Kulturelle Bildung: Braucht man das, oder kann das weg?

Kostenloses Unterrichtsmaterial für die Sekundarstufe II
www.zeit.de/schulangebote
Diese Arbeitsblätter sind ein kostenloser Service für die
Oberstufe und erscheinen jeden ersten Donnerstag im
Monat. Sie beleuchten ein aktuelles Thema aus der ZEIT,
ergänzt durch passende Arbeitsanregungen zur praktischen Umsetzung im Unterricht. In dieser Ausgabe
präsentieren wir Ihnen einen Sondernewsletter in Kooperation mit ZEIT ONLINE mit inhaltlichem Fokus auf
das Thema Studienorientierung.
In Zusammenarbeit mit:
www.zeit.de
Thema im Monat Oktober 2015:
Kulturelle Bildung: Braucht man das, oder kann das weg?
Schiller oder Steuer? Muss man ein Gedicht in vier Sprachen analysieren können, oder sollte man besser die Steuerschlupflöcher kennen? Mit ihrem Twitterbeitrag hat Userin Naina eine Bildungsdebatte in
Deutschland angestoßen. Wieder einmal muss sich kulturelle Bildung rechtfertigen gegenüber der Forderung, an Schulen mehr Alltagsqualifikationen zu lehren. Dabei klagen Unternehmen schon heute über
hoch qualifizierte Fachkräfte, die nicht über den eigenen Tellerrand schauen können. Aber was leistet
kulturelle Bildung, was andere Fächer nicht vermögen?
In dieser Unterrichtseinheit erörtern Ihre Schüler, was ihnen die Beschäftigung mit Kunst und Musik, Theater und Film bedeutet und welche Kompetenzen jungen Menschen hierbei vermittelt werden können.
Sie vergleichen Konzepte der klassischen Allgemeinbildung mit einem erweiterten Kunstbegriff, der auch
Popkultur einschließt, und entwickeln Skizzen für neue Kulturprojekte im eigenen Umfeld.
Inhalt:
2 Einleitung: Thema und Lernziele
3 Arbeitsblatt 1: Schönheit muss man lernen
7 Arbeitsblatt 2: Kleine Gangster
10 Internetseiten zum Thema
»ZEIT für die Schule«-Arbeitsblätter | Kulturelle Bildung: Braucht man das, oder kann das weg?
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Einleitung: Thema und Lernziele
»Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ’ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen«. Mit diesem Tweet hat Userin Naina im Januar 2015 eine lebhafte
Bildungsdebatte entfacht. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob die Schule anstelle der klassischen Allgemeinbildung, vertreten durch Schiller, Tacitus und Michelangelo, mehr Alltagsqualifikationen vermitteln soll:
Gebrauchsanweisungen schreiben, Riestervertrag verstehen oder Flipcharts scribbeln. Anders formuliert:
Es geht um nichts weniger, als zu klären, welchen Zweck die Schule erfüllen soll. Kritiker der klassischen Allgemeinbildung wollen jene Lerninhalte aus fernen Jahrhunderten ausmisten, die aus ihrer Sicht heute nicht
für das »real life« taugen. Sie wollen damit ein altes Versprechen einlösen: dass man fürs Leben lernen solle.
Ihre Gegner hingegen lehnen eine Schule als reine Qualifizierungsanstalt ab, in der unternehmenskompatible
Arbeitskräfte herangezogen werden, die nicht in der Lage sind, ein reflektiertes, selbstbestimmtes Leben zu
führen, ohne zum Nutzen Dritter zu funktionieren. Das alte Leitbild des deutschen Ingenieurs, der abends mit
Freunden ein Streichquartett von Beethoven einübt – ist das überhaupt noch zeitgemäß?
Mit der Debatte um #nainablabla ist die kulturelle Bildung an Schulen unter Rechtfertigungsdruck geraten,
wieder einmal. Dieser Trend ist nicht neu. Nach dem PISA-Schock im Jahr 2000, als deutsche Schüler im
internationalen Vergleich nur mittelmäßige Ergebnisse erzielten, konzentrierten sich viele Schulen stärker
auf die harten Kernfächer. Und wenn bei der Einführung von G8 überhaupt einmal der Lernstoff gestrafft
wurde, blieb meist auch hier die kulturelle Bildung auf der Strecke.
