Wiedergänger und Werwölfe Ein Werk von Marietta 0 Einleitung Zombies und Mumien, Vampire und Werwölfe, Gespenster und Poltergeister. Seit Jahrzehnten beherrschen die ‚Wesen der Nacht’ Literatur und Fernsehen. Bram Stoker’s ‚Dracula’ und ‚Die Nacht der lebenden Toten’ sind nur zwei Beispiele aus einer Vielzahl von bekannten Romanen und Filmen. Die Frage, die sich nun stellt, ist, ob all diese übernatürlichen Ereignisse der Phantasie ihrer Schöpfer entsprungen sind oder vielleicht doch von irgendwoher stammen, die einen realen Hintergrund aufweisen. Besonders im Heidentum finden sich solche Quellen wieder. In diversen Schriften wird genau von eben diesen Wesen berichtet, die wir in der heutigen Zeit nur durch die Literatur und das Fernsehen kennen und dessen Existenz sich unserem rationalen Denken vollständig entziehen würde. Dennoch gibt es Quellen , die die Existenz solcher Wesen bezeugen. Es handelt sich bei diesen Quellen um mündliche Überlieferungen, die aufgeschrieben wurden oder auch geistliche Texte, die von Mönchen und kirchlichen Gelehrten verfasst wurden. Das Heidentum hat mit Hilfe dieser Texte und der mündlichen Tradition seine Spuren hinterlassen. Sowohl in den nordischen Ländern, als auch in den germanischen Gebieten finden wir Gespenster, Poltergeister, Alps und viele andere Wesen. In dieser Arbeit möchte ich mich mit den Wiedergängern befassen und auch einen Einblick in die VampirVorstellung des Mittelalters geben. Außerdem möchte ich noch auf den Werwolfsglauben eingehen und letztendlich auch das Auftreten von Wiedergängern in Tiergestalt kurz behandeln. 1 Wiedergänger Um Wiedergänger in den schriftlichen Texten auf deutschem Boden zu finden, muss man primär die geistlichen Texte betrachten. Eine der bedeutendsten Rollen nimmt dabei der ‚Dialogus miraculorum atque magnus visionum’ ein, der zwischen 1218 und 1223 von Caesarius von Heisterbach verfasst wurde. Die darin enthaltenen Materialien gehen hauptsächlich auf mündliche Überlieferungen zurück. Diese wurden nicht nur auf herkömmliche Art bearbeitet, sondern auch verchristlicht. Zu verstecken ist die Einstellung der Menschen des Mittelalters in diesen texten jedoch nicht. Besonders die ‚heidnischen’ Wiedergänger treten deutlich zum Vorschein.1 Um genau zu erklären, was ich mit den Überlieferungstexten zu den Wiedergängern meine, möchte ich an dieser Stelle zwei Beispiele für das Auftreten von Wiedergängern anführen. 1 Vgl. LECOUTEUX, Welt im Abseits, 172 – 173. Das erste Beispiel ist eine altnordische Überlieferung und stammt aus der ‚Saga der Leute vom Flói’, die um 1300 erschaffen wurde2: „(...) Als sie sich niedergelegt hatten, wurde mächtig an die Tür gepocht. Da rief einer von ihnen: ‚Gewiß eine gute Nachricht’! Er lief hinaus, verfiel aber sofort in Raserei (var∂ hann (p)egar aerr) und starb am nächsten Morgen. Ebenso ging es am nächsten Abend. Wieder raste einer und sagte, er sähe den Mann, der vorher gestorben war, auf sich zulaufen. Darauf befiel Josteins Schar eine Seuche, und sechs Männer starben daran; auch Jostein ergriff die Krankheit, und er verschied; all diese Leichen begrub man im Sande; Thorgils sprach zu seinen Leuten und hieß sie auf der Hut zu sein bei solch unerhörten Vorgängen. Nach dem Julfest gingen alle diese Männer um. Da ergriff die Seuche auch nach dem anderen. Der letzte, der aus dieser Welt schied, hieß Thorarin. Nun nahmen die Gespenstererscheinungen allmählich überhand (váru nú allmiklar aptrgöngur). All diese Männer waren tot in der Mitte von Gói – d.i. Anfang März. Als der Spuk wütete, konnten Thorgils und seine Leute nicht fort. Am meisten spukte es in dem Teil der Hütte, den Jostein und seine Gefährten bewohnt hatten. Thorgils ließ alle jene Leichen auf einem Holzstoß verbrennen, und von da ab geschah kein Unheil mehr von den Gespenstern.“3 4 Der zweite Text, aus dem deutschsprachigen Raum, ist eben aus der Materialsammlung des Caesarius von Heisterbach5: „Im Kölner Bistum, in einem Dorf namens Stammheim, wohnten zwei Ritter, von denen der eine Gunther hieß und der andere Hugo. Eines Nachts, während jener Gunther jenseits des Meeres weilte, führte die Magd seine Kinder, ehe sie zu Bett gingen, wegen eines natürlichen Bedürfnisses auf den Hof. Während sie neben ihnen stand, siehe, da schaute die Gestalt eines Weibes in schneeweißem gewand (species quaedam mulieres in veste nivea) und mit blassem Antlitz über den Zaun nach ihnen hin; während die Magd bei diesem Anblick vom Grausen gepackt wurde, ging das Gespenst (monstrum), ohne ein Wort zu sprechen, zu der Besitzung Hugos, die ganz nahe war; es schaute auch da auf gleiche Weise über den Zaun und ging dann zurück zum Friedhof, woher es gekommen war (deinde ad cimiterium de quo venerat rediens). Nach wenigen tagen erkrankte das ältere Sühnchen Gunthers und sagte: ‚Am 7.Tage werde ich sterben; nach anderen sieben tagen wird meine junge Schwester Dirina sterben’. Und so geschah es. Nach dem Tod der Kinder starben die Mutter und die Magd. Dies bezeugt zuverlässig unser Subprior Gerlach.“ „Der Mensch ist Bestandteil des Universums und der Tod ist Bestandteil des Menschen, der ihn in sich trägt, bis er reif ist und ihn dahinrafft.“6 Diese Aussage ist wichtig und sollte nicht vergessen werden, da Menschen leicht dazu neigen den Tod als ein schreckliches Phänomen zu sehen, das nicht natürlich scheint und nur Schmerz verursacht. 2 Beschrieben wird die Stelle, an der Thorgils, dessen Schiff an der grönländischen Küste zerschellt ist, mit den anderen Schiffbrüchigen eine Hütte baut. 3 Flóamanna saga cap.22, In: LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 122-123. 4 Die Texte gelten nur als einführende Beispiele und sollen nicht näher erörtert werden. 