AG2 Lsg - Universität Augsburg

DR. BENJAMIN ROGER, MAÎTRE EN DROIT (PARIS II)
ARBEITSGEMEINSCHAFT ZUM GRUNDKURS STRAFRECHT
WINTERSEMESTER 2015/2016
Gutachtentechnik/Subsumtion
Die Aufgabenstellung im Strafrecht besteht in aller Regel in der Anfertigung eines Gutachtens.
Dabei geht es um die Frage nach der Strafbarkeit eines oder mehrerer Beteiligten auf Grund eines
mitgeteilten Sachverhalts.
Zur Beantwortung dieser Frage überlegt man sich zunächst, nach welchen Delikten des Besonderen
Teils des StGB sich die einzelnen Beteiligten durch welche Handlung strafbar gemacht haben könnten.
Die Frage lautet konkret,
ob sich ein bestimmter Beteiligter durch eine bestimmte Handlung nach einer bestimmten
Strafvorschrift strafbar gemacht hat.
Dabei ist die Strafbarkeit – sofern sich aus dem Bearbeitungshinweis nichts anderes ergibt – nach allen
nicht ganz fernliegenden Strafvorschriften zu prüfen.
Dieser Aufbaugrundsatz ergibt sich zwingend aus folgenden Gründen:
Das Strafrecht beschäftigt sich – abstrakt gesagt – mit der Frage, wann der Staat eine Strafe – als
besonders einschneidende Form staatlichen Zwangs – gerechtfertigt verhängen kann. Dass dies in
einem freiheitlichen Rechtsstaat nur unter sehr strengen Voraussetzungen möglich sein darf, ist
selbstverständlich. Eine ganz wesentliche Voraussetzung dafür ist die Schuld des Täters; diese setzt
voraus, dass die Tat auf einem freien Willensentschluss beruht, somit persönlich vorwerfbar ist (sog.
Schuldprinzip). Das Schuldprinzip erfordert somit, dass die Strafbarkeit eines jeden einzelnen
Beteiligten selbständig geprüft und beurteilt wird (vgl. § 29 StGB).
Des Weiteren ist die Frage nach der Strafbarkeit eines bestimmten Beteiligten nach einem bestimmten
Delikt dahingehend zu konkretisieren, durch welche bestimmte Handlung er dieses möglicherweise
begangen haben könnte. Dies ergibt sich zum einen aus dem Prinzip des Tatstrafrechts, das unserem
geltenden Strafrecht im Wesentlichen zugrunde liegt. Gemeint ist damit, dass die Strafbarkeit an eine
bestimmte (gesetzlich umschriebene) Handlung anknüpft und nicht an die gesamte Lebensführung
des Täters oder an die von ihm künftig zu erwartenden Gefahren.
Zum anderen können rechtliche Normen in einem freiheitlichen Staat nur bestimmte Handlungen
verbieten oder gebieten. Nicht nach außen tretende Gesinnungen sind rechtlich und insbesondere
strafrechtlich nicht relevant. Daher knüpfen gesetzliche Normen – wie z.B. die einzelnen
Straftatbestände des Besonderen Teils – an Handlungen an, die entweder bei Strafe verboten
(Begehungsdelikte) oder geboten (Unterlassungsdelikte, d.h. Delikte, die man dadurch verwirklicht,
dass man eine bestimmte rechtlich gebotene Handlung nicht vornimmt, vgl. z.B. § 323c StGB) sind.
Aus dem Grundsatz nulla poena sine lege (Art. 103 II GG und § 1 StGB) ergibt sich schließlich, dass
die Strafbarkeit immer in Bezug auf einen bestimmten Straftatbestand des Besonderen Teils des
StGB zu prüfen ist.
↓↓↓↓
UNIVERSITÄT AU GSBURG
SEITE 2 V ON 8
Ein strafrechtliches Gutachten beginnt also stets mit folgendem Obersatz:
X (bestimmter Beteiligter) könnte sich durch die Handlung X wegen dem Delikt X gem. § X strafbar
gemacht haben.
