Die Kundenbeziehung bleibt ein wichtiges Gut

NOTLEIDENDE FORDERUNGEN
„Die Kundenbeziehung
bleibt ein wichtiges Gut“
Ein Tischgespräch
von COIN MEDIEN
mit Chefredakteurin
Magaretha Hamm.
Der Umgang mit Schuldnern hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verändert. Ging es vor
einiger Zeit oft nur darum, eine Forderung beizutreiben, soll heute meist auch versucht werden, die
Geschäftsbeziehung aufrechtzuerhalten. Darin waren sich die von „Banken+Partner“ eingeladenen
Experten einig. Das gelingt allerdings nur, wenn das Krisenmanagement professionell und strukturiert verläuft. Dabei können Inkasso-Dienstleister die Gläubiger unterstützen. Sie übernehmen die
undankbare Aufgabe des Mahners, können Zahlungsschwierigkeiten des Schuldners professionell
lösen und schonen damit die Beziehung zwischen Gläubigern und Schuldnern.
Wenn Kunden in Zahlungsschwierigkeiten geraten, ist in den meisten Fällen
Krisenmanagement angesagt. Wie hat
sich das Forderungsmanagement der
Banken und Sparkassen in den vergangenen Jahren verändert?
Nemitz: Sehr stark. Vor einigen Jahren traten die Kreditinstitute ihren säumigen Zahlern gegenüber oft überzogen
auf. Den Kunden wurde deutlich signalisiert, dass die Geschäftsverbindung
so schnell wie möglich beendet werden
sollte. Das hat sich inzwischen sehr stark
geändert. Statt der Forderung stehen
nun der Mensch und seine finanziellen
Möglichkeiten im Vordergrund. Es wird
gemeinsam versucht, eine Lösung für
das Problem zu finden.
Linert: Das spüren wir als Dienstleister für die Mahntelefonie auch sehr
deutlich. Wir versuchen einen wirklichen
Dialog mit den Kunden aufzubauen und
ihm klarzumachen, dass ihm der Konkakt
mit uns Vorteile bringt. Damit erreichen
wir eine einfachere und schnellere Realisierung der Forderung – und können
im besten Fall die Geschäftsbeziehung
erhalten und stärken. Wenn wir einfach
nur Druck aufbauen, erreichen wir hingegen nicht viel oder sogar nichts.
Kox: Nicht nur bei den Banken und
Sparkassen hat sich in Sachen Forderungsmanagement etwas geändert.
Auch die Unternehmen verhalten sich
heute anders – und das wirkt sich natürlich unmittelbar auf uns als FactoringGesellschaft aus. Alle Unternehmen
kümmern sich heute stärker um das
Thema Working Capital – und zwar
sowohl, wenn es um ihre Forderungen,
als auch, wenn es um ihre Verbindlichkeiten geht. Dadurch kommt es immer
häufiger zu Spätzahlungen – nicht weil
das Unternehmen nicht zahlen kann oder
will, sondern weil es vielleicht über eine
Kennzahl wie das Net Working Capital
gesteuert wird, und dann zahlt das Unternehmen halt lieber ein bisschen später
und schont so seine Liquidität.
Brückmann: Ich kann nur bestätigen, dass sich das Bild des Schuldners
im Laufe der Jahre drastisch gewandelt
hat. Früher sollte der Schuldner zahlen
und das war‘s eigentlich auch schon.
Derjenige, der seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen ist, ist im
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Ansehen bei seinem Gläubiger gesunken. Das hat sich radikal geändert, denn
viele Unternehmen haben erkannt, dass
sie Kunden, die kurzfristige finanzielle
Probleme haben, nach Ausgleich der
Forderung doch gerne weiterhin als Kunden behalten möchten. Das wirkt sich
natürlich auch auf unsere Tätigkeit als
Inkassodienstleister aus. Dazu gehört
eine sehr viel professionellere Mahntelefonie und eine ausgeprägtere Schuldnerorientierung.