Es gibt allerdings auch eine gegenläufige Entwicklung. Die Initiative »JeKits – Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen« beispielsweise, das Programm »Kulturagenten für kreative Schulen« und zahlreiche
weitere Kulturinitiativen. Gestritten wird dabei bisweilen um die Frage, welche Inhalte kulturelle Bildung
vermitteln soll: Graffiti oder Rembrandt, Faust oder Poetry Slam, Macbeth oder Actionfilme, Rap oder
Bachfugen. Ihnen gemeinsam jedoch ist die Überzeugung, dass kulturelle Bildung ein wesentlicher Beitrag
der Erziehung von Kindern sein sollte. Dabei geht es darum, den geistigen Horizont über schnelllebige
Alltagsbelange hinaus zu erweitern und seine eigene Perspektive in einem umfassenderen Rahmen zu
stellen. Es geht um ein Bewusstsein der eigenen Wurzeln und das Verständnis von anderen Kulturen. Es
geht aber auch darum, das Selbstgefühl zu stärken und Kindern aus bildungsfernen Schichten die Teilhabe
am kulturellen Leben zu ermöglichen.
Arbeitsblatt 1 enthält ein Plädoyer für Künste und alte Sprachen an Schulen. Abgekoppelt von jedem
Nützlichkeitsdenken sollen diese Fächer die Freude an der Schönheit vermitteln. Die Schüler erörtern die
Argumente des Autors und seinen zugrunde liegenden Kulturbegriff und ziehen Leserkommentare zu ihrer Diskussion um den streitbaren Artikel hinzu.
In Arbeitsblatt 2 setzen sich die Schüler mit der Arbeit der Kulturagenten auseinander, die ganz unterschiedliche Kulturprojekte an Schulen ermöglichen. Hierbei recherchieren die Schüler Initiativen im eigenen schulischen Umfeld, arbeiten Lernziele und Kompetenzvermittlung am Beispiel eines Filmprojekts
heraus und vergleichen im Hinblick auf Arbeitsblatt 1 zwei unterschiedliche Konzepte für die Kulturvermittlung an Schulen.
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Arbeitsblatt 1
Schönheit muss man lernen
Manche Schulfächer sind total nutzlos, hat die siebzehnjährige Naina beklagt. Aber stimmt das
wirklich? Nein! Ein Plädoyer für die Künste und die alten Sprachen.
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Naina, so nennt sich eine Siebzehnjährige aus Köln, hat eine veritable Bildungsdebatte ausgelöst, als sie
im Netz bekannte, Gedichte analysieren zu können, aber keine Ahnung »von Steuern, Miete oder Versicherungen« zu haben. Unsere Bildungsministerin Johanna Wanka hat denn auch mitteilen lassen, sie finde
Nainas Beitrag erfreulich und sei dafür, »in der Schule stärker Alltagsfähigkeiten zu vermitteln«. Da war er
wieder, der ewige Vorwurf, dass die Schule nicht auf das Leben vorbereite, sondern die armen Kinder mit
unnützen Gedichten behellige.
Was ist nützlich? Diese Frage beschäftigt Naina, sie beschäftigt auch die bestallten Pädagogen und die
Eltern. Die Antwort ist klar: Lesen, Schreiben, Rechnen in der Grundschule; Naturwissenschaften und Ökonomie an den Gymnasien, dazu Verkehrssprachen wie Englisch und Spanisch. Sozialkunde ist von Vorteil,
Sport lüftet den Kopf. Alles, was anwendbar ist und ertüchtigt, erscheint uns als nützlich. Und was spräche
dagegen, den Schülern beizubringen, wie man eine Steuererklärung macht?
Ob die These von einer immer komplexeren Lebenswelt wirklich zutrifft, ist gar nicht die Frage. Das Gefühl,
es verhalte sich so, ist dominant, und es bestimmt das Aufgabenfeld der Schule. Dieses vergrößert sich
ständig. Kulturtechniken wie der Umgang mit dem Computer und dem Netz, mit Medien, Mode und Werbung sind Themen der Curricula. Die Schule dient der Vorbereitung auf den Beruf, und die meisten Berufe,
in denen man Geld verdienen kann, erfordern technisch-ökonomische sowie kommunikative Fertigkeiten.
