Prof. Dr. Gerd Antes, Cochrane Deutschland - Symposium

Klinische Studien im Wandel der Zeit –
Wo geht die Reise hin?
Gerd Antes
Cochrane Deutschland (www.cochrane.de)
Universitätsklinikum Freiburg
D|A|CH Symposium für klinische Studien
Freiburg 8. März 2016
Inhalt
– Evidenz im Kontext: Studien als Wissensgenerator,
Wissensakkumulation, Implementierung und Nutzung
– Verwerfungen im Wissensprozess
– Prospektive kontrollierte Studien und Herausforderungen durch
“einfachere“ Studientypen und Forschungsansätze
– Die Zukunft: Das Ende des RCT?
Studien – Studien - Studien
Information von ähnlichen
Menschen mit gleicher
Diagnostik oder Therapie
Neumann
Evidenz Produktion
Transfer von Forschung in die Praxis
50 %
1968 McMaster Universität, Kanada
1971 Buch von Archie Cochrane
1992 Oxford: Cochrane Collaboration
?
• Gesundheitsbehörden, Krankenkassen, Institutionen
• Klinische Forschung
• Patienten
Evidenz Nutzung
• Behandelnde Ärzte
Informierte
Entschungen
Forschung / Daten / Studien
Beratung
Shared decision making
???
!!!
Studienergebnisse
Wissenstransfer und Informationsflut
600.000 bis 1.000.000 abgeschlossene kontrollierte Studien
20.000+ randomisierte Studien / Jahr publiziert
45.000+ laufende klinische Studien ?
Keine Zeit
Die Wahrheit
Freiburger Ethikkommission
2000-2002:
48% publiziert
bis 2010
Turner et al. (2008). Selective publication
of antidepressant and its influence
on apparent efficacy. NEJM.
Overestimation of effectiveness of
antidepressive drugs 20% to 50%.
Berlin, 11. Mai 2011
Transfer von Forschung in die Praxis
global
Klinische Studien (randomisiert, kontrolliert, prospektiv)
Epidemiologische Studien (retrospektiv)
Health Technology
Assessment (HTA)
Klinische Leitlinien
50 %
Patienteninformation
lokal
EBM
Systematische Reviews
Eine Studie ist keine Studie:
Die Wissensraffinerie
1. Formulieren der Fragestellung
2. Systematische Suche in der Literatur
3. Qualitätsbewertung der Funde
4. Zusammenfassung der Evidenz
5. Interpretation der Ergebnisse
Juli 2011
Aktualisierung!!
Auch in Deutsch
Example
Thrombolyse nach
akutem Herzinfarkt
NEJM 1992
Forest Plot
Body of
Evidence
Thrombolyse (Streptokinase) nach akutem Herzinfarkt
Forest Plot:
Stop - Regel?
NEJM 1992
Cumulative Forest Plot:
Ungelöste Probleme
– Keine akzeptierte Stop – Regel
– Sind alle relevanten Studien gefunden und berücksichtigt?
– Auch 2016 keine auch nur annähernd sichere Methode zur
Identifikation der vorhandenen Evidenz
1987
RCTs of aprotinin in
cardiac surgery to
stop bleeding
Lancet 2005
Clinical Trials 2005
Annals of Internal Medicine 2011
Zitiert
2002
Die Cochrane Collaboration (seit 1993)
Trusted evidence. Informed decisions. Better health
Netzwerk von 30000+ aus Wissenschaft und Versorgung
Systematic Reviews mit Fehlerschutzprogramm:
Minimierung von systematischen Fehlern
Risk of Bias
Cochrane Library
Counts
März 2016
6791 reviews
2432 protocols
Impact Factor 2014:
6.032
Etliche Jahre Entwicklung bis zum Living Document
Qualitätsdefizite überall
Zentrales Problem: Der Publikationsprozess
Vertrauen in welche Evidenz?
Gegenwärtige Aktivitäten gegen selektives Berichten
I Studienregistrierung
II Publikationspflicht
III Vollen Zugang zu Studienberichten und Studiendaten bei
Behörden
WHO Register Netzwerk
Deutsches Register Klinischer Studien
who.int/ictrp
drks.de
Urologie
DRKS
Registrierung und
Ergebnisse ins Register
in USA seit 2007
gesetzlich gefordert
Wissen aus “einfacheren Quellen“
Beobachtungsstudien “ausreichend“
2006
Monitor Versorgungsforschung
01/09
Deutsch-Schweizerische Konsultationen zur Gesundheitspolitik 2011
(Krankenkassen Deutschland und Schweiz)
. . . . .
. . . . .
Selecting Observational
Studies for Comparing
Medical Interventions
AHRQ June 2010
Studies of routinely
collected health data
. . . may substantially
overestimate
treatment effects.
Die Macht des Glaubens
Ungehinderte Bewegung in der evidenzfreien Zone
I am convinced that it works …
… I find it presumptuous if
somebody comes along and
explains diseases, healing and
human beings with science
Health Minister
Nordrheinwestfalen (17.5 mio)
Februar 2016
Anekdoten als wissenschaftlicher Beweis
Nature 30 April 2015
Personalized medicine: Time for one-person trials
– n-of-1 trials: Historisch RCT in einzelnen Patienten, z. B AABBBA
– Obamas national Precision Medicine Initiative
– A cultural shift on many levels
– Basket trials, umbrella trials
– “Melanoma Research Alliance Dream Team clinical trial“
– „Only a fraction of the thousands of proposed biomarkers have been
shown useful in the clinic“
Making it happen?
