Stichwort «Einvernehmliche private Schuldenbereinigung

Stichwort «Einvernehmliche private
Schuldenbereinigung»
Inhalt
1. Allgemeines.................................................................................................................... 1
2. Das Gesuch ..................................................................................................................... 2
Die Schulden ............................................................................................................................. 2
Das Haushaltsbudget................................................................................................................ 2
Aktiven und Anwartschaften, Darlehen und Beiträge à fonds perdu ...................................... 3
3. Der Gerichtsentscheid..................................................................................................... 3
Voraussetzung Nr. 1: Die Schuldenbereinigung scheint nicht zum Vornherein
ausgeschlossen ......................................................................................................................... 3
Voraussetzung Nr. 2: Sicherstellung der Verfahrenskosten .................................................... 4
4. Die Stundung .................................................................................................................. 4
Die Dauer der Stundung ........................................................................................................... 4
Der Widerruf der Stundung...................................................................................................... 5
Die Wirkung der Stundung ....................................................................................................... 5
4. Rechtsmittel ................................................................................................................... 5
5. Das Amt des Sachwalters ................................................................................................ 6
Verhältnis zum Gesuchsteller................................................................................................... 6
Öffentlich-rechtlicher Auftrag .................................................................................................. 6
Überwachung des Schuldners bei der Erfüllung der Vereinbarung ......................................... 7
6. Der Schuldenbereinigungsvertrag ................................................................................... 7
Vertragsfreiheit als Grundsatz ................................................................................................. 7
Praxis der Schuldenbereinigung ............................................................................................... 7
7. Der Ablauf der Stundung................................................................................................. 8
8. Vollzugsprobleme des Schuldenbereinigungsvertrags ...................................................... 9
9. Fortführung der Sanierung mit Nachlassstundung ......................................................... 10
1.
Allgemeines
Die einvernehmliche private Schuldenbereinigung, welche bei der Revision 1994 ins Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz (SchKG) aufgenommen worden ist, bringt den nichtkaufmännischen Schuldnerinnen und Schuldnern eine richterlich angeordnete Zwangsstundung unter Beiordnung eines Sachwalters, einer Sachwalterin. Das Verfahren ist rudimentär
in vier Gesetzesartikeln geregelt, von denen einer bloss das Verhältnis zur Nachlassstundung
betrifft. Das Gesetz überlässt es den Parteien, wie sie die Schuldenbereinigung bewerkstelligen
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wollen: Sie kommt im Rahmen des hier geregelten Verfahrens nur auf „privatem“ und „einvernehmlichem“ Weg zustande.
Am Anfang einer nachhaltigen Schuldenbereinigung steht eine mehrmonatige Abklärungsphase, in welcher die Sachwalterin, der Sachwalter die Verschuldungsursachen ermittelt und abklärt, ob die verschuldete Person und ihr familiäres Umfeld überhaupt sanierungsfähig sind.
Sofern nicht andere Ressourcen zur Verfügung stehen, ist die Sanierungsfähigkeit gegeben,
wenn sich ein Überschuss der Einnahmen über die lebensnotwendigen Ausgaben organisieren
lässt und die sozioökonomischen, psychischen und somatischen Rahmenbedingungen stabil,
bzw. stabilisierbar scheinen.
Während der Stundungsphase kommt es zu ersten Interventionen bei den Gläubigern:
- Bei dringenden Schulden interveniert die Sachwalterin, der Sachwalter, um zu verhindern,
dass sich die Lebensqualität der verschuldeten Person weiter verschlechtert: gefährdete
Wohnungsmietverhältnisse werden stabilisiert, gesundheitliche Probleme werden angegangen usw.
- Dubiose Forderungen (vor allem aus Konsumkreditverträgen) lösen eine juristische Intervention beim Gläubiger aus. Sie können nicht selten schon in der Anfangsphase reduziert werden.
