Anonymität wird nun teurer

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Datum: 03.02.2016
Zehntausende von Unternehmen haben sich in den letzten Monaten auf die Suche nach ihren zum Teil
unbekannten Inhaberaktionären gemacht. Auch die Niesenbahn AG hat über rund 600 Aktionäre, wobei
Kleinaktionäre den Grossteil ausmachen. (Bild: swiss-image.ch/Christof Sonderegger)
Anonymität wird nun teurer
Inhaberaktien Mit den neuen Bestimmungen im OR ist die oft kritisierte Inhaberaktie zwar nicht rechtlich,
aber faktisch abgeschafft worden. Schon per Ende 2015 hätten sich auch Inhaberaktionäre bei ihren Firmen
anmelden müssen. Zögern sie weiter, kann es teuer werden. Es droht der Verlust aller Rechte, speziell jenes
der Dividende.
Text Fredy Gilgen
«Ohne Wenn und Aber; die Inhaberaktie muss auch in der Schweiz weg». Internationale Organisationen wie
die OECD sind überzeugt, dass die Anonymität dieser Papiere die Geldwäscherei und die
Terrorismusfinanzierung begünstigt. Für einmal haben sie mit ihrer Forderung sogar offene Türen eingerannt.
Dies ausgerechnet bei der Schweizerischen Bankiervereinigung: «Auch wir sind grundsätzlich für eine
Abschaffung der Inhaberaktien. Sonst setzt sich die Schweiz unnötigerweise internationaler Kritik aus», liess
der Branchenverband verlauten.
Das Einlenken der Banken hat allerdings nicht genügt, die international verpönte Inhaberaktie subito aus dem
Aktienrecht zu kippen. Dagegen hat sich vor allem der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse stark
gemacht. Seine Argumente: Die Inhaberaktie sei vor allem für kleinere und mittlere Firmen ein wichtiges
Wertpapier. Und ein offensichtlich weit verbreitetes: Rund 50 000 Firmen haben Inhaberpapiere
herausgegeben. Zu den Vorteilen dieses Papiers gehören die administrative Einfachheit, die leichte
Handelbarkeit und natürlich auch die Anonymität.
Auf politischer Ebene haben sich die Befürworter der Inhaberaktien zunächst durchgesetzt. Zumindest auf
dem Papier. In den neuen aktienrechtlichen Bestimmungen im OR, die seit dem ersten Juli des letzten Jahres
gelten, wird dieses Papier ausdrücklich nicht abgeschafft. Doch der Preis ist hoch, denn die
Aktiengesellschaften müssen neu auch über ihre Inhaberaktionäre Buch führen. Zumindest dann, wenn sie
nicht an einer Börse gelistet sind. Börsenkotierte Unternehmen sind explizit ausgenommen. «Bei diesen
besteht nach dem Börsengesetz ja bereits heute eine Identifikationspflicht. Dies ab einer Beteiligung von drei
Prozent», lautet die Begründung des Staatssekretariats für internationale Finanzfragen SIF. Und mit einem
tieferen Engagement sei es kaum möglich, eine Gesellschaft zu kontrollieren und für Geldwäscherei und
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Terrorismusfinanzierung zu missbrauchen. Kritiker sind mit dieser Neuregelung des Aktienrechts allerdings
noch nicht zufrieden. «Die Inhaberaktien bleiben so bezüglich Transparenz des Aktionariats ein ernsthaftes
Problem», erklärt beispielsweise die Anlegerstiftung Ethos.
Nur noch kleine Insel der Anonymität
Diese Fundamentalkritik ist aber voreilig. Denn nach Ansicht von Philipp Aichele, Direktor Legal Services beim
Beratungsunternehmen PWC, ist die Inhaberaktie zwar nicht rechtlich, aber faktisch abgeschafft worden.
Nach dem neuen Recht (Art. 697i OR) muss sich nämlich jeder Erwerber einer Inhaberaktie bei der
Gesellschaft melden. Sogar wenn es bloss ein einziger Titel ist. Und zwar innerhalb eines Monats seit dem
Erwerb der Inhaberaktie. Wer allein oder im Zusammenwirken mit Dritten Inhaberaktien erwirbt und dabei
einen Schwellenwert von 25 Prozent des Kapitals oder der Stimmrechte erreicht, muss die wirtschaftlich
Endberechtigten nennen. Die Gesellschaften ihrerseits sind verpflichtet, ein Verzeichnis über die
Inhaberaktionäre zu führen. Sodann müssen sie ihre Statuten und Reglemente bis zum ersten Juli 2017 den
neuen Bestimmungen des OR anpassen.
Eine letzte Insel der Anonymität bleibt immerhin noch bestehen: Die Generalversammlung kann vorsehen,
dass das Verzeichnis der Inhaberaktionäre von einem Finanzintermediär geführt wird und dass alle
Meldungen, welche die Inhaberaktien betreffen, nicht der Gesellschaft selber, sondern diesem Intermediär
mitzuteilen sind: «Die Anonymität kann so zumindest der Gesellschaft gegenüber gewahrt bleiben», sagt
Aichele. Wohl ein schwacher Trost für Inhaberaktionäre, die anonym bleiben wollen.