Dieser Satz steht am Anfang jeder dieser Einzelprüfungen, also bevor untersucht wird, ob die
einzelnen Strafbarkeitsmerkmale nach dem mitgeteilten Sachverhalt gegeben sind. Diese erste
Grobstruktur dient auch der gedanklichen Klarheit bei der Bearbeitung des Falles.
Wie wird nun konkret ein Gutachten erstellt?
Dies lässt sich am besten erklären, wenn man von dem methodischen Gegenteil ausgeht: dem Urteil.
Das eigentliche Ziel der juristischen Arbeit ist es, über einen Lebenssachverhalt ein rechtliches Urteil
zu fällen. Ein Urteil sieht vereinfacht so aus, dass eine Rechtsfolge ausgesprochen wird und diese
Rechtsfolge anschließend begründet wird: Das Ergebnis steht also am Anfang. Um zu diesem Ergebnis
zu kommen, braucht man nun eine Methode, einen Lösungsweg. Das Gutachten ist der zuverlässigste
Weg, um zu einem Urteil zu kommen. Beim Gutachten steht umgekehrt das Ergebnis am Ende, am
Anfang werden die dafür notwendigen Fragen gestellt.
Gutachten und Urteil haben deshalb auch vollkommen unterschiedliche Stile. Bei einem Urteil lassen
sich die einzelnen Aussagen mit einem „denn“ verbinden, bei einem Gutachten kann man sich
zwischen die einzelnen Aussagen ein „also“ denken.
Mit Hilfe des Gutachtenstils kann man den Sachverhalt mit dem zu prüfenden gesetzlichen Merkmal
in Beziehung zu setzen, ohne – wie beim Urteilsstil – das Ergebnis vorwegzunehmen.
Dies geschieht mit Hilfe einer Subsumtion:
Die Subsumtion vollzieht sich in vier Schritten:
Einleitungssatz für die Prüfung des jeweiligen Tatbestandes:
z. B.: „X könnte sich aus § 223 Abs. 1 strafbar gemacht haben, indem er (…)“. (Konjunktiv)
1. Schritt: Konkrete Subsumtionsfrage, d.h. Frage, ob das abstrakte Tatbestandsmerkmal durch eine
bestimmte Sachverhaltsinformation erfüllt ist.
(Konjunktiv/Frageform).
2. Schritt: Definition des abstrakten Tatbestandsmerkmals.
3. Schritt: Prüfung, ob das konkrete Sachverhaltselement dem abstrakten Tatbestandsmerkmal
entspricht.
4. Schritt: Ergebnis
Diese Vorgehensweise ist im Grundsatz in einem Gutachten für jedes einzelne zu prüfende Merkmal
anzuwenden. Bei offensichtlich vorliegenden Merkmalen ist dies jedoch nicht nur zeitraubend,
sondern auch umständlich und daher schwer lesbar. Daher ist es zulässig, in solchen Fällen den
Urteilsstil zu wählen. Auch dann wird jedoch zumindest knapp der Sachverhalt mit dem Merkmal in
Verbindung gebracht. Dies kann entweder mit einer Kurzbegründung erfolgen oder bei ganz
evidentem Vorliegen auch ohne jegliche Begründung.
In einem Gutachten sollte man zwischen diesen unterschiedlichen Stilmitteln wechseln; dies wirkt
elegant und ist dadurch lesbarer. So zeigt man auch, dass man erkannt hat, worauf es bei der
Falllösung ankommt und worauf nicht.
UNIVERSITÄT AU GSBURG
SEITE 3 V ON 8
Deliktsaufbau
Bei der Prüfung der Strafbarkeit einer Person nach einem bestimmten Delikt des Besonderen Teils des
Strafrechts folgt man stets einem speziellen Aufbau, einem speziellen System. Sinn dieses Vorgehens
ist neben der Erleichterung der Fallprüfung vor allem eine gleichmäßige, vernünftige und
differenzierte Rechtsanwendung. Die Grundlage bildet dabei – wie oben bereits begründet – eine
menschliche Handlung (es kann schon zweifelhaft sein, ob überhaupt eine strafrechtlich relevante
Handlung vorliegt; dazu Hinweise in Arbeitspapier Nr. 3). Diese Handlung wird nach bestimmten – in
Wertungsstufen zusammengefassten – Gesichtspunkten beurteilt.
