Den Rahmen sprengen - Katechetischer Prozess

Den Rahmen sprengen Hierfür wird ein Bilderrahmen benötigt, der an zwei Ecken aufgesägt ist, bzw. zwei L‐förmige Lat‐
ten, die man zu einem Rechteck zusammenlegen kann. (Der Rahmen wird hingelegt bzw. so gehalten, dass jede/r ihn gut sehen kann.) Wir sagen, Jesus war Gottes Sohn und zugleich ein Mensch, der Sohn von Maria. In Jesus verbin‐
den sich Gott und Mensch. Das Ist ein großes Geheimnis. Wir werden dieses Geheimnis nicht lö‐
sen, so wie ein Rätsel, aber wir können versuchen in dieses Geheimnis einzutauchen. Nehmen wir zunächst den Menschen Jesus in den Blick. Den wenigen Hinweisen in der Bibel können wir entnehmen, dass Jesus bei Maria und Josef in Na‐
zaret aufgewachsen ist. Wahrscheinlich ist, dass er das Handwerk seines Vaters Josef erlernte und Zimmermann wurde. Als fromme Juden haben Maria und Josef ihren Sohn nach den Geboten und Traditionen ihrer jüdischen Religion erzogen. Die Familie Jesu war sicher nicht reich, sondern ‐ et‐
was salopp gesagt ‐ eine normale Durchschnittsfamilie. Das ist sozusagen der "Rahmen", in dem Jesus aufgewachsen ist. Zu diesem "Rahmen" gehört also ganz wesentlich seine Verwurzelung in der jüdischen Religion. Sie hat ganz entscheidend das tägliche Leben der Menschen geregelt und geprägt. Wir kennen z.B. die "Zehn Gebote". Die Gebote sind Richtlinien, die helfen sollen, das Zusammenleben friedlich zu gestalten und die den Menschen Freiheit ermöglichen. Das Leben miteinander braucht gewisse Regeln und einen verbindlichen Rahmen. Das kennen wir aus jeder Beziehung, aus unserer Fami‐
lie, aus einem Verein, aus der Schule usw. Wo Menschen zusammen leben oder zusammen arbei‐
ten, braucht es Absprachen, die für alle verbindlich sind. Problematisch wird es, wenn der Rahmen dazu führt, dass er die Menschen einengt und damit das Gegenteil bewirkt: Abgrenzung, Eingrenzung und Unfreiheit. Das ist der Grundkonflikt, in dem Jesus gelebt hat und der ihn schließlich ans Kreuz gebracht hat. Wir kennen unterschiedliche Berichte, in denen Jesus mit Menschen über die angemessene Ausle‐
gung und Umsetzung der Gebote in Streit gerät: Jesus heilt Kranke am Sabbat, was an diesem Tag verboten war, er lehrt und predigt freimütig, er schützt eine Ehebrecherin vor der Steinigung, er hat Kontakt mit sog. "Unreinen" und macht sich damit nach den geltenden Regeln selbst "unrein" usw. Schließlich macht Jesus auch vor dem Tempel in Jerusalem (vor dem "Allerheiligsten") keinen Halt und provoziert mit seiner "Tempelreinigung" die Obrigkeit. Bleiben wir bei dem Bild vom Rahmen, so kann man sagen: (Rahmen auseinander nehmen in zwei L‐förmige Hälften) Jesus hinterfragt den Rahmen der Vorschriften und Gebote, der Erwartungen, in denen er auf‐
gewachsen ist und bricht die Enge und Erstar‐
rung in eine reine Gesetzesgläubigkeit auf. Er weitet den Rahmen, den die Menschen um sich und um Gott gezogen haben, in eine größere Weite: die Liebe des barmherzigen Gottes. Jesus wirft nicht den Rahmen seiner Religion oder der Gesetze über den Haufen, aber er führt den Sinn des Rahmens auf seinen Ur‐
sprung zurück: Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen. (Mt 5,17) Und Jesus fügte hinzu: Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat. (Mk 2,27) Diese "rahmensprengende" Kraft ist gemeint, wenn Jesus sagt: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium! (Mk 1,5) Und ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben. (Joh 10,10) Die Armen und an den Rand Gedrängten, die Kranken und Ausgestoßenen, denen Jesus begegnet ist, haben diese Freiheit erlebt. Zugleich provoziert Jesus damit diejenigen, die ihr ganzes Leben an der Bewahrung des "Rahmens" ausrichten. Schon zu Beginn seines Wirkens erntet Jesus mit seinem Reden und Handeln nicht nur Zustim‐
mung, sondern auch Ablehnung und Unverständnis. (vgl. Mk 3,6) Von Anfang an wollen ihn Men‐
schen beseitigen und umbringen und so führt der Weg Jesu zunächst in den Tod ans Kreuz. (Die beiden L‐förmigen Hälften werden mit den Ecken aneinander gelegt, sodass ein Kreuz ent‐
steht.) Das Kreuz fasst die Summe des Lebens Jesu zu‐
sammen: Jesus verbindet die Menschen unter‐
einander und eröffnet ihnen eine neue Bezie‐
hung in Geschwisterlichkeit (vertikale Kreuz‐
ebene). Diese geschwisterliche Liebe wurzelt in der Beziehung eines jeden Menschen zu Gott und Gottes zu jedem Menschen (horizontale Kreuzeslinie). Wir Menschen sind als Beziehungswesen in die‐
ses Netzwerk gestellt und so beschreibt Jesus den Rahmen, auf den er sich bezieht: Da stand ein Gesetzeslehrer auf, und um Jesus auf die Probe zu stellen, fragte er ihn: Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen? Jesus sagte zu ihm: Was steht im Gesetz? Was liest du dort? Er antwortete: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst. (Lk 10,25‐27) Jens Ehebrecht‐Zumsande, Zu Haus bei Gott. Handreichung zur Firmvorbereitung, München 2010, 97f.