Sprachgeschichte Wintersemester 2015/2016 bei A. Lenz Inhalt und Struktur der Vorlesung 1. Organisatorisches und Einleitendes Block I 2. 3. 4. 5. 6. Chronologischer Abriss der Sprachgeschichte des Deutschen Block II 7. Prinzipien des Sprachwandels* 8. Zusammenfassung und Ausblick • Indoeuropäisch und Germanisch • Althochdeutsch • Mittelhochdeutsch • Frühneuhochdeutsch • Neuhochdeutsch • Prinzipien phonologischen Wandels * Block II hat noch zwei weitere Punkte beinhaltet, die dann nachträglich entfernt wurden, da die Zeit nicht ausgereicht hat 1. Prüfungstermin: 26. Jänner 2016 Prüfungsstoff: Folien und Literatur eventuelle Fragen: • Text einordnen können Ahd, Mhd, Fnhd (möglichst genau) und begründen • Ablautreihen anwenden können Alle von mir verwendeten Tabellen u.ä. sind aus den Folien der Vortragenden kopiert! 1 Inhaltsverzeichnis 1. Einheit.....................................................................................................................................................4 Einleitendes......................................................................................................................................................4 Synchronie und Diachronie..........................................................................................................................4 Veränderung, Entwicklung, Wandel.............................................................................................................4 Variation und Wandel..................................................................................................................................5 Zur Dynamik von Sprache............................................................................................................................5 Sprachliche Ebenen.....................................................................................................................................6 Sprache als „dynamisches“ System..............................................................................................................6 „Zwiebelmodell“ der sprachlichen Ebenen..................................................................................................7 2. Einheit.....................................................................................................................................................7 Indoeuropäisch/-germanisch............................................................................................................................7 Archetypus...................................................................................................................................................7 Sprachtypologie...........................................................................................................................................7 Germanisch.......................................................................................................................................................8 Akzent..........................................................................................................................................................8 3. Einheit.....................................................................................................................................................8 Akzentwandel..............................................................................................................................................8 1. ( = Germanische ) Lautverschiebung........................................................................................................8 Verner(sche)s Gesetz...................................................................................................................................9 4. Einheit.....................................................................................................................................................9 Althochdeutsch.................................................................................................................................................9 2. (hochdeutsche) Lautverschiebung.........................................................................................................10 Tenues – Spirantenwandel.........................................................................................................................10 Tenues – Affrikatenwandel........................................................................................................................10 Mediae – Tenueswandel............................................................................................................................10 i-Umlaut.....................................................................................................................................................10 5. Einheit...................................................................................................................................................11 Exkurs: Diachrone Phonologie...................................................................................................................11 Lautwandel vs Lautwechsel.......................................................................................................................11 Assimilation vs Dissimilation......................................................................................................................11 