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fachbeiträge_articles spécialisés
Andreas Feuz-Ramseyer
Fürsprecher
Partner bei Von Graffenried & Cie
Recht, Zürich / Bern
www.graffenried-recht.ch
Erste Erfahrungen mit dem neuen
Sanie­rungsrecht
Vor zwei Jahren, am 1. Januar 2014, ist das neue Sanierungsrecht in Kraft getreten. Die
Praxis dazu hat sich seither noch wenig entwickelt. Dies dürfte damit zusammenhängen,
dass momentan der Bedarf an finanziellen Sanierungen eher gering zu sein scheint.
Denkbar, aber wenig wahrscheinlich, weil das Gesetz derart klar ist und deswegen wenige
offene Rechtsfragen aufgetaucht sind.
1. Nachlassstundung / provisorische Nachlassstundung
Ziel der Revision des Sanierungsrechts war die
Flexibilisierung des Verfahrens und die Herab­
setzung der Schwelle für die Gewährung einer
Nachlassstundung. Jeder definitiven Nach­
lassstundung geht heute eine provisorische
Phase voraus, die in der Regel zwei Monate
(maximal vier Monate) dauert und innert wel­
cher Zeit die Grundlagen für die Beurteilung
der Sanierungsmöglichkeiten und der Sanie­
rungschancen zusammengetragen werden
können, die früher bereits bei der Gewährung
hatten vorliegen müssen. Die Praxis zeigt in
kleineren Verfahren, dass das Nachlassstun­
dungsgesuch vielfach erst an der Konkursver­
handlung gestellt wird und dann mehr oder
weniger ungenügend bis überhaupt nicht
dokumentiert ist. Vielfach wird (unberechtig­
terweise) das Begehren dann aber gar nicht
behandelt und auch nicht formell abgewiesen,
sondern einfach der Konkurs eröffnet. Das ist
mitunter juristisch falsch, da der Konkurs­
richter verpflichtet ist, das Begehren zu behan­
deln (und dies nach den herabgesetzten
Bedingungen). Das ist für den nachlasswilligen
und nachlasswürdigen Schuldner bisweilen
auch gefährlich, denn vor der Rekursinstanz
kann dann in diesem Fall kein Nachlass­
stundungsgesuch mehr gestellt werden, auch
wenn in dieser Rechtsmittelfrist genügend Zeit
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für die Vorbereitung und Dokumentierung des
Gesuchs zur Verfügung stünde.
In diesem Zusammenhang kann nie genug
­wiederholt werden, dass eine Sanierung umso
erfolgreicher sein kann, je früher und zielgerich­
teter darauf hingearbeitet wird. In diesem Kon­
text ist es wesentlich einfacher und wirkungs­
voller, die noch vorhandenen flüssigen Mittel
beharrlich für Sanierungsbeiträge aufzusparen,
als während Monaten in irgendwelchen Feuer­
wehrübungen mit einzelnen Gläubigern zu ste­
cken, nach dem Motto, wer am lautesten schreit,
bekommt zuerst.
An das Nachlassstundungsgesuch sind nach
dem revidierten Sanierungsrecht weniger hohe
Anforderungen zu stellen als bisher. Die Bewil­
ligung der provisorischen Stundung soll einfach
und rasch, im Gesetz steht sogar «unverzüglich»
erwirkt werden können. Vom ursprüng­lichen
Konzept der unmittelbaren Gläubigerschutz­
wirkung mit Einreichung des Nachlassstun­
dungsgesuchs (analog Chapter 11 des ame­
ri­ka­nischen Rechts) ist die Lehre gänzlich
abgekommen. Die Schutzwirkungen für den
Schuldner (aber auch für die Gläubiger – es ist
ja die Rede von Gläubigerschutz) treten erst mit
der Genehmigung des Gesuchs durch den
Nachlassrichter ein.
Voraussetzung für die Gewährung einer Nach­
lassstundung ist – sinnvollerweise und auch
wirtschaftlich begründet – die Sanierungsfähig­
keit des Gesuchstellers oder der Gesuchstelle­
rin. Zu deren Überprüfung sind verständlicher­
weise eine aktuelle Bilanz, eine Erfolgsrechnung
und eine Liquiditätsplanung notwendig. Das
Gericht muss die derzeitige und künftige Ver­
mögens-, Ertrags- oder Einkommenslage des
Schuldners sehen und beurteilen können.
