Leseprobe - Linde Verlag

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§ 53
ZWEITER ABSCHNITT
Finanzstrafverfahren
ERSTER UNTERABSCHNITT
Gemeinsame Bestimmungen
Abgrenzung der gerichtlichen von der finanzstrafbehördlichen Zuständigkeit
§ 53. (1) Das Gericht ist zur Ahndung von Finanzvergehen zuständig, wenn das Finanzvergehen vorsätzlich begangen wurde und der maßgebliche Wertbetrag, nach
dem sich die Strafdrohung richtet (strafbestimmender Wertbetrag), 100 000 Euro
übersteigt oder wenn die Summe der maßgeblichen strafbestimmenden Wertbeträge
aus mehreren zusammentreffenden vorsätzlich begangenen Finanzvergehen 100 000
Euro übersteigt und alle diese Vergehen in die örtliche und sachliche Zuständigkeit
derselben Finanzstrafbehörde fielen. Zusammentreffen können nur Finanzvergehen, über die noch nicht rechtskräftig entschieden wurde.
(2) Im Abs. 1 tritt an die Stelle des Wertbetrages von 100 000 Euro der Wertbetrag
von 50 000 Euro in den Fällen
a) des Schmuggels und der Hinterziehung von Eingangs- oder Ausgangsabgaben
(§ 35),
b) der Abgabenhehlerei nach § 37 Abs. 1 mit Sachen oder mit Erzeugnissen aus Sachen, hinsichtlich derer ein Schmuggel, eine Verzollungsumgehung oder eine
Verkürzung von Eingangs- oder Ausgangsabgaben begangen wurde.
(3) Ist das Gericht nach den Abs. 1 oder 2 zur Ahndung von Finanzvergehen zuständig, so ist es auch zur Ahndung von mit diesen zusammentreffenden anderen Finanzvergehen zuständig, wenn alle diese Vergehen in die örtliche und sachliche Zuständigkeit derselben Finanzstrafbehörde fielen.
(4) Die Zuständigkeit des Gerichts zur Ahndung von Finanzvergehen des Täters begründet auch dessen Zuständigkeit zur Ahndung von Finanzvergehen der anderen
vorsätzlich an der Tat Beteiligten. Wird jemand nach dieser Bestimmung ausschließlich wegen eines sonst in die Zuständigkeit der Finanzstrafbehörde fallenden Finanzvergehens rechtskräftig verurteilt, so sind mit dieser Verurteilung nicht die Folgen
einer gerichtlichen Verurteilung, sondern nur die einer Ahndung durch die Finanzstrafbehörde verbunden; dies ist im Urteil festzustellen.
(5) Finanzordnungswidrigkeiten und die selbstverschuldete Berauschung (§ 52) hat
das Gericht niemals zu ahnden.
(6) Finanzvergehen, deren Ahndung nicht dem Gericht zukommt, sind von den Finanzstrafbehörden zu ahnden.
(7) Hat sich jemand durch dieselbe Tat einer strafbaren Handlung schuldig gemacht,
die dem Gericht, und eines Finanzvergehens, das der Finanzstrafbehörde zufällt, so
hat das Gericht die gerichtlich strafbare Handlung, die Finanzstrafbehörde das Finanzvergehen gesondert zu ahnden; die Bestimmungen des Abs. 3 und des § 22
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Abs. 2 und 3 werden hievon nicht berührt. Die vorangegangene rechtskräftige Bestrafung ist bei der Bemessung der Geldstrafe und der Freiheitsstrafe angemessen zu
berücksichtigen.
(8) Kann eine Prüfung, ob das Gericht nach den Abs. 1 bis 4 zur Ahndung des Finanzvergehens zuständig sei, noch nicht vorgenommen werden, so hat die Finanzstrafbehörde alle zur Sicherung der Beweise erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
Solche Maßnahmen der Finanzstrafbehörde sind wegen Unzuständigkeit nicht anfechtbar, wenn sich später die gerichtliche Zuständigkeit herausstellt.
[BGBl I 2010/104]
Übersicht
I.
II.
Kommentar zu § 53
A. Finanzstrafverfahren..............................................................................................
B. Zuständigkeitsabgrenzung
1. Allgemeines .......................................................................................................
2. Abgrenzung nach der Höhe des strafbestimmenden Wertbetrages (§ 53
Abs 1 und Abs 2 FinStrG)................................................................................
3. Zusammentreffen mit anderen Finanzvergehen (§ 53 Abs 3 FinStrG).....
4. Beteiligung mehrerer Personen an einem Finanzvergehen (§ 53 Abs 4
FinStrG)..............................................................................................................
5. Ausschließliche verwaltungsbehördliche Zuständigkeit (§ 53 Abs 5 und
6 FinStrG) ..........................................................................................................
C. Zusammentreffen eines Finanzvergehens mit anderen gerichtlich strafbaren Handlungen (§ 53 Abs 7 FinStrG) ................................................................
D. Sicherung der Beweise durch die Finanzstrafbehörde (§ 53 Abs 8 FinStrG).
Rechtsprechung zu § 53
A. Rechtsprechung zu § 53 Abs 1
B. Rechtsprechung zu § 53 Abs 2
C. Rechtsprechung zu § 53 Abs 3
D. Rechtsprechung zu § 53 Abs 4
E. Rechtsprechung zu § 53 Abs 5
F. Rechtsprechung zu § 53 Abs 6
G. Rechtsprechung zu § 53 Abs 7
H. Rechtsprechung zu § 53 Abs 8
1–4
5
6–20
21
22–24
25
26
27
I. Kommentar zu § 53
A. Finanzstrafverfahren
Das materielle Strafrecht (allgemeiner und besonderer Teil) regelt, wann eine Tat straf- 1
bar ist. Die Durchsetzung des Strafanspruchs des Staates ist Gegenstand des formellen
Strafrechts. Es muss bestimmt werden, welche Organe mit der Verfolgung der strafbaren Handlungen betraut werden und an welche Regeln sie sich dabei zu halten haben.
Das formelle Strafrecht (Strafverfahrensrecht) gliedert sich somit einerseits in die geReger/Judmaier/Kalcher/Kuroki, FinStrG Bd 24
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setzlichen Bestimmungen, die die Verfassung (Organisation) der Strafverfolgungsbehörden regeln, und andererseits in das eigentliche Verfahrensrecht. Jedes Strafverfahren
beginnt damit, dass bei einer Strafverfolgungsbehörde gegen eine bestimmte oder zunächst auch unbekannte Person Verdachtsgründe hervorkommen. Am Anfang des Verfahrens steht also nur der Verdacht, und zwar selbst dann, wenn ein Geständnis des Verdächtigen vorliegt. Denn ein Geständnis kann falsch sein oder widerrufen werden. Den
mehr oder minder begründeten Verdacht gilt es im Verfahren zu erhärten oder zu entkräften. Dies geschieht dadurch, dass der Sachverhalt erforscht wird. Nur dann, wenn
der festgestellte Sachverhalt einem bestimmten Tatbestand des besonderen Teiles (des
II. Hauptstücks des Ersten Abschnitts) unterstellt (subsumiert) werden kann, darf die
dafür im Gesetz vorgesehene Straffolge in der vorgeschriebenen Weise festgesetzt werden. Ist dies nicht der Fall, muss das Strafverfahren ebenfalls förmlich beendet werden.