Primärumlaut.............................................................................................................................................12 Phonologischer Wandel.............................................................................................................................12 6. Einheit...................................................................................................................................................13 „Sogenannter Rückumlaut“.......................................................................................................................13 Mittelhochdeutsch..........................................................................................................................................13 Vokalsystem des Mhd................................................................................................................................13 Charakteristika des Mhd............................................................................................................................14 7. Einheit...................................................................................................................................................14 Mhd Verbkonjugation................................................................................................................................14 Exkurs: starke vs schwache Verben............................................................................................................14 Ablaut........................................................................................................................................................14 Ablaut: Abstufungen..................................................................................................................................15 Ablaut im Indogermanischen und Germanischen......................................................................................15 Ablaut im Mhd...........................................................................................................................................15 Stammformen............................................................................................................................................15 2 Ablautreihen..............................................................................................................................................16 „Mischverben“ bringen und beginnen.......................................................................................................17 „Präterito-Präsentien“...............................................................................................................................17 Mhd wellen................................................................................................................................................18 Mhd. Verbkonjugation (Wiederholung und Zusammenschau)..................................................................18 „Wurzelverben“.........................................................................................................................................18 Athematisch: Wurzelverb tuon..................................................................................................................19 Athematisch: Wurzelverb sîn.....................................................................................................................19 Auslautverhärtung.....................................................................................................................................20 8. Einheit...................................................................................................................................................20 Frühmittelhochdeutsch.............................................................................................................................20 Klassisches Mittelhochdeutsch..................................................................................................................20 1150-1250.................................................................................................................................................20 Spätmittelhochdeutsch..............................................................................................................................20 1250-1350.................................................................................................................................................20 Frühneuhochdeutsch......................................................................................................................................21 Extralinguistische Prozesse........................................................................................................................21 Linguistische Prozesse................................................................................................................................21 9. Einheit...................................................................................................................................................22 Neuhochdeutsch.............................................................................................................................................23 Standardisierung des Neuhochdeutschen.................................................................................................23 Charakteristika des