Zudem verlangt das Gesetz in Art. 293 SchKG
einen provisorischen Sanierungsplan (so rudi­
mentär der auch sein mag, er muss schlüssig
und nachvollziehbar, aber auch finanzierbar
sein). Lediglich in Ausnahmesituationen und
bei einfachen oder dringlichen Fällen kann das
Gesuch auch mündlich beim Gericht zu Proto­
koll gegeben werden (wie oben erwähnt aller­
dings vorteilhafterweise nicht erst in der Kon­
kurseröffnungsverhandlung).
Der Schuldner muss in diesem Stadium nicht
nachweisen, dass er insolvent ist. Es kann auch
lediglich eine Insolvenz drohen. Von einer sol­
chen drohenden Insolvenz in diesem Sinne ist
auszugehen, wenn anzunehmen ist, dass dem
Schuldner mittelfristig eine Insolvenz droht.
Rechtsmissbräuchlichen Nachlassstundungs­
gesuchen ist trotzdem der Riegel geschoben.
Denkbar ist, dass im Falle einer schwer über­
brückbaren Liquiditätskrise ein Stundungs­
gesuch gestellt wird, damit die Nichtpublikation
der Stundung erwirkt werden kann (Art. 293c
Abs. 2 SchKG – der absolute Ausnahmefall),
und dass die Stundung, ohne dass sie je publik
geworden wäre, schliesslich wieder aufgehoben
werden kann. Solche Fälle sind denkbar, aber
TREX Der Treuhandexperte 2/2016
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aufgrund der fehlenden Veröffentlichung eben
gerade nicht bekannt. Diese Option kommt nur
bei reinen Stundungsverfahren infrage, d.h.,
wenn relativ klar ist, dass keine Gläubigerinter­
essen tangiert werden.
2. R
echtsmittel gegen den
Entscheid des Nachlassgerichts / Einsetzung eines provisorischen
Sachwalters
Entgegen dem bisherigen Recht und völlig fol­
gerichtig schliesst das Gesetz die Anfecht­barkeit
der Bewilligung der provisorischen Nachlass­
stundung und der Einsetzung eines provisori­
schen Sachwalters aus (Art. 293d SchKG). Ein
Rechtsmittel kann von den Gläubigern erst
gegen den Entscheid über die definitive Stun­
dung ergriffen werden (Art. 295c SchKG). Das
Bundesgericht entschied nun aber in BGE 141
III 188, dass gegen die Einsetzung eines provi­
sorischen Sachwalters bei der zuständigen kan­
tonalen Instanz (und nicht direkt beim Bundes­
gericht) geltend gemacht werden kann, dass
der provisorische Sachwalter nicht über die not­
wendige Qualifikation oder Objektivität / Unab­
hängigkeit verfügt. Das Rechtsmittel richtet sich
somit nicht gegen die Einsetzung eines Sach­
walters, sondern gegen die Person (und deren
Qualifika­tion), die als Sachwalter eingesetzt wor­
den ist. Weil aber dafür das kantonale Oberge­
richt zuständig war, konnte die entsprechende
Rüge im strittigen Fall nicht direkt ans Bundes­
gericht erhoben werden.
Im gleichen Entscheid wurde gleichzeitig auch
festgehalten, dass der festgelegte Kostenvor­
schuss auf dem Weg der Beschwerde in Zivil­
sachen angefochten werden muss und nicht
auf dem Weg der Aufsichtsbeschwerde nach
Art. 17 ff SchKG, was an sich logisch ist.
Weil eine provisorische Nachlassstundung ledig­
lich zwei bis vier Monate dauern darf, weil
Rechtsmittel immer viel Zeit in Anspruch neh­
men, weil der Sachwalter innert kürzester Frist
manchmal relativ komplexe Situationen beur­
teilen und wichtige Entscheide fällen muss, ist
dieser Entscheid problematisch, aber nachvoll­
ziehbar. Es ist daher wichtig, dass mit dem
Nachlassstundungsgesuch auch gleichzeitig
ein unabhängiger und fähiger Sachwalter vor­
geschlagen wird, damit diese kritische Situation
gar nicht erst auftritt.
Bei der Stellung des Nachlassstundungsge­
suchs ist im Weiteren zu beachten, dass des­
sen Abweisung unmittelbar zur Konkurseröff­
nung führen kann, wobei in diesem Fall die
üblichen Rechtsmittel ergriffen werden kön­
nen. Auch das ist wiederum ein Grund, das
Gesuch unbedingt sorgfältig und professionell
vorzubereiten.