1. Zunächst muss die Handlung tatbestandsmäßig sein, d.h. vereinfacht, sie muss die Umstände
erfüllen, die die Besonderheit eines bestimmten Deliktes des Besonderen Teils des StGB darstellen.
Dabei wird zweckmäßigerweise zwischen objektiven und subjektiven Umständen getrennt.
2. Diese Handlung muss nun rechtswidrig sein, d.h. sie muss verboten sein. In der Regel ist eine
Handlung schon dann rechtswidrig, wenn sie tatbestandsmäßig ist. Ausnahmsweise kann sie jedoch
trotzdem rechtmäßig sein, wenn ein Rechtfertigungsgrund vorliegt, z.B. Notwehr (§ 32 StGB).
Wichtig ist jedoch, dass im Strafrecht nur tatbestandsmäßige Handlungen rechtswidrig sein können:
Erfüllt ein Verhalten keinen Tatbestand, ist es auch nicht (straf-) rechtswidrig. Daraus ergibt sich
zwingend, dass die Rechtswidrigkeit nach der Tatbestandsmäßigkeit zu prüfen ist.
Merke: Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit begründen insgesamt das Unrecht der Handlung
und unterscheiden sich dadurch, dass bei
der Tatbestandsmäßigkeit die unrechtsbegründenden Umstände,
bei der Rechtswidrigkeit die unrechtsausschließenden Umstände geprüft werden.
3. Die Handlung muss auch schuldhaft begangen worden sein, d.h., sie muss dem Täter vorgeworfen
werden können. Das dürfte in der Regel der Fall sein, da ein Mensch grundsätzlich für sein Verhalten
verantwortlich ist. Aber auch hier sind Ausnahmen denkbar, sofern der Täter z.B.
- auf Grund des Alters grundsätzlich noch nicht fähig ist, das Unrecht des Verhaltens zu erkennen oder
nach einer solchen Erkenntnis zu handeln (vgl. § 19 StGB),
- sofern er in diesem konkreten Fall nicht die Möglichkeit hatte zu erkennen, dass das Verhalten
Unrecht darstellt (fehlendes Unrechtsbewusstsein, vgl. § 17 StGB),
- oder er sich in einer außergewöhnlichen Bedrängnis befunden hat, wegen der es unzumutbar
erscheint, ein rechtmäßiges Verhalten zu verlangen (vgl. z.B. § 35 StGB).
Auch hier gilt, dass die Voraussetzung für die strafrechtliche Vorwerfbarkeit einer Handlung stets
deren Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit ist, so dass die Schuld erst nach der
Rechtswidrigkeit des Verhaltens geprüft werden darf, denn: Nur Unrecht ist rechtlich vorwerfbar.
4. Eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung ist dann auch in der Regel
strafbar, es sei denn, es liegen ausnahmsweise persönliche Strafausschließungs- oder
Strafaufhebungsgründe vor (z.B. § 24 StGB). Dies ist jedoch nur in bestimmten Einzelfällen zu
prüfen.
UNIVERSITÄT AU GSBURG
SEITE 4 V ON 8
Zusammenfassung:
Ein Verhalten wird
in der ersten Wertungsstufe anhand des gesetzlichen Tatbestands beurteilt
→ I. Tatbestandsmäßigkeit,
in der zweiten Wertungsstufe anhand der Gesamtrechtsordnung
→ II. Rechtswidrigkeit
und in der dritten Wertungsstufe danach, ob der Täter
konkret-individuell fähig war, den Gesetzesverstoß zu vermeiden
→ III. Schuld.
Daraus ergibt sich folgender Prüfungsaufbau:
I.
Tatbestandsmäßigkeit
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
IV. Sonstige Strafbarkeitsvoraussetzungen
Literaturhinweise zur Vertiefung: Roxin, AT I, 4. Aufl. (2006), § 7.
