Lesen Sie hier mehr

H A RT U N G & H A RT U N G · M ü n c hen
Karolinenplatz 5a · Telefon (+) 49-89-28 40 34 · Telefax (+) 49-89-28 55 69
email: [email protected]
»Gespräche mit Hagen Lieberknecht – geschrieben von Joseph Beuys«
Joseph Beuys (1921-1986). Eigenhändiges Manuskript. (Düsseldorf) 1972. 29,7:21 cm
(ca. DIN A4) 80 Blatt, einseitig beschrieben. Blaue Tinte mit einigen Hervorhebungen in Rot
(Dachshaarpinsel).
(Schätzpreis € 50.000,–)
Zur Versteigerung angeboten in unserer Frühjahrsauktion vom 4./5. Mai 2015
Ausruf in Auktion 136 unter Kat.-Nr. 868 am Dienstag, 5. Mai 2015, nach 11.00 Uhr
Es gelten die im Katalog abgedruckten Versteigerungs-Bedingungen.
»Gespräche mit Hagen Lieberknecht – geschrieben von Joseph Beuys«
Joseph Beuys (1921-1986). Eigenhändiges Manuskript. (Düsseldorf) 1972. 29,7:21 cm
(ca. DIN A4) 80 Blatt, einseitig beschrieben. Blaue Tinte mit einigen Hervorhebungen in Rot
(Dachshaarpinsel).
(Schätzpreis € 50.000,–)
Aus der etwa 600 Seiten umfassenden Abschrift einer Tonbandaufzeichnung von einem
Gespräch zwischen Joseph Beuys u. dem jungen Kunsthistoriker Hagen Lieberknecht aus
dem Jahr 1970 sucht Beuys für sich bedeutende u. wichtige Passagen aus und verfaßt daraus
ein fiktives zusammenhängendes Gespräch. Es bildet eine Art Collage aus dem unendlichen Tonbandmaterial, angereichert mit eigenen phantastischen Einschüssen, und wird
hier zusammengestellt als Vorwort zur ersten Publikation über seine Zeichnungen. Diese
ediert Lothar Schirmer 1972 in limitierter Auflage. Das Transkript war für Unbeteiligte
vollkommen unverständlich, da sich Beuys und Lieberknecht fast ausschließlich über
Details von Zeichnungen unterhalten haben, und wer diese nicht passend vor Augen hatte,
konnte der Unterhaltung definitiv nicht folgen.
Erst durch Beuys’ Bearbeitung entsteht beim Betrachten seiner Zeichnungen eine sprachgewaltige, metaphysische u. poetische Auseinandersetzung.
»L.: Er bringt eben so Übereinanderschreibungen und Untereinanderschreibungen von
Worten oder hier von graphischen Zeichen, die eben auch bei Ihnen ziemlich typisch in der
Arbeitsweise sind. Glauben Sie dadurch, daß Sie hier selbst viel da. . . . . . von dem, glauben
Sie daß Sie da durch Joyce beeinflußt sein könnten. Daß Sie also, daß Sie zeichnerisch auf
eine bestimmte Art ähnlichen Intentionen folgen wie Joyce sie sprachlich verfolgt hat?
B.: Jasicher, denn sonst hätte ich ja nicht das Buch gemacht. Ich verlängerte Joyce um so
und so viele Kapitel. . .
L.: Eine Frau, die ihr Kind in der Wanne wäscht? Sich wäscht?
B.: Es gibt Darstellungen von Selbstmördern mit sowas. . . . . . Die sind ganz komisch.
L.: Ganz merkwürdiges Zeug.
Telephongespräch
L.:. . . .. diese Klammer B.:. . . . . . das ist eine große Patrone; die steht vor allen Dingen in
Zusammenhang mit den Blutbildern. L.: ein Kern
B.: So ein Kern, der zwar hier nicht deutlich sichtbar, wahrscheinlich hat er auch keinen,
doch da oben liegt nochmal so eine Sache drüber. Die ist wackliger gezeichnet. Hier oben
liegt nochmal solche Form drüber, mit so manchmal auch zwei Kernen. Da sind ja ganz
große Blutkörperchen!! Nicht? Also diese großen schlauchartigen Gebilde sind Blutbilder.
Sie kommen in meinem Joyce sehr oft vor
. . . Lieberknecht, der sehr in Fahrt ist zieht gleich weiter durch zu seinem Ohne Titel Tafel
1 während Franz [Dahlem] der inzwischen nebenan in der Badewanne liegt ein Waldlied
singt. . . «.
L.: Wäre das bei dieser Wärmeplastik immer im Sinne von Fett, Fett gemeint?