TREX L’expert fiduciaire 2/2016
3. Definitive Nachlassstundung
Kommt der eingesetzte Sachwalter zum Schluss,
dass eine Sanierungsfähigkeit gegeben ist oder
dass das Ergebnis einer Nachlassliquidation für
die Gläubiger vorteilhafter ist als ein Konkurs,
wird eine definitive Nachlassstundung gewährt.
Dagegen können sich die Gläubiger mittels
Beschwerde zur Wehr setzen. Sie können bei­
spielsweise darlegen, dass das Zustandekom­
men eines Nachlassvertrags nicht wahrschein­
lich erscheint oder dass die Finanzierung der
Dividende nicht gesichert sei. Der Weiterzug der
Bewilligung kann bis vor Bundesgericht erfol­
gen. Die Beschwerde gegen den Entscheid des
oberen kantonalen Nachlassgerichts ist an keinen
Streitwert gebunden, es kann allerdings lediglich
die Verletzung verfassungsmässiger Rechte
gerügt werden. Das Bundesgericht wendet dabei
das Recht nicht von Amts wegen an, sondern
prüft nur klar und detailliert erhobene und beleg­
te Rügen (BGE 5A_243/2015). Wesent­lich ist der
Bericht des Sachwalters, woraus sich ergeben
muss, dass Aussicht auf Sanierung oder Bestä­
tigung eines Nachlassvertrags besteht. Auf den
Bericht des Sachwalters d
­ ürfe der Nachlass­
richter grundsätzlich abstellen, zumal dieser
Sachverständiger sei.
Eine definitive Nachlassstundung kann verlän­
gert werden, nach Art. 295b SchKG bis zu maxi­
mal 24 Monaten. Bei einer Verlängerung über
zwölf Monate hinaus muss der Sachwalter eine
Gläubigerversammlung einberufen. Dabei han­
delt es sich um eine sogenannte «ausserordent­
liche Gläubigerversammlung». Im Gegensatz
zur ordentlichen Gläubigerversammlung, an der
die Gläubiger allgemein über den Verfahrens­
stand und über den Entwurf eines Nachlassver­
trags orientiert werden, ihnen der Nachlassver­
trag zur Genehmigung vorgelegt wird und die
Liquidationsorgane gewählt werden, geht es
lediglich um die Orientierung der Gläubiger
über den Stand des Verfahrens. Die Gläubiger
erhalten damit im Gegensatz zum früher gelten­
den Recht vermehrte Mitwirkungsrechte (Wahl
Gläubigerausschuss, Wahl eines anderen Sach­
walters oder eines zusätzlichen Sachwalters).
Dies wird aber auch dazu führen, dass der
Sachwalter alles daran setzen wird, die Stun­
dung innerhalb von zwölf Monaten zu beenden,
muss doch mit der Planung der ausserordent­
lichen Versammlung bereits etwa nach sieben
Monaten begonnen werden, denn diese muss
zwingend vor Ablauf von neun Monaten durch­
geführt werden.
Wird eine Verlängerung der Nachlassstundung
durch das Nachlassgericht abgelehnt, stehen
die üblichen Beschwerdemöglichkeiten offen.
Die Anforderungen sind allerdings hoch und die
Beweise müssen vor der oberen kantonalen Ins­
tanz liquide vorliegen. Die Beschwerdefrist kann
beispielsweise nicht genutzt werden, um mit
einzelnen Gläubigern noch weitere Verhand­
lungen zu führen (BGE 5A_170/215). Dies ist
wesentlich, weil mit der Ablehnung der Verlän­
gerung der Nachlassstundung unmittelbar die
Konkurseröffnung verfügt wird.
4. Dauerschuldverhältnisse
Im revidierten Sanierungsrecht kann der Sach­
walter vom selektiven bzw. partiellen Eintritt in
Vertragsverhältnisse bei Dauerschuldverträgen
Gebrauch machen. Ein solcher kann angezeigt
sein, wenn gewisse Mietobjekte nicht mehr
benötigt werden oder wenn der Nachlass­
schuldner manche Leasinggegenstände nicht
mehr braucht. Mit Zustimmung des Sachwal­
ters können solche Verträge unter Entschä­
digung der Gegenpartei jederzeit auf einen
beliebigen Zeitpunkt gekündigt werden. Voraus­
setzung ist allerdings, dass der Sanierungs­
zweck ohne diese Massnahme vereitelt würde.