Zur Erinnerung:
Die erste Frage, nachdem sie den Sachverhalt gelesen haben, die sie sich immer stellen müssen,
lautet:
WER hat sich WODURCH (durch welche Handlung) WONACH (nach welcher Strafvorschrift)
strafbar gemacht?
Fall 1
A liefert sich einen heftigen verbalen Schlagabtausch mit ihrer Nachbarin N. Schließlich wirft sie
voller Wut eine der N gehörende Vase zu Boden. Wie von A gewollt, zerspringt das Gefäß in tausend
Teile.
Strafbarkeit der A?
UNIVERSITÄT AU GSBURG
SEITE 5 V ON 8
Einleitungssatz: A könnte sich wegen Sachbeschädigung aus § 303 I StGB1 strafbar gemacht
haben, indem sie die Vase zu Boden warf und diese dadurch zersprang.
I. Tatbestandsmäßigkeit
1. Objektiver Tatbestand
A müsste eine fremde Sache zerstört haben.
a)
1. Schritt: Bei der Vase müsste es sich zunächst um eine Sache im Sinne des § 303 I handeln.
2. Schritt: Sachen sind gem. § 90 BGB körperliche Gegenstände.
3. Schritt: Die Vase ist somit ein körperlicher Gegenstand und damit eine Sache.
b)
Die Vase müsste für A fremd gewesen sein. „Fremd“ heißt nicht herrenlos und nicht im Eigentum des
Täters stehend. Die Vase gehörte der N, war also fremd für A.
c)
Die Vase ist in tausend Teile zersprungen, also zerstört, da in ihrer Einheit völlig aufgehoben.
2. Subjektiver Tatbestand
A hat mit Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung gehandelt, also vorsätzlich bezüglich
aller objektiven Tatbestandsmerkmale. Sie wollte ja gerade, dass die Vase zerspringt. Sie handelte
demnach sogar absichtlich.
II. Rechtswidrigkeit
A handelte rechtswidrig, da kein Rechtsfertigungsgrund ersichtlich ist.
III. Schuld
A handelte schuldhaft. Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründe liegen nicht vor.
IV. Ergebnis: A ist strafbar wegen Sachbeschädigung gem. § 303 I StGB.
Die Köperverletzungstatbestände §§ 223 ff. StGB
Schutzgut des § 223 ist das körperliche Wohl des Menschen, und zwar durch Schutz seiner
körperlichen Integrität und Gesundheit.
Erforderlich ist also eine körperliche Auswirkung jedenfalls insoweit, als neben der Erschütterung
des seelischen Gleichgewichts zugleich eine Reizung der Empfindungsnerven des
Zentralnervensystems eintreten muss bzw. die psychischen Einwirkungen das Opfer in einen
pathologischen (krankhaft veränderten) Zustand versetzt haben; dies könnte z. B. beim Anspeien der
Fall sein.
Andererseits setzt der Körperlichkeitsbezug nicht unbedingt eine unmittelbare körperliche
Einwirkung (wie durch Berührung, Stoß) voraus, ebenso wenig wie eine solche schon ohne weiters
genügt.
Entscheidend ist vielmehr die körperliche Auswirkung. Diese kann auch durch mittelbare
Einwirkungen ausgelöst werden, z. B. durch Vorenthalten der Nahrung, durch Magenschmerz
verursachende Angst (aaO Rn. 4).
Ob die körperliche Misshandlung zu einer erheblichen Beeinträchtigung des körperlichen
Wohlbefindens geführt hat, erschließt sich aus der Sicht eines objektiven Betrachters, wobei
individuelle Faktoren berücksichtigt werden, wenn diese hinreichend objektivierbar sind, z. B. bei
neuropathologischer Überempfindlichkeit (aaO Rn. 4a). Fällt dieses Urteil positiv aus, ist die
Behandlung in der Regel auch als „übel und angemessen“ anzusehen.
Unterscheide: Geschützes Rechtsgut der §§ 223 ff. StGB ist die körperliche Unversehrtheit. Tatobjekt
ist eine andere Person, d.h. der geborene noch lebende Mensch.
1
§§ ohne Gesetzesangabe sind solche des StGB.
