Biografiearbeit Beispielgeschichte - ipi » Institut für Professionelle

e.U.
Geschichten, die das
Leben schreibt
Katharina Kühner: Ich
bin hier zu Hause und
fühle
mich
nicht
fremd, aber anders!
Ob ich denn die
Geschichte der
Donauschwaben
kenne? Mit dieser
Frage – von der
Interviewpartnerin
gestellt - beginnt ein
eineinhalb Stunden
dauerndes
spannendes Gespräch, das ein ganzes Leben zum Inhalt hat. Ein paar dunkle
Erinnerungen an das fast 30 Jahre zurückliegendes Geschichtestudium, in dem
tatsächlich mehrere Semester lang die Volksdeutschen und deren Geschichte im
Mittelpunkt standen, helfen über die ersten aufgeregten Interview-Minuten
hinweg. Und ehe es wir uns versehen, sind wir mitten in den turbulenten Zeiten
des zweiten Weltkrieges, den Katharina Kühner als Kind in Neudorf bei Vincovci
hautnah miterlebt habt. Auf ein bewegtes aber erfülltes Leben kann die 82jährige Donauschwäbin heute zurückblicken, in dem das buchstäblich Schlimmste
Ereignis war, als ihr Mann 1990 überraschend an Herzinfarkt starb.
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Am 20. Oktober 1944 war es! An diesen schicksalsträchtigen Tag kann Katharina Kühner
sich noch ganz genau erinnern, obwohl zwischen damals und heute fast 70 lange Jahre
liegen. Den Wochentag weiß sie auf Anhieb nicht mehr, doch mit Nachrechnen finden wir
heraus, dass es ein Samstag gewesen sein muss. Ein Samstag - der Tag ihrer Flucht aus
der Heimat, der nicht nur ihr Leben veränderte. Drei Tage zuvor hatte es einen heftigen
Bombenangriff auf die strategisch bedeutende Region rund um Vincovci gegeben. Der
Verkehrsknotenpunkt war während der Kriegsjahre immer wieder Kriegsschauplatz und
wurde von den Hitler-Verbündeten und Alliierten gegen Kriegsende pausenlos angegriffen.
Am Wochenende im Oktober 1944 standen die Russen, die über die Donau durchs
fahnenflüchtige Rumänien marschiert waren, nur mehr wenige Kilometer vor der Stadt. Im
Laufe des Samstag entschied sich die Familie schweren Herzens, den Ort, der den
gebürtigen Deutschen über Generationen Heimat gewesen war, zu verlassen. Für immer,
wie sich später herausstellen sollte.
Die nötigsten Habseligkeiten zusammengerafft und auf das Fuhrwerk gepackt, ging es in
einer Nacht- und Nebelaktion Richtung Norden. Und weil die Oma, Katharina Siegel, schon
alt und gebrechlich war, musste die kleine Katharina nach wenigen Kilometern mit ihr
wieder runter vom Fuhrwerk und auf Zug und später dann Lastwagen umsteigen. Erst als
sie nach Monate langer Odyssee durch halb Europa in Thüringen landen sollten, gab es
wieder Nachricht von ihrer Mutter und Schwester Elisabeth, die mit dem Fuhrwerk und auf
langen Strapazen reichen Fußmärschen im oberösterreichischen Mühlviertel gestrandet
waren. Damals bereits, zu einer Zeit, in der es nicht mal gut ausgebaute FestnetztTelefonverbindungen geschweige denn Internet und soziale Netzwerke wie Facebook gab,
funktionierte die Kommunikation einwandfrei. Ein bisserl länger als wir es heute im
Sekundentakt gewöhnt sind hat es natürlich gedauert, aber die Neudorfer waren so gut
vernetzt, dass sie Freunde, Bekannte und Familienmitglieder, obwohl es diese in die
verschiedensten Ecken der Welt verschlagen hatte, schnell ausfindig machen konnten und
wussten, wo sich die anderen gerade aufhielten. Und so kam es auch, dass Schwestern
Elisabeth, das um einige Jahre ältere Tante Lieschen, wie sie heute noch von allen liebevoll
genannt wird, mit der Mutter die beiden in Thüringen aufspürte und ins Mühlviertel holen
konnte. Und sogar der Vater Christian Siegel, der zur Kriegszeit bereits über 40 Jahre alt
war und deswegen nicht an der Front kämpfen musste, sondern als Streckenwächter in
den Partisanenkämpfen eingesetzt war, wusste sehr schnell, wo er seine Familie suchen
musste.
