Tradition und Fortschritt

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In vollem Gange sind die Proben für die erste große Musical-Produktion der Städtischen Musikschule: In „Anatevka“ werden – bis auf den
Elementarbereich – sämtliche Sparten des Instituts einbezogen. � Foto: Wiemer
Tradition und Fortschritt
Musikschule zeigt Musical „Anatevka“ / Erschreckende Aktualität zum Thema Flucht
HAMM � „Wenn ich einmal reich
wär’“, singt Tevje, der Milchmann, in dem Musical „Anatevka“. Wie reich die Städtische
Musikschule tatsächlich ist, beweist sie mit der Aufführung
dieses Bühnen-Klassikers aus
Anlass ihres 75-jährigen Bestehens. Da macht – bis auf ganz
wenige Ausnahmen – alles mit,
was das Institut an Musikern,
Sängern und Tänzern zu bieten
hat.
Seit Ostern 2012 gibt es die
Musical-Sparte in der Städtischen Musikschule, geleitet
wurde sie von Anfang an von
Anke Lux. Deutlich intensiviert wurde dieser Bereich in
diesem Jahr mit der vollständigen Integration der Musical-Company in die Musikschule. In der oberen Etage
des Neubaus wurde eine
großzügige Probenbühne eingerichtet.
Jetzt ist es soweit, dass erstmals ein großes, klassisches
Musical gezeigt werden kann,
in das alle Musikschul-Sparten eingebunden sind. Bereits
2010 hatte es für „Der kleine
Horrorladen“ eine erste Zusammenarbeit mit den Gesangsklassen der Musikschule gegeben. „Das jetzt ist aber
eine ganz andere Hausnummer“, sagt Anke Lux.
Anliegen der Musikschule
war es nach Auskunft dessen
Leiters Bernd Smalla, im Jubi-
Die Geschichte
1905, während revolutionärer Unruhen im zaristischen Russland, leben der Milchmann Tevje und seine
Frau Gulde mit ihren fünf Töchtern
im Schtetl Anatevka.
Tevje ist sehr traditionsbewusst.
Sein Weltbild gerät aber ins Wanken, als seine drei ältesten Töchter
ins heiratsfähige Alter kommen. Eigentlich sollte Jente, die Heiratsvermittlerin, für einen Ehemann
sorgen. Doch die älteste Tochter
Zeitel hat sich schon mit ihrem Jugendfreund, dem armen Schneider
Mottel, verlobt. Hodel, die zweitälläumsjahr alle Fachbereiche
und auch Lehrer in eine große Produktion einzubeziehen. Bei den Proben habe
sich gezeigt, wie groß die Herausforderung war, die unterschiedlichen
Fachbereiche
mit ihren unterschiedlichen
Arbeitsweisen miteinander
zu kombinieren: Bei der Musical-Company beispielsweise
gebe es Durchlaufproben,
während das Sinfonieorchester abschnittsweise probt.
Die Choristen seien es gewohnt, mit Notenblättern
aufzutreten. Weil das bei dieser Aufführung ein Ding der
Unmöglichkeit ist, stehen
jetzt nur zehn Chorsänger
auf der Bühne, um auswendig
zu singen, während die übri-
teste Tochter, verliebt sich in den
Hauslehrer Perchik, der wegen seiner revolutionären Ideen verhaftet
wird. Die drittälteste Tochter Chava schließlich möchte einen Russen
heiraten, der kein Jude ist.
Tevje sieht seine Tradition in Frage
gestellt, willigt aber in die Heirat
Zeitels mit Mottel ein und lässt Hodel den später nach Sibirien verbannten Perchik heiraten. Chava
hingegen verstößt er. Als sich der
politische Druck verstärkt, müssen
die Juden am Schluss das Dorf
Anatevka verlassen.
gen rund 30 im Orchestergraben sind.
Auch die Musiker hätten
sich an neue, für ein Sinfonieorchester ungewöhnliche Instrumente wie Akkordeon,
Gitarre und Schlagzeug gewöhnen müssen. „Herausgekommen ist aber nun ein
Querschnitt mit Akteuren
aus der ganzen Musikschule“,
freut sich Smalla. Es sei sogar
gelungen, eine Blockflöte unterzubringen, und das sogar
an prominenter Stelle. Nur
ein Fachbereich sei nicht vertreten: die Elementarstufe.
Immerhin reicht die Altersspanne jetzt aber immer
noch von sechs bis 60 Jahren.
Die Suche führte laut Anke
Lux schnell zu „Anatevka“,
um möglichst vielen Schülern und Lehrern die Teilnahme zu ermöglichen: Allein 70
Akteure stehen auf der Bühne, jeweils rund 30 Personen
umfassen das Orchester und
der Chor im „Graben“. „Das
Ensemble war von ,Anatevka’
zunächst nicht so begeistert“,
gesteht Anke Lux. Die Stimmung habe aber bei den Proben, die seit März laufen,
ganz schnell in Begeisterung
gewechselt. Denn die Musik
sei toll und die Handlung sei
dem Leben der Menschen abgeschaut. „Das Stück ist so
klug geschrieben, dass jeder
Satz sitzt. Kürzen war da
kaum möglich“, so Lux. Darum dauert die Aufführung
auch zwei Stunden, unterbrochen von einer Pause.
Bemerkenswert ist für Lux
und Smalla auch die Aktualität von „Anatevka“: Das
Stück endet mit Vertreibung
und Flucht – so, wie es zurzeit
Realität in vielen Ländern der
Welt ist. Hinzu kommt der
Konflikt zwischen verschiedenen Religionen und das
Aufeinanderprallen von Fortschritt und Tradition. � san
Das Musical wird am Samstag,
19. September, um 19.30 Uhr
und nochmals am Sonntag, 20.
September, um 15 Uhr im Kurhaus aufgeführt. Eintrittskarten
(10 Euro) gibt es in der Städtischen Musikschule