B.: Nein, in diesem Fall ein viel Schwereres, Metallisches, ein Bleielement; daneben zwei
große Filzbahnen. Und da spielt noch sowas rein in die Lücke. Jedenfalls zwei Schirme die
das abdämmen was da als Emanation angeschlossen kommt bremsen, verteilen. Oder was
von so einem Stab, der zweifellos etwas von Ladung hat ausgeht wird hier aufgesogen,
lateral verschoben, abgelegt für eine Weile
L.: Pfeile innen
B.: in der Richtung formt das später ein ganzes Organ aus. In der Mitte erscheint das wie
eine Bergkuppe; hüben sich Wärmeströmungen stauen und in der Überwindung der
Hürde (Widerstand) plastisch gliedern – drüben ganz klein das Hirschdenkmal was ich
vorhin von der Seite gezeichnet habe, erscheint, warten Sie einen Augenblick, nachher
perspektivisch. Eins, zwei, drei Fettecken, aktives Wahrnehmen am Kopf, Dynamik zum
Unter­kiefer hin, von unten gehalten. Die Empfindung kommt hier zu kurz, man müßte
die Partituren von einigen Aktionen jetzt daneben haben. Da kommt ein Bein hoch. Dieser
Fuß steht zentripetal gleichzeitig gibt es dieses Zeichen genau dagegen. . . . . . wie wir das
vorhin bei den kleinen Kindern gehabt haben, was da tief reicht, daß der ganze Mann darin
verschwindet, mit dem Kopf sich einbohrt wie ein Kaninchen und die Beine nach oben
stehn. Auf dieser Basis steht die Frau und ist sagen wir mal den Sternen zugewandt, zentrifugal. Makarie und Montanus.
L.: Das ist der Mensch
B.: Genau. Allerdings Hirschreiterinnen (schaltet kurz ein Tonband ein mit ja ja ja ja ja nä
nä nä nä nä, schaltet – schnell – wieder – aus. Lacht.
L.: Ohne das würden Sie nicht diese Musik machen.
B.: Nein, ich glaube das Keltische Element, (lacht)
L.: . . . . . . Hirschpriester. . . . . .
B.: (also bitte streichen) man muß Physik für sein Leben und für das was man meint, die
Aufgabe die man selbst zu lösen hat auf dem Gebiet die muß man finden, sonst ist man
vollkommen rettungslos verloren. Ja? Also es gibt da entweder die Möglichkeit daß ich
hier sitzenbleibe. Wenn ich aber jetzt die Differenzierung aus diesem Alles­umfassenden
herausziehen muß kann ich ja jetzt nicht Regenwurm und allein diese vielen Arten von
Regen­würmern oder Würmern, Ameisen, Maikäfer, Enten, Möwen, Schnellkäfer und
Paradiesvögel, ich muß ja jetzt finden was ich überhaupt an Mitteilung geben kann. Und
wie. Da muß selbstverständlich eine Linie heraus­kommen, nicht? Da kann ich nicht eine
Hottentottenlinie verfolgen. Einer muß sicher die Hottentottenlinie verfolgen. Ich jetzt
nicht. Das hätten wir also schon einmal herausdifferenziert. Oder wie man es nimmt.
. . . Ein Peripheriestück des Keltischen Kreises (Ringes) überschneidet meine sechs weiteren Kapitel oder ein Teil der Keltischen Scheibe deckt einen Teil meiner sechs weiteren
Kapitel ab. Wenn ich jetzt den Kreisflächenausschnitt der das tut herausnehmen und für
sich anschaue habe ich eine ›Form‹ die kraftmäßig ganz konzentriert aus dem Osten wirkt
garnicht aus dem Westen wie man zu ahnen geneigt sein könnte im allgemeinen. Der Eurasienstab gleißt schon hervor zwischen Ostmensch und Westmensch. Eurasien liegt da in
einem überirdischen Licht.
L.: Es kann sein das. . . . . . was ich jetzt habe. Aber ich muß jetzt erst wieder zurück, deswegen beschreibe ich es so: Das Erste, diese Zeichen entsprechen mehr dem Haupt das wir
eben gesehen haben. Das Zweite sind ganz glatte unheimlich harte, ganz scharfe Formen.
B.: he, he, jasicher
L.: Die erinnern sehr stark an manches. . . . . . Zeichnungen die ganz früh bei Ihnen liegen.
Zwei Hände die halten so ne Scheibe, ganz dünn, ganz zerbrechlich gezeichnet da kann
man wirklich sagen alle Flüssigkeit, jede Freiheit ist verloren, so glatt, präzis, unnahbar, wie
scharf geschliffen
B.: Da draußen im Flug. . . . . .
Publiziert in: Joseph Beuys. Zeichnungen 1947-59 I Gespräche zwischen Joseph Beuys und
Hagen Lieberknecht. Köln 1972. Gr.-40. 62 SS., 40 Taf. – Die erste aufwendige Publikation
des Verlegers Lothar Schirmer.
Die Beschreibungen von Lieberknecht zu drei Zeichnungen hat Beuys im Manuskript ausgelassen, sie liegen tlw. als Stehsatz bei (Bll. 1, 2, 4-6).
Was ist Kunst? Dazu Joseph Beuys in der Hannoverschen Allgemeinen vom 16.10.1972:
»Nun, jeder Mensch ist zwar ein Künstler in einem allgemeinen Sinn – ein Künstler, der
man sein muss, um zum Beispiel Selbstbestimmung zu betreiben – aber in einer bestimmten Phase des Lebens wird doch jeder Mensch in gewisser Weise noch irgendwo Spezialist:
der eine studiert Chemie, der andere Bildhauerei oder Malerei, der dritte wird Arzt und so
weiter«.