Das Institut der einvernehmlichen privaten Schuldenbereinigung kann nur von natürlichen
Personen in Anspruch genommen werden, welche nicht der Konkursbetreibung unterliegen.
Mit diesem Abgrenzungskriterium muss die Praxis leben, selbst wenn sich zahlreiche kleine
Selbständigerwerbende, welche im Handelsregister eingetragen sind, wegen derselben Ursachen verschulden wie Unselbständige.
2.
Das Gesuch
Die Schulden
Gemäss Abs. 2 legt der Schuldner seine Schulden dar und listet alle bekannten Gläubiger auf.
Vom Gesetz nicht ausdrücklich vorgeschrieben, jedoch zweckmässig ist die Beilage detaillierter
Betreibungsregisterauszüge oder „Schuldnerinformationen“ der Betreibungsämter, welche für
die Wohnorte zuständig sind, an denen der Schuldner in den letzten Jahren gelebt hat.
Das Haushaltsbudget
Der Schuldner legt im Gesuch sein Haushaltsbudget dar. Ist er beraten, handelt es sich dabei
um ein Sanierungsbudget: Das Nachlassgericht bekommt so die Informationen, die es
braucht, um die Sanierungsaussichten abschätzen zu können. Das Sanierungsbudget geht
üblicherweise von einem (normativen) betreibungsrechtlichen Existenzminimum des Haushalts aus, welches um alle Budgetposten erweitert wird, die dem Haushalt während der gesamten Sanierungsphase ein Auskommen auf tiefem Niveau, jedoch ohne Neuverschuldung
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ermöglichen sollen. Dazu gehören Rückstellungen für die Einkommenssteuern, eine Reserve
zum Auffangen von Budgetverschlechterungen während der Sanierungsphase usw.
Die Gläubiger werden häufig gegenüber der Einkommenspfändung besser gestellt: Saniert wird
beim Schuldner, sofern er nicht alleinstehend ist, im Normalfall der Privathaushalt des Gesuchstellers, der Gesuchstellerin, die soziale und wirtschaftliche Einheit „Familie“. So kommt es
regelmässig vor, dass die Sanierungsquote des Gesuchstellers um einen Beitrag der Lebenspartnerin, des Lebenspartners erweitert wird, bzw. dass schlicht die Sanierungsquote des gesamten Haushalts für die Sanierung eingesetzt wird.
Aktiven und Anwartschaften, Darlehen und Beiträge à fonds perdu
Laut Gesetz müssen die „Vermögensverhältnisse“ dokumentiert werden. Das gibt in der Regel
ein kurzes Kapitel- Oft haben die vorausgehenden Pfändungen das Vermögen, soweit es
pfändbar war, bereits liquidiert; nur selten findet sich im verschuldeten Haushalt noch ein
Vermögensstück, welches versilbert werden kann.
Wichtiger als das Vermögen sind drei Grössen:
-
Anwartschaften, welche sich für die Sanierung aktivieren lassen. Insbesondere wird abgeklärt, ob die verschuldete Person einen Erbvorbezug machen könne.
-
Zinslose Darlehen, welche von gemeinnützigen und öffentlich-rechtlichen Geldgebern zur
Verfügung gestellt werden. Die Darlehen vergrössern zwar die Aktiven nicht, sie erlauben
es aber, die Gläubiger rascher auszuzahlen, als es der Leistungsfähigkeit der verschuldeten
Person entsprechen würde. Ausserdem befreien die Darlehensgeber die Gläubiger vom Risiko, dass die verschuldete Person ihre Verpflichtungen aus dem Schuldenbereinigungsvertrag nicht erfüllt.
-
Beiträge à fonds perdu, die mitunter von engagierten Arbeitgebern oder von vermögenden Angehörigen der verschuldeten Person zu erwarten sind. Im sozialhilfenahen Bereich
sprechen auch gemeinnützige Institutionen Beiträge à fonds perdu zu. Hier geht es in der
Regel um die Vermeidung weiterer Desintegration des verschuldeten Haushalts, bzw. um
die Erleichterung seiner Reintegration.