Wo aber bleibt das Schöne? Eine seltsame Frage, die heute kaum jemand mehr versteht. In den alten
Schulen jedoch, wo man Griechisch und Latein, Musik und Kunst studierte, wo man Homer und Shakespeare, Horaz und Molière las, wo man Gedichte von Schiller oder Mörike auswendig lernte, war das gar
keine Frage. Es gehörte dazu. Nein, ich rede nicht von der »Feuerzangenbowle«, die dazu diente, eine
schwarze Pädagogik zu vergolden, sondern von der »Nützlichkeit des Unnützen«.
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So lautet der Titel einer Streitschrift des italienischen Literaturprofessors Nuccio Ordine (erschienen im
Graf Verlag). In der Einleitung schreibt er, er wolle den Begriff der Nützlichkeit »in einem anderen, viel
universelleren Sinn verstehen und darüber nachdenken, was es mit der Nützlichkeit jenes Wissens auf sich
hat, dessen Wert vollkommen losgelöst ist von jeder Zweckbestimmtheit«. Ordine wendet sich gegen das
ökonomische Nützlichkeitsdenken, und er befürchtet, dass es »nach und nach unser Erinnerungsvermögen auslöschen und damit den Geisteswissenschaften und den alten Sprachen den Garaus machen wird,
ebenso wie der Fantasie und der Kunst«.
Wie weit dieses Denken in unsere Köpfe vorgedrungen ist, erkennt man daran, dass sich die scheinbar
nutzlosen Fächer mit unmittelbaren Zwecken rechtfertigen. Latein, so die Begründung, diene dem Erler-
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nen grammatischer Strukturen und erleichtere den Erwerb des Englischen. Frühzeitige Musikerziehung
sei gut für den Mathematikunterricht. Kunstunterricht stabilisiere die Psyche. Wer so argumentiert, begibt
sich in eine Begründungsfalle, aus der er nicht mehr herauskommt. Denn leicht ließe sich entgegnen, Latein sei ein Umweg, die Zeit für das Übersetzen von Horaz wäre besser verwendet, wenn man sie gleich
ins Englische investierte.
Auch die Schulbehörden sind von solchem Zweckdenken beherrscht. Über den Sinn der Fächer Deutsch,
Kunst, Musik und Literatur vermerken die »Kernlehrpläne« des Landes Nordrhein-Westfalen:
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»Innerhalb der von allen Fächern zu erfüllenden Querschnittsaufgaben tragen insbesondere auch die
Fächer des sprachlich-literarisch-künstlerischen Aufgabenfeldes im Rahmen der Entwicklung von Gestaltungskompetenz zur kritischen Reflexion geschlechter- und kulturstereotyper Zuordnungen, zur
Werteerziehung, zur Empathie und Solidarität, zum Aufbau sozialer Verantwortung, zur Gestaltung einer demokratischen Gesellschaft, zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen, auch für kommende
Generationen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung, und zur kulturellen Mitgestaltung bei. Darüber
hinaus leisten sie einen Beitrag zur interkulturellen Verständigung, zur interdisziplinären Verknüpfung von
Kompetenzen, auch mit gesellschafts- und naturwissenschaftlichen Feldern, sowie zur Vorbereitung auf
Ausbildung, Studium, Arbeit und Beruf.«
Die armen Lehrer! Goethes Werther, Eichendorffs Taugenichts müssten unter der Last dieser Aufgaben
zusammenbrechen, wollte man sie ernst nehmen – was allerdings schwerfällt. Darf man jemandem glauben, der ein derart elendes Deutsch schreibt?
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Ein Lehrer des Altgriechischen, den ich einmal fragte, wie man sein Fach begründen könne, entgegnete:
»Das können Sie gar nicht begründen, es ist schön!« Es fällt übrigens auf, dass die Freunde der alten Sprachen nur noch für eine halbierte humanistische Bildung eintreten. Griechisch spielt fast keine Rolle mehr.
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Das Schöne kann man nicht begründen, es ist evident. Wer ihm begegnet, sieht sich überwältigt, er will davon erzählen. Wer Mozart zum ersten Mal hört oder Botticelli zum ersten Mal sieht, wer die vollkommene
Rundung des Pantheons betritt, wird, wenn er nicht vollkommen stumpf ist, eine Ahnung davon bekommen, was Schönheit ist. Das heißt aber auch: Man muss ihr begegnen, sie erkennen können. Das erfordert
historische Kenntnis, ein geübtes Auge und Ohr. Darauf hinzuwirken sollte gute Schulen beschäftigen. [...]
