18. Kaufbeurer Dialog am 25.1.2016 Ministerpräsidentin a.D. Christine Lieberknecht „Flüchtlingskrise in Europa, Menschlichkeit leben, Rechtsstaatlichkeit sichern“ Zusammenfassung Kaufbeurer Dialog mit Ministerpräsidentin a.D. Christine Lieberknecht am 25. Januar 2016 mit über 200 Teilnehmern in der voll besetzten Sparkassenpassage. Einführung in die Veranstaltung, Vorstellung der Referentin sowie Moderation durch Oberst a.D. und Stadtrat Richard Drexl. Vita Christine Lieberknecht: - geboren 1958 in Weimar, Pfarrerstochter Studium evangelische Theologie in Jena 1980 in Ost-CDU eingetreten (damals Block-Partei) Pastorin in Weimar von 1984 – 1990 1990, Wahl zur stellvertretenden Landesvorsitzenden der CDU in Thüringen verschiedene Thüringer Ministerämter von 1990 – 1999 Präsidentin des Thüringer Landtages von 1999 – 2004 Vorsitzende der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag von 2004 – 2008 Thüringer Sozial und Gesundheitsministerin von 2008 – 2009 Ministerpräsidentin des Freistaats Thüringen von 2009 – 2014 Frau Lieberknecht eröffnete ihren Vortrag mit der Feststellung, dass das Jahr 2016 sicher nicht so enden werde, wie es angefangen habe. Sie dankte für die Solidarität der Bürger Bayerns. Als Beispiel führte sie MdL Bernhard Pohl an, der wie viele andere Aufbauhilfe in Thüringen geleistet habe. In vier Abschnitten ging Frau Lieberknecht auf die Situation in Deutschland und der Welt ein: 1. Beschreibung der jetzigen Situation - Echtzeitereignisse in der digitalisierten Welt, per Telefon / soziale Medien unmittelbar Einblick für junge Menschen in weltweites Geschehen, Welt zum Dorf geworden - Anforderung an die Glaubwürdigkeit der Berichterstattungen in den Medien steigt: „doppelte Standards“ der westlichen Welt fallen auf - Standardisierung Welthandel durch weltweit agierende Handelsketten (McDonalds usw.) - Entwurzelung des Einzelnen in der heutigen Gesellschaft, Verlust von Tradition - Entwicklungsminister Gerd Müller in „Bild am Sonntag“: „10 Mio. Menschen aus Afrika auf den Weg nach Europa“. Die größte Fluchtbewegung der jungen Generation aus Afrika steht aber erst bevor, anders als ihre Elterngeneration kein abfinden mit den Zuständen in ihren Heimatländern, Flucht in eine bessere eigene Zukunft. 2. Deutschlands Stärken - Leistungen bei Wiederaufbau und Wiedervereinigung von Deutschland - föderales System und kommunale Selbstverwaltung in Deutschland - Rechtssicherheit und Vertragsfreiheit der Vertragsparteien - deutsches Bildungswesen, insbesondere duales Bildungssystem der beruflichen Bildung - deutsche Religions- und Kulturgeschichte - Westbindung Deutschlands - Gemeinwohlorientierung und ehrenamtliches Engagement der Bürger. 3. Deutschlands Schwächen - Die Betonung einer Leitkultur wurde lange als rechtsradikal eingestuft - Verlust der Fähigkeit, die Errungenschaften unserer Kultur fremden Menschen zu erklären: warum feiern wir ein Weihnachtsfest und kein Winterfest - Selbstverleugnung unserer Kultur, z.B. in Frage stellen von Martinsumzügen, wenn es zu Konflikten mit Migranten führen könne - Welche Werte sind uns wichtig jenseits von beruflicher Karriere und Statussymbolen wie Auto, Haus und Mallorca? - Viel zu wenig Kinder ergeben ein gewaltiges demografisches Problem - Solidarität in der EU heißt für viele Länder nicht, Deutschland zu folgen - bei der Sparpolitik in der EU hat sich Deutschland weitgehend durchgesetzt, bei der Flüchtlingspolitik wird Deutschland die Gefolgschaft verweigert. Ziel sollte es sein, dass jeder Staat in Europa seine nationale Identität behalten kann. 4. Was ist zu tun? 2010 veröffentlichte der Zukunftsforscher Prof. Horst Opaschowski sein Buch „WIR! Warum Ichlinge keine Zukunft mehr haben.