UNIVERSITÄT AU GSBURG
SEITE 6 V ON 8
Die vorsätzlichen Körperverletzungstatbestände haben folgende Systematik:
1. Grunddelikt ist § 223 StGB.
2. Die §§ 224 bis 227 StGB sind Qualifikationen mit unterschiedlichen Leitgedanken:
- bei § 224 StGB handelt es sich um besonders gefährliche Begehungsarten;
- bei § 225 StGB bildet die verwerfliche Missachtung einer besonderen Schutzpflicht den
Grundgedanken für die Strafschärfung;
- bei §§ 226, 227 ist Erschwerungsgrund das Ausmaß der Folgen der Körperverletzung.
→ § 226 I und § 227 StGB stellen eine besondere Variante einer Qualifikation dar, es handelt sich um
erfolgsqualifizierte Delikte.
Fall 2
A gibt ihrer Nachbarin im Verlaufe des Streits eine kräftige Ohrfeige. Bei N entsteht aufgrund der
Schlageinwirkung ein Hämatom („blauer Fleck“).
Strafbarkeit der A?
A könnte sich wegen Körperverletzung gem. § 223 I strafbar gemacht haben, indem sie die N
ohrfeigte und dadurch ein blauer Fleck entstand.
I. Tatbestandsmäßigkeit
1. Objektiver Tatbestand
A müsste die N körperlich misshandelt oder an der Gesundheit geschädigt haben.
a) Eine körperliche Misshandlung ist jede üble, unangemessene Behandlung, die sich mehr als nur
unerheblich auf das körperliche Wohlbefinden auswirkt. Eine kräftige Ohrfeige stellt eine solche
Behandlung dar, insbesondere wenn dadurch ein Hämatom entsteht. Eine Gesundheitsschädigung ist
das Hervorrufen, Verlängern oder Steigern eines krankhaften Zustandes. Ein Hämatom fällt
eindeutig darunter, da der blaue Fleck vom Normalzustand eines unverletzten Körpers abweicht.
A hat N körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt.
2. Subjektiver Tatbestand
A hat mit Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung gehandelt, also vorsätzlich bezüglich
aller objektiven Tatbestandsmerkmale. Sie wollte die N in ihrem körperlichen Wohlbefinden
beinträchtigen und nahm zumindest billigend in Kauf, dass dabei ein Hämatom entsteht.
II. Rechtswidrigkeit
A handelte rechtswidrig, da kein Rechtsfertigungsgrund ersichtlich ist.
III. Schuld
A handelte schuldhaft. Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründe liegen nicht vor.
IV. Ergebnis: A ist strafbar wegen Körperverletzung gem. § 223 I StGB.
Fall 3
Skinhead S fühlt sich durch den Anblick des Ausländers A provoziert. Um ihm eine Lektion zu
erteilen, schlägt er dem A mit einem Baseball-Schläger wuchtig auf den Kopf. A bricht ohnmächtig
zusammen.
Strafbarkeit des S? §§ 212, 211 sind nicht zu prüfen.
A.
S könnte sich wegen Körperverletzung gem. § 223 I strafbar gemacht haben, indem er A mit
dem Baseballschläger auf den Kopf schlug und dieser ohnmächtig zusammensank.
I. Tatbestandsmäßigkeit
1. Objektiver Tatbestand
S müsste A körperlich misshandelt oder an der Gesundheit geschädigt haben.
UNIVERSITÄT AU GSBURG
SEITE 7 V ON 8
a) Eine körperliche Misshandlung ist jede üble, unangemessene Behandlung, die sich mehr als nur
unerheblich auf das körperliche Wohlbefinden auswirkt. Der Schlag mit einem Baseballschläger
auf den Kopf des A fällt ohne Probleme darunter. Eine Gesundheitsschädigung ist das Hervorrufen,
Verlängern oder Steigern eines krankhaften Zustandes. Eine Ohnmacht ist ein krankhafter
Zustand.
S hat A körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt.
2. Subjektiver Tatbestand
S hat mit Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung gehandelt, also vorsätzlich bezüglich
aller objektiven Tatbestandsmerkmale. Er wollte gerade den A in seinem körperlichen Wohlbefinden
beinträchtigen und nahm zumindest billigend in Kauf, dass A dabei ohnmächtig wird.
