Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen Der Minister Seite 1 von 1 Justizministerium Nordrhein-Westfalen, 40190 Düsseldorf Herrn Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Landtags Nordrhein-Westfalen Dr. Ingo Wolf MdL Platz des Landtags 1 40221 Düsseldorf LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. 'lVAHLPEHIODE -- 7. 2015 Aktenzeichen 4134-111.1 bei Antwort bitte angeben Bearbeiter: Herr Schoß Telefon: 0211 8792-496 nachrichtlich: Rechtsausschuss des Landtags - Referat I 1 Platz des Landtags 1 40221 Düsseldorf 53. Sitzung des Rechtsausschusses des Landtags NordrheinWestfalen am9. Dezember 2015 Öffentlicher Bericht der Landesregierung zu dem Tagesordnungspunkt 3 "Verhinderung von rechtsstaatlich problematischer ,Paralleljustiz' - Lage und Maßnahmen in NRW vor dem Hintergrund des Abschlussberichts der länderoffenen Arbeitsgruppe auf der JuMiKo" Anlagen 60 Sehr geehrter Herr Vorsitzender, als Anlage übersende ich den öffentlichen Bericht der Landesregierung zu dem o. g. Tagesordnungspunkt in 60-facher Ausfertigung zur Weiterleitung an die Mitglieder des Rechtsausschusses. "i:1rn Dienstgebäude und Lieferanschrift: Martin-Luther-Platz 40 40212 Düsseldorf Telefon: 0211 8792-0 Telefax: 0211 8792-456 Grüße~n~-...... Thomas Kutschaty [email protected] www.justiz.nrw.de Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 53. Sitzung des Rechtsausschusses des Landtags Nordrhein-Westfalen am 9. Dezember 2015 Schriftlicher Bericht zum TOP 3: "Verhinderung von rechtsstaatlich problematischer ,Paralleljustiz' - Lage und Maßnahmen in NRW vor dem Hintergrund des Abschlussberichts der länderoffenen Arbeitsgruppe auf der JuMiKo" -2Mit dem vorliegenden Bericht der Landesregierung erfolgt die in dem Anmeldungsschreiben vom 27. November 2015 erbetene Unterrichtung zu dem vorbezeichneten Tagesordnungspunkt. I. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen befasst sich bereits seit Ende des Jahres 2010 intensiv mit dem Phänomen "Paralleljustiz" (vgl. dazu den Bericht der Landesregierung vom 24. September 2012, Vorlage 16/193). Im Zuge dieser Befassung hat sich das Ministerium u.a. mit Erlass vom 30. November 2010 durch die Generalstaatsanwälte des Landes erstmals über einschlägige Erkenntnisse berichten lassen und am 10. November 2011 gemäß Nr. 2 a) der Anordnung über Berichtspflichten in Strafsachen (BeStra) gegenüber den Staatsanwaltschaften des Landes eine allgemeine Berichtspflicht für einschlägige Verfahren verfügt. Auch war die Thematik zwecks weiterer Sensibilisierung wiederholt Gegenstand von Dienstbesprechungen mit den Generalstaatsanwälten und den Leitenden Oberstaatsanwältinnen und Leitenden Oberstaatsanwälten. Entsp'rechend der im November 2011 angeordneten Berichtspflicht haben die Staatsanwaltschaften des Landes dem Justizministerium seitdem über einschlägige Vorgänge berichtet. Nach den erstatteten Berichten hat es in Nordrhein-Westfalen seit Anordnung der Berichtspflicht acht Ermittlungs- bzw. Strafverfahren gegeben, in denen es Hinweise auf die Einschaltung eines religiösen Streitschlichters gab. Dabei hat sich nach Berichtslage in fast allen dieser Fälle nicht feststellen lassen, dass ein Ermittlungs- oder Strafverfahren nachteilig beeinflusst oder die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden in strafbarer oder unlauterer Weise beeinträchtigt worden wäre. In einem Verfahren konnten solche Feststellungen allerdings getroffen werden. Einem Bericht des Leitenden Oberstaatsanwalts