3.
Der Gerichtsentscheid
Voraussetzung Nr. 1: Die Schuldenbereinigung scheint nicht zum Vornherein ausgeschlossen
Beim Entscheid darüber, ob Aussichtslosigkeit vorliege, untersucht der Nachlassrichter in erster Linie, ob das Verfahren grundsätzlich geeignet ist, den Gesuchsteller aus der Verschuldungssituation zu führen, und ob das Haushaltsbudget überhaupt ins Gleichgewicht gebracht
werden kann. Zeichnet sich jetzt schon ab, dass sich die Verschuldungsspirale nach Abschluss
des Verfahrens von neuem zu drehen begänne, lehnt er das Gesuch ab – letztlich im Interesse
des Schuldners selbst.
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Kann die Grundsatzfrage positiv beantwortet werden, analysiert der Nachlassrichter die weiteren Rahmenbedingungen: Stabilität des verschuldeten Haushalts, Höhe der Schuldensumme,
Zahl der Gläubiger. Nach der hier vertretenen Auffassung darf die Schuldenbereinigung nicht
allein deshalb als aussichtslos beurteilt werden, weil ein Gläubiger auf der Schuldenliste figuriert, der als chronisch unempfänglich für Sanierungsvorschläge gilt. Zum einen bestimmt sich
das Kräfteverhältnis auch mit Bezug auf das im Hintergrund bereit stehende Verfahren der
Nachlassstundung, mit dem eine Minderheit nicht kooperierender Gläubiger in die Sanierungslösung eingebunden werden könnte. Zum andern ist es nicht ausgeschlossen, dass die übrigen
Gläubiger in eine aussergerichtliche Lösung einwilligen, bei welcher der renitente Gläubiger
ausgeschlossen wird (vgl. Art. 335 N 10).
Voraussetzung Nr. 2: Sicherstellung der Verfahrenskosten
Die Verfahrenskosten müssen sichergestellt werden. Dazu gehören die Gerichtskosten und die
Kosten der Sachwalterin, des Sachwalters.
Die Gerichtskosten sind bescheiden. Gemäss Art. 56 Abs. 1 der Gebührenverordnung zum
Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SR 281.35) beträgt die Gebühr für Bewilligung, Verlängerung oder Widerruf der Stundung 40 bis 200 Franken. Der Verordnungsgeber
hat mit dieser bescheidenen Gebühr der Diskussion um die unentgeltliche Prozessführung bei
diesem Institut viel von der Brisanz genommen. Erstaunlich viele Gerichte verlangen Kostenvorschüsse, welche diesen Rahmen überschreiten.
Die Verpflichtung zur Sicherstellung der Verfahrenskosten hat dafür gesorgt, dass vermehrt
Sozialtätige, welche bei öffentlich-rechtlichen oder gemeinnützigen Institutionen angestellt
sind, als Sachwalterinnen und Sachwalter eingesetzt werden; diese verzichten regelmässig auf
die Sicherstellung des Honorars, manchmal gar auf das Honorar selbst.
4.
Die Stundung
Die Dauer der Stundung
Die Stundungsdauer beträgt zunächst höchstens drei Monate. Die Stundungszeit dient der
Ermittlung der Verschuldungsursachen durch den Sachwalter oder durch mit ihm zusammenarbeitende Sozialtätige, der Weiterentwicklung des Haushaltsbudgets, der Bereinigung der
Schuldenliste und der Aushandlung des Schuldenbereinigungsvertrags.
Die Stundung kann auf Antrag des Sachwalters auf höchstens sechs Monate verlängert werden. Dem Schuldner selbst steht kein Antragsrecht zu (a.M. GILLIÉRON IV, Art. 334 N 8). Die Verlängerung der Stundung ist am Platz, wenn noch keine Einigung mit sämtlichen Gläubigern
zustande gekommen ist oder wenn sich noch keine zuverlässige Prognose darüber machen
lässt, ob der verschuldete Haushalt die Sanierung durchstehen wird.