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Im Lager Kaisersteinbruch ist die Oma schließlich so krank geworden, dass sie wenig
später im Krankenhaus in Bruck an der Leitha starb. Ein trauriges Ereignis für die ganze
Familie, die in der Zwischenzeit durch Vater, Onkel und Schwager, die sich über die
Steiermark
nach
Oberösterreich
durchgeschlagen
hatten,
verstärkt
worden
war.
Familienzusammenführung auf Schwäbisch – keine Seltenheit in der Nachkriegszeit. „Mehr
Glück als Verstand aus heutiger Sicht hatten wir damals, dass wir unseren anfänglichen
Wunsch, in die Heimat zurück zu kehren, aufgeben mussten“, ist sich Katharina Kühner
sicher. Denn die Geschichte hat uns gelehrt, was den Volksdeutschen nach Ende des
zweiten Weltkrieges im damaligen Jugoslawien und heutigen Kroatien wiederfahren ist Verschleppung, Vertreibung und Arbeitslager.
Und so kam es, dass die wieder vereinte Familie nach einem langen und kalten Winter in
der Fliegerhalle in Hörsching als Flüchtlinge quasi illegal über die Grenzen der russischen
und britischen Besatzungszonen im amerikanischen Sektor im Fluko in Vöcklabruck
landete. Dort wo Denis Konrad heute im sechsten Stock im Europahof sein Kinderzimmer
hat, standen damals die Hallen, in denen die Kriegsflüchtlinge untergebracht waren. Die
Siegels bis ins Jahr 1962. Zuerst in riesigen Zimmern für zwölf Personen, später, als viele
der Flüchtlinge nach Nordeuropa, Kanada und Brasilien emigriert waren, in einer kleinen
Wohnung. Walter, ihren Mann, hat Katharina im Lager kennen und lieben gelernt. Er war
aus einem Dorf in der Nähe von Neudorf.
Katharina Kühner mit Tochter Renate.
Neudorf - jenem evanglischen Dorf, das zu Beginn des 19. Jahrhundert mit deutschen
Siedlern besiedelt worden war, deren Aufgabe es war, die
damalige Kornkammer der
Habsburgermonarchie mit ihrem Know-how, das sie aus der Heimat mitgebracht hatten, zu
bewirtschaften. Katharinas Vorfahren waren im 19 Jahrhundert aus Rheinland Pfalz nach
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Slawonien gekommen und wollten mitten in der Habsburgermonarchie, dem heutigen
Kroatien, ihr Glück versuchen. Bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges, der Millionen
Menschenleben verändern sollte, ist ihnen das als Getreidebauern auch gut gelungen war.
1955 haben Katharina und Walter, der Junge aus dem Nachbardorf der Neudorfer,
geheiratet. 1957 und 1960 kamen Renate und Regina zur Welt, Nachzügler Thomas 1972.
Zu der Zeit durften die Kinder der Donauschwaben, die nach zehn Jahren in Österreich die
österreichische Staatsbürgerschaft erhalten hatten, bereits Berufe lernen. Die zwei Mädls
sind heute Lehrerinnen, der Bub wurde Schlosser. „Zu meiner Jugendzeit,“ erinnert sich
Katharina, „ging das in Österreich noch nicht, etwas zu lernen.“ Sie selber hatte zuerst bei
Hatschek und später in der Donaupharmazie als Hilfsarbeiterin gearbeitet, bevor die Kinder
zur Welt kamen. Walter war zuerst am Bau und dann 40 Jahre in der Lenzing AG
beschäftigt. 1962 sind sie nach fünf Jahren mühevoller Arbeit ins eigene Haus in
Schalchham gezogen. „Wir haben Tag und Nacht gearbeitet und Geld gespart, damit wir
uns das leisten können und haben letztendlich alles selber gemacht“, erklärt Katharina,
warum der Hausbau, für manche heute unvorstellbar lang, nämlich fünf Jahre gedauert
hatte.