Hat ein Strafverfahren einmal in formeller Art und Weise begonnen (durch förmliche
Einleitung gem § 83 FinStrG oder Berichterstattung an die Staatsanwaltschaft gem § 82
Abs 2 iVm § 195 Abs 1 FinStrG und §§ 100 f StPO), muss es auch in formeller Weise beendet werden. Am Ende des Strafverfahrens steht daher nicht unbedingt eine Straffestsetzung, wohl aber eine förmliche Entscheidung. Ergeht eine verurteilende (bestrafende)
Entscheidung, ist damit das Strafverfahren noch nicht beendet, weil zur Durchsetzung
des Strafanspruchs auch noch der Vollzug der Entscheidung, die Strafvollstreckung, gehört.
Die Regelungen über das Strafverfahren gliedern sich somit in drei Teile:



Organisation und Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden,
Ermittlungs-, Erkenntnis- und Rechtsmittelverfahren und
Vollzugs- oder Vollstreckungsverfahren.
Für das Finanzstrafverfahren gilt aber noch die Besonderheit, dass es sich um kein einheitliches, sondern um zwei grundverschiedene Verfahren handelt. § 53 FinStrG grenzt
das gerichtliche vom verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren ab.
2 Das verwaltungsbehördliche Finanzstrafverfahren ist in den §§ 56 bis 194e FinStrG um-
fassend geregelt. Im gerichtlichen Finanzstrafverfahren gelten, wie auch sonst, grundsätzlich die Vorschriften der Strafprozessordnung, wegen der Besonderheiten der Abgabenangelegenheiten ergänzt um die Bestimmungen der §§ 195 bis 245 FinStrG. Der wesentlichste Unterschied liegt darin, dass das gerichtliche Finanzstrafverfahren vom
Anklagegrundsatz beherrscht wird, während im verwaltungsbehördlichen Strafverfahren das Inquisitionsprinzip herrscht. Der Anklagegrundsatz (vgl Art 90 Abs 2 B-VG;
§ 4 StPO) besagt, dass ein Strafverfahren nur über Antrag eines Anklägers in Gang gesetzt werden kann. Das Gericht kann das Verfahren nicht von sich aus einleiten. Die Erhebung der Anklage und deren Vertretung vor Gericht obliegen grundsätzlich der
Staatsanwaltschaft. Gegen ihren Willen darf ein Strafverfahren nicht geführt werden
(§ 4 Abs 1 dritter Satz StPO). Das Gericht muss über die Anklage nach Durchführung
eines Verfahrens förmlich entscheiden. Es ist dabei an den Umfang der Anklage gebunden, selbst wenn während des Verfahrens der Verdacht eines weiteren Vergehens hervorkommt (vgl § 267 StPO).
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Ganz anders im Inquisitionsverfahren: Einleitung und alle weiteren Verfahrensschritte
hat die Strafverfolgungsbehörde grundsätzlich von sich aus vorzunehmen. Daran ändert
auch die Einrichtung des Amtsbeauftragten im Verfahren vor den Senaten nichts. Denn
die Strafverfolgungsbehörde ist an Anträge des Amtsbeauftragten nicht gebunden. Sie
kann zB auch ohne Vorliegen eines entsprechenden Antrages des Amtsbeauftragten das
Strafverfahren auf während des Verfahrens hervorgekommene weitere Taten ausdehnen.
Diese voneinander abweichenden Grundsätze gelten in jedem Stadium des Verfahrens.
Die Staatsanwaltschaft leitet das strafprozessuale Ermittlungsverfahren (§ 101 Abs 1
StPO). In diesem wird das Gericht nur punktuell bei der Bewilligung von Zwangsmaßnahmen, bei bestimmten Beweisaufnahmen und bei der Gewährung von Rechtsschutz
tätig. Das Hauptverfahren beginnt (nur) durch das Einbringen der Anklage; die Hauptverhandlung kann nur bei deren Rechtswirksamkeit angeordnet werden (§ 210 Abs 2
und § 213 Abs 4 StPO). Die Finanzstrafbehörde wiederum hat das Finanzstrafverfahren
einzuleiten und dieses allenfalls (bei gerichtlicher Zuständigkeit) nach den Bestimmungen des Dritten Unterabschnitts zu führen (§§ 195 ff FinStrG). Sie ist dabei an keinen
Antrag gebunden (§ 82 FinStrG).
Nur ein Strafverfahren, das wegen eines Finanzvergehens iSd § 1 FinStrG geführt wird, 3
ist ein Finanzstrafverfahren. Die in den §§ 248 ff FinStrG aufgezählten gerichtlich strafbaren Handlungen sind keine Finanzvergehen. Für gerichtliche Strafverfahren wegen
dieser Vergehen gilt die Strafprozessordnung uneingeschränkt, die Sonderbestimmungen der §§ 195 ff FinStrG für das gerichtliche Verfahren wegen Finanzvergehen finden
darauf keine Anwendung.
Die Frage, ob die Ahndung eines Finanzvergehens dem Gericht oder der Finanzstrafbe- 4
hörde zukommt, betrifft nach der Rechtsprechung des OGH – ungeachtet der Diktion
des Finanzstrafgesetzes („Zuständigkeit“) – nicht bloß eine prozessuale Zuständigkeitsabgrenzung, sondern die gerichtliche Strafbarkeit eines Finanzvergehens schlechthin. Es
handelt sich also um eine Frage des materiellen Rechts (OGH 6. 7. 1982, 10 Os 59/82;
8. 5. 1984, 10 Os 20/84 [R 53(4)/8]).
Für die Abfassung des Urteils bedeutet dies, dass etwa die – für die Zusammenrechnung
strafbestimmender Wertbeträge nach § 53 Abs 1 (oder Abs 2) FinStrG maßgebliche –
örtliche und sachliche Zuständigkeit derselben Finanzstrafbehörde ein positives Tatbestandserfordernis darstellt, dessen Vorliegen durch Tatsachenfeststellungen zu klären
ist. Fehlen diese, ist das Urteil mit (von Amts wegen wahrzunehmender) Nichtigkeit
nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO behaftet (OGH 22. 1. 2009, 13 Os 177/08s [R 53(1)/3]).
Enthält ein freisprechendes Urteil diesbezüglich keine Konstatierungen, hat eine zum
Nachteil des Angeklagten ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde (auch dazu) einen Feststellungsmangel (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) geltend zu machen. Bekämpft das Rechtsmittel
hingegen (wenn auch zutreffend) bloß sonstige aus Sicht des Gerichts für den Freispruch maßgebliche (tatsächliche oder rechtliche) Annahmen, bleibt ihm ein Erfolg versagt (OGH 19. 11. 2013, 13 Os 58/13y [R 53(1)/6]).
Stellt sich im Lauf der Hauptverhandlung das Nichtübersteigen der in § 53 Abs 1 und 2
FinStrG genannten Wertbeträge heraus, hat das Gericht einen Freispruch zu fällen
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(§ 214 FinStrG). Ein gleichwohl ergangener Schuldspruch ist aus dem Grund des § 281
Abs 1 Z 9 lit a FinStrG zu bekämpfen.
Die Frage gerichtlicher Strafbarkeit („Zuständigkeit“) darf nicht mit der – an diese anknüpfenden – nach der gemeinsamen Führung von Verfahren wegen mehrerer im örtlichen Zuständigkeitsbereich verschiedener Staatsanwaltschaften (oder Gerichte) begangener Finanzvergehen vermengt werden. Diese ist nämlich, weil im Finanzstrafgesetz
diesbezüglich nicht etwas Besonderes vorgeschrieben ist (vgl § 195 Abs 1 FinStrG), anhand der Regeln der §§ 26 oder 37 StPO zu beantworten (OGH 23. 4. 2008, 13 Ns 11/08h
[R 53(1)/2]).
