blutsverwandten (consanguinei),
das heißt den Brüdern und Schwester vom selben Vater. Wenn es auch diese nicht gibt, den
übrigen nächsten Agnaten, das heißt den Blutsverwandten männlichen Geschlechts in
männlicher Linie derselben Familie. Das nämlich ist im Zwölftafelgesetz mit folgendem Satz
bestimmt:
'WENN ER OHNE TESTAMENT STIRBT UND KEIN EIGENER ERBE VORHANDEN IST,
SO SOLL SEIN NÄCHSTER AGNAT SEINEN NACHLASS HABEN.'
Wenn es keinen Aganten das Verstorbenen gibt, beruft das Zwölftafelgesetz die Gentilen zur
Erbschaft mit folgenden Worten:
'WENN EIN AGNAT NICHT VORHANDEN IST, SO SOLLEN DIE GENTILEN DEN
NACHLASS HABEN.'“
** PS 4,8,20
„Frauen werden zur gesetzlichen Erbfolge nur innerhalb der consanguinei (Geschwister vom
selben Vater) zugelassen. Dies ist das Ergebnis aufgrund der lex Voconia nach ius civile. Das
Zwölftafelgesetz ließ die Verwandten noch ohne Rücksicht auf deren Geschlecht zu.“
*** I. 2,19,2
„Die eigenen Erben aber sind notwendige Erben, wie z.B. der Sohn, die Tochter, der Enkel, die
Enkelin eines Sohnes und dann die übrigen Kinder, soweit sie in der Gewalt des Verstorbenen
gestanden hatten. ...
Aber eigene Erben werden sie deshalb genannt, weil sie zum Hause gehörende Erben sind und
zu Lebzeiten des Vaters in gewisser Weise als dessen Eigentum angesehen werden. Daher sind
Erben ersten Ranges die Kinder dessen, der ohne ein Testament errichtet zu haben, verstorben
ist. Notwendige (Erben) werden sie aber genannt, weil sie aufgrund der Erbfolge, die nicht auf
Testament beruht oder aufgrund testamentarischer Erbfolge zu Erben werden, ob sie das wollen
oder nicht ...“
[Der zur Erbschaft berufene Außenerbe (heres extraneus) wird Erbe durch Antritt:
feierliche Erklärung (cretio) oder formlose Betätigung des Annahmewillens (pro herede gestio).]
**** Gai. 3,154a – Erbengemeinschaft der sui heredes: consortium,
Gemeinschaft ercto non cito
„In früherer Zeit gab es bei Ableben des Hausvaters eine sowohl dem Gesetz als auch der Natur
entsprechende Gesellschaft, die "Bei nicht aufgelöstem Nachlass" (ercto non cito) genannt
wurde, das heißt "Bei nicht geteiltem Eigentum“ ...“
***** Gai. 3,8 – Erbfolge nach Stämmen
„Und da es anerkannt war, dass Enkel und Enkelinnen ebenso Urenkel und Urenkelinnen auf den
Platz ihres Vaters nachfolgen, ist es angemessen erschienen, dass der Nachlass nicht nach
Kopftei-len, sondern nach Stämmen geteilt wird, so dass ein Sohn die Hälfte der Erbschaft erhält
und zwei oder mehr vom anderen Sohn abstammende Enkel die andere Hälfte erhalten; ebenso,
wenn von zwei Söhnen Enkel vorhanden sind und von einen Sohn etwa einer oder zwei und von
anderen drei oder vier, so wird dem einen bzw. den zweien die eine Hälfte und den dreien bzw.
vieren die andere Hälfte zustehen.“
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN
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****** D. 10,2,2 pr. (Ulp. 19 ed.) – Auflösung der Erbengemeinschaft
„Durch die Klage zur Auflösung des Nachlasses (actio familiae erciscundae) wird die Erbschaft
aufgeteilt, gleich, ob sie auf Testament, aufgrund Erbfolge ohne Testament, auf dem
Zwölftafelgesetz oder aus einem anderen Gesetz oder auf einem Senatsbeschluss oder einer
Kaiserkonstitution beruht ...“
2. Gewillkürte zivile Erbfolge (ex testamento)
a) Testamentsarten
Gai. 2,101 ff.
„Ursprünglich gab es zwei Arten von Testamenten:
Denn man errichtete ein Testament entweder vor der einberufenen Volksversammlung, die
zweimal im Jahr für die Errichtung von Testamenten bestimmt waren,
oder im schlachtbereiten Heer, das heißt dann, wenn man die Waffen für einen Krieg erhob.
Das schlachtbereite Heer (procinctus) ist nämlich das ausgerüstete und bewaffnete Heer.
Das eine Testament errichtete man also im Frieden und in ruhigen Zeiten, das andere dagegen,
bevor man zur Schlacht ausrückte.