Philipps: Als Krankenversicherer stehen wir noch vor einer anderen Herausforderung: Früher konnten wir einen
Vertrag kündigen, wenn der Versicherte
ihn nicht mehr bedient hat. Nun hat der
Gesetzgeber die Pflicht zur Versicherung
eingeführt und das bedeutet, dass die
Person weiterhin bei uns versichert ist,
auch wenn sie ihre Beiträge nicht mehr
zahlt – auch wenn wir im Rahmen des
Notlagentarifs „nur noch“ bei akuten
Erkrankungen und Schmerzzuständen
Leistungen erbringen müssen. War unser
Forderungsbestand vor der Gesetzesänderung noch überschaubar und konnte
weitestgehend in Eigenregie bearbeitet
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Gesprächsteilnehmer Kox, Brückmann, Philipps, Hamm, Nemitz, Linert (von links im Uhrzeigersinn): Trotz kurzfristiger Zahlungsstörungen soll
das Verhältnis von Gläubiger und Schuldner nicht nachhaltig belastet werden.
werden, müssen wir jetzt ein professionelles Forderungsmanagement aufbauen. Und wir müssen auch schon zu
Beginn einer Geschäftsbeziehung sehr
viel genauer darauf achten, wie gut die
Bonität unserer potenziellen Kunden ist.
Wie kann man denn verhindern, dass es
überhaupt zum Inkasso kommt?
Kox: Beispielsweise dadurch, dass
die Unternehmen gegenüber ihren Kunden professioneller auftreten. Unter
unseren Kunden gibt es beispielsweise
Gesellschaften, die keine Allgemeinen
Geschäftsbedingungen haben. Das hat
zur Folge, dass im Zweifelsfalle die AGB
des Schuldners gelten und das ist im
Streitfall nicht gerade hilfreich. Andere
Unternehmen gewöhnen ihre Kunden
daran, dass sie sich lange nicht um überfällige Forderungen kümmern. Das merken die Kunden sehr schnell und zahlen
dann nur mit Verzögerung.
Das greift die Liquidität an – selbst
wenn noch überhaupt nicht von einem
Zahlungsausfall geredet werden kann.
Wenn die Unternehmen es schaffen,
solche normalen Zahlungsverzöge-
rungen zu verhindern, dann ist schon viel
gewonnen.
Philipps: Dazu gehört es auch, dass
man sich seine potenziellen Kunden
sehr viel genauer ansieht. Und im Falle
einer Zahlungsstörung auch sehr genau
schaut, welcher Kunde tatsächlich finanzielle Probleme hat, aber zahlungswillig
ist und wer zwar zahlungsfähig, aber
nicht -willig ist. Wenn beispielsweise
ein Versicherter auf Grund von Arbeitslosigkeit kurzzeitig in Liquiditätsschwierigkeiten kommt, können und sollten wir
anders reagieren als bei einem Kunden,
der Privatinsolvenz anmeldet.
Nemitz: Das ist vollkommen richtig.
Dazu benötigt man allerdings auch ein
Ampelsystem, das festlegt, welche Maßnahmen ergriffen werden, wenn eine
Zahlungsstörung vorliegt – am Besten
differenziert nach den Gründen für diese
Störung.
Linert: Nur dürfen diese Maßnahmen
dann nicht zu starr sein. Viele Unternehmen haben einen standardisierten Mahnlauf, bei dem genau definiert ist, welche
Maßnahme zu welchem Zeitpunkt ergriffen wird. Wenn ein Kunde diesen Prozess
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kennt, dann ist es für ihn ein Leichtes,
diesen auszunutzen. Hier kommt dann
beispielsweise die Mahntelefonie ins
Spiel. Im persönlichen Gespräch kann
man den Kunden einfacher dazu bringen,
seine Schulden zu begleichen, als es mit
einem starren Prozess aus schriftlichen
Mahnungen möglich ist.
Brückmann: Wenn der Gläubiger
dann einen Dienstleister nutzt, hat das
einen zusätzlichen Vorteil. Denn wir
gewinnen aus unserer Arbeit als Inkassodienstleister sehr viele Erkenntnisse,
die wir dann an unsere Kunden weitergeben können. Die können diese Informationen in ihre anderen Geschäftsprozesse
aufnehmen – und so Zahlungsverzögerungen verhindern.
Können Sie dafür Beispiele nennen?
Brückmann: Natürlich. Wir können
beispielsweise Hinweise für den Aufbau
der internen Scoring-Systeme geben,
aber auch für die Gestaltung des Mahnprozesses oder für den normalen Schriftverkehr. Dadurch, dass wir viele verschiedene Kunden haben und von außen
auf deren Prozesse schauen, können
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Boris Linert
Bereichsleiter Telefonie,
Altor Gruppe
Michael Philipps
Leiter Zentralbereich Vertrag,
Hallesche Krankenversicherung
Andreas Nemitz
Abteilungsleiter
Kreditconsulting,
Sparkasse Karlsruhe Ettlingen
Julian Kox
Geschäftsführer,
CommerzFactoring
Stephan Brückmann
Bereichsleiter Vertrieb
und Marketing,
Altor Gruppe
wir unsere Erkenntnisse an den Anfang
des Kundenprozesses zurückführen und
damit unseren Kunden helfen, besser zu
werden.