5 A. Jaffé, Geistererscheinungen und Vorzeichen, Zürich/Stuttgart 1958. In: LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 162 – 163. 6 LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 194. 1.1 Definition und Bezeichnung Bevor man nun auf die Materie an sich eingeht und beginnt Texte, wie den von Caesarius von Heisterbach zu analysieren, um mehr über Wiedergänger zu erfahren, muss man zuerst auf den Begriff ‚Wiedergänger’ an sich eingehen. Wiedergänger sind „verschiedene historisch, inhaltlich und kulturgeographisch zu differenzierende Vorstellungen des Toten- und Geisterglaubens, in deren Mittelpunkt menschliche Wesen stehen, die nach ihrem biologischen Tod nicht zur Ruhe kommen, sondern für befristete oder unbefristete Zeit im Diesseits fortleben, im näheren oder weiteren Umkreis ihrer Grabesstätte umgehen, an den Ort ihres irdischen Daseins zurückzukehren und fallweise auch die Macht haben, Lebende in den Tod nachzuholen.“7 Die einzelnen Bezeichnungen der Wiedergänger hängen von den Regionen ab, in denen sie vorkommen. Im Altnordischen bezeichnet man einen gefährlichen Toten, eine lebende Leiche oder auch einen Wiedergänger als draugr. Dieser Begriff stammt vom indogermanischen Wort *dreugh- für ‚schaden’ und ‚trügen’. Weitere Bezeichnungen, die in den Überlieferungen vorkommen, sind ganga vi∂ara, was ‚wiedergehen’ bedeutet, reimast, was für ‚spuken’ steht, mit reimlikr der ‚Wiedergängerei’ verwandt ist und aus dem indogermanischen Wort *erei- für ‚aufstehen, erstehen’ stammt, aptrgangr/aptrganga, das ‚das Umgehen’ oder ‚der Spuk’ bedeutet, aptrgöngumenn, welches ‚ die Umgehenden’ bezeichnet und schließlich das neuisländische Wort apturgöngur, welches für ‚Wiedergänger’ steht.8 9 Beschränken wir unseren Blick auf die Bezeichnungen in den Schriften, treffen wir auf solche wie lemures, die für ‚nächtliche Dämonen’ oder auch ‚sterbende, nächtliche lares mit Körpern’ stehen, wobei lares ‚wohlwollende Tote’ sind und besonders im antiken Rom eine große Rolle spielten.10 In den meisten Belegen der germanischen Glaubensvorstellung treffen wir auf die Begriffe monstrum und larva, wobei monstrum oder auch monstra für ‚Gespenst, Erscheinung, Wiedergänger’ steht und man diesen Wort wahrscheinlich aus dem lateinischen Verb monere für ‚warnen’ hergeleitet hat. Somit würde die Bezeichnung monstrum/monstra das ‚Vorzeichen eines unheilvollen Ereignisses’ sein. Andererseits bezeichnet der Begriff monstrum auch ein ‚Ungeheuer’, wobei man nicht weiß, woher diese Bedeutung stammen könnte.11 Die älteste Bezeichnung ist gilt, giskîn, die wir im Althochdeutschen finden und für ‚Erscheinung, Gespenst’ steht. Betrachten wir das 9. Jahrhundert treffen wir auf scinleih, das dem Begriff monstrum entspricht.12 „Im 10. Und 11. Jahrhundert begegnen wir zwei weiteren althochdeutschen Wörtern, die monstrum wiedergeben. Es sind egisun und thalamasca.“13 Egisun steht für ‚Horror, Schrecken’, während thalamasca den begriffen monstrum und larva entspricht. Schließlich begegnen wir im Mittelhochdeutschen den Bezeichnungen gespenst und gespüc. Gespenst stammt vom Verb ‚spanan’ für ‚verlocken, anraten, zureden’, während gespüc 7 8 9 10 11 12 13 HOOPS, RGA, 599. Bezeichnungen aus den anderen nordischen Ländern, habe ich absichtlich außer Acht gelassen. Vgl. HOOPs, RGA, 599. Vgl. LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 102. Vgl. LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 102. Vgl. LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 102. LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 103. auf das altniederdeutsche Wort spok zurückgeht und ‚alle, die an Zauber glauben’ bezeichnet.14 Man erkennt also, dass der Glaube an Gespenster und Geister, allgemein als Wiedergänger bezeichnet, in dieser Zeit sehr tief verwurzelt ist, dass aber auch die Menschen selbst versucht haben, sich damit auseinander zu setzen und es zu verstehen. 1.2 Eigenschaften von Wiedergängern Wir wissen nun, anhand der unterschiedlichen Bezeichnungen und der Definition, dass Wiedergänger Verstorbene sind, die auf Grund bestimmter Umstände wiederkehren. Dabei sollte man nun zuerst auf die Eigenschaften eingehen, die diese aufweisen. Meistens sind diese Verstorbenen Menschen gewesen, die schweigsam, streitsüchtig, bösartig und ungefällig waren und von der Gemeinschaft, in der sie lebten, oder auch von der eigenen Familie ungern oder überhaupt nicht akzeptiert wurden.15 „Sie [blieben] am Rande des gesellschaftlichen Lebens, denn Unannehmlichkeiten und Gezänk heben an, sobald sie sich einmischen.“16 Der persönliche Charakter den sie zu Lebzeiten hatten, aber auch die Übeltaten, die sie während ihres Lebens begangen haben, hindern sie daran den ewigen Frieden zu finden. Oft sind sie auch unzufrieden mit dem Grund für ihren Tod oder auch mit ihrer Art gelebt zu haben.17 „Die Geschichte der Wiedergänger lehrt uns [auch], dass die immerwährende Ruhe denen nicht vergönnt ist, die sich zu Lebzeiten nicht den gesellschaftlichen Pflichten und Gesetzen fügen wollten.“18 Während ihres Lebens konnten sie sich nicht in die Gemeinschaft einleben und dies ist ihnen nach ihrem Tod auch nicht vergönnt. Vergleichbar wäre dieses Ausschussverfahren mit den sündigen Menschen, die aus der Kirche ausgeschlossen werden. Somit waren die „friedlosen Toten Sünder“ für die christlichen Gemeinden.19 Die Eigenschaften der Verstorbenen können aber auch positiv sein, was bedeutet, dass die Wiedergänger den Weg in das Jenseits nicht gefunden haben. „Die Tatsache, dass der Tod überhaupt kein ende ist und dass er das zwischen den lebenden und den Dahingeschiedenen geknüpfte Band nicht zerreißen kann“20 spielt dabei auch eine wichtige Rolle. „Die Verstorbenen leben nicht jenseits von Zeit und Raum, sie sind an einen Ort oder an eine Sippe bzw. Familie gebunden und [...] sind [...] Menschen mit Fleisch, Blut und Gefühlen.