B. Zuständigkeitsabgrenzung
1. Allgemeines
5 § 53 FinStrG geht grundsätzlich von (subsidiärer) Zuständigkeit der Finanzstrafbehörde
aus (Abs 6). Ausschließliche Zuständigkeit für bestimmte Arten von Finanzvergehen
kommt (seit Inkrafttreten des AbgÄG 1998 mit 13. 1. 1999) nur (mehr) der Finanzstrafbehörde zu (Abs 5). Ansonsten hängt die Zuständigkeit von der Höhe des strafbestimmenden Wertbetrags ab (Abs 1 und 2). Diese betragsabhängige Abgrenzung wird punktuell zu Gunsten (ausnahmsweiser) gerichtlicher Zuständigkeit durchbrochen (Abs 3
und 4).
Eine weitere Ausnahme der Zuständigkeitsbestimmungen des § 53 Abs 1 und 2 FinStrG
stellt § 224 Abs 1 FinStrG dar, weil das Gericht nach Bewilligung der Wiederaufnahme
des Verfahrens auch dann zuständig ist, wenn das Finanzvergehen von der Finanzstrafbehörde zu ahnden wäre.
2. Abgrenzung nach der Höhe des strafbestimmenden Wertbetrages
(§ 53 Abs 1 und Abs 2 FinStrG)
6 Übersteigt der strafbestimmende Wertbetrag (siehe Erläuterungen zu § 16 FinStrG,
Rz 4 ff) eines vorsätzlichen Finanzvergehens den Betrag von 100.000 €, ist das Gericht
zur Ahndung des Finanzvergehens zuständig (§ 53 Abs 1 FinStrG). Bei einem fahrlässigen Finanzvergehen ist – unabhängig von der Höhe des strafbestimmenden Wertbetrages – grundsätzlich verwaltungsbehördliche Zuständigkeit gegeben.
7 Die Konsequenzen einer für Zuständigkeitsabgrenzung relevanten Änderung der Ver-
dachtslage im Hinblick auf die Höhe des strafbestimmenden Wertbetrags regelt § 54
FinStrG. Ergibt sich nachträglich der Verdacht eines gerichtlich strafbaren Finanzvergehens hat die Finanzstrafbehörde gem § 54 Abs 1 FinStrG das (bereits eingeleitete) Finanzstrafverfahren nach den Regeln des Dritten Unterabschnitts (§§ 195 ff FinStrG)
weiterzuführen.
Stellt die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gem § 202 Abs 1 FinStrG ein oder
wird das gerichtliche Verfahren rechtskräftig durch eine Entscheidung (vgl §§ 210 Abs 1,
212 Abs 1 und 214 Abs 1 FinStrG), die auf Ablehnung der Zuständigkeit beruht (Unzuständigkeitsentscheidung), beendet, so hat gem § 54 Abs 5 FinStrG die Finanzstrafbehörde das Finanzstrafverfahren fortzusetzen. In einem solchen Fall darf sie der Bestrafung
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(wegen eines vorsätzlich begangenen Finanzvergehens) keinen höheren strafbestimmenden Wertbetrag zugrunde legen, als er den in § 53 Abs 1 oder 2 FinStrG genannten Beträgen entspricht. Dabei ist zu beachten, dass das FinStrG nach oberstgerichtlicher Rechtsprechung nur einen Freispruch nach § 214 FinStrG (also einen solchen wegen Unzuständigkeit) kennt (OGH 5. 4. 2012, 13 Os 124/11a [R 53(1)/5]). Das Gericht hat demnach
nur zu beurteilen, ob ihm die Ahndung eines Finanzvergehens zukommt. Eine von der Finanzstrafbehörde zu ahndende Strafbarkeit hat diese selbständig (ohne Bindung an die
Erwägungen der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts) zu beurteilen.
Näheres dazu bei den Kommentierungen zu § 54 und § 214 FinStrG.
Beim Zusammentreffen von Finanzvergehen, bei denen die Höhe der Strafe von einem 8
strafbestimmenden Wertbetrag abhängig ist (mit Ausnahme der Finanzordnungswidrigkeiten gem § 49 FinStrG und der selbstverschuldeten Berauschung gem § 52 FinStrG,
für die immer verwaltungsbehördliche Zuständigkeit besteht), ist das Gericht dann zuständig, wenn die Summe der strafbestimmenden Wertbeträge der zusammentreffenden vorsätzlich begangenen Finanzvergehen den Betrag von 100.000 € übersteigt und
alle diese Finanzvergehen in die sachliche und örtliche Zuständigkeit der gleichen Finanzstrafbehörde erster Instanz fielen (§ 53 Abs 1 FinStrG), wäre nicht gerichtliche Zuständigkeit gegeben. Bei der Beurteilung gerichtlicher Zuständigkeit ist daher zunächst
von der (fiktiven) Zuständigkeit der Finanzstrafbehörde (§ 58 FinStrG) auszugehen. So
sind zB die verkürzten Beträge an Einkommen- und Umsatzsteuer zusammenzurechnen, wenn für alle diese Abgabenverkürzungen dieselbe Finanzstrafbehörde (Abgabenbehörde) sachlich und örtlich zuständig ist. Gleiches gilt für Körperschaft- und Einkommensteuer, bei denen sich unterschiedliche örtliche Zuständigkeiten etwa aus der Verschiedenheit der Steuersubjekte ergeben können (vgl OGH 22. 1. 2009, 13 Os 177/08s
[R 53(1)/3]). Hat der Täter Waren geschmuggelt und diese in seinem Gewerbebetrieb
verkauft, dürfen die strafbestimmenden Wertbeträge aus dem Schmuggel und den Abgabenhinterziehungen nicht zusammengerechnet werden, weil für die Erhebung der
Eingangsabgaben einerseits sowie der Einkommen- und Umsatzsteuer andererseits verschiedene sachliche Zuständigkeiten bestehen.
Der für die gerichtliche Strafbarkeit maßgebliche Betrag wurde mit der FinStrGNov
2010 (BGBl I 2010/104) von 75.000 € auf 100.000 € angehoben. Gem § 265 Abs 1p FinStrG sind die Änderungen der Zuständigkeitsgrenzen auf Verfahren, die bei Inkrafttreten dieser Novellierung (am 1. 1. 2011) bei Staatsanwaltschaft oder Gericht bereits anhängig sind, nicht anzuwenden.
Durch die Aufgabe der Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts in der Rechtsprechung des 9
OGH zugunsten des Konzepts der tatbestandlichen Handlungseinheit (vgl die Kommentierung zu § 1 Rz 34a) wirft die Einschränkung der Zusammenrechnung der strafbestimmenden Wertbeträge aus zusammentreffenden Finanzvergehen auf die örtliche
und sachliche Zuständigkeit derselben Finanzstrafbehörde keine dogmatischen Fragen
(mehr) auf. Da der finanzstrafrechtliche Tatbegriff der oberstgerichtlichen Rechtsprechung – je nach Tatbestand – auf die einzelne Abgabenerklärung, die Verletzung der in
§ 33 Abs 2 lit a oder b FinStrG normierten Pflichten oder auf den einzelnen Einfuhrvorgang abstellt (näher dazu die Kommentierung zu § 21 Rz 1), kommt eine „Aufspaltung“
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eines Finanzvergehens auf Grund der Regelung des § 53 Abs 1 FinStrG nicht mehr in Betracht (vgl zur früheren Rechtsprechung OGH 24. 10. 1972, 12 Os 69/72 [R 53(1)/17]).