Neuhochdeutschen....................................................................................................24 10. Einheit.................................................................................................................................................24 Block II - Prinzipien des Sprachwandels: Prinzipien phonologischen Wandels................................................24 Das Ahd. als Silbensprache........................................................................................................................25 „Erleichterung“..........................................................................................................................................25 Silben- und Wortsprachen.........................................................................................................................26 Silbensprache............................................................................................................................................26 11. Einheit.................................................................................................................................................27 Silben- vs Wortsprache..............................................................................................................................27 Das Ahd. als Silbensprache................................................................................................................27 3 1. Einheit Einleitendes Synchronie und Diachronie Sicher wäre es für alle Wissenschaften wichtig, die Achsen sorgfältig zu bezeichnen, auf welchen die Dinge liegen, mit denen sie sich befassen; man müßte überall gemäß der nebenstehenden Figur unterscheiden: 1. die Achse der Gleichzeitigkeit (AB), welche Beziehungen nachweist, die zwischen gleichzeitig bestehenden Dingen obwalten und bei denen jede Einwirkung der Zeit ausgeschlossen ist, und 2. die Achse der Aufeinanderfolge (CD), auf welcher man stets nur eine Sache für sich allein betrachten kann, auf der jedoch alle die Dinge der ersten Achse mit ihren Veränderungen gelagert sind. 2 (Saussure 1967: 94) Um aber diesen Gegensatz und diese Kreuzung der auf den gleichen Gegenstand bezüglichen Erscheinungen von zweierlei Art noch deutlicher hervorzuheben, ziehe ich es vor, von synchronischer und diachronischer Sprachwissenschaft zu sprechen. Synchronisch ist alles, was sich auf die statische Seite unserer Wissenschaft bezieht; diachronisch alles, was mit den Entwicklungsvorgängen zusammenhängt. Ebenso sollen Synchronie und Diachronie einen Sprachzustand bzw. eine Entwicklungsphase bezeichnen. (Saussure 21967: 95f.) Veränderung, Entwicklung, Wandel Veränderung - Differenz zwischen Vor- und Nachzustand in der Zeit - „beobachtbare Oberflächenphänomene“ - „Veränderungen können allein nach Zahl und Art festgestellt, nicht aber erklärt werden. Folglich bedeutet „Veränderung“ eine quantitative Kategorie, die dem 5 dynamischen Charakter von Sprache nicht gerecht werden kann.“ (Wolff 2004: 28) - quantitative Kategorie 4 Entwicklung - „Vorstellung von einem kontinuierlichen, zielgerichteten Ablauf […] (Evolution)bund zugleich 5 dessen Wertung (Dekadenztheorie oder Prozeßtheorie)“ (Wolff 2004: 28) - teleologisch Kategorie Wandel - geordnete „Vielfalt der ständig verlaufenden Prozesse der Umgestaltung, des Verlusts und der Neubildung sprachlicher Elemente“ (Lewandowski 1990: 1077) implizite Voraussetzungen: - inhärente Dynamik - Kontinuität in einem stabilen Grundbestand - Interpretationsoffenheit - funktionelle Annahme bei Erklärung pragmatische Kategorie 5 (vgl. Wolff 2004: 28) 11 Variation und Wandel Variation Koexistenz sprachlicher Alternativen (Varianten) x Variation führt nicht automatisch zu Sprachwandel „langandauernde Variabilität“ (s. Haas 1978: 78, Coseriu 1974: 67f.) x Weinreich/Labov/Herzog (1968: 188): “Not all variability and heterogeneity in language structure involves change; but all change involves variability and heterogeneity.” x Sprachvariation ist Bedingung und Indikator für Sprachwandel x Variante A > Variante A/B > Variante B x „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ Zur Dynamik von Sprache „Die Sprache, in ihrem wirklichen Wesen aufgefaßt, ist etwas beständig und in jedem Augenblicke Vorübergehendes. […] Sie selbst ist kein Werk (Ergon), sondern eine Thätigkeit (Energeia). Ihre wahre Definition kann daher nur eine genetische seyn. Sie ist nemlich die sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes, den articulierten Laut zum Ausdruck des Gedanken fähig zu machen. […]“ 5 3 (von Humboldt 1963: 418f. u. 430 ) „Wer die Gegenwartssprache verstehen will, sollte sie auch als GEWORDENES zu erfassen suchen, ihr Werden verfolgen, um so hinter ihre Bewegkräfte und Strukturgesetze zu kommen, die auch in der Gegenwart, gegebenenfalls in anderer Relevanz und Zielrichtung, noch aktiv sein können.“ (Schweikle 2002: IX) „Die Universalität des Wandels scheint zunächst einmal eine empirische Feststellung zu sein. Für die Notwendigkeit des Wandels müssen die Argumente erst noch gefunden werden. “ 3 (Keller 2003: 9) Sprache als immerwährender Prozess, wobei die sprachlichen Ebenen in unterschiedlicher Intensität und Geschwindigkeit Dynamik zeigen Sprachliche Ebenen Phonetik/Phonologie/Prosodie: z. B. Nhd. Diphthongierung (segmentell) oder Wandel vom freien idgerm. Wortakzent zum festen germ. Initialakzent (suprasegmentell) [z. B. Róma, Románus, Romanórum] Morphologie: z. B. Entstehung und Ausbau der schwachen Konjugation Syntax: z. B. von synthetischem zu analytischem Sprachbau Graphie: z. B. orthoepischer und orthographischer Wandel Lexik: z. B. Wortbildungen, Entlehnungen, Wortbedeutungswandel Pragmatik: z. B. Veränderungen im Bereich der Anredeforme(l)n Textebene: z. B. Textsortenwandel, Wandel von Stilelementen Sprache als „dynamisches“ System „Die tatsächliche Synchronie ist dynamisch.