“21 Die Eigenschaften, die jedoch alle Wiedergänger, also alle wiederkehrenden Toten, besitzen, ist der Lebensfunke, der alle Toten niemals verlässt, dem aber nicht alle Toten widerstehen können und sie dazu 14 15 16 17 18 19 20 21 Vgl. LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 108. Vgl. LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 171. LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 171. Vgl. LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 172. LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 172. Vgl. LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 172. LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 170. LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 170. verleitet nach dem Tod zurückzukehren.22 1.3 Gründe und äußere Umstände zum Wiederkehren Die Eigenschaften von Wiedergängern spielen eine enorme Rolle, wenn es darum geht die Gründe und auch äußeren Umstände von deren Wiederkehr zu betrachten. Ein Grund für das Wiederkehren ist, wie bereits erwähnt, ein frühzeitiger Tod bzw. ein ‚unseliger Tod’, also wenn man zu Tode kommt bevor die eigentliche Lebenszeit vorbei ist.23 Ein weiterer Grund ist das Überbringen einer Botschaft oder, im Zusammenhang mit dieser Botschaft, die Ankündigung des Todes. Dabei muss es sich nicht nur um den eigenen Tod gehen. Es kann sich auch um den Tod einer nahestehenden Person oder eines geliebten Menschen handeln, wie in diesem Beispiel aus der ‚Saga der Leute vom Lachswassertal’24 überliefert 25: „Am Abend desselben Tages ging Gudrun zur Kirche, als alle schon zu Bett waren. Als sie zur Kirchhofstür (kirkjugar∂shli∂it) kam, sah sie einen Wiedergänger (draugr) vor sich stehen. Er beugte sich über sie und sprach: ’Große Nachricht, Gudrun!’ sagte er. Diese erwiderte: ’Schweig, Elender!’ Sie ging auf die Kirche zu, wie sie sich vorgenommen hatte. Dort angekommen, glaubte sie zu sehen ( (p)a (p)óttisk hon sjá), dass Thorkel und seine Gefährten heimgekommen waren und vor der Kirche standen. Sie sah wie das Meerwasser aus ihren Kleidern topfte. Sie redeten sie nicht an, sondern betrat die Kirche und verweilte dort so lange, wie ihr gut schien. Dann ging sie nach Hause zurück und dachte, Thorkel und seine Leute wären schon dort. Als sie in die Stube kam, war aber niemand da. Sie dachte über die sonderbare Begegnung nach .... . Am Sonnabend vor Ostern erfuhr Gudurun Thorkels Tod.“ Eine andere Ursache für das Wiederkehren kann auch die Grabräuberei sein, wobei sich dabei der Tote vor Grabräubern wehrt und sein Eigentum zurückfordert. Aber auch die Liebe oder eine ungelöste Verbindung ist eine Ursache für das Wiederkehren von Toten.26 Der älteste Grund für das Wiederkehren der Verstorbenen ist die Rache. Dazu finden sich viele Quellen, die diesen Grund auch belegen können. In der Sigund/Siegfried-Saga verlautet Brynhild, dass sie nicht länger als ihr Geliebter leben will; Gunner/Gunther möchte sie nicht diesen Gedanken zu Ende führen lassen und bittet Högni/ Hagen um Hilfe, da er eine „postmortale Rache“ fürchtet27: „vita, ef meini mor∂för kono 22 23 24 25 26 27 Vgl. LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 200. Vgl. HOOPS, RGA, 601. Kapitel 67 Vgl. LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 174. Vgl. LECOUTEUX, Eine Welt im Abseits, 186. Vgl. LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 173. unz af méli enn mein komi.“ Wenn man die Gründe kennt, muss man sich auch Gedanken darüber machen, wann die Toten umgehen. Vor allem zeigen sie sich im Winter. Beispielsweise heißt es in der ‚Saga der Färinger’28, dass sich „nach dem Einzug des Winters [...] viele Spukgestalten [zeigten]“.29 In den meisten Fällen treten diese Phänomene von Wiedergängern im Dezember auf und werden im März wieder weniger. Zur zeit der Sonnenwende sind sie jedoch am häufigsten.30 Aber nicht nur die Jahreszeit ist wichtig für deren Auftreten, sondern auch die Tageszeit. „Es war unmöglich, draußen in Sicherheit zu bleiben, sobald die Sonne untergegangen war ( (p)égar er sól settisk)“ beschreibt die ‚Saga vom Gode Snorri’.31 32 In einem eddischen Gedicht wird der Grund für die Tageszeit des Auftauchens der Wiedergängerei noch einmal spezifiziert: „ver∂u eigi sva oer, at ein farir, dís Skjöldunga! draughúsa til! ver∂a öflgari allir á nottom dau∂ir dolgar, maer! en um daga liósa.“ (Sei nicht so wahnsinnig, o Dise der Skjöldungar, allein nachts zu den Totenbehausungen zu gehen; des Nachts sind alle Feinde mächtiger als am Tage.)33 Aber nicht nur die Zeit, auch der Ort, an dem Wiedergänger auftreten, spielt eine Rolle. Sie bleiben nämlich meist in der Nähe ihres Wohnortes oder treiben auch in ihrem früheren haus oder auf ihrem früheren Landbesitz ihr Unwesen. Wenn sie ein bestimmter Grund vorantreibt, verlassen sie aber in einigen Fällen ihren Besitz auch und legen dabei größere Strecken zurück.34 Die Toten helfen auch bei der Wahl des Wohnsitzes, da sie Germanen die Landnahme von diversen Bräuchen abhängig machten. Dabei konnten diese „beschließen, wo sich die Lebenden niederlassen [sollten].