Moral versus Zielerreichung Von Achilles oder

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MANAGEMENT & STRATEGIE | 9/2015
Moral versus Zielerreichung
Von Achilles oder
Odysseus lernen?
Manager stehen bei ihrer Arbeit immer wieder vor der Frage: Ist es mit meinen
Werten vereinbar, dass ich ein bestimmtes Verhalten zeige, um gewisse Ziele zu
erreichen? Das war schon immer so – das zeigen die antiken Beispiele Achilles und
Odysseus.
Text: Georg Kraus
Die ersten Management-Handbücher wurden vor weit mehr als 2.500 Jahren geschrieben. Damals hießen die Manager
noch Helden. Und zwei Prototypen dieser
schillernden Figuren begegnen uns schon
in den ältesten Epen der Weltliteratur: in
der Ilias und in der Odyssee, als deren Verfasser Homer gilt.
Liest man die darin enthaltenen Geschichten und vergleicht man ihre Hauptfiguren,
dann stellen sich die Fragen: Welche von ih-
nen sind die wahren Helden? Und: Wodurch
unterscheiden sie sich?
Achilles – der Aufrichtige
In der Ilias lernen wir Achilles kennen. Er ist
ein nahezu unverwundbarer Krieger, ein
schöner und mutiger Vertreter seiner Zunft
mit einem hohen Ehrenkodex. Das heißt,
sein Handeln orientiert sich an einem klaren Wertekonstrukt. Entsprechend eindeutig ist er in seiner Bewertung „richtig“ oder
© vladimirs, Nikolai Sorokin, Tobias Fröhner
Managementtheorien sind nichts Neues.
Spätestens seit 1903 das erste Hauptwerk
„Shop Management“ von Frederick Taylor
erschien, auf dem der Taylorimus basiert,
kommen Jahr für Jahr mehr Bücher mit
Rezepten für ein kluges Management auf
den Markt. Doch die Philosophen und Denker beschäftigten sich schon viel früher mit
den Prinzipien guter Führung. Der Begriff
„Manager“ mag neu sein, die mit dieser
Rolle verbundenen Herausforderungen
sind es nicht.
MANAGEMENT & STRATEGIE | 9/2015
„falsch“. Achilles steht zudem für seine
Überzeugungen ein und wird schnell zornig, wenn seine Werte in Frage gestellt werden. Außerdem misst er dem höheren Ziel
eine größere Bedeutung als dem eigenen
Leben bei.
Mannschaft erzeugt, die hinter ihm steht?
Oder Odysseus, der zweckorientiert die
Moral biegt, seine Ziele erreicht, jedoch
Gefahr läuft, hierüber seine Mannschaft zu
verlieren? Dieses Dilemma kennen viele
Manager.
Die Ilias schildert, wie es Achilles im Krieg
um Troja immer wieder gelingt, das griechische Heer hinter sich zu scharen – weil
er starke Werte verkörpert und bereit ist,
für seine Überzeugung zu kämpfen. Selbst
gegenüber Agamemnon, dem griechischen
König, tritt er für seine Werte ein. Diese Begebenheit wird als „Zorn des Achilleus“ in
der Ilias besungen. Obrigkeitshörig ist
Achilles nicht, sein Kompass ist seine innere Haltung. Und dafür lieben ihn seine Männer und folgen ihm.
Dazu passt eine Geschichte, die mir der Inhaber einer kleinen Werbeagentur erzählte:
Ein Mitarbeiter seiner Firma kam zu ihm
und sagte: „Chef, wir haben doch einen
Computer bestellt. Die Firma hat zwei geliefert. Es steht jedoch nur einer auf der Rechnung. Was soll ich tun? Soll ich die Firma
auf den Fehler hinweisen, oder soll ich abwarten, ob von denen noch jemand den Fehler bemerkt?“
Odysseus – der Listige
Und Odysseus? Er ist der Listige, bekannt
für seinen scharfen Verstand und klugen
Ideen. Ohne ihn hätte es das trojanische
Ein Unternehmer, bei dem der Manager-Typ
Odysseus stark ausgeprägt ist, würde vermutlich dem Mitarbeiter antworten: „Lass’
uns den zweiten Computer behalten und
den Vorteil nutzen.“ Doch welche Botschaft
würde er damit an den Mitarbeiter senden?
Ganz klar: Sei opportunistisch! Sei stets
auf Deinen Vorteil bedacht – selbst wenn
Du hiermit anderen schadest.“ Wie lange
würde es dann wohl dauern, bis sich auch
der Mitarbeiter – getreu dieser Maxime –
auf Kosten des Unternehmers beziehungsweise seiner Firma bereichert? Was ist also
besser für Manager: Achilles oder Odysseus zu sein?
