Kommunalisierung – Gefährdung gewerblicher Sammlungen Dr. Rainer Cosson Rechtsanwalt Hauptgeschäftsführer BDSV Deutscher Umwelt-Kongress 30.09.2015 Frankfurt am Main 2 Vor 1972 Wertstoffbewirtschaftung in privater Hand 1972 – Abfallbeseitigungsgesetz Zuweisung der geordneten Erledigung der Abfallbeseitigungsaufgaben an die Kommunen 1986 – Abfallgesetz Abgrenzung Abfälle (Kommunen) ./. Wertstoffe (Privatwirtschaft) 1996 – Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz Gewerbliche Sammlungen von Abfällen zur Verwertung trotzen den Überlassungspflichten gegenüber den Kommunen. Angela Merkel, damals Bundesumweltministerin, in der PM vom 07.10.1996 zum Inkrafttreten des KrW-/AbfG: „Die Rollenverteilung des alten Abfallgesetzes, nach der die Wirtschaft produziert und die Kommunen auf Kosten der Allgemeinheit die dabei entstehenden Abfälle zu entsorgen hatten, wird aufgelöst … Soweit … beklagt wird, dass die Kommunen die verwertbaren Abfälle nicht mehr erfassen dürfen, weise ich darauf hin, dass schon bisher die Kommunen auf verwertbare Stoffe eigentlich nicht zugreifen durften. Im Übrigen müssen sich die Kommunen fragen lassen, ob sie überhaupt technisch und wirtschaftlich in der Lage sind, die hohen Verwertungsanforderungen des Gesetzes wirklich zu erfüllen.“ 3 2012 – Kreislaufwirtschaftsgesetz • Legaldefinition der „gewerblichen Sammlung“ – Abkehr vom traditionellen Verständnis • Anzeigepflicht für gewerbliche Sammlungen • Regelbeispiele (mit erheblichen Überdehnungen) für entgegenstehende öffentliche Interessen § 3 Abs. 18 KrWG „Eine gewerbliche Sammlung von Abfällen im Sinne dieses Gesetzes ist eine Sammlung, die zum Zweck der Einnahmeerzielung erfolgt. Die Durchführung der Sammeltätigkeit auf der Grundlage vertraglicher Bindungen zwischen dem Sammler und der privaten Haushaltung in dauerhaften Strukturen steht einer gewerblichen Sammlung nicht entgegen.“ Gewerbliche Sammlungen kommen vor im • Holsystem (mobile Händler) • Bringsystem (Annahme z. B. auf Schrottplätzen) 4 2016 oder später? • Bleiben gewerbliche Sammlungen bei Realisierung des CDU/CSU/SPDKonzepts ungeschoren? • Oder setzen sich die politischen Kräfte durch, die die Kommunalisierung der gesamten Wertschöpfungskette oder zumindest der Einsammlung fordern – und dadurch womöglich gewerbliche Sammlungen unmöglich machen? 5 Wann sind gewerbliche Sammlungen unzulässig? Antwort des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (§ 17 Abs. 2 S. 1 Nr. 4) Wenn überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen. Konkret: Gefährdung der Funktionsfähigkeit des örE (§ 17 Abs. 3 S. 1) Verhinderung der Erfüllung von Entsorgungspflichten zu wirtschaftlich ausgewogenen Bedingungen Gem. § 17 Abs. 3 S. 2 anzunehmen (Regelvermutung), wenn: oder wesentliche Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des örE Nr. 1: hochwertige Sammlung des örE vorhanden oder beabsichtigt Gem. § 17 Abs. 3 S. 3 insbesondere anzunehmen, wenn: Nr. 2: Gefährdung der Gebührenstabilität oder Nr. 3: Vergabe von Entsorgungsleistungen im Wettbewerb erschwert oder unterlaufen 6 Konkretisierung durch die Rechtsprechung Leitentscheidung des VGH Baden-Württemberg vom 09.09.2013 • Regelung im KrWG nur unter bestimmten Voraussetzungen europarechtskonform; Notwendigkeit der europarechtskonformen Rechtsanwendung • Einheitliche Zuständigkeit der Behörden für Wertung der „Gefährdung der Funktionsfähigkeit“ und Untersagung der gewerbliche Sammlung (noch) zulässig; organisatorische Trennung der Aufgabenbereiche allerdings unabdingbar • Kein absoluter Schutz der örE vor privater Konkurrenz • ÖrE muss geltend gemachte Funktionsgefährdung durch nachprüfbare Fakten konkretisieren • Untersagung ist ultima ratio, weniger einschneidende Maßnahmen haben Vorrang 7 Anzeigeverfahren gemäß § 18 KrWG • Kein Verbot (mit Genehmigungsvorbehalt), sondern rein informatorisches Anzeigeerfordernis • Wartefrist des Sammlers von drei Monaten nach Anzeige • Angaben zum größtmöglichen Sammlungsumfang, zur (Mindest-)Dauer der Sammlung, zum Verbleib der Abfälle sowie Darlegung der vorgesehenen Verwertungswege (Anmerkung: Bzgl. der „Darlegungstiefe“ ist derzeit ein Revisionsverfahren beim BVerwG anhängig.) • Explizite Mitwirkung des örE (2-monatige Stellungnahmefrist!) • Unterlassene, unrichtige, nicht vollständige oder verspätete Anzeigeerstellung ist Ordnungswidrigkeit (Geldbuße bis zu 10 T€). 