“35 In der Erzählung von Kveld-Ulf sagt dieser, bevor er schließlich auf einem Schiff stirbt, dass sein Sohn seinen Sarg in das offene Meer werfen soll und sich dann an der Stellen niederlassen, an der der Sarg des Vaters zu finden ist.36 In den Erzählungen wird deutlich, welche Gründe Wiedergänger haben um zurückzukehren. Eine Frage, die sich stellt, ist, warum nicht alle Toten zu Wiedergänger werden. An dieser Stelle spielt die Vorstellung der Seele eine große Rolle. Es gibt nämlich drei Sellenbegriffe bei den skandinavischen Völkern. ‚fylgja’, ‚hugr’ 28 29 30 31 32 33 34 35 36 Kapitel 34 LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 175. Vgl. LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 175. Kapitel 34 Vgl. LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 176. LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 176. Vgl. LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 177. Vgl. LECUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 178. Vgl. Landnámabók, a.a.O., Sturlubók 29. In: LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 178. und ‚hamr’ geben den Begriff ‚Seele’ wieder, weisen aber unterschiedliche Auffassungen der Seele auf. Die ‚fylgja’ verbindet den Menschen mit dem jenseits, die ‚hugr’ entspricht den lateinischen Begriffen ‚animus’ und ‚spiritus’ und das ‚hamr’ bezeichnet die innere Form oder Gestalt eines Menschen, wobei der Mensch mehrere solche Formen innehaben kann.37 Die unterschiedlichen Eigenschaften, die die Seele hat, werden nicht mit dem Tod beendet38, auch wenn sie vom Körper getrennt wird sobald dieser vollständig vernichtet wird.39 Ob man nun zurückkehrt oder dies nicht tut, hängt auch stark von dem Teil der Seele ab, der einen an das Diesseits bindet. Ist dieser Teil schwächer als die anderen beiden, ist es leichter für die Seele und somit für den Verstorbenen sich von der Welt zu lösen. 1.4 Schutzmaßnahmen Wenn man erst einmal die Gründe kennt, warum ein Wiedergänger zurückkehrt, ist es anschließend wichtig Schutzmaßnahmen einzuleiten, besonders wenn ein Motiv des Wiedergängers Rache ist. Die simpelste Methode ist sich einfach feindlich zu zeigen, damit der Tote versteht, dass er nicht erwünscht ist.40 Diese Methode hilft nur in den wenigsten Fällen. Bevor man jedoch auf kompliziertere Maßnahmen zurückgreift, gibt es noch gewöhnliche, wie die Köpfung, die Pfählung oder auch die Verbrennung der Leiche41: „Sá haf∂i verit á Groenlandi, si∂an kristni kom (p)angat, at menn váru grafnir á boejum, (p)ar sem öndu(∂) usk, í óvíg∂ri moldu. Skyldi setja staur upp af brjósti inum dau∂a, en sí∂an, er kennimenn kómu til, (p)á skyldi upp kippa staurinum ok ellar (p)ar í víg∂u vatni ok veita (p)ar yfirsöngva, (p)ótt (p)at væri miklu sí∂ar.“ (Es war Brauch gewesen auf Grönland, seit das Christentum dorthin gekommen war, die Leute auf dem Hof, wo sie starben, in ungeweihter erde zu bestatten. Man schlug ihnen einen Pfahl in die Brust und zog diesen heraus, wenn ein Priester dazu kam. Man goß dann Weihwasser darauf und sang Gebete über den Leichnam, aber sehr verspätet.)42 Man kann die Rückkehr eines Toten auch verhindern indem man den Leichnam versucht im Sarg festzuhalten. Dies konnte man erreichen durch unübliche Positionen der Leiche oder auch deren Fesselung. Außerdem heftete man die Haare am Sarg fest, umhüllte den Schädel mit Tüchern oder drückte der Leiche die Augen zu. 37 38 39 40 41 42 Beim Thema ‚Werwolf’ gehe ich auf diesen Punkt mit der Seele noch einmal ein. Vgl. LECUTEUX, Welt im Abseits, 185. Vgl. LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 231. Vgl. LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 180. HOOPS, RGA, 602. Saga Erichs des Roten. In: LECOUTEUX, Welt im Abseits, 184. Auch das Verstopfen von Mund und Nase, das Einnähen in Häuten oder Matten oder das Zusammenbinden der Schuhe wie auch das Anlegen von Höllenschuhen, um den Weg in das Jenseits zu erleichtern da dieser mit Nägeln versehrt ist43, versprechen Erfolg.44 Der größte Feind der Wiedergänger, und somit auch die effektivste Schutzmaßnahme, war schließlich in späterer Zeit das Christentum, was diese Erzählung deutlich zeigt: „Kodran, Thorvalds Vater, lehnt die neue, vom Bischof gepredigte Religion ab und erklärt, er habe einen Schutzgeist, ein Wesen, das die Gabe des zweiten Gesichts besitzt (spáma∂r) und in einem Felsen bzw. Stein wohnt; diese Kreatur habe sich seiner und seines Viehs angenommen. Der Bischof besprengt den Stein mit Weihwasser. In einem Traum erhält Kodran den Besuch des spáma∂r, der ihm Vorwürfe macht: Das Weihwasser habe ihn und seine Kinder gebrannt. Der Bischof wiederholt seinen Angriff, und der spáma∂r erscheint Kodran in jämmerlichen Zustand. Nach einem dritten Angriff des Bischofs zeigt er sich Kodran und nimmt Abschied von ihm.“45 Ein weiteres Beispiel zeigt sich in der Olaf-Saga, denn als eben dieser König sich in einer Hütte aufhielt, von dem der Erzähler berichtet, dass böse Geister darin herumspuken, bete er und hört furchtbare Schreie, die sagen: „Die Gebete König Olafs brennen mich so sehr, dass ich nicht länger in meinem Haus bleiben kann. Ich muss fliehen und ich werde nie wiederkommen.“46 Besonders zur Zeit als das Christentum vorherrschte, war es Brauch tote Sünder an einem Seil unter der Schwelle des Hauses zu ziehen, weil man sie nicht anfassen darf: „Dâ sult irn an daz velt ziehen als ein schelmigez rint [...] unde sol in ouch deheine getouƒtiu hant niemer mêr an gerüeren für daz diu sêle ûs dem lîbe kumt [...].Dâ sol man im ein seil an den fuoz legen mit einem gäbelehten holze [...] unde solt danne daz seil zuo ziehen unde binden dînem rossen zuo dem zagel, unde heiz in ûf das velt ziehen. Bruoder Bertolt, ob diu swelle danne hôch ist unde wirn an die swellen bringen, sô müezen wir dannoch an grîfen. – Niht, in deheine wîse! Ir sult eine gruoben in die erden graben under der swellen unde sult in under der swellen hin an daz velt ziehen als ein schelmigez rint zuo dem galgen unde zuo des galgen friunden oder an daz wilde moos, wan der lîp ist destiuvels und ouch diu sêle.