(102) Es kam dann eine dritte Art von Testament hinzu, das mit einem Kupferstück und einer
Waage errichtet wird. Wer weder vor der einberufenen Volksversammlung noch im
schlachtbereiten Heer ein Testament errichtet hatte, der gab unter dem Zwang seines
bevorstehenden Todes sein Familienvermögen, das ist sein väterliches Vermögen, einem Freund
zum mancipium und bat ihn (um Ausführung seiner Anordnungen dazu), was wem nach seinem
Tode gegeben werden solle. Dieses Testament heißt "Mit Erz und Waage", wird also in der Form
der Manzipation errichtet. (...)
(104) Dieses Geschäft gestaltet sich folgendermaßen: Der Testamentserrichter manzipiert wie bei
den übrigen Manzipationen unter Hinzuziehung von fünf mündigen römischen Bürgern als
Zeugen und dem Waaghalter, nachdem er die Testamentsurkunde verfasst hat, irgendjemandem
der Form halber seinen Hausstand (familia); dabei gebraucht der Käufer des Hausstands (familiae
emptor) folgende Worte:
'ICH ERKLÄRE, DASS DEIN HAUSSTAND UND DEIN GELD IN DEINER VERFÜGUNGSMACHT UND MEINER OBHUT IST, UND SIE SOLLEN MIR GEKAUFT SEIN MIT
DIESEM
ERZ'
- und, wie einige hinzufügen:
'UND MIT DER EHERNEN WAAGE -,
DAMIT DU RECHTSKRÄFTIG NACH DEM ÖFFENTLICHEN GESETZ EIN TESTAMENT
ERRICHTEN KANNST.'
Daraufhin schlägt er mit dem Erz an die Waage und gibt dieses Erz dem Testamentserrichter
gewissermaßen als Kaufpreis. Hierauf nimmt der Testamentserrichter die Testamentsurkunde in
die Hand und sagt:
'SO WIE ES HIER AUF SCHREIBTAFEL UND WACHS GESCHRIEBEN STEHT, SO WENDE
ICH ZU, SO VERMACHE ICH, SO VERFÜGE ICH LETZTWILLIG, UND DAFÜR, QUIRITEN,
STEHT MIR ZEUGE!'
Und dies heißt nuncupatio ("Verkündung"); nuncupare heißt nämlich öffentlich erklären und was
der Testamentserrichter im Einzelnen in der Testamentsurkunde geschrieben hat, das scheint er
in allgemein gehaltener Rede zu erklären und zu bekräftigen."
b) Erbeinsetzung
* Gai. 2,229 - Notwendigkeit der Erbeinsetzung
„Vor der Erbeinsetzung ist die Aussetzung eines Vermächtnisses unwirksam, da die Testamente
ihre Wirkung von der Erbeinsetzung herleiten. Deshalb wird die Erbeinsetzung gleichsam als
Haupt und Fundament des gesamten Testaments betrachtet.“
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** D. 28,5,1,3-6 (Ulp. 1 Sab.) – Erbeinsetzung: Formulierungen
„Wer kein Vermächtnis aussetzen und keine Enterbung aussprechen will, kann mit fünf Worten
ein Testament errichten, wenn er sagt:
"Lucius Titius soll mein Erbe sein."
Dieser Text (des Sabinus) bezieht sich aber auf denjenigen, der nicht schriftlich testiert. Er kann
auch mit drei Worten testieren, wenn er sagt:
"Lucius soll Erbe sein",
denn sogar "mein" und "Titius" sind überflüssig.
(4) Wenn jemand als einziger Erbe bezüglich eines Grundstücks eingesetzt worden ist, so gilt die
Einsetzung, wobei die Erwähnung des Grundstücks gestrichen wird.
(5) Schreibt er aber folgendermaßen:
"Lucius Erbe",
auch wenn er nicht hinzufügt "soll sein", so nehmen wir an, dass er mehr (mündlich) erklärt, aber
weniger geschrieben hat. Und wenn er folgendermaßen (schreibt)
"Lucius soll es sein",
so sagen wir dasselbe. Folglich auch dann, wenn (er) nur folgendermaßen (schreibt):
"Lucius".
Marcellus meint recht scharfsinnig, dass dies heutzutage nicht mehr angehe. Aber der
vergöttlichte (Kaiser Antoninus) Pius hat in einem Reskript bestimmt, dass die Erbeinsetzung
wirksam sei, wenn jemand die Erbteile auf die Erben folgendermaßen verteilt hat:
"Dieser zur einen, jener zur anderen Hälfte"
und nicht hinzugefügt hat "soll Erbe sein". Dies hat auch Iulianus geschrieben.