8 Projekt Wertstoffgesetz Die Berichterstatter von CDU/CSU und SPD im Bundestag haben sich am 12.06.2015 auf „Eckpunkte“ für ein Wertstoffgesetz geeinigt: • Ausdehnung der Produktverantwortung über Verpackungen hinaus auch auf alle stoffgleichen „tonnengängigen“ Altmaterialien >> Grundsätzlich Zuständigkeit privatwirtschaftlicher Systeme ohne ö.-r. Überlassungspflicht • Aber: örE kann Strukturen der Sammlung einseitig festlegen. Gewerbliche Sammlungen werden in den „Eckpunkten“ nicht erwähnt. • ÖrE erhält Option, eigene Behälter anzuschaffen und deren Benutzung gegen eine Gebühr zu verlangen • Vorgaben der örE sollen auch für Sammlung an „vergleichbaren Abholstellen“ (Mischgebiete) gelten Erster Arbeitsentwurf für WertstoffG für September 2015 angekündigt 9 Projekt Wertstoffgesetz Die Vorstellungen der GRÜNEN weichen davon ab. Aus dem „Kompromissmodell (Eckpunkte)“ der grünen Landesumweltminister und -senatoren vom 11.03.2015 * (Federführung: Umweltminister Franz Untersteller, Baden-Württemberg): • Erfassung der Verpackungen und stoffgleichen Nichtverpackungen wird in die „Organisationsverantwortung der Kommunen“ gegeben. • Aber: „Keine Rekommunalisierung der Wertstoffentsorgung“ • „Abgabe der Wertstoffe zur Sortierung und Verwertung an die Privatwirtschaft“ • „Wertstofferlöse verbleiben nicht bei den Kommunen“ • „Beibehaltung des Status Quo im Verhältnis zu gewerblichen Sammlungen“ • „Die von gewerblichen Sammlern befürchtete Rückwirkung einer flächendeckenden kommunalen Erfassung auf die Voraussetzungen der §§ 17, 18 KrWG ist nicht intendiert.“ • Ergänzung durch Beantwortung einer Kleinen Anfrage im baden-württembergischen Landtag (Schreiben vom 18.08.2015) 10 Projekt Wertstoffgesetz Position des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) und der kommunalen Spitzenverbände (laut Erklärung vom 14.08.2015) • Ablehnung des „Eckpunktepapiers des Bundesumweltministeriums“ (!): Ansatz sorgt für „zusätzliches Konfliktpotenzial zwischen Kommunen und Systembetreibern“ • „Kommunale Sammelverantwortung“ als „zentrale“ Forderung • Offenbar akzeptiert: Fortbestand der Dualen Systembetreiber • Private Entsorgungswirtschaft übernimmt Verantwortung für das Recycling der Materialien aus der Wertstofftonne Aufgabe der Forderung, dass die Wertstofferlöse bei den Kommunen verbleiben??? Keine Ausführungen zum Bestand gewerblicher Sammlungen. Keine Verschlechterung des Status Quo??? 11 Projekt Wertstoffgesetz Vieles bleibt ungereimt – viele Fragen sind offen. Öffentlich-rechtliche Aufgabe mit Überlassenpflicht – oder gewerbliche kommunale Tätigkeit? Ist flächendeckende Wertstoffsammlung durch die Kommunen nicht stets „hochwertiger“ i. S. d. §17 Abs. 3 Nr. 1 KrWG? Wird das WertstoffG auch Dualen Systembetreibern ein Abwehrrecht gegen gewerbliche Sammlungen verschaffen? (Fortführung der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, Urteil vom 16.07.2003, Az: 5 UE 312/01?) 12 Projekt Wertstoffgesetz Vieles bleibt ungereimt – viele Fragen sind offen. Lässt sich gegebenenfalls ein differenzierter Schutz zwischen gewerblichen Kleinsammlungen und „Sammlungen nach Art eines Entsorgungsträgers auf Grundlage vertraglicher Bindungen“ erreichen? (Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 18.06.2009, Az: 7 C 16.08) Kippt die Stimmung nicht doch noch pro Totalkommunalisierung im Bundesrats-Verfahren? 13 Politische Forderungen der privaten Recyclingwirtschaft • Die Bürger müssen auch in Zukunft das Recht haben, ihre Altprodukte in gewerbliche Sammlungen zu geben und u. U. einen Erlös zu generieren! • Einzelne Bürger nicht zum „Sonderopfer“ für die Gebührengemeinschaft verpflichten! • Privatrechtliche Strukturen haben Deutschland bei Rohstoffsicherung und Ressourcenschonung in eine weltweit führende Position gebracht – diese darf nicht gefährdet werden! • Arbeitsplätze müssen erhalten werden! • Existenzgrundlage für viele Kleinstsammler nicht zerstören! 14 Dr. Rainer Cosson Rechtsanwalt Hauptgeschäftsführer BDSV Tel.: 0211 828953-30 E-Mail: [email protected] Bundesvereinigung Deutscher Stahlrecycling- und Entsorgungsunternehmen e. V. Berliner Allee 57 ▪ 40212 Düsseldorf ▪ Tel.:: +49 211 828953-0 ▪ Fax: +49 211 828953-20 ▪ E-Mail: [email protected] ▪ Website: www.bdsv.org
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