“ (Jakobson 1962: 53) Vorsicht mit Epochenbezeichnungen! (immerwährend impliziert keine starren Grenzen, sondern Variabilität und fließende Übergänge) Es gibt eine Vielzahl an Periodisierungsmodellen! 6 „Zwiebelmodell“ der sprachlichen Ebenen 2. Einheit Indoeuropäisch/-germanisch 3000 – 1000 v. Chr. Franz Bopp – Vergleich Grammatik von Sanskrit (alte, indische Sprache) und europäische Sprachen Rasmus Rask – Altnordisch mit Slawisch, Latein & Griechisch Archetypus Indogermanisch (Idg) ist eine alte, steinzeitliche Sprache → NICHT „Ursprache“ gibt keinen Grund für diese Annahme aus Idg → Slawisch, Keltisch, Indoiranisch keine Schrift, keine bezeugte Sprache, Raum: Island/ Irland bis Indien (daher Indoeuropäisch – Geografie) grammatische Gemeinsamkeiten → flektierende Sprache, synthetischer Sprachbau, starker Ablaut, „freier“ Wortakzent lexikalische Gemeinsamkeiten → Körperteile, Namen, … Sprachtypologie synthetische Sprachen → zahlreiche Morpheme 7 analytische Sprachen → Morpheme durch Einzelwörter flektierend – Formveränderung innerhalb des Wortstammes, Formveränderung durch Endsilben Idg Präsensbildung → Thematisch Germanen → 2000 v. Chr., Fundstücke: bronzene Griffzungenschwerter, 500 v. Chr. Sprachliche Gemeinsamkeiten gefestigt Germanisch 1000 v. Chr. - 500 n. Chr. Quellen recht schwach belegt → Ostgermanen - Bibelübersetzung Runenschrift, Lehnwortschatz • • • • • Akzentwandel → freier idg Wortakzent zu festen germ. Initalakzent 1. Lautverschiebung Vereinfachung des indoeuropäischen Endungssystems Herausbildung schwacher Verben Systematisierung des Ablauts bei starken Verben Akzent a) dynamischer Akzent – Tonstärke & -dauer durch Atemdruck modifiziert b) musikalischer Akzent – Tonhöhe durch Spannung der Stimmbänder modifiziert Germanisch: dynamischer Akzent 3. Einheit Akzentwandel Idg – flexionsbedingter Akzent (je nach Form auf versch. Silben) Germ. - Initalakzent (Akzent auf 1. Silbe) 1. ( = Germanische ) Lautverschiebung Idg vs Germ. → Systematische Differenzen im Konsonantismus veränderte Artikulationsgewohnheiten • Reibelaut → Frikativ, Spirant • Verschlusslaut → Explosiv • Kombination Verschlusslaut + Reibelaut → Affrikate Idg 1. Tenues (p/t/k) → Germ. Spirantes (f/p1/z(ch)) 8 2. Mediae (b/d/g) Tenues (p/t/k) 3. Mediae aspiratae (bh/dh/gh) stimmhafte Spiranten (b(w)/d(the)/g) betrifft ALLE idg Verschlusslaute, neue Reibelaute im Germ. hinzu, abgeschlossen vor Römer & Germanen Kontakt Tenuesverschiebung nicht bei sp, st, sk Tenuesverschiebung pt, kt nur erster Teil verschoben Verner(sche)s Gesetz (Grammatikalischer Wechsel) → bestimmt die Ausnahmen d – t schneiden – geschnitten h – g ziehen – gezogen f – b Hefe – heben s – r Frost – frieren Lautwandel nach 1. LV (vor Akzentwandel) Wenn Tenuis in stimmhafter Umgebung und Hauptwortakzent nicht unmittelbar vorab, dann wurden die (neuen) stimmlosen Spiranten stimmhaft → stimmhafter alveolaren Frikativus 4. Einheit Althochdeutsch ca. 750 -1050 6/7 Jhd - Auseinanderdriften der germ. Sprachen Quellen: • Evangelienbuch, 870, Otfrid v. Weissenburg • Tatian, Bergpredigt, 830, St. Gallen • Hildebrandslied, 830 • Isidor, Ende 8. Jhd, Latein & Ahd 9 • Abrogans, Übersetzung Latein – Ahd, 2. Hälfte 8. Jhd (erstes Wort Abrogans) Überblick: • 2. Lautverschiebung • i-Umlaut • Artikel und Subjektpronomina • Neuerungen: Affrikaten • Charakteristika: immer noch volle Endsilbenvokale, tendenziell synthetischer Sprachbau, Formenreichtum 2. (hochdeutsche) Lautverschiebung Ungefähr 500 n. Chr. in Alpen Hat sich unregelmäßig über mehrere Jahrhunderte nach Norden bis zur Benrather-Linie (machen -maken) ausgebreitet Ausschließlich germanische Verschlusslaute sind betroffen Tenues – Spirantenwandel Tenues – Affrikatenwandel Nach Vokal Im Anlaut, nach Konsonant Germanisch → Ahd p/ t/ k ff/ zz/ hh skip dat scif daz Germanisch p(p) /t(t) /k(k) → Ahd pf/ tz/ kch t zu tz → NICHT bei tr, ht, ft, st, überall k zu kch → heute nur Oberdeuten, NICHT bei sk p zu pf → unterbleibt bei sp Mediae – Tenueswandel Germanisch → Ahd b/ d/ g p/ t/ k i-Umlaut 750 n. Chr. Kombinatorischer Lautwandel, der auf regressiver, partieller Fernassimilation beruht i oder j in Folgesilbe 10 „dunkle Vokale“ (a, o, u), zunächst kurzes a (Primärumlaut) Westg. satjan → Ahd setzen 5. Einheit Exkurs: Diachrone Phonologie Lautwandel vs Lautwechsel Lautwandel → Änderung unter diachroner Perspektive → spontaner (unbedingter) Lautwandel: unabhängig vom Kontext → kombinatorischer (bedingter) Lautwandel: anhängig von Umgebung → Phonetischer Wandel: Lautwandel, der nur phonetische Realisierung von Phonemen betrifft Lautwechsel → Änderung / Wechsel von Lauten innerhalb eines Morphems – synchrone Perspektive Bedingungen: lautliche Umgebung Assimilation vs Dissimilation Assimilation: Angleichung zweier oder mehrerer Laute auf lautliche Merkmale a) Stellung → progressive Assimilation: nachfolgendes Segment wird an vorangehendes angepasst → regressive Assimilation: vorangehendes Segment wird an folgendes angepasst b) Grad → partielle