AGUB-III-Beckenbodenzentrum Dr. Fischer Rüdesheim Info-Blatt für Patientinnen mit Beckenbodenstörungen und Übergewicht (BMI > 27 kg/m²) Sehr verehrte, liebe Patientin, nachdem wir nun seit über einem Jahr als zertifizierte Betreuer das ABC-Programm anbieten, konnten wir nun die erste Publikation der Daten vorbereiten. Ich möchte Ihnen gerne (vorab) diese Daten auf unserer Homepage präsentieren und Sie damit über das hervorragende Ergebnis informieren. Im Zusammenhang mit den Daten und den Empfehlungen unserer Arbeitsgemeinschaft Urogynäkologie (kurz AGUB) möchte ich Sie, falls Sie zu unseren (potentiellen) Patientinnen zählen und einerseits ein Problem mit dem Beckenboden haben Belastungsinkontinenz Dranginkontinenz Senkung Stuhlinkontinenz Chronische Verstopfung (Obstipation) dazu motivieren, sich über eine Teilnahme am ABC-Programm zu informieren, wenn ihre urogynäkologischen Probleme verbunden sind mit einem Body Mass Index (BMI) von über 27-30 kg/m². Adipositas stellt einen erheblichen Risikofaktor bei zahlreichen Gesundheitsstörungen dar, auch in der Urogynäkologie ist sie als solche relevant. So findet sich z.B. bei [1], dass es sich bei vaginalem Geburtsmodus, höherem Alter und Adipositas um gesicherte Risikofaktoren für die Entwicklung eines Genitaldeszensus handelt. Andere Autoren klassifizieren die Adipositas als fördernden Kofaktor z. B. bei Bump [2] und Weber [3) in ihrer pathophysiologisch orientierten Einteilung der Risikofaktoren in prädisponierende, auslösende, fördernde und dekompensierende Ereignisse. Fördernd sind hiernach ferner Rauchen, pulmonale Erkrankungen (COPD), Obstipation und eine belastende Freizeitoder Arbeitsbeschäftigung (häufiges oder schweres Heben). In einem Editorial des International Urogynaecologie Journals [4] wird der hohe BMI als Risikofaktor im Zusammenhang mit dem intraabdominellen (auf den Beckenboden wirkenden) Druck hervorgehoben [5]. Je nach Autor steigt das Risiko des Descensus genitalis bei einem BMI >30 kg/m² um bis zu 75 % [6-10]. Ebenso wird ein BMI > 30 kg/m² als cut-off-Wert für eine nachhaltig erfolgreiche operative Therapie beschrieben [11]. Andererseits stellt der Gewichtsverlust eine wirksame Therapie für die Behandlung der Belastungsinkontinenz dar, auch wenn nur 5% des Anfangsgewichts verloren werden [12]. Dabei stellt die Adipositas für die Belastungsharninkontinenz einen anerkannten Risikofaktor dar [13]. Auch nimmt mit steigendem BMI das Risiko für die Entwicklung einer symptomatischen Dranginkontinenz (Overactive bladder [OAB]) zu [14]. Aktuell liegen keine prospektiv randomisierten Studien zur Wirksamkeit von Lebensstiländerungen vor [15]. Die DGGG empfiehlt dennoch mit niedrigem Evidenzlevel den „Abbau von bekannten Risikofaktoren wie Adipositas, Nikotinabusus, chronischer Obstipation“ sowie „die digitale Unterstützung der Defäkation“ ... „und die Beckenbodenrehabilitation, wie das gezielte Anspannen vor intraabdominaler Druckerhöhung z.B. beim Heben von Lasten“ [16]. Hendrix et al. fanden eine signifikante Assoziation zwischen Gewicht und Deszensusprävalenz: Bei übergewichtigen Frauen (BMI 25-30 kg/m2) war, im Vergleich zu normalgewichtigen Frauen (BMI < 25 kg/m2), die Prävalenz von Deszensus uteri, Rektozele bzw. Zystozele um 31%, 38% bzw. 39% erhöht. Bei adipösen Frauen (BMI > 30 kg/m²) erhöhten sich diese Werte nochmals auf 40%, 75% bzw. 57% [17]. Kudish et al. beschreiben eine deutliche Assoziation zwischen Adipositas und Deszensusprogression [18]. Eine Aussage über die Befundstabilisierung eines Deszensus durch Gewichtsabnahme ist nur eingeschränkt möglich, da kein Vergleich mit einer Kontrollgruppe stattfand. In Publikationen zur Nachuntersuchung von Deszensusoperierten sind die Aussagen ebenfalls nicht eindeutig. So beschreibt z.B. Paula [19] keine signifikante Abhängigkeit von Patienten-BMI und der Häufigkeit von Deszensusrezidiven. Referenzwert war hierbei ebenfalls ein BMI ≥ 30kg/m2. Zwischen BMI und Erosionsrate bei Verwendung von Netzen ließ sich in der Meshgruppe ebenfalls kein signifikanter Zusammenhang feststellen (p = 1,000). Andere Autoren beschreiben hier einen Zusammenhang (z.B. [20]: „Risk factors for mesh exposure have not been completely understood. However, there are data showing an increased risk related to smoking, high body mass index (BMI), and increasing age, but also to sexual activity”). Eine subjektiv von den Patientinnen als schlechter empfundenes Ergebnis bei Deszensuseingriffen mit mehr Dyspareunie bei morphologisch nicht signifikanten Unterschieden im Ergebnis 35,69 +/- 18,97 Monate nach der OP bei einem BMI > 27,5 kg/m² [21]. Es liegt also nahe den einem in der Literatur immer wieder begegnenden Cut-off-Wert eines BMI von 28 (-30) kg/m² ernst zu nehmen und in der präoperativen Beratung der Patientin zu versuchen, die stark übergewichtige Senkungs- und oder Inkontinenzpatientin dazu zu bewegen, Gewicht zu reduzieren, einerseits um die Symptomatik der Belastungs- und Dranginkontinenz zu reduzieren und andererseits, im Falle einer erforderlichen Operation, die (Langzeit-)Ergebnisse zu verbessern. Mittelwert BMI Start BMI 6 Monate 40,76 kg/m² 33,87 kg/m² BMIReduktion 17,22 % BMIReduktion 18,94% BMIReduktion 22,86% Damit zeigt sich, dass das ABC-Programm eine hervorragende Komponente der multimodalen konservativen Behandlung der Störungen des urogynäkologischen Formenkreises darstellt. Unter Einbeziehung des ABC-Programmes ist es möglich einerseits Beschwerden der Patientinnen so zu reduzieren, dass deren Einwirkungen auf den Alltag sich soweit minimieren, dass eine weitergehende, vor allem operative Therapie nicht (mehr) erforderlich ist (aus Sicht der Frauen). Andererseits ist damit die Möglichkeit gegeben die Frauen solange zu begleiten, bis ihr BMI in einem Bereich angelangt ist, von dem bekannt ist, dass die Ergebnisse einer operativen Therapie bezüglich Ergebnis und Dauerhaftigkeit günstiger sind. Hinzu kommt natürlich die Reduktion der perioperativen Morbidität und Mortalität [22, 23]. Es ergibt sich aus dieser Beobachtungsstudie, dass mit dem grundsätzlich überall verfügbaren ABC-Programm den mit Adipositas behafteten (urogynäkologischen) Patientinnen ein validiertes und effektives, dabei aber auch kostengünstiges Programm angeboten werden kann, das durch konsequente Gewichtsreduktion entsprechend den Angaben in der Literatur