Gastkommentar: Griechisches Märchen

HandelsblattNr. 132 vom 14.07.2015 Seite 048
Gastkommentar
Griechisches Märchen
Europas Regierungen verschließen die Augen vor der Realität, warnt Thomas Mayer.
N
un wird alles gut. Die Euro-Staaten haben sechs
Monate lang mit der
griechischen Regierung
um weitere Hilfsgelder
gefeilscht. Alexis Tsipras
hat dabei atemberaubende Haken geschlagen. Und als krönenden
Abschluss haben sich die europäischen
Regierungschefs zu einer Marathonsitzung getroffen. Man hätte es nicht besser
in einer Seifenoper inszenieren können:
Griechenland und der Euro sind wieder
einmal auf dramatische Weise gerettet
worden.
Nun wird alles besser. Vergessen wir,
dass die griechische Wirtschaft in den letzten fünf Jahren auf keinen grünen Zweig
gekommen ist. Vergessen wir, dass weder
das griechische Volk noch seine Regierungen wirklich je umfassende Reformen der
politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse wollten. Vergessen wir das überwältigende Nein der Griechen dazu in ihrem
Referendum. Vergessen wir, dass Griechenland politisch wie wirtschaftlich weit mehr
seinen Nachbarn auf dem Balkan gleicht
als den Industrieländern, die den Kern der
Euro-Zone bilden. Vergessen wir, dass die
Euro-Zone mit Volkswirtschaften von so
unterschiedlichem Entwicklungsstand
und unterschiedlicher Leistungskraft, mit
denen sie zusammengezimmert wurde, eigentlich nicht funktionieren kann.
Setzen wir den politischen Gestaltungswillen vor die wirtschaftliche Realität! Gehen wir davon aus, dass die griechische
Regierung nun umfassende Strukturreformen durchsetzen wird – auch wenn sie keine parlamentarische Mehrheit hat. Nehmen wir an, dass sich durch den Verkauf
von Staatseigentum 50 Milliarden Euro erlösen lassen – auch wenn bisher das Interesse von Investoren an griechischem
Staatsbesitz kaum wahrnehmbar war. Beschließen wir doch einfach, dass von nun
an alles gut werden wird!
Natürlich wird nichts gut. Auch wenn
die Politik vor der Realität die Augen fest
verschließt, wird sie am Ende von ihr eingeholt werden. Wer sehen will, der sieht
die sich weitenden Bruchstellen in der Europäischen Währungsunion: (1) Für die
meisten Länder erweist sich die europäische Einheitswährung als Zwangsjacke,
die ihnen kaum Raum zum wirtschaftlichen Atmen lässt. (2) Die durch die
Zwangsjacke geschwächten Länder müs-
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sen von den stärkeren durch dauerhafte
Transfers unterstützt werden. (3) Wo diese
Transfers nicht ausreichen, muss die Zentralbank als Finanzierungsquelle einspringen. Denn fehlt ein finanzstarker zentraler
Einheitsstaat, der sich schützend vor die
Zentralbank stellen kann, dann ist diese
den Mitgliedsländern als Quelle zur Finanzierung ihrer Budgetdefizite ausgeliefert.
Von diesen Bruchstellen führt der Weg
über die Transfer- und Weichwährungsuni-
on letztendlich zum Scheitern der EWU.
Doch der Weg dahin wird sehr lang sein.
Die schwächeren Länder setzen auf die ihnen in der Transfer- und Weichwährungsunion zukommende Unterstützung. Zur
Einforderung der Unterstützung sind sie bereit, den politischen Druck zum Erhalt der
EWU beliebig zu steigern. Frankreich zählt
sich zu den Schwachen und den potenziellen Transferempfängern. Deshalb versteht
es sich als ihr Anwalt. Italien gebärdet sich
als Schutzmacht Griechenlands, weil es sich
von dieser Rolle selbst Schutz verspricht.
Kein Land, und sei es auch noch so ungeeignet für die EWU, darf je austreten. Denn ein
Austritt würde die fiskalischen und monetären Finanzhilfen durch die Gemeinschaft
der Länder und der EZB infrage stellen.
Dem Lager der Schwächeren gegenüber
steht ein Deutschland, das wegen seines
schlechten Gewissens nur unzulänglich
seine eigenen Interessen verfolgt. Auch die
Interessen der anderen Länder, die sich
von den Transferempfängern ausgebeutet
sehen, werden schlecht verteidigt. Nur
mühsam können die Gegensätze zwischen
beiden Lagern übertüncht werden. Darunter schwelen Misstrauen und Ärger.
Am Ende wird die EWU dadurch zu
Bruch gehen, dass sich die stärkeren Länder der finanziellen Ausbeutung und der
Aufweichung des Geldwerts durch die
schwächeren entziehen. Für die schwächeren Länder bringt die EWU handfeste finanzielle Vorteile in Form von billigen Krediten und Transfers. Sie werden alles tun,
um an der EWU festzuhalten. Die stärkeren Länder werden dagegen die EWU immer mehr als Belastung empfinden. An
Spaltung und Zerfall der EWU könnte
schließlich auch die Europäische Union
zerbrechen. Das würde der griechischen
Tragödie dann eine antike Größe geben.
Der Autor ist Gründungsdirektor
der Denkfabrik Flossbach von Storch.
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