Wesentlich ist nun allerdings, und das ist der
Vorteil für die Sanierung, dass die geschuldete
Entschädigung lediglich eine Nachlassforde­
rung darstellt und nur dividendenmässig befrie­
digt werden muss. Die Bestimmung ist nicht in
allen Teilen klar, hat aber aus heutiger Sicht
noch zu keinen höchstrichterlichen Entschei­
dungen geführt.
5. B
eitrag des Aktionärs
an die Sanierung
Der revidierte Art. 306 Abs. 1 Ziff 3 SchKG sieht
vor, dass bei einem ordentlichen Nachlassver­
trag vom Anteilsinhaber ein angemessener
Sanierungsbeitrag zu leisten ist. Ohne Erfüllung
dieser Bedingung soll die richterliche Bewil­
ligung ausbleiben. Als Anteilsinhaber gelten
dabei diejenigen Personen, die an einem
Schuldner wirtschaftlich beteiligt sind, mithin
etwa die Aktionäre einer AG, die Gesellschafter
einer GmbH oder die Genossenschafter einer
Genossenschaft.
Der Hintergrund ist der, dass ein Aktionär vor
der Sanierung und damit vor einem drohenden
Konkurs damit rechnen muss, dass sein einge­
setztes Risikokapital völlig wertlos ist; Fremdka­
pital muss ja bekanntlich vor dem Eigenkapital
zurückgeführt werden. Bei einem ordentlichen
Nachlassvertrag, d.h. bei einem sogenannten
Dividendenvergleich, erhalten die Gläubiger nur
noch eine Nachlassdividende, während das
Aktienkapital oder das Stamm- oder Genossen­
schaftskapital voll intakt bleibt. Die Opfer­
symmetrie zwischen den Gläubigern und den
Anteilseignern war damit nie gewährleistet,
auch wenn das die wenigsten Gläubiger je fest­
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stellten. Diese stehen regelmässig vor dem fait
accompli, entweder bekommen sie noch eine
Dividende oder dann im Konkursfall eine gerin­
gere oder keine mehr.
Das führte unter dem alten Recht dazu, dass
die Anteilseigner mitunter auf Kosten der Gläu­
biger von einem Nachlassvertrag profitieren
konnten, was mithin zu einem an und für sich
stossenden Ergebnis gereichte.
Der Umfang der Beteiligung des Eigenkapital­
gebers ist ins richterliche Ermessen gestellt. Das
neue gesetzliche Bestätigungserfordernis ist
das am wenigsten klar umrissene und birgt am
meisten Unsicherheiten in sich. Ein gesetzlicher
Sanierungsbeitrag kann laut Botschaft darin
bestehen, dass die Aktionäre einer zu sanieren­
den AG einer Kapitalerhöhung mit vorheriger
Kapitalherabsetzung zustimmen. Möglich sind
auch etwa Forderungsverzichte oder Rangrück­
tritte von Anteilseignern, ebenso wie die Gewäh­
rung neuer Darlehen an die zu sanierende Gesell­
schaft. Dies setzt voraus, dass nicht der letzte
Franken vor der Sanierung für erfolglose Sanie­
rungsbemühungen verbraucht wird und somit
eben gerade frühzeitig mit der Einleitung der not­
wendigen Massnahmen begonnen wird. Sofern
ein Anteilseigner gleichzeitig die Geschäftsfüh­
rung der Gesellschaft wahrnimmt, ist ein Sanie­
rungsbeitrag auch durch ganzen oder teilweisen
Lohnverzicht oder dem Verzicht auf sonstige Ver­
günstigungen aus dem Anstellungsverhältnis
möglich.
Entscheide dazu gibt es dazu bislang noch
nicht.
6. Mehrwertsteuern
in der Nachlassstundung
Einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung
der Sanierungsmöglichkeiten leistet die Strei­
chung des Privilegs der Mehrwertsteuer. Dies,
weil die privilegierten Forderungen im Nach­
lassverfahren auf jeden Fall bezahlt werden
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müssen. In einzelnen Stundungsverfahren führte
das dazu, dass entweder gar keine Stundung
bewilligt werden konnte oder dass die Stundung
relativ rasch widerrufen werden musste.