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Der Widerruf der Stundung
Zeigt sich, dass die einvernehmliche Schuldenbereinigung nicht erreicht werden kann, sei es
weil auf Seiten des Schuldners die Voraussetzungen nicht (oder nicht mehr) bestehen, sei es
weil keine Einigung mit der Gesamtheit der Gläubiger möglich scheint (auch nicht unter Ausschluss einzelner renitenter Gläubiger; s. unten S. 7), kann die Stundung auf Antrag des Sachwalters widerrufen werden. Je nach Stand der Dinge wird der Schuldner zugleich die Nachlassstundung beantragen (s. Art. 293 ff.) oder die Insolvenzerklärung abgeben (Art. 191).
Die Wirkung der Stundung
Ordnet die Nachlassrichterin, der Nachlassrichter die einvernehmliche Schuldenbereinigung
an, so kann die verschuldete Person nur noch für Alimente betrieben werden (Art. 334 Abs. 3
SchKG).1 Die Wirkung der Stundung ist damit hier nicht deckungsgleich mit jener der Nachlassstundung. Dort können Alimente nicht betrieben werden. Seit der Revision 2014 sind einzig
Betreibungen auf Pfandverwertung für grundpfandgesicherte Forderungen zulässig, die Verwertung des Grundpfands ist allerdings ausgeschlossen (Art. 297 Abs. 2 i.V.m. Art. 219 Abs. 4).
Die Fristen für die Stellung des Fortsetzungsbegehrens (Art. 88 SchKG) und für die Stellung des
Verwertungsbegehrens in der Pfändung (Art. 116 SchKG) und in der Pfandverwertung
(Art. 154 SchKG) stehen während der einvernehmlichen Schuldenbereinigung still. Eine laufende Einkommenspfändung wird unterbrochen; das Pfändungsjahr (Art. 93 Abs. 2 SchKG) läuft
nach dem Unterbruch weiter, falls die Stundung ergebnislos verläuft.
Der Nachlassrichter teilt den Gläubigern die Stundung mit. Er eröffnet die Stundung auch dem
Betreibungsamt.
4.
Rechtsmittel
Art. 334 Abs. 4 SchKG verweist auf Art. 294 Abs. 3 und 4 SchKG: Wo ein oberes kantonales
Nachlassgericht besteht, können der Schuldner und der antragstellende Gläubiger den Entscheid über die Nachlassstundung mit Beschwerde anfechten (Art. 316 ZPO); die übrigen
GläubigerInnen können nur die Ernennung des Sachwalters anfechten. Der Verweis schafft
etliche Auslegungsprobleme. Übertragen auf die einvernehmliche Schuldenbereinigung muss
der Verweis bedeuten, dass nur der Schuldner selbst den Entscheid über die Anordnung der
einvernehmlichen privaten Schuldenbereinigung anfechten kann – es kann per definitionem
kein Gläubiger den Antrag dafür gestellt haben. Die Gläubiger können demnach einzig die Ernennung des Sachwalters anfechten. Diese Ansicht ist allerdings in der Rechtslehre umstritten.
Ebenso ist umstritten, ob der Schuldner die Ernennung des Sachwalters anfechten kann.
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Dies gilt nicht nur für aktuelle Alimentenverpflichtungen, sondern auch für Alimentenschulden früherer Jahre. Da
sie beim Budgetieren nicht im Fokus stehen, kann eine Betreibung für diese Alimentenschulden, die durch die einvernehmliche private Schuldenbereinigung eben nicht gestoppt werden kann, für böse Überraschungen sorgen.
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5.
Das Amt des Sachwalters
Verhältnis zum Gesuchsteller
Der Nachlassrichter setzt den Sachwalter ein. Dieser ermittelt die Verschuldungsursachen und
lotet die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der verschuldeten Person und ihres Umfelds aus.