“47 Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten auch auf friedliche Weise mit Wiedergängern bzw. den Geistern von Verstorbenen in Einklang zu glauben. Durch das Abschießen eines brennenden Pfeils über eine bestimmtes Gebiet, möchte man sich der Geister dieses Stück Land entlegen.48 Aber auch bei der Erbauung von Gebäuden muss man die Geister fernhalten indem man einen gar∂r baut, also eine Art religiöses Band oder ein religiöser Bannkreis.49 43 44 45 46 47 48 49 Vgl. LECOUTEUX; Welt im Abseits, 179. Vgl. HOOPS, RGA, 602. (P)orvalds (p)áttr vi∂ƒörla, cap.2. In: LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 181. Vgl. Olafs saga hins helga, cap 67, a.a.O.. In: LECOUTEUX, Gespenster und Wiedergänger, 181. Vgl. LECOUTEUX, Welt im Abseits, 177. Vgl. LECOUTEUX, Welt im Abseits, 15. Vgl. LECOUTEUX, Welt im Abseits, 18. Aber auch eine Allianz zwischen den Lebenden und den toten ist möglich. Dies gilt, wenn die Geister der Verstorbenen als Schutzgeister dienen und Haus und Hof bewachen und verteidigen. Dies gilt vor allem für verstorbene Familienmitglieder, die einem wohl gesinnt waren. 1 Eine besondere Art von Wiedergängern: der Vampir Eine besondere Art der Wiedergänger, die auch bis in die heutige Zeit reicht, ist die des Vampirs. Die Vorstellung des uns bekannten Vampirbegriffs besteht erst seit dem 19. Jahrhundert. Auf das 12. Jahrhundert hingegen gehen die frühesten Vampirgeschichten aus dem christlichen Mittelalter zurück. Erschienen sind sie in William Newburghs ‚Historia Rerum Anglicarum: „Ein Mann, der ein lasterhaftes und unehrliches Leben führte, starb, ohne die letzte Beichte abgelegt zu haben, nachdem er seine Frau mit einem kräftigen Jüngling im bett erwischt hatte. Durch die Macht des Satans entstieg darauf der Tote immer wieder in den finsteren Stunden seinem Grab und versetzte die Einwohner der Gegend in Angst und Schrecken. Bald wurde die Luft faul und verdorben, wenn dieser stinkende und verweste Leichnam herumwanderte, und eine schreckliche Pest brach aus, die die örtliche Bevölkerung dezimierte. Während sich der Priester der Gemeinde und einige weise und fromme Männer mit anderen führenden Bürgern traf, rückten zwei jüngere Brüder, deren Vater an der Pest gestorben war, aus, um dessen Tod zu rächen. Wahnsinnig vor Kummer und Zorn gruben sie den Körper des Vampirs aus der Erde und durchstachen ihn mit einem scharfen Spaten. Ein Strom warmen, roten Blutes aus der Wunde war der Beweis, dass sich das Monster am Blut vieler armer Leute fettgemästet hatte. Die beiden Brüder schleppten den Körper hinaus vor die Ortschaft, und verbrannten ihn auf einem großen Scheiterhaufen, während der Gemeindepfarrer und die führenden Männer des Kreises zusahen. Kaum war das infernalische Monster auf diese Weise vernichtet, so verschwand die Pest, die so schmerzlich unter den Leuten gewütet hatte, zur Gänze, als sei die verpestete Luft durch das Feuer, das die Höllenbrut vernichtete, welche die ganze Atmosphäre vergiftet hatte, gereinigt worden.“50 Bereits an diesem Text wird klar, as den Vampir sowohl im Mittelalter als auch bis in die heutige zeit ausmacht, denn für ihn ist Blut wichtig. Seit jeher manifestiert sich nämlich die Vorstellung, dass Blut Leben ist.51 Blut ist somit das höchste Gut für die Wiedergänger bzw., in diesem Fall, Vampire, da es als ‚wichtigste Lebensessenz’ gilt. Auch beim Versuch Tote zum Leben zu erwecken, spielt es die wichtigste Rolle, da man dadurch eine Zwischenexistenz zwischen Leben und Tod aufrecht erhält.52 1.1 50 51 52 Wer zum Vampir wird und auf welche Art Vgl. William Newburghs ‚Historia Rerum Anglicarum. In: SCHMIDT, Klaus M., Dracula, 188. Vgl. HOOPS, RGA, 379. Vgl. SCHMIDT, Klaus M, Dracula, 187. In der Literatur wird die Verwandlung in einen Vampir durch einen Biss hervorgerufen. Es gibt aber auch Schriften in dem die Verwandlung unerklärt bleibt.53 Blickt man nun in die Literatur des Mittelalters, hängt die Verwandlung vom Zeitpunkt des Todes ab, da dieser als der entscheidende Moment dafür gilt das Schicksal des Toten zu beeinflussen: „[...]Sein Sohn, der in der Nacht bei ihm wachte, bemerkte um die dritte Stunde eine Katze, die das Fenster aufstieß und auf das Gesicht des Sterbenden sprang, als wollte sie ihn mitnehmen, dann machte sie sich wieder davon. In diesem Augenblick kam der Tod über ihn. Man verschwieg Cuntzes schreckliches Ende und bestattete ihn in der Kirche in der Nähe des Altars. [...]Drei Tage später zeigte sich ein Gespenst, das wie der Tote aussah; es quälte die Schlafenden in ihren Betten und das Vieh in den Ställen. Dies wiederholte sich mehrmals: das Gespenst sprang auf die Leute und würgte sie dermaßen, dass die Würgemale noch lange sichtbar blieben[...].Als man eine Wunde in den Leichnam schlug, quoll frisches Blut heraus, obwohl der Tote vom 8. Februar bis zum 20.August in der Erde geruht hatte.[...]54 In diesem bericht ist der Grund für die Verwandlung eine teuflische Katze. Ein Biss wird jedoch nicht erwähnt, auch nicht der Austausch von Blut. Das Blut spielt dennoch eine große Rolle, da es den Toten am Leben hält. Eine andere wichtige Besonderheit dieses Textes ist auch, dass die Bestattung in der Kirche eine Verwandlung nicht verhindern konnte.55 Die alten Quellen erwähnen auch potentielle Gruppen, die zu Vampire werden können. Dazu zählen rothaarige Menschen, Brüder, die im selben Monat geboren sind oder auch Menschen, die zu ihren Lebzeiten Werwölfe waren. Aber auch bei diesen Gruppierungen wird nicht deutlich, warum gerade diese Vampire werden.56 Bestimmte äußere Umstände, wie die Tageszeit, in der Tote beerdigt wird, können auch eine Verwandlung herbeiführen, wie in diesem lettischen Volkslied betont: „Beerdigt mich vor der Mittagsstund, Nach dem Mittag beerdigt mich nicht, Nach dem Mittag die Kinder Gottes Schließen die Pforten des Himmels.