10 Bei den Abgaben, die verkürzt wurden, muss es sich um Abgaben iSd § 2 Abs 1 FinStrG
handeln. Andere Abgabenverkürzungen dürfen bei der Zusammenrechnung der strafbestimmenden Wertbeträge nicht herangezogen werden. Im Übrigen bestehen aber, mit
Ausnahme des § 53 Abs 5 FinStrG, keine Einschränkungen hinsichtlich der verkürzten
Abgaben oder Einnahmen und der Art der Finanzvergehen. Es sind also zB die verkürzten Eingangsabgaben, die Tabaksteuer (sofern sie nicht ohnehin als Eingangsabgabe,
sondern als Selbstberechnungsabgabe [vgl § 27 TabStG] entsteht) und die nach dem
Kleinverkaufspreis der Tabakwaren zu berechnende Bemessungsgrundlage (vgl § 44
Abs 2 FinStrG) zusammenzurechnen, wenn Schmuggel mit einem vorsätzlichen Eingriff
in Monopolrechte (vgl § 2 Abs 3 FinStrG und zur Zuständigkeit der Zollämter für die
Vollziehung des TabakmonopolG § 27 Abs 1 Z 3 AVOG 2010) zusammentrifft. Beim
Zusammentreffen mehrerer Finanzvergehen ist es auch unerheblich, ob es sich um gleiche oder verschiedene Finanzvergehen handelt (gleichartige oder ungleichartige Realkonkurrenz) und ob sie durch eine oder durch mehrere Taten (vgl § 21 Abs 1 FinStrG)
verwirklicht wurden (Ideal- oder Realkonkurrenz).
11 Beim Zusammentreffen mehrerer Finanzvergehen ist nur entscheidend, ob darüber in
einem einzigen Urteil abgesprochen werden kann. Ob darüber tatsächlich in einem Urteil abgesprochen wird, ist unerheblich. Wird das Verfahren wegen eines Finanzvergehens ausgeschieden, bleibt das Gericht auch für dieses weiter zuständig (OGH 15. 11.
1979, 13 Os 104/79 [R 53(4)/11]). Ähnliches gilt für die in § 53 Abs 1 FinStrG angesprochene gesetzliche Zuständigkeit der Finanzstrafbehörde. Ob die Verfahren wegen mehrerer Finanzvergehen gem § 61 Abs 1 FinStrG verbunden wurden, ist für die Beurteilung
der gerichtlichen Zuständigkeit nicht ausschlaggebend. Zusammenzurechnen sind die
strafbestimmenden Wertbeträge aller Finanzvergehen, für die eine Finanzstrafbehörde
sachlich und örtlich zuständig ist (Ausnahme: § 53 Abs 5 FinStrG). Wurde zB gegen den
gleichen Täter bei derselben Finanzstrafbehörde ein Finanzstrafverfahren wegen der
Hinterziehung von Einkommen- und Umsatzsteuer in Höhe von 60.000 € eingeleitet,
und ist bei dieser Finanzstrafbehörde ein anderes Finanzstrafverfahren wegen einer
Lohnsteuerhinterziehung in Höhe von 50.000 € anhängig, sind die strafbestimmenden
Wertbeträge aus beiden Finanzstrafverfahren zusammenzurechnen, so dass sich gerichtliche Zuständigkeit ergibt. Durch eine Nichtverbindung von Finanzstrafverfahren
gem § 61 Abs 2 FinStrG kann die gerichtliche Zuständigkeit nicht umgangen werden.
Unterbleibt in einem derartigen Falle die Berichterstattung an die Staatsanwaltschaft
und werden die zusammentreffenden Finanzvergehen in getrennten verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren verfolgt, sind diese von einer unzuständigen Behörde
durchgeführt worden. Damit liegt auch eine Verletzung des Rechtes des Täters auf den
gesetzlichen Richter vor (Art 83 Abs 2 B-VG).
12 Maßgeblich für die Zusammenrechnung ist ausschließlich die gleiche gesetzliche sachli-
che und örtliche Zuständigkeit derselben Finanzstrafbehörde. Im Falle einer Zuständigkeitsübertragung (§ 60 FinStrG) von einer sachlich zuständigen Finanzstrafbehörde auf
eine andere darf eine Zusammenrechnung des strafbestimmenden Wertbetrages des
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übertragenen Finanzvergehens mit den strafbestimmenden Wertbeträgen der Finanzvergehen, für die die delegierte Finanzstrafbehörde von Gesetzes wegen örtlich zuständig ist, nicht erfolgen (OGH 30. 9. 2010, 13 Os 103/10m [R 53(1)/4]). Hier ergibt sich die
Zuständigkeit der Finanzstrafbehörde, an die das Finanzstrafverfahren übertragen wurde, nämlich nicht aus dem Gesetz, sie liegt vielmehr im Ermessen der gemeinsamen
Oberbehörde. Gleiches gilt für die Zuständigkeitsübertragung gem § 59 Abs 2 letzter
Satz und eine gem § 61 Abs 2 FinStrG getroffene Verfügung. Hingegen ergibt sich gem
§ 59 Abs 1 FinStrG die Zuständigkeit einer Finanzstrafbehörde bereits aus dem Gesetz,
so dass in diesem Falle die strafbestimmenden Wertbeträge zusammenzurechnen sind.
Erstreckt sich der Tatzeitraum über mehrere Jahre, müssen die Verkürzungsbeträge al- 13
ler Jahre zusammengerechnet werden. Wurde zB festgestellt, dass Einkommen- und
Umsatzsteuer dreier aufeinander folgender Jahre verkürzt wurden, und ist zur Festsetzung aller dieser Abgaben dieselbe Abgabenbehörde – und damit in weiterer Folge zur
Durchführung des Finanzstrafverfahrens dieselbe Finanzstrafbehörde – zuständig, sind
die strafbestimmenden Wertbeträge aller drei Jahre und aller Abgaben zusammenzurechnen. Bei der Zusammenrechnung der strafbestimmenden Wertbeträge aus mehreren zusammentreffenden, vorsätzlich begangenen Finanzvergehen ist gerichtliche Strafbarkeit gegeben, wenn die Summe der strafbestimmenden Wertbeträge den Betrag von
100.000 € übersteigt. Es ist also nicht erforderlich, dass der strafbestimmende Wertbetrag oder die Summe der strafbestimmenden Wertbeträge eines Veranlagungsjahres den
Betrag von 100.000 € übersteigt. Beträgt zB die Summe der strafbestimmenden Wertbeträge aus Einkommen- und Umsatzsteuer in jedem der drei Jahre 80.000 €, dann wird
die Grenze von 100.000 € zwar in keinem einzelnen Jahr, wohl aber in der Summe aller
drei Jahre überschritten, sind die Finanzvergehen vom Gericht zu ahnden.
Im Zusammenhang mit dem weiteren Erfordernis der (örtlichen und sachlichen) Zuständigkeit derselben Finanzstrafbehörde ist zu beachten: § 58 Abs 1 lit f FinStrG verweist (für
die Mehrzahl der Finanzvergehen) auf das zur Erhebung der beeinträchtigten Abgaben
oder zur Handhabung der verletzten Abgabenvorschriften örtlich zuständige Finanzamt.
Wechselt der Beschuldigte während des Tatzeitraums (mehrmals) seinen Wohnsitz, kann
§ 6 AVOG 2010 von Bedeutung sein. Nach diesem endet die Zuständigkeit einer Abgabenbehörde für die Erhebung der Abgaben mit dem Zeitpunkt, in dem eine andere Abgabenbehörde von den ihre Zuständigkeit begründenden Voraussetzungen (dem Wohnsitz oder
subsidiär dem gewöhnlichen Aufenthalt in ihrem Bereich [§ 20 Abs 1 AVOG 2010]) Kenntnis erlangt. Diese (neue) Abgabenbehörde hat daher etwa Außenprüfungen oder die Wiederaufnahme von Verfahren auch für bereits vom nicht mehr zuständigen Amt veranlagte
Zeiträume durchzuführen. Daraus ergibt sich eine örtliche und sachliche Zuständigkeit jenes (letzten) Finanzamtes als (einziger) Finanzstrafbehörde für alle realkonkurrierenden Finanzvergehen, dem zum Zeitpunkt der ersten Verfolgungshandlung die Erhebung sämtlicher beeinträchtigter Abgaben in örtlicher und sachlicher Hinsicht obliegt (näher dazu Reger, Die Zuständigkeit derselben Finanzstrafbehörde als Voraussetzung für die
Zusammenrechnung der strafbestimmenden Wertbeträge, ZWF 2015, 90).