Wenn nötig initiiert er Verhaltensveränderungen, wobei er unter Umständen heikle private
Fragen zur Sprache bringen muss. Schliesslich begleitet er die verschuldete Person und ihr
Umfeld während der Sanierungszeit (oft mit einer partiellen Lohnverwaltung, bei der die KlientInnen die Rückstellungen für die Einkommenssteuern und die Raten zur Rückzahlung des Sanierungsdarlehens auf ein Konto bei der betreuenden Stelle überweisen). Diese Aufgaben erfordern spezifisches fachliches und methodisches Know-how, über welches in der Regel nur
diplomierte Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter mit Weiterbildung im Bereich Schuldenberatung verfügen. Der Nachlassrichter muss vor der Einsetzung des Sachwalters überprüfen, ob
dieser oder sein Personal über die Qualifikationen verfügt, welche für eine nachhaltige Sanierung unverzichtbar sind. Kommerziellen Sanierungsbüros fehlt dieses Know-How häufig.
Der Sachwalter unterstützt die verschuldete Person beim Erstellen des Bereinigungsvorschlags.
Er wird ihr beigesellt, ihre Verfügungs- und Handlungsfähigkeit bleibt unbeschnitten. Er ist
weder ihr Vormund noch ihr Stellvertreter, sondern er ist vom Gericht eingesetzt, um im öffentlichen Interesse dazu beizutragen, dass eine einvernehmliche Lösung zwischen ihr und
ihren GläubigerInnen zustande kommt (GASSER JKR, 125).
Der Sachwalter kann im Namen des Schuldners mit den Gläubigern verhandeln, weil er vom
Gericht dazu beauftragt und ermächtigt worden ist. Sein Verhältnis zum Schuldner basiert unserer Ansicht nach nicht auf einer irgendwie gearteten vertraglichen Vereinbarung mit ihm.
Obwohl er keinerlei hoheitlichen Befugnisse gegenüber der verschuldeten Person hat, ist sein
Mandat nach der hier vertretenen Auffassung ein öffentlich-rechtliches (sanierungsrechtliches) Amt – und damit weder privatrechtlich noch „halbamtlich“, wie in der Rechtslehre auch
vertreten wird.
Öffentlich-rechtlicher Auftrag
Dass der Sachwalter primär im öffentlichen Interesse tätig ist, hat Auswirkungen auf die Art
der Lösung und auf seinen Aufgabenkreis: Nicht die partikulären Interessen des Schuldners
(oder einzelner Gläubiger) sind zu verfolgen, sondern es wird ein Interessenausgleich angestrebt, der den Grundsätzen der Fairness und der Gleichbehandlung der Gläubiger genügt.
Dabei wird er dem Schuldner und seinem Umfeld nicht mehr und nicht weniger Einschränkungen zumuten, als ihm nach den methodischen und fachlichen Erkenntnissen der Schuldenberatung am Platz sind. Wünscht der Schuldner unrealistische Einschränkungen im Budget, wird
ihm der Sachwalter die Gefolgschaft verweigern. Ebenso wird er aber keine Sanierung einleiten, solange das Haushaltsbudget des Schuldners etwa durch ein Motorfahrzeug ohne Kompetenzcharakter belastet wird.
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Überwachung des Schuldners bei der Erfüllung der Vereinbarung
Abs. 3 sieht vor, dass der Nachlassrichter den Sachwalter beauftragen kann, den Schuldner bei
der Erfüllung der Vereinbarung zu überwachen, lässt es aber offen, wann dieser Auftrag erteilt werden soll. Das Gesetz sieht keinen Sachwalterbericht vor, in welchem der Nachlassrichter über das Ergebnis der Sanierungsbemühungen unterrichtet würde. In der Praxis verlangt
der Nachlassrichter oft einen kurzen Schlussbericht vom Sachwalter. Wenn man nicht postulieren will, dass der Auftrag zur Überwachung des Schuldners schon bei Anordnung der Schuldenbereinigung erteilt werden soll, wird der Richter den Überwachungsauftrag nach Erhalt des
Schlussberichts erteilen (zur Frage, worin die „Überwachung“ bestehen soll, siehe unten
N 14 ff.).