Kox: Das gilt nicht nur für Sie als
Inkassodienstleister, sondern auch für
uns als Factoringunternehmen. Im Jahr
kaufen wir etwa 15 Milliarden Forderungen an und jede davon erfassen wir
einzeln. Wir wissen also, wann unser
Kunde die Rechnung geschrieben hat,
wann sie fällig ist und wann das Geld
tatsächlich eingegangen ist. Wir historisieren diese Informationen für jeden
Schuldner, der bei uns angelegt ist.
Dadurch sehen wir, wie sich das
Zahlungsverhalten entwickelt hat und
können relativ schnell reagieren – beispielsweise indem wir das Limit für diesen Schuldner senken oder ganz streichen. Damit hat auch der Gläubiger ein
Frühwarnsystem – und der Schuldner
einen Grund mehr, die Forderungen, die
an uns verkauft sind, möglichst innerhalb
der Zahlungsfrist zu begleichen. Denn
arbeitet er mit mehreren unserer Kunden
zusammen, schlägt der Zahlungsverzug
beim einen auch auf die Geschäftsbeziehung mit den anderen durch.
Linert: Im Bereich B2B funktioniert
das sicherlich sehr gut. Wenn es um Privatpersonen als Kunden geht, merkt der
Gläubiger allerdings häufig erst, dass es
Probleme gibt, wenn bereits Zahlungsausfälle da sind. Auch hier kann jedoch
die Beauftragung eines Dienstleisters
dazu beitragen, dass Gläubiger relativ
früh erkennen können, woran die Zahlungsschwierigkeiten liegen. Ist das
jemand, der einfach nur bis zur zweiten
Mahnung wartet, oder drohen ernsthafte Zahlungsschwierigkeiten, weil der
Kunde beispielsweise arbeitslos geworden ist. Solche Informationen erhalten
Sie nicht auf Grund von schriftlichen
Mahnungen. Dafür ist das persönliche
Gespräch notwendig.
Philipps: Sie haben völlig Recht. Wir
brauchen solche Informationen auch
deshalb, um angemessen auf den Zahlungsverzug reagieren zu können. Es
gibt zwei ganz große Stellschrauben, an
denen wir ansetzen können. Zum einen
müssen wir früher in der Prozesskette
beginnen, und zum anderen müssen wir
die Macht der persönlichen Ansprache
noch stärker nutzen. Im konstruktiven
Dialog auf Augenhöhe kann man gegenüber den Schuldnern viel erreichen.
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Daher ist es sehr wichtig, dass bei den
Mitarbeitern in diesem Bereich eine
hohe Kompetenz vorhanden ist.
Nemitz: Deshalb sollten solche
Gespräche auch nicht den Kundenberatern überlassen werden. Die haben in
der Regel eine ganz andere Art, auf den
Kunden zuzugehen – sie sind es gewohnt
zu verkaufen und nicht zu mahnen. Deshalb benötigt man dafür Spezialisten
– und das können dann auch die Mitarbeiter eines externen Dienstleisters sein.
Welche Rolle hat der Dienstleister?
Linert: Um einen Dienstleister zu
beauftragen, muss die Forderung ja
noch nicht notleidend sein. Es gibt zwei
Bereiche, die wir bei uns im Unternehmen unterscheiden. Zum einen ist das
die hauseigene Inkassotelefonie. Dabei
handelt es sich um gekündigte Forderungen, die wir entweder im Rahmen
einer Treuhandübergabe bearbeiten,
oder die wir gekauft haben. Da geht es in
erster Linie nur darum, möglichst schnell
eine möglichst hohe Zahlung zu erreichen. Zum anderen übernehmen wir für
unsere Kunden auch die Mahntelefonie.
Wir werden also schon vor der Übergabe ins Inkasso für unsere Kunden tätig.
In diesem Fall telefonieren wir meist
noch im Namen des Kunden und versuchen dann auch, die Kundenbeziehung
zu erhalten.
Brückmann: Manchmal kann es allerdings auch sinnvoll sein, dass wir den
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Schuldner als externer Dienstleister des
Gläubigers ansprechen. Denn es ist die
klassische Positionierung eines Inkassounternehmens, dass es eine neutrale
Position einnimmt. Man kann das mit
der Rolle eines Vermittlers vergleichen.