Hat der Täter neben dem oder den vorsätzlichen Finanzvergehen auch noch ein fahrläs- 14
siges Finanzvergehen begangen, muss der strafbestimmende Wertbetrag des fahrlässiReger/Judmaier/Kalcher/Kuroki, FinStrG Bd 24
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gen Finanzvergehens bei der Ermittlung des strafbestimmenden Wertbetrages gem § 53
Abs 1 FinStrG außer Ansatz bleiben. Nur wenn der strafbestimmende Wertbetrag oder
die Summe der strafbestimmenden Wertbeträge für vorsätzliche Finanzvergehen den
Betrag von 100.000 € übersteigt, ist gerichtliche Strafbarkeit gegeben. Und nur dann ist
das Gericht gem § 53 Abs 3 FinStrG auch zur Ahndung der mit vorsätzlichen Finanzvergehen zusammentreffenden fahrlässigen Finanzvergehen zuständig (siehe Rz 21 ff).
15 Für die Zusammenrechnung der strafbestimmenden Wertbeträge ist es unerheblich, in
welcher Beteiligungsform der Beschuldigte die Finanzvergehen begangen hat. Daher
sind – bei sachlicher und örtlicher Zuständigkeit derselben Finanzstrafbehörde – auch
die strafbestimmenden Wertbeträge solcher zusammentreffenden Finanzvergehen, die
ein Beschuldigter in der Form als Bestimmungs- oder Beitragstäter begangen hat, zusammenzurechnen. Dies ergibt sich sowohl aus der rechtlichen Gleichwertigkeit der Täterschaftsformen des § 11 FinStrG (OGH 21. 8. 2003, 15 Os 66/03 [R 53(1)/1]), aus der
strafrechtlichen Haftung sämtlicher Beteiligter unabhängig von der Bestrafung des unmittelbaren Täters (vgl die Kommentierung zu § 11 Rz 3) sowie aus § 53 Abs 4 FinStrG,
wonach das Strafverfahren gegen unmittelbarem Täter und andere vorsätzlich Beteiligte
bei Gericht durchzuführen ist, wenn sich auch nur bei einer dieser Personen die gerichtliche Zuständigkeit ergibt (OGH 16. 1. 1969, 9 Os 123/68 [R 53(1)/18]).
16 Durch die FinStrGNov 1985 wurde der Kreis der Finanzvergehen im Sinne des § 53
Abs 2 FinStrG auf Finanzvergehen nach den §§ 35 und 37 FinStrG beschränkt. In den
Erläuterungen dazu (668 BlgNR 16. GP) heißt es:
„Die niedrigere Wertgrenze des Abs 2 für die gerichtliche Zuständigkeit gilt derzeit auch
in den Fällen der Hinterziehung von Monopoleinnahmen (Abs 2 lit b) und in den Fällen
der Monopolhehlerei nach § 46 Abs 1 mit Branntwein und Salz und mit Erzeugnissen
aus Branntwein (Abs 2 lit d). Ein Bedürfnis, diese Finanzvergehen schon bei Überschreitung eines niedrigeren strafbestimmenden Wertbetrages zur Ahndung durch die Gerichte zuzuweisen, besteht nicht, weshalb diese Finanzvergehen aus der Aufzählung des
Abs 2 herausgenommen werden sollen; sie wären somit künftig nur dann vom Gericht
zu ahnden, wenn der strafbestimmende Wertbetrag nach Abs 1 lit b 1 Million S [nunmehr 100.000 €] übersteigt.“
Gem § 53 Abs 2 FinStrG tritt gerichtliche Zuständigkeit bei den hier erschöpfend aufgezählten Zollvergehen schon dann ein, wenn der strafbestimmende Wertbetrag oder die
Summe der strafbestimmenden Wertbeträge zusammentreffender Finanzvergehen den
Betrag von 50.000 € übersteigt (zur Anhebung der Zuständigkeitsgrenze und der Übergangsregelung vgl oben Rz 8). Seit der FinStrGNov 1985 sind Monopolvergehen in
Abs 2 nicht mehr angeführt, so dass für diese Delikte die allgemeine Wertgrenze gem
§ 53 Abs 1 FinStrG gilt. Für die in § 53 Abs 2 lit b FinStrG angeführte Abgabenhehlerei
kommt die niedrigere Zuständigkeitsgrenze nur dann zur Anwendung, wenn durch die
Vortaten Schmuggel, Verzollungsumgehung oder Verkürzung von Eingangs- oder Ausgangsabgaben verwirklicht wurde. Für die Abgabenhehlerei, der eine Verkürzung einer
Verbrauchsteuer vorangegangen ist, ist demnach die Zuständigkeitsgrenze des § 53
Abs 1 FinStrG maßgeblich. Dies gilt für die Tabaksteuer in der Erscheinungsform der
Selbstberechnungsabgabe, deren Hinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG strafbar ist
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§ 53
(OGH 17. 6. 2010, 13 Os 105/09d [R 53(2)/3]). Entsteht die Tabaksteuer hingegen als
Eingangsabgabe (etwa bei unmittelbarer Einfuhr der Zigaretten aus einem Drittland
oder bei nicht feststellbarer Schmuggelroute iSd Art 215 Abs 1 zweiter Anstrich ZK), ist
ihre Verkürzung vom Tatbestand des Schmuggels (oder der Hinterziehung von Eingangsabgaben) erfasst und daher in den Verkürzungsbetrag des § 37 Abs 2 (iVm § 35
Abs 4) FinStrG und den für die gerichtliche Strafbarkeit maßgeblichen Betrag des § 53
Abs 2 lit b FinStrG einzurechnen (OGH 19. 11. 2013, 13 Os 92/13y [R 53(2)/4]).
Ist für ein Finanzvergehen gerichtliche Zuständigkeit gem § 53 Abs 2 gegeben, so sind bei 17
Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 Abs 3 FinStrG auch die anderen tateinheitlich
oder tatmehrheitlich begangenen Finanzvergehen vom Gericht zu ahnden, unabhängig
von der Höhe des strafbestimmenden Wertbetrages und der subjektiven Tatseite. Hat der
Täter also einen Schmuggel mit einem strafbestimmenden Wertbetrag von 51.000 € und
eine Hinterziehung (Verkürzung) von Alkoholsteuer (vgl § 10 AlkoholsteuerG) mit
einem strafbestimmenden Wertbetrag (Verkürzungsbetrag) von 12.000 € begangen, so
fällt die Aburteilung beider Finanzvergehen in die Zuständigkeit des Gerichtes.
Das Gericht ist nach Bewilligung der Wiederaufnahme des Verfahrens auch dann zu- 18
ständig, wenn diese nur einen Teil des Schuldspruchs betrifft und das im wieder aufgenommenen Verfahren gegenständliche Finanzvergehen von der Finanzstrafbehörde zu
ahnden wäre (§ 224 Abs 1 FinStrG). Wurde also zB jemand vom Gericht wegen dreier
Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG mit einem strafbestimmenden Wertbetrag von mehr als 100.000 € verurteilt, und übersteigt der auf das
(wieder) zu ahndende Finanzvergehen entfallende Verkürzungsbetrag nicht diese Grenze, bleibt das Gericht nach Bewilligung der Wiederaufnahme trotzdem zuständig.