“ http://www.focus.de/panorama/welt/gesellschaft-zukunftsforscher-aera-der-ichlinge-geht-zu-ende_aid_557645.html Diesen Thesen zufolge sei nach dem 11. September 2001 die Spaßund Konsumkultur einer neuen Gemeinschaftskultur gewichen. Zusammenhalt statt Ego-Kult, soziales Wohler-gehen statt Wohlstand, Beständigkeit statt Beliebigkeit. Die Menschen setzten auf die „3 V“: - Vertrauen - Verantwortung - Verlässlichkeit. Die Referentin führte ihre „3 E- Thesen“ in die Thematik ein: Erinnerung, Ertüchtigung, Ehrlichkeit. Erinnerung - an die Grundlagen unseres Staatswesen, „ein Staat lebt von den Voraussetzungen, die er selber nicht schaffen kann“ (Verfassungsrichter Böckenförde) - Kulturgeschichtliche Prägungen, Überlieferungen aus Kirche und Religion, Familie als kleinste natürliche Einheit des menschlichen Zusammenlebens, Sozialbindung und Empathie wertvollste Güter - die Väter der sozialen Marktwirtschaft wie Ludwig Erhard und andere betonten diese Grundlagen, ohne die eine soziale Marktwirtschaft nicht funktionieren könne - wir entfernen uns gesellschaftlich von dieser Basis, „erodierende gesellschaftliche Grundlagen“ sind die Folge. Ertüchtigung - der Inneren Sicherheit, personelle und materielle Ausstattung der Polizei verbessern; aber auch mit unserer Einstellung der Polizei den Rücken stärken - Verteidigung unserer Werte, insbesondere Freiheit und Verantwortung der Bürger, wie dies auch am 17. Juni 1953 durch die Bevölkerung der DDR, durch die vielen Mauertoten aber auch in der Revolution von 1848 geschehen sei - „keine Freiheit den Feinden der Freiheit“ und „nur die dümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber“ - der Gleichberechtigung der Frau - der Freiheit von Kunst und Kultur - unseres Bildungswesens, verbindlicher Kanon für alle Bundesländer gefordert. Ehrlichkeit - den Ansatz einer Planung zu haben, wie viele Flüchtlinge wir in unserer Gesellschaft integrieren können - in der Frage, ob die Türkei Präsident Erdogans uns in der Flüchtlingskrise wirklich hilft - Bevölkerung Afrikas wird sich bis 2050 verdoppeln, der demografische Flüchtlingsdruck wird deshalb zwangsläufig steigen - dass eine massive Aufstockung der Entwicklungshilfe für diese Länder notwendig ist - in der Frage der Ausrichtung dieser Entwicklungshilfe. Es ist eine Empathie für die fremden Kulturen notwendig, die Entwicklungshilfe soll eine Hilfe zur Selbsthilfe darstellen und nicht wie bis jetzt meist eine Förderung von Absatzmärkten für unsere Wirtschaft (Stichwort: Hähnchenschenkel nach Afrika exportieren) - jede Maßnahme der Entwicklungshilfe hinterfragen, was bringt die Maßnahme für die afrikanische Bevölkerung - keine Obergrenze für Flüchtlinge nennen, aber sich an der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit der Kommunen ausrichten. Eine lebhafte Diskussion Dialogveranstaltung ab. rundete die hochinteressante Diskutiert wurde die mögliche Konkurrenz der sozial Schwachen in unserer Gesellschaft zu Migranten. Frau Lieberknecht plädierte für eine Aufnahme von Flüchtlingen nur nach den Kapazitäten der Kommunen. In den letzten zehn Jahren seien im Schnitt 100.000 / Jahr gekommen, 2014 = 200.000. Attestiert wurde ein Glaubwürdigkeitsverlust der Politik, 10 Mrd. Euro für Flüchtlingshilfe würde nicht reichen. Finanzminister Schäuble plane einen Soli für Flüchtlinge, jedoch nicht 2016 (noch nicht erforderlich) und nicht 2017 (Wahljahr). Frau Lieberknecht stellte fest, dass die Flüchtlingsströme nicht spurlos an der deutschen Bevölkerung vorbeigehen werden. Der Wohlstand werde wahrscheinlich sinken. Es