in Bielefeld von März 2015 zufolge wurde in einer Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Bielefeld, die den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung gegen zwei Angeklagte zum Gegenstand h~tte, bekannt, dass zwischen den Beteiligten eine Streitschlichtung vor einem islamischen Schiedsgericht stattgefunden haben solle, in welcher sich die Angeklagten und die Geschädigten zu einer Aussöhnung und einem Redeverbot über die gegenseitigen Vorwürfe verpflichtet hätten. Gegen drei Zeugen seien aufgrund ihrer Angaben in dieser Hauptverhandlung Ermittlungen wegen versuchter Strafvereitelung und falscher uneidlicher Aussage eingeleitet und inzwischen Anklage erhoben worden. Über die Eröffnung des Hauptverfahrens sei noch nicht entschieden. Gegen die weiteren an der Streitschlichtung beteiligten Personen dauerten die Ermittlungen wegen des Verdachts der Anstiftung zu den vorgenannten Delikten an. Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens sowie des Strafverfahrens bleiben abzuwarten. -311. Mit dem in dem Anmeldungsschreiben angesprochenen Beschluss der Herbstkonferenz am 6. November 2014 hatten die Justizministerinnen und Justizminister eine länderoffene Arbeitsgruppe zur Verhinderung von rechtsstaatlich problematischer "Paralleljustiz" unter dem Vorsitz Bayerns eingerichtet. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat sich an dieser Arbeitsgruppe, in der insgesamt neun Landesjustizverwaltungen vertreten waren, beteiligt. Der nordrhein-westfälische Vertreter hat insbesondere auf die in Nordrhein-Westfalen bereits seit 2011 bestehende Berichtspflicht hingewiesen, die auch dazu geführt habe, dass die staatsanwaltschaftliche Praxis dem Phänomen ihr besonderes Augenmerk widme. Valide rechtstatsächliche Erkenntnisse zur so genannten Paralleljustiz hätten sich aus der laufenden Berichterstattung aber bislang nicht ergeben. In der Arbeitsgruppe, die zweimal in München getagt hat, bestand Einigkeit, dass es sich bei "Paralleljustiz" um ein Phänomen handele, das in Deutschland tatsächlich vorkomme. Konkrete Zahlen könnten nicht genannt werden, da dem Phänomen Heimlichkeit immanent sei. Die Arbeitsgruppe hat sich insbesondere auch mit der Frage befasst, wie eine nicht akzeptable "Paralleljustiz" von einer außergerichtlichen Konfliktlösung abzugrenzen sei, die grundsätzlich hilfreich und wünschenswert sei. Sie ist zu der Auffassung gelangt, dass eine "Paralleljustiz" zumindest dann mit wünschenswerter außergerichtlicher Streitschlichtung nichts gemein habe, wenn deutsche Rechtsgrundsätze unterlaufen oder ausgehöhlt würden. Als typische Merkmale einer nicht hinnehmbaren "Paralleljustiz" hat die Arbeitsgruppe ausgemacht: • Die Grundentscheidungen unserer Verfassung werden ignoriert, insbesondere die Gleichbehandlung von Mann und Frau. • Das Gewaltmonopol des Staates wird missachtet. • Die Aufklärung von Straftaten wird behindert, indem die Beweislage bereits im Ermittlungsverfahren und/oder im späteren Strafverfahren zielgerichtet manipuliert wird, etwa wenn Zeuginnen und Zeugen beeinflusst und unter Druck gesetzt werden. • Die Parteien begegnen sich nicht auf gleicher Augenhöhe, Schwächeren werden Lösungen aufgedrückt, die Maßstäben der Gerechtigkeit nach deutscher Rechtsordnung widersprechen. Die schwächere Partei wird durch Androhung von Gewalt oder anderen Übeln zur Einigung genötigt. -4• Die Parteien behalten das Verfahren nicht selbst in der Hand, haben also keinen freien Zugang zu staatlichen