Erwächst ein Schuldspruch wegen Finanzvergehen in einem die gerichtliche Zuständig- 19
keitsgrenze nicht übersteigenden Wertbetrag in Teilrechtskraft nach § 289 StPO, ist,
wenn diese Grenze im folgenden Rechtsgang (auch unter Berücksichtigung eines allfälligen weiteren Schuldspruchs) nicht überschritten wird, auch hinsichtlich des bereits
rechtskräftigen Schuldspruchteiles gem § 214 FinStrG vorzugehen (also ein Freispruch
zu fällen). Diese (Teil-)Rechtskraft ist demnach für den Fall des Nichterreichens gerichtlicher Strafbarkeit auflösend bedingt (OGH 27. 3. 2007, 11 Os 142/06a [R 53(1)/1]; Ratz,
WK-StPO § 289 Rz 7). Solcherart auflösend bedingte Teilrechtskraft ist auch hinsichtlich einzelner Unrichtigkeiten (vgl § 33 Abs 5 zweiter Fall FinStrG) einer Abgabenerklärung, die an sich (in Form einer tatbestandlichen Handlungseinheit) einer Tat im materiellen Sinn (vgl die Kommentierung zu § 21 Rz 1) entspricht, möglich (OGH 19. 3.
2009, 13 Os 105/08b [R 53(1)/2]).
Gem § 7 Abs 2 Ausfuhrerstattungsgesetz gilt § 53 Abs 2 FinStrG auch für die Hinterzie- 20
hungen von Eingangs- oder Ausgangsabgaben iSd § 7 Abs 1 Ausfuhrerstattungsgesetz,
weil diese mit AbgÄG 1998 (BGBl I 1999/28) als Hinterziehung von Eingangs- oder
Ausgangsabgaben im Sinne des Finanzstrafgesetzes konstruiert worden ist.
3. Zusammentreffen mit anderen Finanzvergehen (§ 53 Abs 3 FinStrG)
§ 53 Abs 3 FinStrG macht von dem Grundsatz, dass gerichtliche Zuständigkeit nur bei 21
Vorsatztaten besteht, eine Ausnahme. Treffen mit Vorsatztaten, die gem § 53 Abs 1 oder 2
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§ 53
FinStrG in die gerichtliche Zuständigkeit fallen, fahrlässig begangene Finanzvergehen
desselben Täters zusammen, zu deren Ahndung dieselbe Finanzstrafbehörde zuständig
wäre, dann ist das Gericht auch für deren Ahndung zuständig (subjektive Konnexität; zu
Finanzordnungswidrigkeiten vgl aber Abs 5 [unten Rz 25]). Hat zB der Täter in einem
Jahr oder fortgesetzt in mehreren Jahren vorsätzlich Einkommen- und Umsatzsteuer
mit einem strafbestimmenden Wertbetrag von mehr als 100.000 € verkürzt und daneben
Kapitalertragsteuer mit einem strafbestimmenden Wertbetrag von 700 € auch noch
fahrlässig verkürzt, dann ist zur Ahndung der fahrlässigen Abgabenverkürzung ebenfalls das Gericht zuständig.
Weiters soll nach dem FBA FinStrGNov 1975 durch § 53 Abs 3 FinStrG aber auch gewährleistet sein, dass in Tateinheit mit dem Finanzvergehen des Schmuggels begangene
Monopolvergehen iS der §§ 44 oder 45 FinStrG auch dann im gerichtlichen Finanzstrafverfahren abzuurteilen sind, wenn für sie allein betrachtet die Zuständigkeit des Gerichtes nach § 53 Abs 1 oder Abs 2 FinStrG nicht gegeben ist, das damit zusammentreffende
Zollvergehen aber in die gerichtliche Zuständigkeit fällt.
Nach dem Bericht des Finanz- und Budgetausschusses zur FinStrGNov 1975 (1548 Blg
NR 13. GP) soll dies vor allem der Verfahrenskonzentration und Verfahrensökonomie
dienen. Durch diese Regelung soll im Interesse der Behörden und der Beschuldigten die
Durchführung eines Strafverfahrens vor Gericht und eines weiteren Verfahrens vor der
Finanzstrafbehörde vermieden werden.
Nach älterer oberstgerichtlicher Rechtsprechung sei auch bei (ausschließlich) durch objektive Konnexität nach Abs 4 begründeter Gerichtszuständigkeit die Regelung über die
subjektive Konnexität (Abs 3) anzuwenden, das Gericht habe auch die von diesem Täter
fahrlässig begangenen Finanzvergehen zu ahnden (OGH 11. 11. 1998, 13 Os 130/98
[R 53 (4)/5]; in diesem Sinn auch Seiler/Seiler, FinStrG4 § 53 Rz 24; Fellner, FinStrG § 53
Rz 20). Diese (von Zweckmäßigkeitsüberlegungen getragene) Ansicht ist allerdings mit
dem Gesetzeswortlaut des Abs 3 (der bloß an Gerichtszuständigkeit nach Abs 1 oder 2
anknüpft) nicht vereinbar. Abs 4 hingegen enthält keine derartige Einschränkung, weshalb die (nur) gem Abs 3 begründete gerichtliche Zuständigkeit zur Ahndung eines
(fahrlässigen) Finanzvergehens auch für an diesem (vorsätzlich) Beteiligte gilt (Lässig in
WK2 FinStrG § 53 Rz 16).
4. Beteiligung mehrerer Personen an einem Finanzvergehen (§ 53 Abs 4 FinStrG)
22 Sind an einem Finanzvergehen mehrere Personen beteiligt und besteht für den Täter ge-
richtliche Zuständigkeit, ist das Gericht ohne Rücksicht auf die Höhe des strafbestimmenden Wertbetrages auch für alle anderen vorsätzlich, nicht auch fahrlässig, an der Tat Beteiligten zuständig (objektive Konnexität). Ungeachtet der Unschärfe des Wortlauts („des Täters“ [vgl die Überschrift zu § 11 FinStrG: „Behandlung aller Beteiligten als Täter“]) lässt die
gesetzliche Regelung, indem sie dem „Täter“ die „anderen vorsätzlich an der Tat Beteiligten“ gegenüberstellt, erkennen, dass die objektive Konnexität nur an die gerichtliche Strafbarkeit des unmittelbaren Täters (§ 11 erster Fall FinStrG), nicht auch des Bestimmungsoder Beitragstäters (§ 11 zweiter und dritter Fall FinStrG) anknüpft (OGH 15. 11. 1989, 14
Os 120/89 [R 53(4)/7]; Lässig in WK2 FinStrG § 53 Rz 18; Seiler/Seiler, FinStrG4 § 53 Rz 23;
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§ 53
Leitner/Toifl/Brandl, Finanzstrafrecht3 Rz 1565). Dies ergibt auch die historische Auslegung, denn nach den EB zur FinStrGNov 1985 sollte – im Gegensatz zum alten Recht –
durch die Neufassung des § 53 Abs 4 FinStrG die gerichtliche Zuständigkeit für das Verfahren gegen einen Beitragstäter nicht mehr auf den unmittelbaren Täter zurückwirken. Sie
geben dazu folgendes Beispiel: „Ergibt sich etwa die gerichtliche Zuständigkeit hinsichtlich
eines Anstifters, der mehrere Personen zu Finanzvergehen angestiftet hat, auf Grund der
Zusammenrechnung mehrerer strafbestimmender Wertbeträge im Sinne des Abs 1, so ist
zwar der Anstifter vom Gericht zu bestrafen; die mehreren Täter nur dann, wenn sich für
sie die Zuständigkeit des Gerichts bereits aus den Abs 1 und 2 – also unabhängig von der Zuständigkeit zur Verfahrensführung gegen den Anstifter – ergibt.“
Für fahrlässig an der Tat Beteiligte ist das Gericht nicht zuständig, das Strafverfahren
muss von der Finanzstrafbehörde gesondert durchgeführt werden (OGH 11. 9. 2003, 12
Os 8/03 [R 53(4)/2]). Ebenso wenig gilt die Regelung über die objektive Konnexität im
Verhältnis zum Hehler (OGH 17. 2. 2011, 13 Os 156/09d) oder bei sonst engem sachlichem Zusammenhang (vgl §§ 26 Abs 1, 37 Abs 1 StPO).