6.
Der Schuldenbereinigungsvertrag
Vertragsfreiheit als Grundsatz
Der Schuldenbereinigungsvertrag ist eine privatrechtliche Vereinbarung zwischen dem
Schuldner und ihren GläubigerInnen. Das Gesetz sieht keine richterliche Kontrolle der ausgearbeiteten Vereinbarung vor und macht bezüglich der Lösungsvarianten keine Vorgaben. Es zählt
einzig die Dividende, die Stundung und „andere Zahlungs- oder Zinserleichterungen“ als mögliche Bereinigungslösungen auf. Soweit die Gläubiger über Privatautonomie verfügen, beherrscht der Grundsatz der Vertragsfreiheit die Lösung (den übrigen Gläubigern ist die Kooperation in den Schranken des öffentlichen Rechts möglich). Das heisst, dass grundsätzlich jede
Lösung möglich ist, welche nicht gegen die Rechtsordnung verstösst und von der Gesamtheit
der Gläubiger akzeptiert wird.
Praxis der Schuldenbereinigung
Der Schuldenbereinigungsvertrag soll zu einer definitiven Lösung führen und dem Schuldner
einen unbelasteten Neustart erlauben. Er soll nach Abschluss des Verfahrens schuldenfrei.
Bleibt ein Teil der Forderungen offen, so ist grundsätzlich das Bereinigungsverfahren gescheitert.
Sämtliche Gläubiger werden gleich behandelt. Der Schuldenbereinigungsvertrag kommt
grundsätzlich nur zustande, wenn ihm die Gesamtheit der Gläubiger zustimmt. Der Gläubiger,
der auf einen Teil seiner Rechte verzichtet, gibt seine Zustimmungserklärung unter der ausdrücklichen oder stillschweigenden Bedingung ab, dass alle andern Gläubiger ein Gleiches tun.
Er reduziert seine Forderung auf das Mass, welches die verschuldete Person verkraften kann,
um ihr einen Neustart zu ermöglichen.
Vereinzelte echte Bagatellforderungen können allerdings schon während der Stundungszeit
beglichen werden.
Ungleichbehandlung einzelner Gläubiger ist zulässig, sofern die Gesamtheit der übrigen,
gleich behandelten Gläubiger darüber aufgeklärt ist und der Ungleichbehandlung ausdrücklich
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zustimmt. Gesteht der Schuldner einzelnen Gläubigern hinter dem Rücken der andern Privilegien zu, so verstösst er (ebenso wie der Gläubiger, der sich hinter dem Rücken der andern
Gläubiger eine Besserstellung versprechen lässt) gegen die guten Sitten (BGE 50 II 501 E.2 a.E.).
Ungleichbehandlung geschieht selbstredend nicht, bloss weil die verschuldete Person sie wünschen würde, sondern aufgrund objektiver Kriterien.
Die wichtigsten Anwendungsfälle:
-
Die Klassenordnung des gerichtlichen Nachlassvertrags wird nachgebildet. Dem Gläubiger, der im Fall eines Konkurses oder eines gerichtlichen Nachlassvertrags privilegiert wäre,
wird die hundertprozentige Befriedigung seiner Forderung zugestanden.
-
Eine zweite Kategorie von Gläubigern wird aufgrund der „Querulantenklausel“ privilegiert.