Dabei darf man allerdings nie aus den
Augen verlieren, dass das vorrangigste
Ziel immer noch die Realisierung der
Forderung ist, denn der Inkasso-Dienstleister handelt nun einmal im Auftrag des
Gläubigers und nicht in dem des Schuldners.
Kox: Es hat tatsächlich Vorteile, wenn
ein externes Unternehmen die unangenehme Arbeit des Schuldeneintreibens
übernimmt. Denn dann wird das Verhältnis von Gläubiger und Schuldner nicht
belastet. Selbst wenn ein Sanierungsfall
gut gelöst werden konnte, kommt es oft
vor, dass sich der Kunde von seinem
Finanzierer trennt. Er möchte nicht immer
wieder den Menschen gegenüber sitzen,
die mit ihm unerfreuliche Gespräche
geführt und ihn zu finanzieller Disziplin gezwungen haben. Daher ist es für
eine dauerhafte Geschäftsbeziehungen
möglicherweise besser, diese unangenehmen Dinge von einem Dienstleister
erledigen zu lassen.
Philipps: Sie haben völlig Recht. Als
Gläubiger muss man sich tatsächlich die
Frage stellen, ob man die Beziehung zum
Kunden durch das Auslagern der Mahntelefonie und des Inkassos nicht besser
ungestört lässt. Die Kundenbeziehung
ist ja heute das wichtigste Gut und das
dürfen wir nicht gefährden. Daher haben
wir uns entschieden, einen Dienstleister
einzusetzen, weil das für uns einfach
zielführender ist.
Ein Vorteil eines spezialisierten Dienstleisters ist sicherlich auch, dass er über
besonders für diese Aufgabe ausgebildete Mitarbeiter verfügt. Was macht
diese Mitarbeiter aus?
Linert: Sie müssen einschätzen können, mit welchem Typ Mensch sie es
beim jeweiligen Schuldner zu tun haben.
Es gibt beispielsweise rationale und emotionale Menschen. Diese Personengruppen muss man unterschiedlich ansprechen. Ein rationaler Mensch wird sich
von Daten und Fakten überzeugen lassen, ein emotionaler ist vielleicht darüber
zu erreichen, dass man Verständnis zeigt
und ihm eine Lösung für das Problem
anbietet. Um das bei einem Telefonat zu
erkennen, braucht es schon Erfahrung
und Menschenkenntnis. Gleichzeitig dürfen die Mitarbeiter allerdings nicht unser
Hauptanliegen vergessen. Unser Ziel
muss es immer sein, einen Zahlungseingang zu erreichen.
Nemitz: Deshalb braucht man für diese Aufgabe Spezialisten – gleichgültig ob
im Unternehmen oder bei einem Dienstleister. Denn Gespräche mit Schuldnern
sind ja oft hoch emotional. Die Menschen
am Telefon weinen, werden agressiv
oder drohen sogar mit Selbstmord. Damit
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kann nicht jeder Mitarbeiter umgehen –
und schon gar nicht jemand, der diese
Aufgabe nur als eine von vielen übernimmt.
Kox: Und manchmal haben wir es
auch mit Schuldnern zu tun, die überhaupt nicht verstehen, dass sie die Ursache des Problems sind. Auch damit muss
man umgehen können. Allerdings glaube
ich nicht, dass man von den Mitarbeitern
erwarten kann, dass sie die Aufgaben
eines Psychologen oder gar die Verantwortung für das Leben einer Person
übernehmen. Gerade deshalb müssen
die Mitarbeiter gut geschult und auf solche schwierigen Gespräche vorbereitet
sein.
Philipps: Das ist absolut notwendig.
Die Mitarbeiter müssen Abstand bekommen – beispielsweise wenn der Schuldner ihnen mit Aggression begegnet. So
schwierig es sein mag: Die Mitarbeiter
müssen erkennen, dass damit nicht sie
gemeint sind, sondern die Wut der Situation gilt, in die der Schuldner hineingeraten ist. Solche Situationen kann man trainieren und das ist für eine kluge, vernünftige Gesprächsführung auch notwendig.
Linert: Allerdings lernt man das nicht
von heute auf Morgen und auch nicht
alleine durch Schulung. Dafür benötigt
man eine ganze Menge Erfahrung und
Sensibilität. Und so unangenehm einzelne Gespräche auch sein können: Unsere
Mitarbeiter müssen Spaß an ihrer Arbeit
haben. Margaretha Hamm