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Der Hegelianer Karl Rosenkranz sagt in seiner »Ästhetik des Häßlichen« (1853): »Das Schöne ist die göttliche, ursprüngliche Idee.« Und gleich zu Beginn bemerkt er: »Die Hölle ist nicht bloß eine religiös-ethische,
sie ist auch eine ästhetische. Wir stehen inmitten des Bösen und des Übels, aber auch inmitten des Häßlichen. Die Schrecken der Unform und der Missform, der Gemeinheit und der Scheußlichkeit umringen uns
in zahllosen Gestalten.« Rosenkranz konnte von Glück sagen, dass er jene Hölle der Bilder nicht kannte, die
auf unsereins mit allen technischen Mitteln einstürmt. Er war auch deshalb in einer glücklichen Lage, weil
er noch ungeschwächt an der Idee des Kunstschönen festzuhalten vermochte.
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Dieser Idealismus ist uns abhandengekommen. Doch ist Schönheit als Idee nicht verschwunden. Selbst
dort noch, wo dem Hässlichen als ihrem Gegenbild gehuldigt wird wie in vielen künstlerischen Zeugnissen
der Moderne, spielt sie eine ästhetisch bedeutende Rolle – als Figur der Abstoßung. Die Erscheinungsformen der Schönheitsidee wandeln sich je nach Kultur und Epoche, ihre Formgesetze aber bleiben dieselben. Das lässt sich erlernen und sollte zentraler Gegenstand schulischer Bildung sein.
Die französische Kathedrale begreift man erst dann, wenn man etwas von der Theologie des Lichtes, die
ihr zugrunde liegt, gehört hat; die Kunst der Fuge erst dann, wenn man weiß, was eine Fuge ist; die Bilder
Caspar David Friedrichs erst dann, wenn man etwas von ihrer transzendentalen Idee, die zugleich eine
politische Dimension hat, versteht. Schönheit als philosophisch-ästhetische Kategorie lässt sich lehren
und erlernen. Das ist auch deshalb notwendig, weil die Konsumwelt mit ihren Verheißungen lockt. Was als
schön zu gelten hat, zeigen uns die Produzenten, indem sie uns mit Waren versorgen, deren Schönheit mit
dem Preis zu- und mit ihrer Marktpräsenz abnimmt. Schön ist nur das je Allerneueste. Näher betrachtet,
handelt es sich bloß um das Gefällige. Das Gefällige ändert sich, das Schöne bleibt.
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Zur Tragik des Schönen gehört, dass es Aggressionen hervorruft, zuweilen sogar den Wunsch, es zu
vernichten. Herman Melvilles Novelle »Billy Budd« hat diesen finsteren Mechanismus zum Gegenstand.
Sie spielt 1797 auf einem Schiff der englischen Flotte, man befindet sich im Krieg mit Napoleon. Im Kern
erzählt sie von dem jungen Matrosen Billy Budd, dessen Schönheit den Offizier Claggart zutiefst berührt.
Claggart ist hässlich, und er weiß es. In Benjamin Brittens Oper (1951), deren Libretto von E. M. Forster
stammt, lautet Claggarts Arie: »O Schönheit, o Lieblichkeit, wäre ich dir doch nie begegnet! Hätte ich doch
in meiner Welt bleiben dürfen, in der Erbärmlichkeit, aus der ich kam! Ich hätte jenen Frieden gefunden,
den man in der Hölle findet. Nun aber leuchtet das Licht in die Finsternis, die Finsternis begreift es, und
sie leidet.« Das spielt an auf den Prolog des Johannes-Evangeliums. Claggart, der sich außerstande sieht,
dieses Licht in sich aufzunehmen, fährt fort: »Ich bin dazu verurteilt, dich zu vernichten. Ich will dich ausradieren vom Antlitz der Erde.« Claggart befördert eine Intrige, an deren Ende Billy Budd gehenkt wird.
Brittens Oper ist eine Verbeugung vor dem unbegreiflich Schönen.
Dem Hass auf das Schöne begegnen wir im Vandalismus der Sprayer, die jede renovierte Fassade
markieren; in der Wut der Fundamentalisten, die Bildnisse gegnerischer Kulturen in die Luft sprengen. Vielleicht hat es noch nie eine Zeit gegeben, in der das Schöne solcher Verachtung und Wut
ausgesetzt war. Schönheit jedoch verlangt von uns, die Welt mit Ehrfurcht und Aufmerksamkeit zu
betrachten. Ob ihr Studium dazu beitragen kann, uns zu besseren Menschen zu machen, wie Literaturprofessor Nuccio Ordine glaubt, ist ungewiss. Sicherlich macht es uns klüger, und deshalb sind die
scheinbar unnützen Schulfächer, die es derzeit schwer haben, so wichtig. Und was Steuern sind, wird
Naina früh genug lernen.