Assimilation: Segmente angepasst, aber bleiben unterschiedlich → totale Assimilation: Segmente durch Angleichung phonetisch identisch c) Entfernung der Laute → Kontaktassimilation: unmittelbarer Kontakt → Fernassimilation: nicht unmittelbarer Kontakt Dissimilation: von ähnlichen zu unähnlichen (lat. Venenum – itl. Veleno; Gift) 11 Primärumlaut = Lautwandel von Ahd kurz a zu e, falls in der Folgesilbe ein i oder j vorhanden war allen westger. Sprachen Mitte 8. Jhd in die Schrift, Abschluss im 9. Jhd Bsp.: gast vs gesti Hinderung: Gesamtalthochdeutsch: zwischen a und i bzw. j der Folgesilbe Konsonantenverbindungen (ht, hs, hh, rh) Oberdeutsch: bei Konsonantenverbindungen (l+K, r+K, germ. h, ahd. h (germ. k) Sekundärumlaut = Umlautung aller dunklen Vokale, die vom Primärumlaut nicht erfasst wurden auch, wenn umlautbewirkender Vokal nicht unmittelbar in der Folgesilbe erst im Mhd verschriftlicht (ca. 11. Jhd), Umlautung überwiegend Ahd (8./9. Jhd) → NEUE PHONEME Fortsetzung Exkurs: Diachrone Phonologie Phonologischer Wandel Phonetischer Wandel, d. h. Änderung der Aussprache (phonetische Realisierung von Lauten) kann das Phonemsystem betreffen, muss aber nicht. Im letzteren Falle ist er als außerphonologisch (rein phonetisch) zu klassifizieren, im ersten Falle als Phonemwandel (phonologischer Lautwandel). Ein phonologischer Lautwandel (Phonemwandel) ist gekennzeichnet durch Veränderung des Phonemsystems. Dies kann durch Verminderung oder Vermehrung der Anzahl der Phoneme geschehen oder aber durch Veränderung ihrer Beziehungen zueinander. Demnach können drei Typen von phonologischem Lautwandel als die wichtigsten unterschieden werden: • • • Phonemverschiebung (Umphonologisierung) Veränderung der Relation Phonemspaltung (Variantenphonologisierung) ein Phonem in mehrere neu Phonemverschmelzung (Phonemzusammenfall) weniger Phoneme 12 6. Einheit „Sogenannter Rückumlaut“ Phänomen: umlautlose Präteritumformen stehen umgelauteten Präsensformen gegenüber z.B. brennen - brannte kennen - kannte Erklärung: lang- und mehrsilbige jan - Verben wurden nur im Präsens umgelautet → keine Umlautung im Präteritum z.B. got. brannjan (Präs) – brannida (Präteritum) z.B kurzsilbige jan – Verben: länger i-Erhalt → Umlaut Präteritum Ahd nerian – nerita Bezeichnung (J. Grimm) irreführend → nie Umlaut im Präteritum Mittelhochdeutsch 1050 – 1350 n. Chr. Frühmittelhochdeutsch 1050 - 1170 Klass. Mittelhochdeutsch 1170 - 1250 Spätmittelhochdeutsch 1250 – 1350 Erstmals Standardsprache → Rittertum (Hartmann v. Aue, Eschenbach,…) Normalisiertes Mhd → Karl Lachmann: viele verschiedene Formen eines Wortes auf ein einziges zusammengefasst Vokalsystem des Mhd 3 kurze e-Laute (geschlossenes e= Primäruml.; offenes germ. Ë; sehr offenes ä = Sekundäruml.) Wichtig: - Einfache kurze Vokalzeichen (ohne “Dach”) werden auch kurz gesprochen! (z.B. tac, klagen, loben, tugent, gëben) - Aussprache der steigenden Diphthonge: 1. Komponente geschlossener als im Nhd. - /ü:/ = <iu>, /ö:/ = <oe>, /ä:/ = <æ> 13 Charakteristika des Mhd • • • • • Endreim löst Stabreim ab Abschwächung voller Vokale in Nebensilben Auslautverhärtung: im Auslaut und vor stimmlosen Konsonanten verschriftlichter Sekundärumlaut Palatalisierung des s vor c/k (11. Jh.) bzw. vor l, m, n, v, nach r und im Anl. vor t und p (ab 13. Jh.) // (am konsequentesten im süddeutschen Raum, s. etwa Kasten, Kasper) 7. Einheit Mhd Verbkonjugation Exkurs: starke vs schwache Verben Starke Verben: • aus idg „Grundtätigkeiten des Lebens“ (z.B. essen, schlafen, laufen, sterben) • Präteritum wird durch Wurzelvokal (=Ablaut) gebildet schwache Verben: • seit germ. Zeit (meist Ableitungen wie Kausative) • Präteritum durch Suffix -t (keine „innere Flexion“) • Besonderheit der germanischen Sprachen Ablaut “Unter Ablaut versteht man den regelmäßigen Wechsel von Vokalen in etymologisch verwandten Wörtern (Wurzelablaut) oder Wortteilen (Suffixablaut). Er beruht auf den Betonungsverhältnissen im Idg. [...]. Musikalischer Akzent, d.h. unterschiedliche Tonhöhe, führte zur Herausbildung unterschiedlicher Vokalqualitäten [...]; dynamischer Akzent, d. h. unterschiedliche Dauer, führte zur Herausbildung unterschiedlicher Vokalquantitäten [...].” (Schmidt 92004: 252) Musikalischer Akzent: unterschiedliche Tonhöhe, führte zur Herausbildung unterschiedlicher Vokalqualitäten Dynamischer Akzent: unterschiedliche Dauer, führte zur Herausbildung unterschiedlicher Vokalquantitäten → quantitativer und qualitativer Ablaut 14 Ablaut: Abstufungen Quantitativer Ablaut („Abstufung“) Ursprünglich 4 Stufen: • a) Vollstufe (Vokal stand an starkbetonter Stelle, durch qualitativen Ablaut 1. und 2. Volls.) • b) Dehnstufe (Vokal der Vollstufe gedehnt) • c) Reduktionsstufe (Vokal an schwachbetonter Stelle) • d) Schwand- und Nullstufe (Vokalschwund) Qualitativer Ablaut (“Abtönung”) Quantitativer und qualitativer Lautwechsel wurden für Konjugation starker Verben und für Derivation bedeutsam Ablaut im Indogermanischen und Germanischen Idg Es finden sich schon regelmäßige Vokalwechsel in etymologisch verwandten Wörtern/Wortteilen Germ. Ablaut wird systematisch für Konjugation der starken Verben und für Wortbildung (Ableitungen aus Tempusstämmen) genutzt → Tempusformen durch Vokalwechsel (“innere Flexion”) und nicht durch Suffixe. Unterscheidung von 7 Ablautreihen, die heute nur noch bedingt nachzuvollziehen sind Ablaut im Mhd Obwohl aufgrund verschiedener Lautwandelprozesse die Unterschiede zwischen qualitativem und quantitativem Akzent nicht oder nur schwer zu erkennen sind, ist der Ablaut immer noch ein wichtiges Mittel der Konjugation Stammformen 1. Stammform (Präsensstammform) → Präsens (Ind. + Konj.) + Imperativ = Infinitivstammvokal (Abweichungen: 1./2./3. Präs. Ind. + Imp. Sg. = Alternanzen, z. B. Umlaut! → mitunter Angabe von 2 Stammformen) 15 2. Stammform → Sg. Prät.Ind. für 1.