“ Behauptet wird, dass Menschen, die dennoch nach der Mittagsstunde begraben wurden, ihre Eltern töten, Leute quälen oder auch foltern. Außerdem essen sie das Herz von Menschen und Tieren und saugen auch dessen Blut aus. Sie besitzen auch die Fähigkeit sich in Tiere zu verwandeln und verschwinden sobald die Sonne aufgeht, was bedeutet, dass sie sich nur des Nachts fortbewegen.57 Hier ist eindeutig, dass der Tote zu einem Vampir geworden ist, der nun sein Unwesen treibt, weil er nicht in den Himmel eingelassen wurde. 53 54 55 56 57 Vgl. LECOUTEUX, Vampire, 67. Vgl. LECOUTEUX, Vampire, 68f. Vgl. LECOUTEUX, Vampire, 69. Vgl. LECOUTEUX, Vampire, 70. Vgl. LECOUTEUX, Vampire, 70f. Tote können auch zu Vampiren werden, wenn sie hungrig sind, da sie ihr Grab darin nur verlassen, um ihren Durst nach Blut zu stillen, womit man wieder bei der Ansicht ist, dass Blut Leben ist. 1.2 Vorläufer des Vampirs Da wir im Mittelalter nicht vom Vampir an sich sprechen können, sind auch die Vorläufer des Vampirs zu erwähnen. In West- und Nordeuropa sind blutsaugende Tote in dieser Zeit sehr selten. Man begegnet ihnen vor allem in Rumänien, also im südslawischen Raum. Zunächst zu erwähnen wäre der ‚Rufer’, der ein in Fleisch und Blut erscheinender Toter ist, der die Lebenden bei ihrem Namen ruft, was jedoch zu deren sofortigen Tod führt. Ein solcher ‚Rufer’ soll zwischen 1149 und 1182 in Wales erschienen sein58: „Herr, ich bin gekommen, um Euren rat einzuholen. Vor nicht allzu langer Zeit ist in meinem Dorf ein gewisser Waliser, ein übler Bursche, auf merkwürdige Weise zu Tode gekommen. Vier Tage nach seinem Tod ist er wieder erschienen, und seitdem kommt er alle Nächte und hört nicht auf, die Bewohner des Dorfes bei ihrem Namen zu rufen, einen nach dem anderen. Sie verfallen in Siechtum und sterben drei Tage später, dergestalt, dass nicht mehr viele Menschen im Dorf übrigbleiben.“59 Um den ‚Rufer’ zu vernichten, musste man jedoch auch drastische Maßnahmen ergreifen, wie es auch bei anderen Wiedergängern der Fall ist: „Eines Nachts, als kaum jemand mehr im Dorf war, rief der Tote den besagten Wilhelm dreimal hintereinander an. Da dieser ein mutiger und gescheiter Mann war, ergriff er rasch – ohne sich anzukleiden – sein Schwert und verfolgte den fliehenden Dämon bis zu seinem Grab. In dem Augenblick, als jener hineinfahren wollte, spaltete dieser ihm den Schädel bis zum hals. Von da an hörte diese umherschweifende Plage auf, den Leuten zuzusetzen und tat ihnen niemals mehr als Böses an.“60 Diese Maßnahmen erschienen als Mischung aus heidnischen Bräuchen, die Trennung des Kopfes mit einem Spaten, und christlichen Bräuchen, die Besprengung des Grabes mit Weihwasser. Ein weiterer Vorgänger des Vampirs ist der ‚Klopfer’, der sich vom ‚Rufer’ nur durch die Tatsache unterscheidet, dass er an der Tür der Lebenden klopft, um sie zu töten61: „Es war schönes Wetter am Jultag, und die Leute hielten sich den ganzen Tag über draußen auf. Am zweiten Tag legten sich Thorgils und seine Leute früh zum schlafen nieder; sie schliefen schon, als Jostein und die Seinen lärmend ins Haus kamen und sich zu ihren Schlafplätzen begaben. Gerade hatten sie sich ausgestreckt, da hörten sie, dass jemand an die Tür klopfte. Einer von Josteins Gefährten sprang mit einem Satz auf und rief: ’Das ist bestimmt eine gute Nachricht.’ Er trat vor die Tür, wurde aber von Wahnsinn erfasst und starb 58 59 60 61 Vgl. LECOUTEUX, Vampire, 74f. MAP, Walter, Wunder in Wales. In: LECOUTEUX, Vampire, 75. LECOUTEUX, Vampire, 75. Vgl. LECOUTEUX, Vampire, 77. am folgenden Tag. Dasselbe geschah in der nächsten Nacht: ein Mann wurde wahnsinnig und gab an, er habe gesehen, wie sich der Tote des Vortages auf ihn gestürzt habe.“62 Der ‚Verschlinger’ fällt in das Schema des ‚hungrigen Toten’ und tauchte um das 11. Jahrhundert herum auf. Er taucht auch im 14. Jahrhundert in der ‚saga von Egil dem Einhändigen und Asmund dem Berserkertöter’ auf63: „Aran und Asmund haben einen Freundschaftsbund geschlossen und einander geschworen, dass, wer den anderen überlebe, sich mit ihm für drei tage begraben lasse. Da stirbt Aran, und Asmund lässt ihn mit Ross, Hund und Falken in einem Hügelgrab beisetzen, worin er sich selbst begibt, seinem Gelübde treu. Da sieht er, wie Aran in der ersten Nacht Hund und Falken verzehrt, in der zweiten sein Ross, wobei er Asmund zum Mitessen auffordert und einen gräulichen Anblick bietet: Das Blut rinnt ihm über die Kiefer! In der dritten acht macht er sich an Asmund selbst, der schlummert, und beißt ihm ein Ohr ab. Da erwacht Asmund, ringt mit dem Toten, bewältigt ihn endlich, schlägt ihm den Kopf ab und verbrennt seine Leiche.“64 Diese Saga zeigt, dass die Toten zu ‚Vampiren’ werden und aus ihrem Grab kommen, um nach Nehrung zu suchen. Auch hier wird, um den Toten zu vernichten, der Kopf abgeschlagen. Außerdem wird der ‚Verschlinger’ auch gepfählt, eine Maßnahme, die bis in die heutige Zeit zur Vernichtung des Vampirs beiträgt. Auch Burchhard von Worms hat verkündet, dass „wenn eine Frau ihr Kind nicht zur Welt bringen kann und in den Wehen stirbt, durchbohrt man Frau und ihr Kleines, selbst noch im Grab, mit einem Stab und nagelt sie so an der Erde fest.