Quelle: Ulrich Greiner, DIE ZEIT Nr. 4/2015, http://www.zeit.de/2015/04/bildung-debatte-schule
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Aufgaben
1. Einstieg: Die Twitter-Bildungsdebatte rekapitulieren
a. Fassen Sie mithilfe einer fünfzehnminütigen Internetrecherche zusammen, worum es bei der Bildungsdebatte geht, die die Twitter-Userin Naina losgetreten hat.
b. Legen Sie dar, in welchem Zusammenhang der Artikel »Schönheit muss man lernen« von Ulrich
Greiner mit dieser Kontroverse steht.
2. Den Artikel interpretieren und die Intention des Autors herausarbeiten
a. Fassen Sie die Kernthese des Autors in einem Satz zusammen.
b. Geben Sie wieder, mit welchen Argumenten der Autor sein Plädoyer für die Künste und die alten
Sprachen als Schulfächer untermauert. Interpretieren Sie hierfür auch die aufgeführten literarischen bzw. kunsttheoretischen Exkurse: Zitat Nuccio Ordine (Zeile 26$ff.), Zitat Karl Rosenkranz
(Zeile 69$ff.), Herman Melvilles Novelle »Billy Budd« (Zeile 91$ff.).
c. Arbeiten Sie heraus, welche Kritik der Autor an den Lernzielen der Kernlehrpläne (Zeile 45$ff.) für
kulturelle Bildung übt.
d. Erläutern Sie, warum der Autor die Tendenz zur Ökonomisierung der Bildung ablehnt. Arbeiten
Sie hierfür den Unterschied zwischen Bildung und Qualifizierung heraus.
3. Die Kunst- und Kulturvorstellung des Autors erörtern
a. Erschließen Sie den Kulturbegriff des Autors. Entwerfen Sie hierfür eine Definition.
b. Formulieren Sie mögliche Lernziele, die sich an diese Vorstellung anlehnen, und nennen Sie Unterrichtsinhalte aus Ihrer Schulerfahrung, die diesem Kulturkonzept nahekommen.
c. Nehmen Sie Stellung zu diesem Konzept der kulturellen Bildung bzw. Kunstpädagogik und diskutieren Sie, ob Sie solche Unterrichtsinhalte, trotz oder gerade wegen ihrer Zeitlosigkeit, noch als
zeitgemäß empfinden. Entwickeln Sie Vorschläge für eine alternative Kulturpädagogik.
4. Leserkommentare zur Bildungsdebatte diskutieren und eine Position beziehen
Erörtern Sie folgende Standpunkte und legen Sie fest, welche Aufgaben kulturelle Bildung in Ihren
Augen erfüllen sollte.
User McBudaTea: »Es gibt genug Leute, welche sich für Kunst, Literatur, alte Sprachen interessieren.
Es gibt auch viele, die andere Interessen haben. […] Wenn man aber anderen Menschen dies in der
Schule aufzwingen will, braucht man meiner Meinung nach bessere Argumente als Schönheit.«
Kommentar #8 zum Artikel »Schönheit muss man lernen« auf ZEIT ONLINE,
http://www.zeit.de/2015/04/bildung-debatte-schule?cid=4433203#cid-4433203
User RGFG: »Wäre ich in der Schule damals nicht zu Goethe, Brecht und Mann ›gezwungen‹ worden
oder hätte ich im Kunstunterricht nichts von Farben und ihrer Herstellung, und warum sich die Kunst
damit verändert hat, gehört - von zu Hause aus hätte es mir keiner sagen können.«
Kommentar #13 zum Artikel »Schönheit muss man lernen« auf ZEIT ONLINE,
http://www.zeit.de/2015/04/bildung-debatte-schule?cid=4433283#cid-4433283
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Arbeitsblatt 2
Kleine Gangster
Kulturelle Bildung kommt an vielen Schulen zu kurz. Stiftungen fördern daher Kulturagenten.
Einer von ihnen drehte mit Schülern einen Actionfilm.