Dividende gibt’s nur noch, wenn man sich meldet
Ins gute Tuch kann es gehen, wenn der Aktionär den Meldepflichten nicht nachkommt. In diesem Fall werden
seine Mitgliedschaftsrechte auf Eis gelegt, insbesondere das Stimmrecht. Auch die Dividende gibt es erst,
wenn sich der Aktionär gemeldet hat. Tut er dies nicht innerhalb von einem Monat seit dem Erwerb der Aktien,
sind die Vermögensrechte verwirkt. Auch der Verwaltungsrat ist gefordert: Er ist gemäss dem neuen Recht
dafür verantwortlich, dass keine Aktionäre oder Gesellschafter ihre Rechte ausüben, welche die Meldepflicht
verletzt haben. Das führt nach Aichele zu einer erhöhten Verantwortlichkeit des Verwaltungsrates: «Ein GVBeschluss, der unter unzulässiger Mitwirkung gefällt wurde, ist so anfechtbar. Dividenden, die wegen
Verletzung der Meldepflicht unberechtigterweise an Aktionäre oder Gesellschafter ausbezahlt wurden, muss
die Gesellschaft zurückfordern.»
Aufgepasst: Auch für Alt-Inhaberaktionäre, also Aktionäre, die ihre Inhaberaktien vor dem ersten Juli 2015
erworben haben, gilt die Meldepflicht. Sie hätten sich bis zum Ende des letzten Jahres registrieren lassen
müssen. Bei jenen, die es nicht getan haben, ruhen die Vermögensrechte – Dividenden erhalten sie keine.
Säumige Inhaberaktionäre sollten sich also sofort auf die Socken machen, wenn sie einen grösseren Schaden
vermeiden wollen.
Firmen suchen ihre Aktionäre
Zehntausende von Unternehmen haben sich in den letzten Monaten auf die Suche nach ihren zum Teil
unbekannten Inhaberaktionären gemacht. Dies mit Aufrufen im Handelsamtsblatt, in verschiedenen anderen
Medien oder im Internet. Viele sind in derselben Situation wie die Niesenbahn AG, die aus historischen
Gründen über eine komplexe Aktionärsstruktur mit Stammaktien und Prioritätsaktien mit verschiedenen
Zertifikatsgrössen verfügt. Die Berner Oberländer Bergbahn verfügt über rund 600 Aktionäre, wobei
Kleinaktionäre den Grossteil ausmachen.
«Im Moment sind wir immer noch am Erstellen des geforderten Aktienregisters. Bis Ende Jahr haben wir rund
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70 Prozent der Inhaberaktionäre registrieren können», erklärt Roger Friedli, Geschäftsführer der Niesenbahn.
Eine vollständige Registrierung werde sicher nie möglich sein, da einige der fast 110-jährigen Aktien verloren
gegangen seien oder an einem unbekannten Ort gelagert würden. Ähnlich tönt es bei anderen Unternehmen
mit Inhaberaktien. Die Zermatter Bergbahnen beispielsweise haben bisher 84 Prozent der Inhaberaktionäre
registrieren können.
Ein kleiner Trost: Das Aufsuchen und Registrieren der Inhaberaktionäre mag zwar sehr aufwändig erscheinen,
könnte aber vor allem für Bergbahnen mit oft ebenfalls mehreren hundert Aktionären sogar Vorteile bringen.
Melden sich die Teilhaber nicht, ruhen ja die Mitgliedschaftsrechte, wodurch insbesondere das Stimmrecht
und die Dividende wegfallen. Und nach zehn Jahren verfallen sowohl Mitgliedschafts- als auch
Vermögensrechte gänzlich. Einige Gesellschaften wären wohl nicht unglücklich darüber.
Nur Scheinalternativen
Auf dem Papier hätten nichtkotierte Aktiengesellschaften neben dem Inhaberaktionärsregister drei weitere
Möglichkeiten, um den neuen Bestimmungen des Aktienrechts zu genügen:
– Kotierung der Inhaberaktien/-PS an einer Börse (SIX oder BX). Eine solche ist aber teuer und eignet sich
nur für Firmen mit einer minimalen Grösse.
– Umwandlung der Inhaberaktien bzw. der PS in Namenaktien. Das ist Hans was Heiri. Ob nun Inhaber- oder
Namenaktionäre registriert werden, kommt auf dasselbe hinaus. Viele Unternehmen wählen trotzdem diesen
Weg, etwa die Gurtenbahn AG.
– Entmaterialisierung der Inhaberaktien und künftige Führung als Bucheffekten. Die Folge wäre hier ein
Depotzwang der Aktionäre.
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