Erste Stufe der Stadtbusoptimierung (von Prof. Dr. Heiner Monheim)

Erste Stufe der Stadtbusoptimierung
(von Prof. Dr. Heiner Monheim)
Stadtbus Lindau eigentlich Erfolgsmodell
Die Ausgangslage beim Stadtbus Lindau ist respektabel. Er war einer der ersten erfolgreichen
Stadtbusse für Klein- und Mittelstädte in Deutschland. Er hatte sehr schnell überzeugenden
Markterfolg. Er fand großes fachliches Interesse und viele Nachahmer.
Er hat sein 20 jähriges Jubiläum selbstbewusst gefeiert. Und bei der Gelegenheit
seine Erfolgsgeschichte und die relevanten Erfolgsfaktoren solide dargestellt.
So weit, so gut.
Aber zahlreiche Detailprobleme schmälern die Wirtschaftlichkeit
Und trotzdem gibt es in den letzten Jahren immer wieder Kritik am Stadtbus.
Die früheren Wachstumsraten erreicht er nicht mehr.
Die Nachfrage stagniert trotz des Zuwachses an Arbeitsplätzen und Einwohnern.
Einige Linien haben zu bestimmten Tageszeiten erhebliche Probleme mit der
Pünktlichkeit. Pünktlichkeit ist aber bei solchen Systemen mit zentralem
Rendezvous Voraussetzung für ein kundengerechtes Funktionieren, das auch
Menschen mit Autoverfügbarkeit zur regelmäßigen Nutzung des
Stadtbusses motiviert. Auch der anfängliche Schwung in Marketing und
Werbung und Pressearbeit wurde nicht verstetigt.
Einige Linien sind außerhalb der Schülerspitze ziemlich schlecht ausgelastet. Das gilt vor allem für die Linien, die bis an
den Rand des Stadtgebietes in Ortsteile mit geringer Verdichtung fahren.
Die Akzeptanz bei Berufspendlern und bei den Betrieben, die ggf. Jobtickets für ihre Mitarbeiter kaufen sollten ist
leider unzureichend, obwohl der Stadtbus die Gewerbegebiete sehr gut anbindet.
Und am Rand des Stadtgebietes gibt es Nachbargemeinden, die leider vom Stadtbus nicht bedient werden, obwohl
dort beachtliche Potenziale bestehen. Typische Beispiele hierfür sind Wasserburg, Bodolz, Enzisweiler und
Weißensberg.
Die Abstimmung und Verknüpfung von Stadtbus und Regionalbus ist nicht optimal.
Und am gravierendsten für die Stadtpolitik ist die Frage der Wirtschaftlichkeit. Die Haushaltslage zwingt die Stadt
Lindau in vielen Bereichen zu Sparmaßnahmen. Lange Zeit war der Stadtbus für solche Sparmaßnahmen tabu. Jetzt
hat die Politik aber unter dem Sparzwang einen finanziellen „Deckel“ von maximal 1,7 Mio Euro Zuschuss pro Jahr
festgesetzt. Das Alles zwingt zum Handeln.
Optimierungsgutachten zeigt Lösungswege
Die Verantwortlichen für den Stadtbus haben es sich dabei nicht leicht gemacht. Man hätte ja einfach – ohne großes
Nachdenken- „mit dem Rasenmäher“ das Angebot kürzen können, wie das leider in vielen kommunalen ÖPNVSystemen in den letzten Jahren passiert ist. Den Takt ausdünnen. Die Betriebszeiten verkürzen. Die
Wochenendbedienung einstellen.
Stattdessen wurden zwei Gutachter, die viel Erfahrung mit der Planung und Entwicklung von Stadtbussystemen
haben, gebeten, für folgende Fragen Vorschläge zu entwickeln:
• Wie kann durch geeignete Angebotsänderungen der wirtschaftliche Erfolg verbessert werden; durch mehr
Fahrgäste, mehr verkaufte Abos?
• Wie kann die Pünktlichkeit der Linien verbessert werden?
• Wo werden interessante Bereiche (Gebiete oder Zeitlagen) bislang nicht angemessen bedient und verspricht
eine verbesserte Bedienung zusätzliche Einnahmen?
• Welche Linienabschnitte oder Angebotszeitlagen sind in der heutigen Form nicht wirtschaftlich?
• Wie können Kosten gespart werden durch eine „schlankere“ Angebotsproduktion, beispielsweise straffere
Linienwege oder Umfahren von Staubereichen?
• Wie kann der in Lindau erfreulich stark gewachsene Radverkehr besser mit dem Stadtbus verknüpft werden?
Der Zeithorizont sollte dabei sowohl kurzfristige Verbesserungen als auch langfristige Umstellungen infolge größerer
Baumaßnahmen, insbesondere im Bereich der Bahnübergänge und der Teilverlagerung von Bahnhofsfunktionen nach
Reutin, umfassen.
Die Gutachter haben viele verschiedene Maßnahmen vorgeschlagen. Die Vorschläge wurden in den politischen
Gremien des Stadtrates sowie des Aufsichtsrates der Stadtwerke diskutiert und positiv aufgenommen. Nun sollen sie
Schritt für Schritt umgesetzt werden. Über das erste Maßnahmenpaket wird jetzt aktuell in der Presse berichtet. Um
diese ersten Maßnahmen richtig einordnen zu können, stellen die beiden Gutachter hier auch kurz die wichtigsten
Vorschläge vor.