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Es war eine Premiere wie in Hollywood. Ein ausverkauftes Kino, stolze Hauptdarsteller und auf der Leinwand ein rasanter Actionfilm. Anfang Februar lief »Das Millionengrab« das erste Mal vor Publikum, ein Film
über den Kampf der Polizei gegen ein rücksichtsloses Verbrechersyndikat. In den Hauptrollen: 16 Schüler
der Stadtteilschule Winterhude in Hamburg. Regie führte unter anderem Matthias Vogel. Der 35-jährige
Filmemacher hat seit zwei Jahren einen neuen Job: Er ist Kulturagent.
Und damit Teil eines der größten Projekte für kulturelle Bildung an Schulen in den vergangenen Jahren. 20
Millionen Euro haben die Stiftung Mercator und die Kulturstiftung des Bundes 2011 für die Initiative »Kulturagenten für kreative Schulen« bereitgestellt. Mit dem Geld sollen Schulen vier Jahre lang künstlerische
Projekte umsetzen können. Im thüringischen Dingelstädt machen 40 Schüler zum Beispiel mit einem Archäologen Ausgrabungen. In Erfurt hat eine Gesamtschule ein Zirkuszelt angemietet, die Schüler üben den
Auftritt in der Manege. Und Matthias Vogel konnte zwei renommierte Kurzfilmregisseure an die Stadtteilschule Winterhude holen und eine professionelle technische Ausstattung für seinen Film zusammenstellen.
Drei Wochen lang drehte er mit den Regisseuren und Schülern auf einem alten Fabrikgelände, in einem
Kongresszentrum und in Hochhaussiedlungen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Es gibt Verfolgungsjagden, kaltblütige Auftragskiller, Angriffe mit Panzerfäusten und riesige Explosionen – Hollywood in Hamburg eben. »Wir haben alle klassischen Elemente eines Actionfilms eingebaut«, sagt Vogel. Das Geld der
Stiftungen hat es möglich gemacht.
Sie wollen, dass Schulen wieder mehr Kultur auf den Stundenplan setzen und dabei auch mal andere Formen ausprobieren als im klassischen Kunst- und Musikunterricht. »Nach den ersten Pisa-Tests gab es an
vielen Schulen eine Konzentration auf die harten Kernfächer«, sagt Winfried Kneip, der das Kompetenzzentrum Bildung der Stiftung Mercator leitet. Dabei sei kulturelle Bildung ebenso wichtig. So hat er zusammen
mit der Kulturstiftung vor zwei Jahren 46 Kulturagenten eingestellt, meistens Künstler oder Kulturpädagogen, die bereits Erfahrung in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen haben. Anschließend wählten die
Stiftungen 138 Schulen in fünf Bundesländern aus. Jede Schule bekommt in den vier Jahren insgesamt rund
53.000 Euro und einen Kulturagenten zugeteilt. Der entscheidet, wofür das Geld ausgegeben wird, und
muss dabei für jedes Projekt einen Antrag stellen. Nicht jedes ist dabei so spektakulär wie der Actionfilm
von Matthias Vogel. Auch klassische Theaterkurse oder eine Malerei-AG werden durch das KulturagentenProgramm gefördert. Denn an vielen Schulen fehlt sogar dafür das Geld.
So wie an der Gesamtschule Weierheide in Oberhausen. »Rund zehn Prozent der Eltern unserer Schüler
hier bekommen Hartz IV«, sagt Schulleiter Hermann Dietsch. »Viele Kinder wachsen in finanzieller Armut
auf und kommen nur selten mit Kultur in Verbindung.« Schon lange hätte Dietsch gerne einen Theaterkurs
angeboten, doch er wusste nicht, wie er das bezahlen sollte. »An anderen Schulen gründet sich für so etwas
eine Elterninitiative, die Geld sammelt«, sagt der Theaterpädagoge Jens Niemeier. An der Gesamtschule
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Weierheide war das nicht möglich. Erst mit dem Geld aus dem Kulturagenten-Projekt konnte Schulleiter
Dietsch unter anderem einen Theaterkurs und Tanzunterricht mit einem Profitänzer anbieten. Beides sogar
über mehrere Jahre. »Über so einen langen Zeitraum kann ich ganz anders mit den Kindern arbeiten, als
wenn ich nur ein paar Wochen komme«, sagt Niemeier. Diese Arbeit zahlt sich aus. Ein 14-jähriger Schüler
erzählt, dass der Theaterkurs sein absolutes Lieblingsfach sei. Hier habe er gelernt, wie man Körpersprache
und Mimik einsetzen könne, um sich in Diskussionen durchzusetzen.