könne zu Verteilungskämpfen zwischen der jungen Bevölkerung der 3. Welt und Europa kommen. „Teilen macht Spaß“ sollte vermittelt werden, als Erkenntnis aus der Flüchtlingshilfe der Bürger unseres Landes. Nachgefragt wurde der Zusammenhang zwischen der Flüchtlingsaufnahme aufgrund des demografischen Faktors in Deutschland und zum sog. Facharbeitermangel. Der Moderator verwies auf eine Studie vom September letzten Jahres, wonach 83 % der Migranten keine Berufsausbildung vorweisen und zwei Drittel kaum lesen und schreiben könnten. Frau Lieberknecht befürchtet eine mögliche Erosion der Grundlagen unserer Verfassung, das ganze Volk sei gefordert. Die Grundlagen des Staates, insbesondere die Familien müssten verteidigt werden. In der Politik habe „Prävention“ einen geringen Stellenwert. Siehe Flüchtlingssituation in 2013 und 2014 und die Unwilligkeit Deutschlands und anderer Länder, Italien (Lampedusa) und Griechenland bei der Flüchtlingsaufnahme zu unterstützen. Der Diskussionsleiter sprach Bundesinnenminister Friedrich (2009 – 2013) an, der heute gegen die Zustände im Rahmen der Flüchtlingskrise wettere, es aber versäumt habe, für vernünftige Grundlagen bei Registrierung und Asylbearbeitung zu sorgen. Noch heute würden Migranten mehrfach erfasst (Bund, Land, Kommune). Der Moderator wies auf den Kriegsindex nach Prof. Gunnar Heinsohn. Dieser werde als Verhältnis von 55 - 60 zu 15 - 20 jährigen Männern in einer Gesellschaft definiert (DEU 0,66 ; Nigeria und AFG ca. 5, Gazastreifen 6,0). Je höher der Index, desto höher die Bereitschaft, Krieg um Ressourcen zu führen, bzw. je höher der Migrationsdruck aus wirtschaftlicher Not. Bei einem Kriegsindex von 5 würden sich 5 Personen um eine freiwerdende Stelle balgen, das könne durch keine noch so gute wirtschaftliche Entwicklung kompensiert werden. http://www.zeit.de/2015/45/bevoelkerungsentwicklung-einwanderung-buergerkrieg-fluechtlinge-maenner/seite-2 Ferner verwies der Moderator auf die Erfordernisse der Integration aus Sicht der eigenen Gesellschaft. Integration von Flüchtlingen müsse man wollen und einfordern (Aussagen von Hr. Buschkowsky, ehemaliger Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln). Staat und Religion seinen für Muslime identisch, eine Generation werde nicht reichen, um diese Einstellung zu ändern. In Teilen Berlins würden etwa 12 Großfamilien aus dem arabischen Raum mit ca. 500 Personen die Unterwelt beherrschen. Die Polizei ginge nur noch in Zugstärke in Kreuzberg und Berlin-Wedding in einzelne Lokalitäten. Parallelgesellschaften seien Realität. http://www.focus.de/politik/deutschland/buch-die-andere-gesellschaft-buschkowsky-salafisten-wollen-uns-in-diewelt-vor-1400-jahren-zurueckbeamen_id_4175755.html Ebenfalls wurde auf den deutschen Schriftsteller und Philosophen Rüdiger Safranski hingewiesen, der den Deutschen einen „moralischen Infantilismus“ in außenpolitischer Hinsicht, insbesondere auch beim Umgang mit Migranten vorwirft. http://www.welt.de/politik/deutschland/article146941915/Deutschland-fluten-Da-moechte-ich-gefragt-werden.html Eine Sammlung für das Kaufbeurer Frauenhaus rundete die rundum gelungene Veranstaltung ab, bei der die Teilnehmer geräuschlosgroßzügig spendeten. Der Moderator beendete den Kaufbeurer Dialog mit der Bewertung, dass die Bayerische Staatsregierung sich sehr aufmerksam verhalte in Bezug auf Signale aus der CDU, um einen Ausweg aus der Koalitionskrise in Berlin zu finden. Frau Lieberknecht habe eine Position verdeutlicht, die als vermittelnd zwischen den Kontrahenten eingestuft werden könne. Allgäuer Zeitung vom 17.01.2016 Kreisbote vom 03.02.2016
© Copyright 2024 ExpyDoc