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Deshalb nochmals die Frage: Wer kann
Managern eher als Leitbild dienen:
Achilles, der „prinzipientreue Idealist“, oder
Odysseus, der „listige Grenzenüberwinder“? Vermutlich müssen Manager beide Helden-Typen in sich vereinen. Sie müssen zudem – situationsabhängig – für sich
immer wieder entscheiden, wie viel Raum
sie diesen beiden Manager-Typen bei ihrem
Handeln einräumen, damit sie einerseits
die nötige Wirkung entfalten und andererseits ihre persönliche Identität und Integrität bewahren.
Ein echtes Dilemma, das sich vermutlich im
Managementalltag nie ein für alle Mal lösen
lässt – insbesondere in Zeiten, in denen
sich die Rahmenbedingungen wirtschaftlichen und unternehmerischen Handelns
rasch ändern und die Zahl der Parameter,
die es bei Entscheidungen zu berücksichtigen gilt, kontinuierlich steigt. In ihnen geraten Manager immer wieder in Zielkonflikte.
Und in ihnen braucht auch die Frage „Was
macht eine gute Führung aus?“ immer wieder eine neue Antwort. Stellen Sie sich dieser Frage, damit Sie einen Kompass für Ihre
alltägliche Führungsarbeit haben.
Wie das Dilemma lösen?
Mit List und Tücke zum Ziel?
Pferd nicht gegeben. Und sogar die Götter
spielt er gegeneinander aus, um seine
Ziele zu erreichen. Für Odysseus gilt: Der
Zweck heiligt die Mittel. Es geht nicht darum ehrenvoll, sondern erfolgreich zu sein.
Und hierfür ist es in seiner (Werte-)Welt
auch legitim, zu lügen, zu betrügen und zu
tricksen.
Interessanterweise hat Odysseus seine
Mannschaft nicht im Griff. Seine Männer
stehen zwar zu ihm, doch sie gehorchen
ihm nicht immer. Und auf ihrer Irrfahrt zurück nach Ithaka sterben sie alle. Odysseus
überlebt als Einziger diese Reise.
Ein typisches
Management-Dilemma
Wer ist der echte, wahre Held? Achilles, der
klare Prinzipien hat und bereit ist, für sie
Opfer zu bringen – und dadurch eine
Jeder Manager steht im übertragenen Sinn
täglich mindestens einmal vor dieser Frage
– im Kontakt mit Kunden, mit Lieferanten,
mit Kollegen und Mitarbeitern. Und in einer
Welt, in der man an der Zielerreichung gemessen wird, ist die Versuchung groß, listig
zu sein – also stets zweckorientiert zu handeln, die Moral manchmal etwas zu verbiegen, Unangenehmes zu beschönigen oder
auszublenden. Vielleicht kommt man damit
sogar durch. Doch zu welchem Preis?
Das Problem ist nur: Den Griechen gelang
es, nachdem sie bereits zehn Jahre erfolglos gegen die Mauern von Troja angerannt
waren, mit Hilfe des „trojanischen Pferdes“
– also mit List und Tücke – endlich den
Krieg zu gewinnen. Und Odysseus schaffte
es, indem er seine Identität verleugnete
und sich „Niemand“ nannte, den Zyklop Polyphem zu übertölpeln und mit den meisten
seiner Männer dem sicheren Tod zu entrinnen. Und mittels einer List setzte er sogar
ein Naturgesetz beziehungsweise göttliches Gesetz außer Kraft – nämlich, dass jeder, der dem Gesang der Sirenen lauscht,
sterben muss. Odysseus war der erste
Mensch, dem dies nicht widerfuhr.
ZUM AUTOR
Dr. Georg Kraus ist Geschäftsführer der
international agierenden Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner. Er ist MitHerausgeber des „Handbuchs ChangeManagement“ (Cornelsen Verlag).
Hinweis: Am 27. Oktober veranstaltet
Dr. Kraus & Partner in München das
4. European Change Forum mit dem
Titel „How to be agile – Transforming
into a high performance organization.
Flexible. Human. Successful“. Bei dem
eintägigen Kongress wird außer dem
Thema Agiles Management auch die
Frage erörtert: Welchen Mindset brauchen Manager und Führungskräfte in einem stets komplexer und dynamischer
werdenden Umfeld?
Nähere Infos:
www.europeanchangeforum.org