+3. Person 3. Stammform (gegebenenfalls gramm. Wechsel!) → Pl. Prät.Ind. + 2.Sg. Prät.Ind. (gegebenenfalls Umlautung) + Konj. Prät. 4. Stammform → Part. Prät. Ablautreihen 16 „Mischverben“ bringen und beginnen - im Präsens: regelmäßig starke Flexion (Klasse IIIa) - im Präteritum: zum Teil stark, zum Teil schwach → bringen – bringe – brâhte – (ge)brâht (mitunter branc – brungen) → beginnen – beginne – began/begunde – begunnen (Mhd begunst/begonst) „Präterito-Präsentien“ Phänomen: Starke Verben, die Formen des Präteritums aufweisen, aber präsentische Bedeutung haben (in Pl. Präs. ist Umlaut eingedrungen). Neues Prät. wird schwach gebildet Erklärung: Ursprüngliches Präsens ist verloren gegangen und Präteritalform hat Präsensbedeutung angenommen Ablautreihe 1. Sg. Präs. 1. Pl. Präs. (Inf.) 1. Sg. Prät. nhd. Inf. Ia weiz wizzen wisse, wesse, wiste, weste wissen IIa touc tugen, tügen tohte taugen IIIa kan kunnen, künnen, gunnen, günnen kunde, konde, gunde, gonde können gönnen dorfte (be-)dürfen (ge-)tar durfen, dürfen turren, türren (ge-)torste wagen IV sal, sol suln, süln solde, solte sollen V mac mugen, mügen, magen, megen mahte, mohte vermögen VI muoz muozen, müezen muose, muoste müssen gan IIIb darf → Zuordnung zu den ersten 6 Ablautreihen der starken Verben ist möglich. Ausnahme: Formen der 4./5. Ablautreihe haben im Pl. ein /u/ (Bsp. suln, mugen) 17 Mhd wellen • • Besonderheiten in Formenbildung beruhen auf Modusverschiebung „Seit alters wird der Ind. Präs. dieses Verbs durch Optativformen gebildet, weil die Wunschform in der Rede vorherrschte […]. Zu dem neuen Ind. ist dann wieder ein Konj. gebildet worden, ebenso ein sw. Prät.“ 23 (Paul 1989: 267) Mhd. Verbkonjugation (Wiederholung und Zusammenschau) • • • • • • • starke Verben: siehe „Ablautreihen“ schwache Verben mit „sog. Rückumlaut“: z. B. brennen „Mischverben“: z. B. bringen „Präterito-Präsentien“: z. B. kunnen, suln Sonderfall wellen „Wurzelverben“: s.u. „ganz normale“ schwache Verben „Wurzelverben“ Thematisch vs athematisch thematisch → (gewöhnliche) Form der idg Präsensbildung mit einem Thema zwischen Wurzel und Endung athematisch → Im Gegensatz dazu bilden die Wurzelverben ihr Präsens ohne Thema. Dabei tritt die Endung unvermittelt an die Wurzel – die Formen bestehen also nur aus Wurzel und Endung und sind entsprechend kürzer Der thematisch gebildeten 2. Pl. Ind. Präs. idg. *nem-e-te > mhd. nëmet steht so athematisch idg. *dô-te > mhd. tuot gegenüber Allgemein zu bemerken ist noch, dass alle Wurzelverben die 1. Sg. Ind. Präs. Mhd mit der Endung -n (aus germ. -m < idg. *-mi) bilden, was sich noch erhalten hat in nhd. ich bin. Man spricht daher auch von -mi-Verben) Wortform idg. *nemete (2. Pl. Ind. Präs. ‚ihr nehmt’) Stamm Affix (z.B. Personalendung) *nem-e- *-te (2. Pl.) Wurzel Thema (Stammbildungselement) *nem- -e 18 Beispiel: Mhd (ir) nëmet (2. Pl. Ind. Präs.) < idg. *nemete - Personalendung für die 2.Pl.: *-te (*-si für 2.Sg. oder *-ti für 3.Sg.) - Wurzel *nem- (Grundmorphem mit eigentlicher lexikalischer Information). Die Wurzel steckt in allen Flexionsformen des Verbs (im Ablaut gedehnt als *nām- > ahd. nâm-, abgeschwächt als nøm- > ahd. num- und abgetönt als *nom- > ahd. nam-), aber auch in Substantivableitungen wie nhd. (Auf-)nahm-e oder (Ver-)nun-ft (ahd. -num-ft). Sie ist gemeinsames Element der idg. Wortfamilie *nem- Thema: zwischen Wurzel *nem- und Endung *-te. Das Thema bildet in allen idg. Präsensformen des Verbs (mitunter auch ablautend als -o-) zusammen mit der Wurzel eine Einheit: Stamm *nem-e- (bzw. im Ablaut abgetönt: nem+o-). → Thema (Themata) = Stammbildungselement Athematisch: Wurzelverb tuon Indikativ Konjunktiv tuon tuon tuo tuon tuost tuot tuost tuot tuot tuont tuo tuont tëte tâten taete taeten taete tâtet taetest taetet tëte tâten taete taeten Athematisch: Wurzelverb sîn Indikativ Konjunktiv bin birn, sîn sî, wëse sîn, wësen bist birt, sît sîst, wësest sît, wëset bit sint sî, wëse sîn, wësen was wâren waere waeren waere wâret waerest waeret was wâren waere waeren 19 Auslautverhärtung • /b/, /d/, /g/ > im Wortauslaut /p/,/t/, /k/ • Mhd. wechseln im Flexionsparadigma desselben Wortes/Stammes die stimmhaften Plosive /b/, /d/, /g/ mit den stimmlosen Plosiven /p/, /t/, /c/ in Abhängigkeit davon, ob sie im Wortinneren oder auslautend (Wort- oder Silbenauslaut) vor -t stehen • Zeitliche Einordnung: beim Übergang von Ahd. zu Mhd.; • bis heute vorhanden, allerdings nur in der Lautung (!), denn siehe nhd. Graphiekonventionen (etymologische Schreibung, sog. „Analogieausgleich“) • nhd. <Hund>/<Hund(e)s>, <Tag>/<Tages>, <Lob>/ <Lobes > vs. mhd. <hunt>/<hundes>, <tac>/<tages>, <lop>/<lobes> 8. Einheit Frühmittelhochdeutsch 1050 – 1150 - „Ezzolied“ (um 1065) - „Annolied“ (um 1090) - „Alexanderroman“ (um 1130) Klassisches Mittelhochdeutsch 1150-1250 - Hartmann von Aue: „Erec“ (1180/1190), „Der arme Heinrich“ (ca. 1190) u.a. - Gottfried von Straßburg: „Tristan“ (um 1210) - Wolfram von Eschenbach: „Parzival“ (um 1200/1210) - Walther von der Vogelweide (1170-1230): Minnelieder und Sangspruchdichtung Spätmittelhochdeutsch 1250-1350 - Meister Eckart (1260-1328?): „Mystische Schriften“ - Albrecht von Scharfenberg: „Der jüngere Titurel“ (um 1260/1270) - Johannes Hadlaub: Minnelieder (vor 1340) 20 Frühneuhochdeutsch 1350 – 1650 n. Chr. „Zwischen meiner darstellung des mittel- und neuhochdeutschen wird eine lücke empfindlich seyn: mannigfaltige übergänge und abstufungen hätten sich aus den schriften des vierzehnten so wie der drei folgenden jahrhunderte sammeln und erläutern laßen; [...] da sich aber keine blühende poesie gründete, konnten niedersetzungen der sprache, wie sie zur aufstellung eigner perioden nöthig sind, auch nicht erfolgen. Die schriftsteller dieser zwischenzeit vergröbern stufenweise die frühere sprachregel und überlassen sich sorglos den einmischungen landschaftlicher gemeiner mundart.