Gründet sich die Zuständigkeit des Gerichtes nur auf § 53 Abs 4 FinStrG, so sind mit 23
einer solchen gerichtlichen Verurteilung dennoch nur die Folgen einer finanzstrafbehördlichen Bestrafung verbunden. Dies muss im Spruch des Gerichtsurteiles festgestellt
werden. Das hat zur Folge, dass der Verurteilte nicht als gerichtlich vorbestraft gilt und
die Verurteilung auch nicht ins Strafregister einzutragen ist. Damit wird § 2 Abs 1 Z 1
StRegG 1968 materiell derogiert (FBA FinStrGNov 1985 zu § 53 Abs 4 FinStrG).
Das Unterbleiben dieser Feststellung bewirkt nach oberstgerichtlicher Rechtsprechung
keine Nichtigkeit des Urteils. Eine allenfalls bereits erfolgte Mitteilung der Verurteilung
an die das Strafregister führende Landespolizeidirektion Wien ist (gem § 5 Abs 1
StRegG) zu berichtigen (OGH 21. 8. 2003, 15 Os 66/03 [R 53(4)/1]).
Ausschließlich nach § 53 Abs 4 FinStrG begründete Zuständigkeit lässt die Strafdrohung für ein sonst in die Zuständigkeit der Finanzstrafbehörde fallendes Finanzvergehen unverändert. Eine Überschreitung dieser Strafbefugnisgrenze bewirkt Nichtigkeit
iSd § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO (OGH 16. 4. 1980, 11 Os 159/79 [R 53(4)/10]).
Die Grundsätze des § 53 Abs 4 FinStrG regeln die Zuständigkeit des Gerichtes als sol- 24
ches. Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Hauptverhandlung gegen diese Personen gemeinsam stattfindet oder ob gegen sie getrennt verhandelt wird. Für die Anwendbarkeit der Bestimmung des § 53 Abs 4 FinStrG kommt es nicht auf die prozessuale Stellung mehrerer Personen als in demselben Verfahren Angeklagte und mit demselben
Urteil Verurteilte an, sondern auf ihre materiellrechtliche Stellung als Mittäter oder Beteiligte, die aber durch die getrennte Führung oder den getrennten Abschluss des Strafverfahrens nicht verloren geht (OGH 27. 3. 2007, 11 Os 142/06a [R 53(4)/3]).
5. Ausschließliche verwaltungsbehördliche Zuständigkeit
(§ 53 Abs 5 und 6 FinStrG)
Die Generalklausel enthält § 53 Abs 6 FinStrG. Danach sind die Finanzstrafbehörden 25
für die Ahndung aller Finanzvergehen zuständig, soweit im § 53 FinStrG nicht ausReger/Judmaier/Kalcher/Kuroki, FinStrG Bd 24
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§ 53
drücklich gerichtliche Zuständigkeit bestimmt wird. Im Einzelfall bedarf es daher keiner
Prüfung, ob verwaltungsbehördliche Zuständigkeit besteht, sondern nur, ob nach § 53
Abs 1 bis 4 FinStrG eine gerichtliche Zuständigkeit gegeben ist.
Nur die Finanzstrafbehörde, niemals das Gericht, ist zur Ahndung von Finanzordnungswidrigkeiten (§§ 49 bis 51 FinStrG) und der selbstverschuldeten Berauschung gem
§ 52 FinStrG zuständig (§ 53 Abs 5 FinStrG). Die Höhe des strafbestimmenden Wertbetrages ist in diesem Zusammenhang ebenso wenig ausschlaggebend wie eine subjektive
(Abs 3) oder objektive (Abs 4) Konnexität.
Weiters ergibt sich aus dem Zusammenhalt der Abs 6 und 1 des § 53 FinStrG, dass auch
bei allen fahrlässigen Finanzvergehen ohne Rücksicht auf die Höhe des strafbestimmenden Wertbetrages grundsätzlich nur verwaltungsbehördliche Zuständigkeit gegeben ist.
Eine Ausnahme besteht nur mehr auf Grund der Bestimmungen des § 53 Abs 3
FinStrG(subjektive Konnexität [vgl Rz 21]).
C. Zusammentreffen eines Finanzvergehens mit anderen gerichtlich strafbaren Handlungen (§ 53 Abs 7 FinStrG)
26 Treffen verwaltungsbehördlich zu ahndende Finanzvergehen mit gerichtlich strafbaren
Handlungen in Tateinheit zusammen, hat deren Verfolgung getrennt durch die Finanzstrafbehörde und das Gericht zu erfolgen. Mehrfache strafrechtliche Verfolgung einer
Person wegen derselben Tat ist allerdings mit Art 4 des 7. ZPMRK (vgl auch Art 50
GRC) – in der neueren Auslegung des EGMR ohne Berücksichtigung materiellrechtlicher Gesichtspunkte (näher dazu Nordmeyer, WK-StPO § 190 Rz 28a f) – nicht vereinbar, weshalb die Beibehaltung dieser Bestimmung de lege ferenda überdacht werden
sollte.
Die Subsidiaritätsregelungen des § 22 Abs 2 und 3 FinStrG (näher dazu die Kommentierung zu § 22 Rz 3) bleiben davon unberührt. In diesen Fällen ist ausschließlich das Finanzvergehen zu ahnden (vgl auch §§ 48 Abs 2 zweiter Satz und 48a Abs 2 zweiter Satz
FinStrG). Trifft ein (nach § 53 Abs 1 bis 3 FinStrG) gerichtlich strafbares Finanzvergehen mit anderen gerichtlich strafbaren Handlungen („anderer Art“) zusammen, gilt § 22
Abs 1 FinStrG.
Werden auf Grund der Regelung des § 53 Abs 7 FinStrG getrennte Strafverfahren
durchgeführt, so ist nach dem zweiten Satz dieser Bestimmung die vorangegangene
rechtskräftige Bestrafung bei der späteren Strafbemessung angemessen zu berücksichtigen. Diese Vorschrift steht allerdings im Spannungsverhältnis zu § 21 Abs 3 und § 22
Abs 1 FinStrG. Nach diesen ist eine Zusatzstrafe nur im Verhältnis mehrerer Verurteilungen wegen Finanzvergehen vorgesehen und hat das Gericht bei der gleichzeitigen
Aburteilung von Finanzvergehen und strafbaren Handlungen anderer Art gesonderte
Strafen zu verhängen. Diese dürfen einander also nicht beeinflussen (vgl die Kommentierungen zu § 21 Rz 8 und § 22 Abs 1). Der Anwendungsbereich des § 53 Abs 7 zweiter
Satz FinStrG ist daher auf die Finanzstrafbehörde beschränkt; nur diese hat iS dieser Bestimmung die frühere Bestrafung zu berücksichtigen (zuteffend Lässig in WK2 FinStrG
§ 53 Rz 27).