Entscheidungsinstanzen mehr. Einigkeit bestand in der Arbeitsgruppe ferner darüber, dass eine Sensibilisierung der Justizpraxis wichtig sei, um etwaige "Paralleljustiz" erkennen und die bestehenden Instrumente der Strafprozessordnung bestmöglich nutzen zu können. Hierzu hat die Arbeitsgruppe ein Informationspapier erstellt. Wie bereits in dem Anmeldungsschreiben erwähnt, haben die Justizministerinnen und Justizminister auf ihrer Herbstkonferenz am 12. November 2015 dieses Informationspapier ausdrücklich für geeignet erachtet, bundesweit die Justizpraxis für den Umgang mit so genannter Paralleljustiz weiter zu sensibilisieren. Das Justizministerium hat dementsprechend das Informationspier und den Abschlussbericht der Arbeitsgruppe der gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Praxis des Landes zugeleitet und zwecks nachhaltiger Verbreitung außerdem in das Justizintranet eingestellt. Der Begleiterlass enthält den Hinweis, dass das Informationspapier der Aufklärung über das Phänomen der "Paralleljustiz" und der Sensibilisierung für den Umgang mit ihr diene und sich dieses vor allem an Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Straf-, Ermittlungs- und Familienrichterinnen und -richter richte. Zur weiteren Sensibilisierung wird das Phänomen einer "Paralleljustiz" auch in Ta. gungen und Fortbildungsmaßnahmen der Justizakademie des Landes NordrheinWestfalen und der Deutschen Richterakademie wie z. B. "Interkulturelle Kommunikation im Gerichtssaal", "Interkulturelle Kompetenz", "Gewalt in der Familie - familienund strafrechtliche Aspekte", "Das Opfer in der Strafrechtspflege" und "Aktuelle Entwicklungen in Kriminalistik und Strafrechtspflege" behandelt. 111. In präventiver Hinsicht unterstützt die Integrationspolitik der Landesregierung die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund, fördert das Verständnis für die Werte der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung und setzt auf Austausch und Wertschätzung in der Zusammenarbeit mit den verschiedenen religiösen und ethnischen Bevölkerungsgruppen in Nordrhein:-Westfalen. Maßnahmen in diesen Bereichen zielen auch auf die Verhinderung von islamistisch geprägten Parallelwelten und Anzeichen von Selbst- und Paralleljustiz. Ein wesentlicher Bestandteil der Integrationspolitik ist der "Dialog mit dem Islam". Eine Plattform zum intensiven Austausch mit Musliminnen und Muslimen und ihren Organisationen in Nordrhein-Westfalen wurde seitens der Landesregierung mit dem dialog forum islam geschaffen. Dieses Beratungsgremium führt einen intensiven Dialog über alle Themen muslimischen Lebens, in denen es Berührungspunkte zwischen staatlichem Handeln und religiöser Praxis gibt. Ziel der Landesregierung ist es im Übrigen, durch intensive Aufklärung über das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland und damit verbundene vertrauensbil- -5dende Maßnahmen Erscheinungsformen einer "Paralleljustiz" entgegenzuwirken. Die Landesregierung bietet pro Jahr rund 1.000 freiwillige Arbeitsgemeinschaften zur Rechtskunde an allen allgemeinbildenden Schulen an. In 12 Doppelstunden werden Jahr für Jahr rund 20.000 Schülerinnen und Schüler mit unserem Rechtssystem vertraut gemacht. Dieses dauerhafte Angebot trägt dazu bei, dass das Rechtsbewusstsein geschult wird und junge Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzt werden zu erkennen, welche Probleme eine "Paralleljustiz" mit sich bringen könnte.
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