Dem Abbau der Verspätungen dienen diverse Beschleunigungsmaßnahmen, die dem Bus
• an Kreuzungen, Ampeln und Kreisverkehren Vorfahrt und schnelle Vorbeifahrt ermöglichen. Dabei sollen
auch unkonventionelle Maßnahmen wie Schmalfahrbahnen und Kombispuren zum Einsatz kommen;
• chronische Staubereiche sollen durch veränderte Linienwege umfahren werden.
Dem wirtschaftlichen Einsatz der Ressourcen dienen folgende Änderungen:
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Die Frühkurse am Samstag und Sonntag sind sehr schlecht ausgelastet. Deshalb starten am Samstag und
Sonntag die Stadtbusse später;
Werktags sind die Busse nach 21 Uhr schlecht ausgelastet. Andererseits findet natürlich durchaus ein
relevanter Spätverkehr statt. Darum wird im Spätverkehr das Liniensystem und Taktsystem umgestellt. Die
Linien verkehren im Stundentakt und werden auf dem Festland an den Linienenden verbunden. Die
Treffpunktzeiten werden paarig versetzt, so dass sich leider nicht mehr für alle Busse Rundumanschlüsse
realisieren lassen, sondern jeweils nur für die Hälfte. Die Insel wird dadurch besser als bisher angebunden. So
wird einerseits die Betriebszeit erweitert, aber dennoch der Buseinsatz verringert. Allerdings macht diese
Maßnahme den Spätverkehr durch die Abweichung vom vertrauten System komplizierter. Das erfordert eine
gewisse Umstellung. Sie wird durch eine intensive Kommunikation erleichtert.
Besonders wichtig für Lindau ist der Spätverkehr an den Wochenenden, denn er bedient die Gastronomie
und viele Freizeit- und Kulturangebote. Darum werden der Freitag und Samstag mit längeren Betriebszeiten
besser bedient. So kann der Stadtbus stärker im Freizeitmarkt „punkten“.
Im Vertrieb soll die Mehrfahrtenkarte die Nutzung einfacher machen und die Seltenfahrer zu Häufigfahrern
machen. Dem dient die 4-Fahrten-Karte für 8 EUR. Und dem Freizeitverkehr und den Touristen dient die
Gruppen-Tageskarte für 12 EUR, mit der maximal 5 Personen den ganzen Tag Stadtbus nutzen können.
Im Interesse der Pünktlichkeit wird die stärkste Linie 3 nach und von Zech in der Nachmittagsspitze geteilt in
einen schnellen und einen Normalkurs. Damit wird auf dieser Achse für den Hauptstrom ein pünktlicher
Anschluss an das Rendezvous ermöglicht.
Das konventionelle Stadtbusangebot wird durch Anrufbusfahrten ergänzt, die die räumlichen und zeitlichen
Lücken schließen. So gesehen wird niemand abgehängt. Fahrtwünsche müssen an Werktagen und am
Sonntag bis 30 Minuten vor Fahrtantritt angemeldet werden.
Großer Handlungsbedarf bei Bund und Ländern für eine bessere ÖPNV-Finanzierung
Beide Gutachter betonen, dass es natürlich schöner wäre, wenn der Stadtbus ohne Sparauflagen weiterentwickelt
werden könnte. Leider sind aber die aktuellen Finanzierungssysteme im Verkehr nicht sehr förderlich für eine
Angebotsoffensive im öffentlichen Verkehr. Die Kommunen werden weitgehend allein gelassen mit dieser Aufgabe.
Die Gutachter hoffen sehr, dass die aktuellen Beschlüsse des Klimagipfels in Paris zum Ausstieg aus der fossilen
Mobilität Bund und Länder bald zu einer großen Finanzreform veranlassen werden, durch die eine klimafreundliche
kommunale Verkehrspolitik und eine offensive Angebotsgestaltung bei Bus und Bahn erleichtert wird.
Umstellung erfordert massive Kommunikationsanstrengung
Die räumlichen, zeitlichen und tariflichen Änderungen sind für Fahrgäste erst mal neu. Bisher musste man sich einfach
nur zwei Taktzeiten merken. Jetzt sollen die neuen Liniennetz- und Fahrplaninformationen breit verteilt werden. Die
Haltestellen werden bis Mitte Februar mit den neuen Plänen beklebt.
Systemumstellung als Chance
Die Änderungen im System des Stadtbusses dienen insgesamt einer Steigerung der Attraktivität und
Wirtschaftlichkeit. Gewissen Einschränkungen in Randbereichen und Tagesrandzeiten, die relativ wenige Menschen
betreffen, stehen Verbesserungen in Teilgebieten und Tageszeiten mit größerem Potenzial gegenüber. Die Gutachter
gehen davon aus, dass dadurch und durch weitere, nachfolgende Optimierungsschritte die Fahrgastzahlen und
Verkaufszahlen steigen. Die Gutachter empfehlen der Stadt, in weiteren Optimierungsschritten auch die anderen
Vorschläge Schritt für Schritt umzusetzen und bieten dafür ihre engagierte Unterstützung an.
Prof. Dr. Heiner Monheim, raumkom Institut
Dipl. Ing. svi Willi Hüsler, IBV Ingenieurbüro für Verkehrsplanung