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§ 53
D. Sicherung der Beweise durch die Finanzstrafbehörde (§ 53 Abs 8 FinStrG)
Gem § 82 Abs 2 und 3 FinStrG hat die Finanzstrafbehörde neben der Prüfung, ob genü- 27
gende Verdachtsmomente gegeben sind, auch zu untersuchen, ob gerichtliche oder verwaltungsbehördliche Zuständigkeit besteht. In den seltensten Fällen steht dabei der
strafbestimmende Wertbetrag von vornherein genau fest, sodass zur Prüfung der Zuständigkeit gem § 53 Abs 1 oder 2 FinStrG in der Regel Ermittlungen durchgeführt werden müssen. Dies schließt die Frage vorsätzlichen Handelns des Täters ein. Eine sofortige Berichterstattung an die Staatsanwaltschaft (vgl § 83 Abs 2 FinStrG iVm §§ 100 f
StPO) wird daher selten in Betracht kommen.
§ 53 Abs 8 FinStrG ermöglicht in diesen Fällen zur Klärung der Zuständigkeitsfrage,
dass die Finanzstrafbehörde in eigener Zuständigkeit (nicht etwa unter der Leitung der
Staatsanwaltschaft) alle zur Beweissicherung erforderlichen Maßnahmen trifft. Das FinStrG sieht zwar nicht ausdrücklich Ermittlungen vor, doch ergibt sich aus § 82 Abs 1
FinStrG, dass der Einleitung eines verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahrens eine
Prüfung der Verdachtsgründe vorauszugehen hat. Im Zuge dieser Prüfung stehen der
Finanzstrafbehörde bereits alle der Aufdeckung und Verfolgung von Finanzvergehen
dienenden Möglichkeiten zur Verfügung. So kann zB bereits, ohne dass ein Finanzstrafverfahren formell eingeleitet worden wäre, beim Verdächtigen eine Hausdurchsuchung
vorgenommen werden. Nach Abschluss der Beweiserhebungen hat die Finanzstrafbehörde dann gem § 82 Abs 2 FinStrG Bericht an die Staatsanwaltschaft zu erstatten, wenn
sie zur Überzeugung kommt, das Gericht sei zur Durchführung des Finanzstrafverfahrens zuständig.
Aus § 54 Abs 1 FinStrG ergibt sich, dass die Finanzstrafbehörde auch im Falle ungeklärter Zuständigkeit zunächst (formell) das Strafverfahren einleiten und in dessen Rahmen
die der Klärung der Zuständigkeit dienenden Beweise aufnehmen kann. Bericht an die
Staatsanwaltschaft soll erst dann erstatttet werden, wenn die maßgebenden Tatbestandselemente (Verkürzungsbetrag zB größer als 100.000 € und vorsätzliches Handeln) mit so
großer Wahrscheinlichkeit zutreffen, dass eine Unzuständigkeitsentscheidung des Gerichts vermieden wird (VwGH 20. 7. 1999, 94/13/0059 [R 54(1)/1]).
Maßnahmen der Finanzstrafbehörde zur Beweissicherung können nicht wegen der Unzuständigkeit der Finanzbehörde angefochten werden, wenn sich endgültig die gerichtliche Zuständigkeit herausstellt. Diese Bestimmung ermöglicht der Finanzstrafbehörde
die Gewinnung aller Beweise, die für die spätere Berichterstattung an die Staatsanwaltschaft notwendig sind. § 53 Abs 8 FinStrG darf deshalb nicht isoliert, sondern nur im
Zusammenhang mit § 82 und § 54 Abs 1 FinStrG betrachtet werden.
II. Rechtsprechung zu § 53
A. Rechtsprechung zu § 53 Abs 1
1. Der vom Angeklagten A bestrittene Schmuggel von Waren in einem Gesamtzollwert von
mehr als vier Millionen S als unmittelbarer Täter (§ 11 erster Fall FinStrG) kann ihm auch
nicht unter einer der beiden anderen Täterschaftsformen des § 11 FinStrG mängelfrei zugeordnet werden: Das Erstgericht hat keine Konstatierungen getroffen, die eine Beurteilung
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§ 53
zulassen, ob der Angeklagte A durch die festgestellte Ausstellung von Scheinrechnungen
der Firma Ö Günther L über die Schmuggelwaren einen zumindest psychischen Tatbeitrag
zum Schmuggel geleistet habe (die Feststellung, die Beschwerdeführer A und K hätten die
Ausstellung von Scheinrechnungen unter anderem auch zum Zweck der „Weißwaschung“
der Schmuggelware vereinbart, sagt noch nichts darüber aus, ob hiedurch auch die Ausführung des Schmuggels selbst gefördert worden wäre). Da der Angeklagte A in Ansehung des
von ihm bestrittenen Schmuggels von Waren in einem Gesamtzollwert von ca vier Millionen S nach den Feststellungen auch als Bestimmungstäter nicht in Betracht kommt, ist trotz
der rechtlichen Gleichwertigkeit der drei Täterschaftsformen des § 11 FinStrG Nichtigkeit
des ihn betreffenden Schuldspruches infolge unvollständiger Erörterung der Beweisergebnisse gegeben. Denn durch den – mängelfrei begründeten – Schmuggel von Waren in
einem Zollwert von 350.000 S und den vom Angeklagten A zugestandenen Schmuggel (als
unmittelbarer Täter) von Waren im Gesamtzollwert von ca einer Million S wird ein im Tatzeitraum die gerichtliche Zuständigkeit begründender Verkürzungsbetrag von mehr als
500.000 S (§ 53 Abs 2 lit a FinStrG aF) nicht erreicht.
(OGH 21. 8. 2003, 15 Os 66/03)
2. Da im Dritten Unterabschnitt des FinStrG nicht etwas Besonderes vorgeschrieben ist,
gelten für die Lösung der gestellten Frage nach der Zuständigkeit für das gegen den Angeklagten geführte Hauptverfahren die nach § 516 Abs 1 StPO anzuwendenden Vorschriften der §§ 36 f StPO.
Beide Angeklagten sind verdächtig, die ihnen zur Last gelegten Taten als unmittelbarer
Täter (§ 11 erster Fall FinStrG) begangen zu haben. Während Josef H nur im Sprengel
des Landesgerichts St. Pölten deliktisch tätig gewesen sei, soll Franz Z zuerst in diesem
und danach im Sprengel des Landesgerichts Linz gehandelt haben (§ 36 Abs 3 erster Satz
StPO). Da ein Ermittlungsverfahren der bis 1. Jänner 2008 geltenden StPO fremd war
(§ 37 Abs 2 letzter Satz StPO) und eine auf das Zuvorkommen des § 56 Abs 2 erster Satz
StPO aF abstellende Übergangsbestimmung fehlt, ist mithin nach § 37 Abs 2 zweiter
Satz StPO das Landesgericht St. Pölten für beide Angeklagten zuständig.
Bleibt anzumerken, dass nach § 37 Abs 1 zweiter Satz StPO im – hier gegebenen – Falle
gleichzeitiger Anklage gegen mehrere Personen wegen Straftaten, die – wie hier, wo die
Hinterziehung jeweils gleichartiger Abgaben durch unmittelbar hintereinander handelnde Geschäftsführer ein und desselben Unternehmens unter Anklage stehen – in
einem engen sachlichen Zusammenhang stehen, das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen ist.
Für die Annahme, dass § 53 Abs 4 FinStrG den Verdacht der Beteiligung (§ 11 FinStrG)
als notwendige Bedingung für gemeinsame Verfahrensführung verlangt, diese mithin
für andere Fälle ausschließen würde, bestehen keine Anhaltspunkte.
(OGH 23. 4. 2008, 13 Ns 11/08h)
3. Zusammenrechnung der Abgabenbeträge bei mehreren Finanzvergehen setzt nach
§ 53 Abs 1 lit b FinStrG voraus, dass alle diese (von einem Täter vorsätzlich begangenen)
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