“ (Jacob Grimm (1822): Deutsche Grammatik, 2. Aufl.) Extralinguistische Prozesse Urbanisierung (seit 13. Jh.) und damit verbunden • Expansion kommunaler Verwaltungen und Kanzleien → “Kanzleisprachen”, “Geschäftssprachen”, „Handelssprachen“ • 15. Jh.: Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg (Mainz), zwei Ablassbriefe als erste Druckwerke aus 1454 • um 1500: ca. 1100 Druckereien in europäischen Städten → Entstehung von regionalen/städtischen “Druckersprachen” Reformation: Bedeutung des Ostmitteldeutschen durch Luthers Bibelübersetzungen und andere Schriften • 1522 „Neues Testament“ • 1534 Bibel (Nachdrucke 1535, 1536, 1538) • 1541 neue, überarbeite Ausgabe • 1545 Ausgabe „letzter Hand” Bildung/Wissenschaft: • Universitätsgründungen (ab 14. Jh.: 1348 Prag, 1365 Wien, 1386 Heidelberg, 1388 Köln, 1392 Erfurt usw.) • Entstehung neuer Kulturzentren (neben kirchlichen und adligen Zentren wie Klöster, Fürstenhöfen), vom Bürgertum getragen Linguistische Prozesse Fnhd. Diphthongierung • mîn niuwez hûs > mein neues Haus (ab 12. Jh.) • allmählicher Phonemzusammenfall mit alten germ. Diphthongen /ei/, /ou/, öu/ 21 Diphthongierung (Schriftbelege!) 12. Jh.: Südtirol und Kärnten 13. Jh.: Österreich und Bayern 14. Jh.: Ostfranken, Böhmen und Schlesien 15. Jh.: Schwaben und Sachsen 16. Jh.: Ober- und Mittelrheingebiet (partiell) Fnhd. Monophthongierung • liebe guete brüeder > liebe gute Brüder (ab 11./12. Jh.) • mitteldeutsch, aber nicht durchgeführt im Alemann. + Bair. Fnhd. Diphthongwandel • mhd. /ei/, /öu/, /ou/ > /ai/, /äu/, /au/ (Senkung des Onsets) Dehnung in offener Tonsilbe • “offene Tonsilbe” = vokalisch endend (z. B. Ta-ge) • “geschlossene Tonsilbe” = konsonantisch endend (z. B. dach-te) • Dehnung der kurzen mhd. Vokale in offener Silbe (nemen > nehmen), aber nicht in geschlossener (nim > nimm), zum Nhd. hin teilweise Ausgleich durch Analogie (s. etwa fnhd. tag – tage > nhd. [ta:k] – [ta:gə]) • niederdt.: Kürze oft erhalten 9. Einheit Nebensilbenschwund • Apokope: Schwa-Ausfall im Wortauslaut (z.B. danne > dann, unde > und) • Synkope: Schwa-Ausfall im Wortinnern (z.B. angest > Angst) Rundungsprozesse (mitunter !) • /e/, /i/, /â/ > (mitunter) /ö/, /ü/ /o/ (z.B. helle > Hölle, âne > ohne) Entrundungsprozesse (mitunter !) • z. B. mhd. küssen = nhd. küssen (sw. V.) und Kissen (Subst.) Vokalsenkung vor Nasal • /u/, /ü/ _Nasal > /o/, /ö/: z. B. sumer > Sommer, künic > König, sunne > Sonne 22 Neuhochdeutsch 1650 – heute Standardisierung des Neuhochdeutschen Phase 1 Phase 2 Phase 3 Phase 4 Frühneuhochdeutsch Älteres Neuhochdeutsch Jüngeres Neuhochdeutsch Gegenwartsdeutsch (ab 1350) (ab 1650) (ab 1800) (ab 1945) Entstehung, erste Etablierung und Beginn der Ausbreitung, mit Schwergewicht im mitteldeutschen Osten Ausbreitung und Festigung über gesamtes deutsches Sprachgebiet, mit entscheidender Normierung Allgemeine Gültigkeit Öffnung in sozialer, und weitere sprechsprachlicher und Normierung, u.a. in der regionaler Hinsicht Orthographie In Anlehnung an: Stefan Sonderegger (1979): Grundzüge deutscher Sprachgeschichte. Diachronie des Sprachsystems. Diachronie des Sprachsystems. Band 1: Einführung – Genealogie – Konstanten. Berlin, New York, S. 174. Neuhochdeutsch (17. Jh.) München „Ordentliche Wochentliche Post-Zeitungen“, 1659 Auff das 1659. Jahr. Auß Dantzig/ vom 16. Novembr. JHre Königl. Mayest. in Polen/ seynd mit dero Hofstatt zu Bromberg angelangt/ woselbst die Polnisch: vnnd Brandenburgische Ambassadores die Zuruckkunfft deß Frantzösischen Monsieur Akakia erwarten/ zuvernemmen/ ob die Schweden in den/ zur bevorstehenden Fridenshandlung/ zu Oliva gelegten Orth einwilligen werden: Jnzwischen werden in hiesigen Vorstätten für die erwartende Herrn darab der Groß-Cantzler berait angelangt/ die Logiamenter bestelt. Neuhochdeutsch (18. Jh.) Wiener Zeitung, 1780 Mit k.k. allergnädigster Freyheit. Mittwochs, den 5. Heumonat 1780. Lissabon den 23. May. Voriges Jahr ist erzählt worden, daß zu Palmetta von Kirchenräubern die heilige Geschirre hinweggeraubet, auch die heilige Hostien und das heilige Oel auf den Boden ausgeschüttet worden. Diese Bösewichte sind nun zur gebührenden Strafe gezogen worden, sie wurden auf einer Ochsenhaut, so an einen Pferdschweif gebunden war, zu den Richtplatze hingeschleppet, als ihnen 23 auf der Richtstätte die Hände sollten abgehauen werden; hat der Vorsteher der Gesellschaft der Barmherzigkeit ihnen die Nachlassung dieser Strafe von ihrer Majestät erbothen. Sie wurden also aufgehängt, nach ihrem Tod ihnen die Hände abgehauen, die Körper in das Feuer geworfen, verbrannt, und die Asche in die Luft gestreuet. Der, so bey Ausübung des Kirchenraubes Wache gehalten, ist aufgehängt, und sein Kopf samt den Händen der übrigen Kirchenräuber nach Palmetta gebracht worden, um zum Schrecken derley Missethäter öffentlich ausgesetzt zu werden. Standardisierung des Neuhochdeutschen „Mit der schrittweisen Etablierung einer überregionalen Ausgleichsvarietät (neuhochdeutsche Standardsprache), besonders aber durch die Herausbildung einer eigenen Oralisierungsnorm dieser Varietät, erhielten die Dialekte erst den Gegenpol, der sie als systemisch different und areal begrenzt ins Bewußtsein treten ließ. […] Der Standardisierungsprozeß des Neuhochdeutschen war [...] nicht nur die historische Bedingung der Wahrnehmung des Dialektes als arealer Varietät des Deutschen, sondern er war zugleich Auslöser für die Verlagerung des Domänenspektrums des Dialektes.