Die Österreicher mag sie, besonders ihre Nachbarn, mit denen es ein gutes Auskommen
gibt. Mit der Sprache gab es ja nie Probleme, haben sie doch auch daheim in Neudorf
immer deutsch gesprochen – vielleicht ein wenig mit dem Hausruckviertlerischen Dialekt.
Aber das lernt man mit der Zeit. Und obwohl sie viele guten Erfahrungen mit den
Österreichern gemacht hat, sagt sie auch nach mehr als 70 Jahren noch, dass sie im
Herzen Deutsche oder besser gesagt Neudorferin geblieben ist. Der Besuch in dem
idyllischen Dorf in Kroatien – damals noch Jugoslawien - Mitte der 60-er Jahre war
ernüchternd und sehr traurig. „Auf der Suche nach vertrauten Gegenständen, die uns an
die Zeit der Kindheit erinnern, haben wir in unserem ehemaligen Elternhaus durchs Fenster
geschaut“, erinnert sie sich an den Besuch in dem Dorf. Vergeblich. Und der neue Besitzer,
der wie viele andere nach der Enteignung der Deutschen das Haus zugeteilt bekommen
hatte, hat nicht sehr freundlich reagiert. „Wir sind dann weg und mit unserem VW Käfer
weiter ans Meer nach Split gefahren“, erzählt die rüstige Rentnerin, der man die vielen
mühevollen Jahre
nicht ansieht und auch nicht anmerkt
- denn ihr Geist ist noch
hellwach.
Und so muss sie manchmal nur den Kopf schütteln, wenn sie sich anschaut, was gerade
rund herum passiert. Und hier nimmt das ansonsten von Lachfalten durchzogene Gesicht
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einen sehr nachdenklichen Ausdruck an und sie meint: „Vieles gefällt mir da gar nicht
mehr“. Irgendwie kommt ihr die Welt und vor allem die Jugend recht orientierungslos vor.
„Das ist auch das Ergebnis des Laissez-faire-Stils der letzten Jahrzehnte“, ist sie sicher. Ein
wenig mehr Respekt voreinander, Disziplin und Ordnung würden aus ihrer Sicht nicht
schaden. „Denn gerade Kinder“, davon ist sie überzeugt, „brauchen Orientierung und
Grenzen.“ Damit mag sie nicht Unrecht haben, wenn man sich aktuelle Entwicklungen
anschaut. Ihr Enkelsohn Markus jedenfalls, der jetzt Chemie studiert und Oma immer mit
seinem Einserzeugnissen erfreute, hat das von der Oma gelernt und ist bisher immer gut
gefahren damit. Und wenn die beiden in enger Verbundenheit im tiefsten Schwäbischen
Dialekt miteinander lachen und plaudern, dann zeigt sich auch eines: dass sie ihre
gemeinsamen schwäbischen Wurzeln nicht verleugnen können, egal, wo man grad ist auf
der Welt.
Quelle: Konrad, Edith (2014), Fremdbegegnungen in Theorie und Praxis, 16
Praxisgeschichten und die Theorie zur Normalität des Fremden, Paramon, Wien Seite 40ff
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Mag.a Dr.in Edith Konrad: Journalistin, Germanistin und
Historikerin.
Geschäftsführerin
professionelle
von
Interaktion:
Unternehmensberatung
Kommunikation,
ipi
–
Institut
Organisations-
mit
den
Interkulturelle
für
und
Schwerpunkten
Kompetenz
und
Diversitymanagement. Die Wurzeln und Lebensmittelpunkt
im Innviertel. Daheim in der Welt als begnadete Weltenund
Lebensweltenbummler
mit
Lieblingsdestination
Südostasien.
Herbert Feichtenschlager: Selbständiger Unternehmer und
Asienkenner. Seit dreißig Jahren Hobbyfotograf spezialisiert
auf Landschafts- und Menschenbilder. Die Wurzeln und
Lebensmittelpunkt im Innviertel. Daheim in der Welt als
begnadeter
Welten-
und
Lebensweltenbummler
mit
Lieblingsdestination Südostasien.
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IPI - Institut für Professionelle Interaktion, Mag.a Dr.in Edith
Konrad, Unternehmens- und Organisationsberaterin,
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