“65 Hinter diesen Maßnahmen verbirgt sich auch die Angst vor einer Wiederkehr als Untote von Muter und Kind, in unserem Fall, der Wiederkehr als ‚Vampire’. Ein weiterer möglicher Vorgänger wäre der ‚Aufhocker’. Dies ist ein Toter bzw. ein Geist, der sich an bestimmten Orten auf den Rücken von Menschen wirft und sich von ihnen ein Stück tragen lässt. Das Opfer verharrt in einem Schockzustand, als würde ihm die Lebenskraft ausgesaugt werden.66 Schließlich ist noch der ‚Nachzehrer’ zu erwähnen, ein passiver Vampir, der sein Grab nicht verlässt, sondern seine Mitmenschen umbringt, indem er sein Leichentuch oder auch teile von sich selbst frisst. Auch Luther wurde dieses Problem offenbart, welches er im Rahmen einer ‚Tischrede’ beantwortet: Es schrieb ein Pfarrherr M. Georgen Rörer gen Wittenberg, wie ein Weib auf einem Dorf gestorben wäre, und nun, weil sie begraben, fresse sie sich selbst im Grabe, darum wären schier alle Menschen im selben Dorf gestorben. Und bat, er wolle D. Martin fragen, was er dazu riete. Der sprach: ‚Das ist des Teufels Betrügerei und Bosheit; wenn sie es nicht gläubeten, so schadete es ihnen nicht, und hieltens gewiss für nichts anders, 62 63 64 65 66 Flóamanna saga. In: LECOUTEUX, Vampire, 77. Vgl. LECOUTEUX, Vampire, 85. Saga von Egil dem Einhändigen und Asmund dem Berserkertöter. In: LECOUTEUX, Vampire, 85. Burchhard von Worms. In: LECOUTEUX, Vampire, 86. Vgl. LECOUTEUX, Vampire, 90. denn für des Teufels Gespenst. Aber wie sie so abergläubisch wären, so stürben sie nur immerdar je mehr dahin. Und wenn man solchs wüsste, sollt man die Leute nicht so freventlich ins Grab werfen, sondern sagen: Da friß, Teufel, da hast du Gesalzens! Du betreugest uns nicht!’“67 Abschließend kann man behaupten, dass als Vampire nur die Art von Wiedergängern bezeichnet wird, die den Lebenden das Blut aussaugen.68 Auf welche Art und Weise die anderen ‚Vorgänger der Vampire’ zu bezeichnen sind, ist jedoch nicht zu klären. 2 Werwolf Nicht nur der Glaube an Untote stammt aus dem Mittelalter, auch andere paranormale Phänomene sind in den Schriften dieser Zeit zu entdecken beispielsweise das des Werwolfs. Ein Werwolf ist nach heutigem Verständnis ein Mensch, egal ob männlich oder weiblich, der sich in einem Wolf verwandeln kann. Im Prinzip ist der Werwolfsglaube derselbe geblieben und hat nicht viele Wandlungen erlebt. Dennoch finden wir auch hier diverse Überlieferungen zur Entstehung des Werwolfs und zu dessen Verwandlung. 3.1 Bezeichnung und Quellen Der Werwolf ist eine „mythologische Bezeichnung für einen Menschen, der auch in Wolfsgestalt auftreten kann.“69 Der Begriff an sich ist jung und aus der christlichen Tradition, die Vorstellung des Werwolfs hingegen ist aus älterer Zeit. Das Wort Werwolf setzt sich zusammen aus dem Begriff verr, was ‚Mensch’ oder ‚Mann’ bedeutet, und úlfr, was ‚Wolf’ bedeutet, zusammen. Es besteht aber auch die Theorie, dass der erste Teil des Wortes sich von der alten Wortform *wazi = kleiden ableitet und nicht von *wera = Mensch. Ursprünglich wäre der Werwolf somit mit ulfshamr, was ‚Wolfsgestalt, Wolfshaut’ bedeutet, gleichbedeutend. Vergleichen kann man dies auch mit ulfhe∂inn = Wolfshaut.70 Die Quellen, die vom Werwolfs-Glauben berichten sind zahlreich. Eine ist die von Herodot, der von einer osteuropäischen Volksgruppe, den Neuri, berichtet, die sich einmal jährlich allesamt in Werwölfe verwandelten. Plinius der Ältere erwähnt die Anthus, einem Volk in Arkadien, die einen unter ihnen ausmachten, der seine 67 68 69 70 Vgl. LECOUTEUX, Vampire, 98. Vgl. LECOUTEUX, Vampire, 98. GRIMM, Deutsches Wörterbuch, 504. HOOPS, RGA, 203. Kleider ablegen sollte, um sich in einen Wolf zu verwandeln und neun Jahre als dieser im Wald zu leben.71 Die bekannteste und erste Werwolf-Überlieferung ist aus der Antike und liegt in vielen verschiedenen Versionen vor, wobei der Grundgedanke derselbe ist: „Jupiter wollte Lykaon aufsuchen, um festzustellen, ob die Geschichten, die er über die Schlechtigkeit der Sterblichen gehört hatte, der Wahrheit entsprachen. Er ging nach Arkadien und gab sich dessen Herrscher als Gott zu erkennen. Doch Lykaon wollte seinen Gast auf die Probe stellen. Er tötete einen Kriegsgefangenen, kochte ihn und setzte ihn dem Gott zum Essen vor. Im Zorn zerstörte Jupiter Lykaons Haus und verwandelte ihn in einen Wolf.“72 Auch Virgil berichtet von einem Werwolf, der aber nicht im Mittelpunkt ihrer Handlung steht. Er berichtet von Alphesiboeus, die einen Zauber anwendet, um ihren Geliebten zu sich zu rufen. Dafür benutzt sie Kräuter, die „nach ihrem Genuss zum Wolf wurde und den Wald durchstreifte oder Geister aus ihren Gräbern rief (...).“73 Augustinus vertrat zu späterer Zeit den Glauben, dass sich die Werwolfsverwandlung nur im Traum abspielt und nicht in Wirklichkeit von statten geht. Diese Meinung wurde in der Kirche allgemein akzeptiert und von Ärzten auch als Krankheit bezeichnet.74 Hauptsächlich spielt der Werwolf jedoch im nordeuropäischen Altertum und Mittelalter eine große Rolle. Er begegnet uns primär am Ende des Frühmittelalters. 3.2 Verwandlungsglaube Im deutschen Raum wird die Werwolfs-Tradition von Burchard von Worms um 1000 herum erwähnt. Das Phänomen wird dabei als ‚teuflisches Blendwerk’ bezeichnet und Burchard meint, dass die Fähigkeit sich in einen Werwolf zu verwandeln eine Eigenschaft ist, die einige Menschen von Geburt an besitzen: „credisti... ut illae quae a vulgo Parcae vocantur ... possint facere, ... dum aliquis homo nascitur, illum designare, ut quandocumque ille homo voluerit, in lupum transformari possit, quod vulgaris stultitia werwolf vocat.“75 Burchards Meinung, dass nur bestimmte Menschen dazu in der Lage sind, hängt auch mit der ‚hamr’ zusammen, dem Teil der Seele, der die innere Form des Menschen widerspiegelt. Es wurde bereits erwähnt, dass der Mensch auch mehrere Formen inne haben kann. Dies bedeutet, dass sich hinter einer dieser Formen auch die Tiergestalt eines Wolfes verbirgt und der Mensch somit in der Lage ist sich in diesen zu verwandeln.76Somit wäre das Prinzip, welches Burchard gemeint hat, erklärt. 