“ (Herrgen 2001: 1515) Charakteristika des Neuhochdeutschen • r-Vokalisierung, Entstehung silbischer Konsonanten • Abbau des synthetischen Konjunktivs (I und II) • Ausbau von würde+Infinitiv • fortschreitender Präteritumsschwund • weitere Numerusprofilierung und Kasusnivellierung am Substantiv • Ausbau und Verbreitung des Rezipientenpassivs • seit 1902: Orthographie (zahlreiche Reformen) • tiefes, komplexes, leserfreundliches Schriftsystem (vgl. Nübling [u. A] 32010: 6) 10. Einheit Block II - Prinzipien des Sprachwandels: Prinzipien phonologischen Wandels 24 Literatur, vor allem: - Nübling, Damaris [u. a.] (2010): Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Eine Einführung in die Prinzipien des Sprachwandels. 3., überarb. Aufl. Tübingen: Narr. - Schmidt, Wilhelm (2007): Geschichte der deutschen Sprache. Ein Lehrbuch für das germanistische Studium. 10., verb. und erw. Aufl., erarb. unter der Leitung von Helmut Langner und Norbert Richard Wolf. Stuttgart: Hirzel. Das Ahd. als Silbensprache „Das Deutsche hat in seiner ca. 1500-jährigen Geschichte einen grundsätzlichen Wandel von einer Silben- zu einer Wortsprache erfahren […]. Während das Ahd. (500-1050) eine klare Silbensprache ist, bildet sich im Mhd. (1050-1350) eine wortsprachliche Tendenz heraus. Seitdem unterliegt das phonologische Wort einer ständigen Optimierung, während die phonologische Silbe nach und nach verschlechtert wird.“ (Nübling [u. a.] 32010: 21) Subthemen • i-Umlaut • 2. Lautverschiebung → von mir nicht extra nochmal notiert „Die Silben in metrischen Bäumen werden nicht zu beliebigen Komplexen zusammengefasst, sondern zur höheren prosodischen Einheit (metrischer >Fuß<) […]. Der Fuß bildet eine Einheit, die genau eine betonte (starke) Silbe enthält und darüber hinaus beliebig viele unbetonte Silben.“ (Meibauer, Jörg [u. a.] (22007): Einführung in die germanistische Linguistik. 2., aktualisierte Auflage. Stuttgart, Weimar: Metzler, S. 117) „Eine Silbe ist so gebaut, dass das sonorste Segment (V: Vokal) ihr Zentrum (den sog. Nukleus) bildet. Die restlichen Segmente (C: Konsonanten) sind so angeordnet, dass sie umso näher am Vokal stehen, je höher ihre Sonorität ist. Auf diese Weise hat eine Silbe einen kurvenförmigen Sonoritätsverlauf (Selkirk 1984: 116).“ (Nübling [u. a.], 32010: 15f.) „Sonorität“: Bündel aus Öffnungsgrad + Schallintensität + Lautstärke (vgl. Meibauer [u. a.], 22007): 108) „Erleichterung“ „Die Silbe und das phonologische Wort unterscheiden sich nicht nur durch ihre Größe (die Silbe ist eine Baustein des phonologischen Wortes). Vielmehr dienen sie den gegensätzlichen Interessen der Kommunikationsteilnehmer. Der Sprecher ist an einfacher Aussprache interessiert. Daher sind für ihn einfache (also optimale) silbische Strukturen von Vorteil. Im Gegensatz dazu liegt dem Hörer viel daran, das Gesagte schnell und ohne größeren Aufwand zu verstehen. Dies ermöglicht ihm eine Hervorhebung der Inhaltsstruktur, die durch eine klare Signalisierung der Wortgrenzen 25 erreicht wird. Die Silbe dient also der Sprachproduktion, während das phonologische Wort die Sprachrezeption erleichtert.“ (Nübling [u. a.] 32010: 17) Silben- und Wortsprachen „Das Nhd. ist eine Sprache, in der hörerfreundliche Strategien überwiegen, die die Inhaltsstrukturen exponieren. Man bezeichnet solche Sprachen als Wortsprachen. Wenn hingegen eine einfache Aussprache im Vordergrund steht, spricht man von Silbensprachen (z. B. Spanisch). In Wortsprachen wird daher mit verschiedenen phonologischen Mitteln das phonologische Wort verdeutlicht. Im Gegensatz dazu konzentrieren sich Silbensprachen auf die Verbesserung der phonologischen Silbe (s. Auer 1994, 2001). Meist geht das eine auf Kosten des anderen.“ (Nübling [u. a.] 32010: 17) Silbensprache „[F]ür die Dichotomie „silben- vs. akzentzählend“ [ist] verschiedentlich beansprucht worden, dass sie stark prädiktiven Wert für andere phonologische Eigenschaften von Einzelsprachen hat, mithin also über die reine Klassifikation hinausgehend als Grundlage einer typologischen Unterscheidung dienen kann.“ (Auer 2001: 1391) 26 11. Einheit Silben- vs Wortsprache (Nübling [u. a.] 32010: 21) Das Ahd. als Silbensprache „Das Deutsche hat in seiner ca. 1500-jährigen Geschichte einen grundsätzlichen Wandel von einer Silben- zu einer Wortsprache erfahren […]. Während das Ahd. (500-1050) eine klare Silbensprache ist, bildet sich im Mhd. (1050-1350) eine wortsprachliche Tendenz heraus. Seitdem unterliegt das phonologische Wort einer ständigen Optimierung, während die phonologische Silbe nach und nach verschlechtert wird.“ 27
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