Den Kontakt zu Niemeier hat Anke Troschke hergestellt. Sie ist eine von drei Kulturagentinnen im Ruhrgebiet und für drei Schulen in Oberhausen zuständig. Troschke vermittelt den Schulen Künstler für die einzelnen Projekte, sie stellt Förderanträge und initiiert dann Kooperationen zwischen den Schulen und Kultureinrichtungen. »Am Anfang bin ich mit jedem, der hier etwas mit Kultur zu tun hatte, Kaffee trinken gegangen
und habe besprochen, wie man Schulen und Kulturbetriebe zusammenbringen kann«, sagt Troschke.
Die Künstler sollen aber nicht nur die Schüler für Kultur begeistern, sondern auch den Lehrern neue Ansätze
zeigen. »Sie haben eine ganz andere Perspektive auf das Lehren, weil sie nicht so im Schulalltag stecken«,
sagt Michael Poetz, Musiklehrer und stellvertretender Schulleiter der Gesamtschule Weierheide. »Wir haben
in der Ausbildung ja eher die klassischen Methoden gelernt.« Viele Schulministerien unterstützen daher das
Projekt. [...]
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Manchmal kommt es durch die Ideen der Künstler allerdings auch zu Konflikten. In Hamburg beschwerten
sich einige besorgte Eltern bei Matthias Vogel, nachdem sie den Trailer zu seinem Schüler-Actionfilm gesehen hatten. »Dass dort Kinder mit Waffen aufeinander schießen, fanden einige problematisch«, sagt er.
»Genau diese Debatten will ich aber mit solchen Projekten anstoßen.« Actionfilme gehörten genauso zur
Kultur wie die »Zauberflöte«, sagt Vogel. »Die Schüler können durch die Auseinandersetzung mit diesen
Filmen viel lernen.« Und Alexander Farenholtz, Verwaltungsdirektor der Kulturstiftung des Bundes, sagt:
»Wir wollen mit dem Projekt auch dafür sorgen, dass sich die Kulturinstitutionen neuen Formen öffnen.« So
sollen Museen und Theater wieder interessanter für Jugendliche werden. Denn den Stiftungen geht es bei
dem Kulturagenten-Projekt auch darum, das Publikum von morgen zu gewinnen.
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Deshalb soll die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Kulturinstitutionen auch nach dem Ende des Projekts 2015 weitergehen. In Oberhausen hat Anke Troschke für ihre drei Schulen zahlreiche Kooperationsverträge mit Museen und Schauspielhäusern geschlossen. »Kultur soll ein fester Bestandteil des Schulunterrichts werden«, sagt Winfried Kneip von der Stiftung Mercator.
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Ob das klappt, ist allerdings noch fraglich. Wenn die Kulturagenten wieder weg sind und das Geld aufgebraucht ist, müssten Schulleiter die aufwendigen Kulturprojekte wieder selber organisieren und vor allem
bezahlen. Das werde äußerst schwierig, sagt Hermann Dietsch von der Gesamtschule Weierheide. »Wir
haben leider überhaupt kein Geld dafür.«
Malte Buhse, DIE ZEIT Nr. 8/2014, http://www.zeit.de/2014/08/schule-kulturelle-bildung-kulturagenten
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1. Selbstreflexion: Lernerfahrungen zur kulturellen Bildung zusammentragen
Notieren Sie auf einem Zettel Ihre persönlichen Eindrücke zum Unterricht in kultureller Bildung. Was
haben Sie Positives daraus für sich ziehen können? Was hat Sie abgestoßen? Tauschen Sie sich über
Ihre Unterrichtserfahrungen im Plenum aus.
2. Projektbeispiele für kulturelle Bildung zusammentragen
a. Erläutern Sie, welche Ziele die Initiative »Kulturagenten für kreative Schulen« verfolgt, wie sie ihr
Engagement begründet, und auf welche Weise die einzelnen Projekte realisiert werden.
b. Stellen Sie Beispiele für Kulturprojekte aus dem Artikel von Malte Buhse in einer Mindmap dar.