Die Gläubiger willigen ausdrücklich darin ein, dass ein einzelner Kleingläubiger, der die Kooperation verweigert, zu hundert Prozent befriedigt wird. Auch hier geht die Motivation
letztlich auf die Logik des gerichtlichen Nachlassvertrags zurück: Es zeichnet sich ab, dass
die Gläubigerquoren der Nachlassstundung erreicht würden; die hundertprozentige Befriedigung des unkooperativen Gläubigers kostet aber weniger als das Nachlassstundungsverfahren. Die Privilegierung des einzelnen Gläubigers kostet weniger und führt erst noch
schneller zum Ziel.
-
Die Gläubiger können sich auch damit einverstanden erklären, dass eine bestrittene Forderung vom Bereinigungsvertrag nicht erfasst wird und dass dafür eine Rückstellung gebildet wird.
In der Praxis der gemeinnützigen Schuldenberatung geht der aussergerichtliche Nachlassvertrag oft mit einer Umschuldung einher: eine gemeinnützige Institution, der Arbeitgeber oder
andere, dem Schuldner nahe stehende Dritte finanzieren die Dividende mit einem (meist zinslosen) Darlehen. Der Gläubiger erhält so den Betrag sofort, welchen der Schuldner im Verlauf
der Sanierungszeit für den Schuldenabbau einsetzen kann. Der Umschuldungsgläubiger übernimmt das Risiko, dass die Sanierung scheitert. Um das Risiko in einem verantwortbaren Rahmen zu halten, sollte die Sanierung nicht mehr als 36 Monate dauern.
7.
Der Ablauf der Stundung
Besondere Aufmerksamkeit erfordern die hängigen Betreibungen. Da der Schuldenbereinigungsvertrag nicht richterlich bestätigt werden muss, erfährt das Betreibungsamt nur von der
Anordnung und gegebenenfalls von der Verlängerung der Stundung, nicht aber von ihrem Ergebnis. Das SchKG ist auch hier lückenhaft. Grundsätzlich müsste beispielsweise eine unterbrochene Lohnpfändung nach Ablauf der Stundung von Amtes wegen wieder aufgenommen werden. Dies gälte an sich, selbst wenn ein Schuldenbereinigungsvertrag abgeschlossen werden
konnte. Das Betreibungsamt hätte auch keine Kompetenz, eine Betreibung aufzuheben oder
auch nur einzustellen, wenn ein Gläubiger nach Ablauf der Stundung trotz korrekter Erfüllung
der Verpflichtungen aus dem Schuldenbereinigungsvertrag die Fortsetzung der Betreibung
verlangen würde. Es wäre am Schuldner, beim Gericht unter Vorlage des unterzeichneten
Schuldenbereinigungsvertrags und der Quittung die Aufhebung der Betreibung zu erlangen
(Art. 85). Um das Problem der laufenden Betreibungen zu entschärfen, enthält der Schulden-
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bereinigungsvertrag regelmässig eine Klausel, wonach die Gläubiger die Betreibungen gegen
den Schuldner zurückziehen (damit wird zugleich eine generelle Bereinigung des Betreibungsregisters angestrebt, was dem Schuldner den Neustart erleichtern soll).
Damit sind aber noch nicht alle Probleme behoben. Wird beim Dividendenvergleich die Rückzugserklärung nach Eingang der Dividende fällig, können zwischen Ablauf der Stundung und
Rückzug der Betreibung ein, zwei oder drei Monate liegen. Das Betreibungsamt verzichtet in
der Praxis auf die Wiederaufnahme der laufenden Einkommenspfändungen, nachdem der
Sachwalter ihm den Abschluss eines Schuldenbereinigungsvertrags mitgeteilt hat. Es kommt zu
einer faktischen Verlängerung der Stundung. Diese Praxis hat sich sicher auch deshalb halten
können, weil sich damit ein verfahrensmässiger Leerlauf vermeiden lässt und alle Beteiligten
mit diesem Vorgehen einverstanden sind: Ohne Kläger kein Richter!
8.