geeignet ist, die Symptome des urogynäkologischen Leidens (Belastungs-, Dranginkontinenz und Senkungsbeschwerden) zu lindern/zum Verschwinden zu bringen und die Voraussetzungen für die Nachhaltigkeit einer operativen Intervention zu verbessern. Nach unseren Erfahrungen ist die Intensität der Arzt-Patientenbeziehung förderlich für das Führen und Betreuen der Teilnehmerinnen und in der Lage den Abnehmerfolg nachhaltig positiv zu beeinflussen. Wir würden uns freuen, wenn wir Sie interessieren konnten und würden Sie gerne auch hinsichtlich der Möglichkeiten und evtl. auch der Kostenbeteiligung durch die Krankenkassen beraten und im Rahmen des Programmes betreuen. Dr. Armin Fischer Chefarzt Zertifizierter ABC-Betreuer [1-23] Literatur beim Verfasser Nr. Alter Gewichtsreduktion [kg] Monat 0 1 53 17,1 - 4 58 21,4 5 58 6 SHIK Monat 6 UIK Monat 0 Monat 6 Deszensus Mona Monat t0 6 Subjektive Beschwerden Monat Monat 0 6 - - - post. III.° idem ODS, Descensus drückt massiv SHIK I.° regelm. Tröpfchen bei ungünstigen Bewegungen oder Husten/ Niesen ohne „Vorankündigung“ kaum noch Drangprobleme key-in-the-lock stört besonders imp. HD I.° vz. Tröpfchen bei ungünstigen Bewegungen oder Husten/ Niesen ohne „Vorankündigung “ Desc. vag. ant. gering klaffend e Urethra III.° post. I.° ant. idem 21,9 idem Senkung drückt Nykturie Druck ↓ (WP 2-3 sitzt jetzt stabil), Nykturie kaum noch 60 14,5 I.°-II.° 62 21,5 gering stark unter Oxyb. 3x5mg weniger sporadisch, Drang weg deutlich besser, Verlust nur noch in best. Sit., post. II.° ant. I.° HE ant. I.° post. I.° idem 9 I.°, aber nur, wenn sie Contam® nicht trägt idem key-in-the-lock stört besonders imperativer HD deutlich und störend leicht; manchmal Tröpfchen bei key-in-thelock-Problem Nykturie stört leicht kaum noch, Contam® sitzt jetzt gut deutlich besser, Verlust nur noch in best. Sit., Oxybutynin muss weiter genommen werden 10 62 14,6 II.° I.° idem 62 21,6 II.° I.° deutlich gebessert, nur noch in „stressigen“ Situationen kein Drang mehr, Trinkmenge normal ant. I.° post. II. 11 deutlich wg. ODS kein Oxybutynin möglich deszensusassoziiert Senkung drückt, SHIK I.-II.° UIK Gelenke/Bewegung Diabetes fast blind ODS und Harndrang dominieren gen. Lymphödem idem kurze Vorwarnzeit – Trinkmenge gering, Lichen sclerosus deutlich gebessert 13 54 9,3 I.° (allenfalls ) stark Nykturie 3-4 Drang gebessert, Nykturie nur noch 1(-2x) vag. ant. et post. I.°, uteri I.° ant.: II.° uteri: II.° post.: I.° idem Uterus myomatosus Übergewicht belastet sie subjektiv Mobilität durch Mortonneurom ↓, dann Tumorerkrankung diagn. → Abbruch ABC-Progr. nach 6 Monaten bemerkt sie kaum noch kaum noch Nykturie idem deutlich. weniger ODS (=obstipative Defäkationsstörung) kaum deutlich gebessert Tabelle: Verhalten der Beschwerden des urogyn. Symptomkomplexes im Rahmen der Teilnahme am ABC-Programm bei den 8 „urogynäkologisch“ motivierten Teilnehmerinnen (SHIK = Belastungsharninkontinenz; UIK = Dranginkontinenz; vag. = vagniae; ant. = anterior; post. = posterior; HD = Harndrang; key-in-the lock-Syndrom: plötzlich einschießender Harndrang beim Nach-Hause-Kommen, aus heiterem Himmel)
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