TexT & FoTos Ing. Thomas e. Tscherne

IM FOKUS
Rotwild
Text & Fotos Ing. Thomas E. Tscherne
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Hirschfieber
. . . wen es einmal gepackt hat, den lässt es nicht mehr los: das Hirschfieber. Zwar nicht lebens­bedrohlich, ist es dennoch schwerwiegender
als Sehnsucht oder bloßes Verlangen. Das Hirschfieber befällt aber
nicht nur uns Menschen, sondern auch – und vor allem – den Hirsch!
Wie, das schildert ein Betroffener. – 2. Teil: Es geht ums Ganze!
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IM FOKUS
Rotwild
IDYLLE?
Das Gasteinertal ist
die Heimat unseres
„Hauptdarstellers“.
M
it sinkender Tageslicht­
länge des Hochsommers
baut sich ein immer hö­
herer Testosteronspiegel
im Körper des Hirsches auf, und er wird
immer mürrischer und argwöhnischer.
Jeder Tag, der voranschreitet, macht
ihn gegenüber seinen Hirschgenossen
aggressiver. Er geht jetzt lieber allein,
und manchmal, bereits 3–4 Wochen vor
dem Eisprung der Hirschtiere, muss er
sich sogar schon ärgern, wenn er nur
einen „Hirsch“ sieht oder riecht, sodass
es ihn ganz einfach überkommt und er
zu diesem Ärgernis hinüberschreien
muss. Das ist für ihn schlicht so, wie
wenn wir Menschen lachen, wenn uns
etwas amüsiert – die Reaktion auf einen
Reiz, die wir nicht unterdrücken kön­
nen.
Endlich Platzhirsch!
Schon im August habe ich kundgetan,
dass ich endlich Platzhirsch sein und
wie ein König leben will! Mittlerweile
bin ich zu einem stattlichen Hirsch he­
rangewachsen und im 14. Lebensjahr.
Mit jedem Tag wird es schwieriger,
dass ich mich leise verhalte – überall
bemerke ich die ärgerlichen, verschla­
genen Stellen meiner Rivalen! Ringsum
im Gras und in der Erde und an den
Baumstämmen haftet deren Geruch!
Und dann sind da auch noch diese
mechanischen, optischen Markierungen
– wirklich jedes Mal ein Grund, ärger­
lich zu brummen. Wenn ein anderer
zurückbrummt, gebe ich ihm umge­
hend und ordentlich Bescheid, was er
eigentlich von mir will. Schließlich und
endlich bin ich stark wie ein Bär!
Und weil die ganze Sache immer
wichtiger und ärgerlicher wird und die
Damen immer mehr „abgecheckt“ wer­
den müssen, es jeden Tag immer wich­
tiger wird, dass man auf dem Laufenden
ist – wo die Alttiere stehen und wie sich
deren Geruch täglich verändert, wo
die Nebenbuhler sind und welche
Kon­
k urrenten es gibt –, bleibt bald
überhaupt keine Zeit mehr zum Äsen!
Was dann auch bald der Grund dafür
ist, dass ich gar nicht mehr schlafe und
sich jede Minute nur um Folgendes
dreht: Wo sind meine Tiere? Welche
Tiere riechen wie? Wieso ist da schon
wieder so ein Hirsch? Habe ich dort
schon nach­geschaut? Habe ich nicht
etwas ver­gessen? Soll ich nicht noch
einmal schnell nachschauen gehen?
Je mehr sich das Karussell dreht,
desto mehr muss ich mich verbal und
auch sonst wie bemerkbar machen und
desto intensiver wird kommuniziert
und bisweilen auch ordentlich ge­
schrien. Dann sind da noch die „Un­
belehrbaren“, die nicht einmal dann
auf die Seite gehen, wenn ich schon
ordentlich mit ihnen geschrien habe;
da hilft nur noch eins: zunächst einmal
im Stechschritt nebeneinander her
gehen, den anderen taxieren, ihm
ordentlich drohen und versuchen, dabei
die Führerschaft zu übernehmen und
ihn räumlich abzudrängen, bis dieser
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abspringt. Sollte dies jedoch nicht ge­
lingen, ist der Pakt besiegelt; es wird
gekämpft – um die Ehre und ums Leben
– alles oder nichts, koste es, was es
wolle! Ein Fehler kostet das Leben . . .