71 72 73 74 75 76 ROBERTS, Kulturgeschichte des Werwolfs. ROBERTS, Kulturgeschichte des Werwolfs, 566. ROBERTS, Kulturgeschichte des Werwolfs, 567. ROBERTS, Kulturgeschichte des Werwolfs, 567. Burchard von Worms XIX,5. In: HELM, Altgermanische Religionsgeschichte, 46. Vgl. LECOUTEUX , Gespenster und Wiedergänger, 211. Das Bild, dass Burchard vom Menschen geschaffen hat, dem es angeboren ist sich zu verwandeln, ändert sich im 12. Jahrhundert. Der Mann verwandelt sich in einen Wolf, sobald er seine Kleidung ablegt. Verliert er diese oder werden sie ihm gestohlen, kann er nicht mehr seine menschliche Form annehmen: „In der Erzählung ‚Bisclavret’ verschwindet der Titelheld jede Woche für drei tage von Zuhause, um im Wald als Werwolf zu leben. Seine Frau zweifelt schließlich an seiner Treue [...]Er zögert, sich ihr anzuvertrauen, doch schließlich entlockt sie ihm das Eingeständnis, dass er zum Werwolf werde und unter einem bestimmten Felsen seine Kleider verstecken müsse. Würde er diese nicht wiederfinden, müsse er für immer ein Wolf bleiben. [...]“77 Einer ähnlichen Ansicht sind sie im 13. Jahrhundert in Skandinavien. Man vertritt die Meinung, dass Werwölfe Männer sind, die sich Werwolfsfelle überziehen. In der Völsunga saga wird berichtet, dass Sigmund und Sinfjötl über zwei schlafenden Männern Wolfsgewänder erblickten, die sie anzogen und sich daraufhin wie Wölfe verhielten: „ Nun geschah es einmal, dass sie wieder in den Wald gehen, um sich Beute zu verschaffen, und sie finden ein haus und darin zwei Männer schlafend, mit dicken Goldringen. Sie waren verzaubert worden, denn Wolfshäute hingen im Haus über ihnen. Jeden zehnten tag konnten sie aus den Häuten heraus. Sie waren Königssöhne. Sigmund und Sinfjötli fuhren in die Häute und konnten nicht herausgelangen, und es ging in der Art, wie es vorher war. Sie gaben Wolfslaute von sich und verstanden auch beide das Wolfsgeheul.“78 Es wurde also deutlich, dass es unterschiedliche Möglichkeiten gibt sich zu verwandeln. Zum einen wurde die Meinung vertreten, dass der ‚hamr’ eines Menschen einen zum Werwolf, machen kann, wenn dieser dazu die richtige Form besitzt. Andererseits konnten wir feststellen, dass unterschiedliche Hilfsmittel zur Verwandlung nötig sein können, wie beispielsweise ein magischer Ring, eine Wolfshaut oder auch ein magischer Gürtel.79 Zusätzlich gibt es noch zahlreich andere Werwolfstheorien, die auch auf die unterschiedlichen Werwolfsarten hinspielt, wie es jedoch wirklich war und was hinter diesem Glauben wirklich steckt, lässt sich aus den Texten nicht erschließen. 3 Wiedergänger in Tiergestalt Bereits ab 1210 treffen wir auf Wiedergänger, die die Fähigkeit besitzen sich in Tiere zu verwandeln. Im 15. Jahrhundert nehmen die Belege dafür zu. Zwar nimmt man an, dass die häufigsten Gestalten unter anderem Wölfe sind, dies trifft aber nicht unbedingt zu. Meistens verwandeln sich diese in Hunde, Pferde, Raben oder auch Ziegen. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass jedes Gebiet in Europa ihre eigenen Vorstellungen hat.80 Martin Koblitz beschreibt in den ‚Frankenstein’schen Chronik’ folgendes Phänomen eines Wiedergängers in Tiergestalt im Jahre 1605: 77 78 79 80 Guillaume de Palerne, Bisclavret. In: ROBERTS, Kulturgeschichte des Werwolfs, 569. Völsunga saga, Kapitel 8. In: HOOPS, RGA, 204. HOOPS, RGA, 490. Vgl. HELM, Altgermanische Religionsgeschichte, 44f. „Im Frühling und im Sommer hat sich hier in Neustadt ein ungeheuer gezeigt, häufig in gestalt eines Hundes, bald in gestalt eines Kalbes, und das in der Nacht, vor und nach Mitternacht; man hieß es die Rothe oder die Drothe. Es hat auf fürchterliche Weise die Leute [...] verfolgt. Es erschien den Reisenden am helllichten tag und warf sich auf sie wie ein großer Kegel: es hat mit großer Gewalttätigkeit den Vorüberkommenden zugesetzt [...].“81 Das hier beschriebene Ungeheuer ist ein Wiedergänger und wahrscheinlich sogar ein ‚Aufhocker’. Dennoch hat dieser die besondere Fähigkeit unterschiedliche Gestalten anzunehmen. Somit lässt sich auch daraus schließen, dass die Vorstellung der Wiedergänger, aber auch der Werwölfe von gebiet zu Gebiet unterschiedlich ist und sich in kein Schema einordnen lässt. 4 Schluss Wiedergänger, Vampire, Werwölfe, aber auch alle anderen Wesen , die einem von Zeit zu zeit auf unterschiedliche Art und Weise begegnen entstammen nicht der Phantasie, sondern gab es wirklich. Aber war dies auch wirklich der Fall? Die Frage, die sich mir im Laufe des Seminars, aber auch im Laufe der Seminararbeit immer weder gestellt hat, war was nun aus all diesen Überlieferungen geworden ist und woher sie eigentlich stammen. Es ist wichtig sich klar zu machen, dass die Menschen zur damaligen zeit daran glaubten. Unklar ist nur, warum sie dies taten.Einerseits besteht die antwortmöglichkeit, dass die es einfach nicht besser wussten, andererseits kann es auch sein, dass sie einfach keine andere Wahl hatten, da es realität war. Ich , für meinen Teil, werde Augen und Ohren offen halten. Man weiß scließlich nie, was einem so über den Weg läuft, oder wer sich hinter einem versteckt. 81 KOLBITZ, Martin, Frankenstein’sche Chronik. In: LECOUTEUX, Vampire, 100f. 5 Literaturverzeichnis GRIMM, Jacob und Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Band 25, München 1984. HELM, Karl: Altgermanische Religionsgeschichte. Zweiter Band. Die Nachrömische Zeit. Teil II. Die Westgermanen, Heidelberg 1953, 42-81. HOOPS, Johannes (Hg.) u.s.: Reallexikon der germanischen Altertumskunde (RGA), Berlin u.a. 1973 – 2008. LECOUTEUX, Claude: Die Geschichte der Vampire, Düsseldorf 2001, 65 – 191. LECOUTEUX, Claude: Eine Welt im Abseits. Zur niederen Mythologie und Glaubenswelt des Mittelalters, Dettelbach 2000, 13 – 187. LECOUTEUX, Claude: Geschichte der Gespenster und Wiedergänger im Mittelalter, Köln 1987, 99 – 231. ROBERTS, Keith: Eine kleine Kulturgeschichte des Werwolfs. In: MÜLLER; Ulrich (Hg.): Dämonen, Monster, Fabelwesen, St.-Gallen 1999, 565 – 581. SCHMIDT, Klaus M.: Dracula – Der Herrscher der Finsternis. In: MÜLLER; Ulrich (Hg.): Dämonen, Monster, Fabelwesen, St.-Gallen 1999, 185 – 201.
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