II. Rechtswidrigkeit
S handelte rechtswidrig, da kein Rechtsfertigungsgrund ersichtlich ist.
III. Schuld
S handelte schuldhaft. Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründe liegen nicht vor.
IV. Ergebnis: S ist strafbar wegen Körperverletzung gem. § 223 I StGB.
B.
S könnte sich des Weiteren wegen gefährlicher Körperverletzung gem. § 223 I, 224 I Nr. 2, Nr. 5
strafbar gemacht haben, indem er A mit dem Baseballschläger auf den Kopf schlug und dieser
ohnmächtig zusammensank.
I. Tatbestandsmäßigkeit
1. Objektiver Tatbestand
a) S hat A körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt (s.o.).
b) Fraglich ist, ob der Schläger eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug darstellt. Eine Waffe ist
ein Gegenstand, der schon seiner wesensmäßigen Bestimmung nach dazu bestimmt ist,
Menschen zu verletzen. Ein Baseballschläger fällt nicht darunter, da dieser als Sportgerät konzipiert
ist. Ein gefährliches Werkzeug ist ein Gegenstand, der nach der Art und Weise seiner
Verwendung im konkreten Fall geeignet ist, erhebliche Verletzungen zu verursachen. Diese
Eigenschaft wohnt dem Baseballschläger inne. Dies zeigt der Umstand, dass A durch den wuchtigen
Schlag auf den Kopf ohnmächtig wurde.
c) Der Schlag auf den Kopf könnte des Weiteren eine das Leben gefährdende Behandlung iSd § 224 I
Nr. 5 darstellen. Die Lebensgefahr, die der Handlung innewohnt, wird nach der h.M. abstrakt
bestimmt und muss gerade nicht konkret vorgelegen haben (die obj. Eignung der Handlung reicht
aus). Ein wuchtiger Schlag auf den Kopf eines Menschen mit einem Baseballschläger ist jedoch schon
konkret lebensgefährdend, so dass hier keine Streitdiskussion erforderlich ist, ob eine abstrakte
Gefährlichkeit ausreicht. Der Schlag auf den Kopf stellt eine das Leben gefährdende Behandlung iSd §
224 I Nr. 5 dar.
2. Subj. Tatbestand
S hat mit Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung gehandelt, also vorsätzlich bezüglich
aller objektiven Tatbestandsmerkmale. Insbesondere wusste er um die Eigenschaft des
Baseballschlägers als gefährliches Werkzeug. Zum anderen kannte er die Umstände, die die
Lebensgefahr für A begründeten, da es allgemein bekannt ist, dass ein derartiger Schlag auf den Kopf
zu tödlichen Verletzungen führen kann. Es ist im Rahmen des subj. Tatbestandes bei § 224 Nr. 5 nicht
erforderlich , dass S eine konkrete Lebensgefahr für A erzeugen wollte.
II. Rechtswidrigkeit
S handelte rechtswidrig, da kein Rechtsfertigungsgrund ersichtlich ist.
UNIVERSITÄT AU GSBURG
SEITE 8 V ON 8
III. Schuld
S handelte schuldhaft. Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründe liegen nicht vor.
IV. Ergebnis: S ist strafbar wegen gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2,
Nr. 5.
Aufbauschema für die Prüfung eines Tatbestandes des Besonderen Teils:
I. Tatbestandsmäßigkeit
1. Objektiver Tatbestand (Obj. Voraussetzungen des jew. Straftatbestands)
2. Subjektiver Tatbestand (Vorsatz des Täters und subj. Voraussetzungen)
II. Rechtswidrigkeit
(Täter bleibt wegen fehlender Rechtswidrigkeit straflos, wenn ein Rechtfertigungsgrund greift. Bsp.:
§§ 32, 34 StGB, § 127 I StPO)
III. Schuld
(Täter bleibt wegen fehlender Schuld straflos, wenn ihm die Tat persönlich nicht vorwerfbar ist. Bsp.:
§§ 17, 19, 20, 35 StGB)