6) Ebenso hat der vergöttlichte (Kaiser Antoninus) Pius in einem Reskript bestimmt, die
Erbeinsetzung
"Jene, meine Ehefrau, soll es sein"
sei wirksam, auch wenn "Erbin" fehlt.“
c) Vermächtnisse (legata)
* Gai. 2,193 - Vindikationslegat
„Ein Vindikationslegat setzen wir folgendermaßen aus: z.B. "Ich gebe und vermache dem Titius
den Sklaven Stichus". Wenn dabei nur eines der beiden Wörter verwendet worden ist, nämlich
"Ich gebe" oder "Ich vermache", so liegt ebenfalls ein Vindikationslegat vor. Ebenso gilt nach
vorherrschender Meinung die Formulierung des Vermächtnisses: "Er soll nehmen" oder "Er soll
für sich haben" oder "Er soll ergreifen" als Vindikationslegat.“
** Gai. 2, 201 - Damnationslegat
„Ein Damnationslegat setzen wir folgendermaßen aus: "Mein Erbe soll verpflichtet sein, meinen
Sklaven Stichus zu geben!'. Aber auch, wenn "Er soll geben" geschrieben worden ist, liegt ein
Damnationslegat vor.“
*** Gai. 2,227 – Quarta Falcidia
„Daher ist die Lex Falcidia erlassen worden, die bestimmt, dass ihm nicht erlaubt sei, mehr als
drei Viertel als Vermächtnis auszusetzen. Deshalb muss dem Erben zwingen ein Viertel des
Nachlasses verbleiben. Dies ist jetzt gültiges Recht.“
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Testament des Antonius Silvanus (Alexandria, 142 n. Chr.) - FIRA III 47
„Antonius Silvanus, Reiter des I. Mauretanischen Regiments Thraker, Ordonnanz des Präfekten,
Schwadron des Valerius, hat ein Testament errichtet: Alleinerbe meines gesamten Vermögens im
Lager und zu Hause soll mein Sohn M. Antonius Satrianus sein.
Alle übrigen sollen enterbt sein. Und er soll meine Erbschaft antreten innerhalb von 100 Tagen.
Wenn er sie nicht antritt, soll er enterbt sein.
Dann soll an zweiter Stelle mein Bruder (?) Antonius R--- mein Erbe sein und er soll die Erbschaft
antreten innerhalb von 60 Tagen. Ihm gebe und vermache ich, wenn er nicht mein Erbe wird,
siebenhundertfünfzig Silberdenare.
Zum Verwalter meines Vermögens im Lager, um meine Habe zusammenzutragen und sie der
Antonia Thermutha, der Mutter meines o. g. Erben auszuhändigen, ernenne ich Hierax, Sohn des
Behex, Duplikar desselben Regiments, Schwadron des Aebutius, auf dass sie selbst sie wiederum
verwahrt, bis mein Sohn und Erbe mündig wird und er sie dann von ihr erhält. Ihm gebe und
vermache ich fünfzig Silberdenare.
Ich gebe und vermache der Antonia Thermutha, der Mutter meines o.g. Erben 500 Silberdenare.
Ich gebe und vermache meinem Präfekten fünfzig Silberdenare.
Ich will, dass mein Sklave Cronio nach meinem Tode, wenn er alles ordnungsgemäß abgewickelt
und meinem o.g. Erben oder dem Verwalter übergeben hat, dann frei sei und die fünfprozentige
(Freilassungssteuer) für ihn aus meinem Vermögen erbracht wird.
Arglist soll von diesem Testament fernbleiben.
Hausstand und Vermögen kaufte zur Errichtung des Testaments Nemonius, Duplikar aus der
Schwadron des Marus, M. Julius Tiberinus, Sesquiplikar aus der Schwadron des Valerius,
fungierte als Waaghalter, zum Zeugen hat er den Turbinius, Feldzeichenträger aus der
Schwadron des Prokulus, genommen. Das Testament wurde errichtet in Alexandria bei Ägypten
im kaiserlichen Winterlager der II. Trajanischen Legion "Die Tapfere", und des Mauretanischen
Reiterregiments, am 6. Tag vor den Kalenden des April im Konsulat von Rufinus und Quadratus
(27.3.142 n. Chr.).
(griech.) Ich, der oben genannte Antonios Silbanos, habe mein oben stehendes Testament
entgegengenommen und geprüft und es entspricht meinem Willen, wie es oben geschrieben
steht.
Ich, Nemonius, Duplikar, Schwadron des Marus, habe gesiegelt.
Julios Tibereinos, Seskuplikar, Schwadron des Ualerios.
Turbinius, Reiter und Feldzeichenträger, Schwadron des Proculus.
Valerius --- Rufus, Reiter und Feldzeichenträger, Schwadron des --Ich, Maximus, Duplikar, Schwadron des ---ustus, habe gesiegelt.
--Ich, Antonios Silbanos, habe gesiegelt.“