Vollzugsprobleme des Schuldenbereinigungsvertrags
Das Gesetz schweigt sich darüber aus, was gelten soll, wenn der Schuldner seine Verpflichtungen schlecht erfüllt oder sich der Überwachung entzieht. Selbst wenn der Sachwalter vom Gericht mit der Überwachung des Schuldners beauftragt worden ist, kann er keine verbindlichen
Weisungen erteilen. Er kann auch keine Sanktionen verhängen, ganz abgesehen davon, dass
diese überall da versagen würden, wo die Schlechterfüllung der Verpflichtungen auf eine Verschlechterung der Leistungsfähigkeit des Schuldners während der Sanierungszeit zurückzuführen wäre (wegen Stellenverlusts, Trennung oder Scheidung, Krankheit usw.).
Wo der Sachwalter vom Nachlassgericht mit der Überwachung des Schuldners beauftragt worden ist, hat er die Pflicht, die Gläubiger darüber zu informieren, dass die ausgehandelte Lösung gescheitert ist. Wo die Voraussetzungen dafür gegeben sind, wird er versuchen, eine Anpassung des Schuldenbereinigungsvertrags an die neuen Bedingungen auszuhandeln.
Der Gläubiger kann nicht in analoger Anwendung von Nachlassstundungsrecht beim Nachlassrichter den Widerruf (Art. 313 SchKG) oder die Aufhebung des Schuldenbereinigungsvertrags
(Art. 316 SchKG) verlangen, da der Schuldenbereinigungsvertrag privatrechtlicher Natur ist und
keine gerichtliche Bestätigung kennt. Auch der Widerruf der einvernehmlichen privaten Schuldenbereinigung würde dem Gläubiger nicht weiterhelfen. Die Stundung läuft nicht mehr, und
es gibt genau besehen nichts, was noch widerrufen werden könnte. Je nach Situation und Vertragsinhalt wird der Gläubiger Willensmängel, d.h. Irrtum, Täuschung oder Furchterregung,
geltend machen. Unter Umständen wird er geltend machen können, es sei eine auflösende
Bedingung eingetreten (Art. 154 OR) oder der Schuldner erfülle seine Verpflichtungen nicht
gehörig (Art. 97 ff. OR). In letzterem Fall muss durch Auslegung des Schuldenbereinigungsvertrags ermittelt werden, ob weiterhin nur die reduzierte Forderung geschuldet ist oder ob die
ursprüngliche Forderung wieder auflebt
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9.
Fortführung der Sanierung mit Nachlassstundung
Scheitert der Versuch einer einvernehmlichen Sanierung, so ist der gerichtliche Nachlassvertrag die logische Fortsetzung. Er ist am Platz, wo sich abzeichnet, dass die Gläubigerquoren des
Nachlassstundungsverfahrens erreicht werden können (Art. 305).
Art. 336 SchKG schreibt vor, dass die Dauer der einvernehmlichen privaten Schuldenbereinigung an die Dauer der Nachlassstundung angerechnet wird.
Mit der Nachlassstundung beginnt ein neues Verfahren – mit einem Schuldenruf, mit Publikationen, mit einer neuen, den Ansprüchen des gerichtlichen Nachlassvertrags genügenden Offerte, mit einer Gläubigerversammlung, der eine Aktenauflage vorauszugehen hat, mit der
Erstellung eines Sachwalterberichts usw. Es ist meist nicht möglich, die vorausgegangene
Stundung arithmetisch an die neue Stundung oder an die provisorische Stundung anzurechnen, und es scheint aus Gründen der Praktikabilität ausgeschlossen, eine Stundungszeit von
weniger als vier Monaten anzuordnen.
Art. 336 wird am ehesten im Fall Wirkung entfalten, dass über eine Verlängerung der Nachlassstundung entschieden werden muss: Hier wird der Nachlassrichter die Dauer der vorangehenden einvernehmlichen Schuldenbereinigung in die Erwägungen einbeziehen.
© Berner Schuldenberatung 2015 / rom
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