Im Zuge der Revision stellt sich sofort die Fra­
ge, welche Privilegien denn nun noch zu beach­
ten sind, namentlich wenn noch MWST-For­
derungen aus Jahren, in denen das Privileg
noch bestanden hatte, offen sind. Entspre­
chend sah sich das Bundesamt für Justiz ver­
anlasst diesbezüglich eine Information zu erlas­
sen. In Übereinstimmung zur Regelung, wie sie
bei der E
­ inführung des Mehrwertsteuerprivilegs
gehandhabt wurde, stellte sich das BJ auf den
Standpunkt, dass die Forderungen, die vor dem
1. Januar 2010 entstanden sind, in der 3. Klasse
figurieren, die, die zwischen dem 1. Januar 2010
und dem 31. Dezember 2013 entstandenen
sind, in der 2. Klasse, und diejenigen, die nach
dem 1. Januar 2014 entstanden sind, wieder­
um in der 3. Klasse (Information Nr. 11 des BJ
vom 19. März 2014).
Gleiches ist der MWST-Branchen-Info 26 für
Betreibungs- und Konkursämter zu entnehmen.
Demnach sind für die Frage der Privilegierung
der Forderung deren Entstehungszeitpunkt und
die damals geltende Regelung heranzuziehen.
Diese Lösung entspricht derjenigen, die bei­
spielsweise für gesetzlich pfandgesicherte For­
derungen gilt; auch hier ist massgebend, zu
welchem Zeitpunkt für eine bestimmte Forde­
rung die gesetzliche Grundlage für ein gesetz­
liches Pfandrecht bestand.
Diese Regelung führt dazu, dass bei Verfahren,
die zwar nach Abschaffung des Privilegs eingelei­
tet wurden, immer noch mit massiven privilegier­
ten Forderungen gerechnet werden muss, was an
und für sich nicht dem Ziel der Revision ent­
spricht. Eine von Schmid Jean-Daniel, Bis wann
wird die MWST in der Insolvenz noch bevorzugt?,
in Jusletter vom 23. Juni 2014 durchgeführte
Umfrage bei den Konkursämtern hat ergeben,
dass diese Praxis von gewissen Konkursämtern
angewandt wird. Der vorsichtige Beamte wird sich
an die Vorgaben der MWST halten, der vorsichtige
Sachwalter somit auch.
Einzelne Autoren gehen nun allerdings davon
aus, dass rein auf den Zeitpunkt der Eröffnung
des Verfahrens abzustellen sei. Dabei sei in Ana­
logie zu Art. 2 Abs. 3 SchlB massgebend, dass
die im bisherigen Recht enthaltenen Privilegien
nur weiterhin gelten, wenn vor dem Inkrafttreten
des Gesetzes der Konkurs eröffnet oder die
Pfändung vollzogen worden ist. Bei der zitierten
Bestimmung handelt es sich um die Schluss­
bestimmungen zur Gesetzesänderung vom­
16. Dezember 1994, mitunter eben gerade nicht
für die nun erfolgte Gesetzesänderung. Bei der
Nachlassstundung ist nach Levante Marco,
KUKO-SchKG, N. 9, 2. Auflage, zu den Über­
gangsbestimmungen das Datum der Bewilligung
der Nachlassstundung massgebend. Er verweist
auf einen BGE 125 III 154, der sich allerdings
wiederum auf die erwähnten Schlussbestim­
mungen zur Gesetzesänderung 1994 bezieht.
Damals wurde nicht wie vorliegend ein Privileg
eliminiert, sondern der ganze Wildwuchs an Pri­
vilegien, der in nahezu hundert Jahren entstan­
den war. Aus der Sicht des Autors ist noch nicht
schlüssig erstellt, dass der gezogene Analogie­
schluss wirklich stichhaltig ist, obschon dies
natürlich wünschbar wäre. Es ist somit zusam­
menfassend darauf hinzuweisen, dass noch
nicht höchstrichterlich entschieden worden ist,
dass der Zeitpunkt der Entstehung der Forde­
rung wirklich nicht massgebend ist.
Abschliessend ist auf eine weitere, für Nach­
lassverfahren noch wesentlich komfortablere
Meinung von Schmid Jean-Daniel, a.a.O.
RZ 14, zu verweisen, wonach für das Privileg
der MWST nicht einmal das Datum der Verfah­
renseinleitung massgebend sein soll, sondern
der Zeitpunkt der Kollokation der entsprechen­
den Forderungen. Diese Meinung wäre dann
jedenfalls konsequenter und vorzuziehen, wenn
man sich den Zweck der Gesetzesänderung,
nämlich die Verbesserung der Sanierungsfähig­
keit, vor Augen hält. n
TREX Der Treuhandexperte 2/2016