1995
Big Data
Definition von Big Data
– 3 V‘s
– Datenmenge (Volume)
– Geschwindigkeit (Velocity)
– Unterschiedliche Beschaffenheit (Variety)
sozialen Netzwerken, Fotos, Videos,MP3-Dateien, Blogs,
Suchmaschinen, Tweets, Emails, Internet-Telefonie,
Musikstreaming oder Sensoren „intelligenter Geräte“
„Vierter Produktionsfaktor“
Beweis des Nutzens:
durch permanente Wiederholung des Unbewiesenen
So stützen erste Erfahrungen mit Big Data-Anwendungen auf
medizinischem Gebiet die Vision einer nicht mehr reaktiven,
sondern präventiven und personalisierten Medizin, die durch die
genaue Kenntnis individueller Risikofaktoren, subjektiver
Befindlichkeiten und möglicher Nebenwirkungen verabreichter
Medikamente möglich werden würde. Nach Schätzungen des
McKinsey Global Institute wären durch den Einsatz von Big Data
allein im US-amerikanischen Gesundheitswesen Effizienz- und
Qualitätssteigerungen im Wert von ca. 222 Mrd. € und für den
gesamten öffentlichen Sektor in Europa von jährlich 250 Mrd. €
möglich. Das Besondere bei Big Data-Analysen ist vor allem die
neue Qualität der Ergebnisse aus der Kombination bisher nicht
aufeinander bezogener Daten.
Von dem im März 2015 gestarteten
Deutschen Zentrum für Bioinformatik-Infrastruktur wird ein breites Portfolio
bioinformatischer Dienstleistungen angeboten.
Fundamentale Widersprüche
– Big Data beansprucht, unstrukturierte Daten zu analysieren
(Die nationale Kohorte ist nicht Big Data)
– Big Data beansprucht die Verantwortung für die Nutzungsrechte
aller Daten
– Big Data kann Analysen nicht reproduzieren, da die reale Welt sich
in jeder Sekunde verändert und nicht zurückgespult werden kann
Chris Anderson
16/2007 Wired Magazine:
The End of Theory. The Data Deluge
Makes the Scientific Method Obsolet
NZZ 11. Jan. 2015
Die Allianz der neuen Gegner von rigider Methodik:
Big Data, Innovation und Personalisierte Medizin
 Korrelation statt
Kausalität
 Die Lösung für jedes
Problem:
Mehr Daten
 Verantwortung für
den Umgang mit
Daten: vom Eigner
zum Nutzer
 Aufgabe der
Eckpfeiler von
Wissenschaftlichkeit
Technik statt Inhalt
Wiener
Zeitung
5. 11. 2015
Horizonte –
Schweizer
Wissenschaftsmagazin
September 2015
Qualitätsfreier Hype: Die Mantras
– Das Zeitalter der Kausalität ist vorüber, wir sind bereits im
Zeitalter der Korrelation
– Jedes Problem lässt sich durch mehr Daten (leicht) lösen
– Notwendig dafür ungehinderter freier Zugang zu allen Daten
– Deswegen:
Verantwortlichkeit für Daten vom Besitzer zum Benutzer!
Methodik: Nicht nötig
Subject of epidemiology
is the investigation of
causes of health related
event
Science of causation
Scíence helps you to
understand how our world
is and how it works
Der Feind ist überall
Wer ist schuldig? – Die Achse des Bösen
– Industrie
– Forscher und Wissenschaftler
– Fakultäten und Universitäten
– Ethikkommissionen
– Ärzte(schaft)
– Zeitschriften und Verlage
– Forschungsförderer,
Ministerien
– Regulatoren, Behörden
– HTA-Agenturen,
Leitliniengruppen etc.
– WHO
– Parlamente, Regierungen
 Patienten
Jens Baas, TK,
9. Feb. 2016 in SZ:
. . . , dass Daten von
Fitness-Trackern künftig
in der geplanten
elektronischen
Patientenakte
gesammelt und von den
Kassen verwaltet werden
sollen.
Dieses Feld dürften die Deutschen nicht den US-Internetkonzernen
überlassen, sondern sie müssen ihre Daten selbst in der Hand behalten.
Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin
4. März 2016 EbM-Kongress
Podiumsdiskussion:
"Gesundheits-Apps, Big Data,
Versorgungsforschung - Ist die Zukunft
von EbM bereits Vergangenheit?
Qualität auf allen Stufen!
London 8. Januar 2014
Research: increasing value, reducing waste
Paris 16. Mai 2014
“Improving reporting to decrease the waste of research”
Edinburgh 28. – 30. Sept. 2015
“Research Waste/EQUATOR Conference
7 Nov 2014
nach WS NIH,
Nature, Science
Fazit
– Die Studienwelt steht vor großen Herausforderungen und vor viel Druck
– Mehr wissenschaftlich valide Methodik, nicht weniger
– Qualität auf allen Stufen des Studien- und Wissensprozesses essentiell
– Institutionelle Basis für die Entwicklung und Realisierung einer
Gesamtstrategie „Wissen in der Medizin“ überfällig
Wer das beherzigt, gehört zu den Guten!
Mai 2013
Englisch: Testing Treatments
Als pdf und als html komplett
auf
de.testingtreatments.org
– www.cochrane.de
– www.cochrane.org
– www.thecochranelibrary.com