Ein Hirsch verliert in der Hoch­
brunft etwa 5 kg an Körper­gewicht pro
Tag, manchmal sogar noch mehr. Ganz
schlimm ist es dann nach der Hoch­
brunft: Die starken älteren Hirsche sind
nach Wochen ohne Nahrungsaufnahme
nervlich am Ende, körperlich aus­
gelaugt, die Konkurrenz ist mittlerweile
ebenso gereizt und bitterböse. Die alten
Hirsche haben in der Brunft bereits
beinahe ein Drittel ihres Körperge­
wichts eingebüßt und sind jetzt voll mit
Testosteron und Adrenalin, was be­
kanntlich die rationale Entscheidungs­
findung erschwert. Sie haben einen
unbeugsamen Willen, wollen gegenüber
Gegnern bestehen und versuchen,
die wenigen brunftigen Hirschtiere
zusammenzu­halten, die bereits Man­
gelware und daher noch begehrter
geworden sind als noch in der Hoch­
brunft. Manche mutieren zu gefähr­
lichen Killer­­maschinen . . .
Wie ein Sechzigjähriger?
Am Morgen nach einer anstrengenden
Brunftnacht mit vielen Scharmützeln
und ebenso vielen abgespulten Kilo­
metern, um das Kahlwild zusammen­
zuhalten, erscheint plötzlich, bereits
am Wechsel in den Einstand, ein reifer
Hirsch und provoziert mich. Und dann
passiert es – entgegen jeder Vernunft,
entgegen jeder Strategie, ent­gegen jeder
vernünftigen Notwendigkeit. Mit eiser­
nem Willen treffe ich im Zorn und mit
Schlaf- und Nahrungsentzug jene Ent­
scheidung „aus dem Bauch heraus“, die
mein Schicksal verändern wird. Ich
drehe mich um und stelle mich dem
ungleichen Kampf.
Im 14. Lebensjahr bin ich etwa so
alt wie ein 60-jähriger Mann, eigentlich
im besten Alter: voller Lebens­erfahrung
und körperlich topfit, bin ich auf dem
Höhepunkt meines Lebens; ich habe
vieles gesehen und erfahren, habe
viele Jahre überlebt, habe das Feindver­
meidungsverhalten perfektioniert und
gelernt, nicht mehr nur mit körper­
licher Kraft, sondern mit Strategie und
Er­
fahrung an Dinge heranzugehen.
Ich kenne meinen Lebensraum genau,
weiß bis ins kleinste Detail über die
idealen Sommer- und Wintereinstände
Bescheid, kenne die Stärken und Schwä­
chen meiner Nebenbuhler, trete erst
später in die Brunft ein, stehe meinen
Mann nur dann, wenn es auch wirklich
Sinn macht, beginne nicht schon drei
oder vier Wochen vor dem Brunftigwer­
den der Tiere mit dem Hungern und
kämpfe nicht mehr um jeden Preis und
nicht mehr mit jedem – was mich gänz­
lich vom 10-jährigen Hirsch unterschei­
det. Dieser ist vergleichbar mit einem
etwa 40-jährigen Mann und im Be­
wusstsein, so stark wie ein 20-Jähriger
zu sein, nur mit mehr Lebens­erfahrung.
Er stellt den Anspruch, König zu wer­
den, aber ich will es bleiben und werde
mich durchsetzen! Wenn, ja wenn ich
nur keinen Fehler mache . . .
Es kommt zum Kampf!
Es ist so weit. Ich, der König, bin völlig
am Ende meiner Nervenstärke ange­
langt und aufs Äußerste gereizt. Ich
habe die ganze Nacht junge Hirsche
von meinen Tieren weggejagt, mit eini­
gen gerauft und diese abgeschlagen,
einige Blessuren und leichte Stich­
verletzungen aus manchen Kämpfen
davongetragen. Auch die Zerrungen
und Verstauchungen am ganzen Körper
sind kein Grund zum Frohlocken, und
jetzt ziehe ich hinter meinen Tieren in
Richtung Tageseinstand. Nichts wird es
mit einem entspannten Brunftmorgen
und einer kurzen Ruhepause für die
Hirschgesellschaft – denn diesen Ein­
dringling, der überhaupt alles infrage
stellt und sich respektlos und aggressiv
gebärdet, so als gäbe es mich gar nicht,
kann ich nicht tolerieren! Ich drehe
mich um und lasse das Kahlwild allein
in den Einstand weiterziehen. Jetzt
will ich nur eines: diesem Aggressor
ordentlich die Leviten lesen und, wenn
es sein muss, eine Lektion erteilen; ihn
für immer verjagen!
Der Platzhirsch stürmt zurück,
überlegt nicht wie in den Jahren zuvor,
wo die strategisch günstigste Stelle für
den Ausgangspunkt eines Kampfes
wäre, wo er hinflüchten und abspringen
könnte, sollte er unterliegen. Er taxiert
den Gegner nicht, sondern prescht
voller Zorn nach hinten – weg von
den Tieren – auf den Jüngling zu,
das Haupt zum Kampf gesenkt, die
langen spitzen Enden wie Messer auf
den Gegner gerichtet. Aber Zorn ist ein
schlechter Ratgeber . . .
Das Finale dieser atemberaubenden Fotostory finden Sie in der
nächsten Ausgabe!
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