Bilden Sie hierfür übergeordnete Kategorien für Kulturgenres.
c. Recherchieren Sie in Gruppenarbeit auf dem Internetauftritt der Initiative »Kulturagenten für kreative Schulen« nach weiteren Beispielen, und stellen Sie ein Projekt steckbriefartig im Plenum vor.
Link: www.kulturagenten-programm.de
d. Ergänzen Sie die Mindmap aus Aufgabe a) mit den Arbeitsergebnissen aus Aufgabe b) und fügen
Sie eigene Projektideen hinzu.
3.
Kulturelle Bildung im eigenen schulischen Umfeld recherchieren
a. Ermitteln Sie, welche Kulturprojekte außerhalb des Regelunterrichtes an Ihrer Schule stattfinden.
Befragen Sie in Gruppenarbeit die Teilnehmer und Leiter der Projekte nach ihren Erfahrungen:
đƫ Was haben die Beteiligten durch ihre Projektarbeit gelernt?
đƫ Was waren die Highlights, wo gab es Frustmomente in der gemeinsamen Arbeit?
đƫ Würden die Beteiligten anderen Interessierten dieses Projekt weiterempfehlen?
Stellen Sie das Projekt und Ihre Interviewergebnisse steckbriefartig im Plenum vor.
b. Konzipieren Sie in Gruppenarbeit ein eigenes kreatives Kulturprojekt. Definieren Sie Lerninhalte
sowie Möglichkeiten der Umsetzung.
4. Beispiele für kompetenzorientierten Unterricht anhand eines Schüler-Actionfilms herausarbeiten
a. Betrachten Sie den Trailer zum Schülerfilm »Das Millionengrab« der Winterhuder Reformschule.
Link: http://www.kulturagenten-programm.de/home/neuigkeiten/show/512
b. Formulieren Sie Lernziele und Kompetenzen, die die Schüler durch die Arbeit an einem solchen
Filmprojekt vermittelt bekommen. Differenzieren Sie nach Fach-, Medien- und Sozialkompetenzen.
c. Erörtern Sie, inwiefern die Arbeit an einem Actionfilm als Beitrag für kulturelle Bildung an Schulen geeignet ist. Leiten Sie aus Ihren Überlegungen Kriterien ab, mit denen sich Aktivitäten zur
schulischen Bildung und reine Freizeitprojekte voneinander abgrenzen lassen.
5. Unterschiedliche Konzepte für kulturelle Bildung miteinander vergleichen
a. Vergleichen Sie den Begriff der kulturellen Bildung bei Ulrich Greiner (»Schönheit muss man lernen«, Arbeitsblatt 1) mit den Kulturprojekten, die Malte Buhse vorstellt (Arbeitsblatt 2). Legen Sie
dar, wie sich die jeweiligen Konzepte auf den (Projekt-)Unterricht auswirken könnten.
b. Erörtern Sie, welchen Stellenwert kulturelle Bildung an Schulen zukommen sollte: Was sollte oder
kann sie leisten? Wie kann man sie rechtfertigen? Welcher Stellenwert sollte ihr im Unterricht
zugeschrieben werden?
»ZEIT für die Schule«-Arbeitsblätter | Kulturelle Bildung: Braucht man das, oder kann das weg?
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Internetseiten zum Thema:
Kulturelle Bildung: Braucht man das, oder kann das weg?
ZEIT ONLINE: Allgemeinbildung ist überschätzt
http://www.zeit.de/2015/05/schule-unterricht-allgemeinbildung-lernen
ZEIT ONLINE: Twitter-Bildungsdebatte – Uff. Und was machen wir jetzt?
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-01/twitter-nainablabla-schule-diskussion
ZEIT ONLINE: Mietverträge lernen im Unterricht? Nö!
http://www.zeit.de/2015/06/bildung-unterricht-faecher-inhalte-naina
ZEIT ONLINE: Chor ist nichts für unsere Tochter
http://www.zeit.de/gesellschaft/familie/2013-06/familienglueck-musikunterricht
Bundeszentrale für politische Bildung: Dossier kulturelle Bildung
http://www.bpb.de/gesellschaft/kultur/kulturelle-bildung/
JeKits – Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen
http://www.jekits.de
Twitter: #nainablabla
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Projektleitung: Wiebke Prigge, Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG,
Projektassistenz: Alisa Ritter, Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG,
didaktisches Konzept und Arbeitsaufträge: Susanne Patzelt, Wissen beflügelt