Die EU-Politik neu ausrichten!

© Thomas Kahl: Die EU-Politik neu ausrichten! Im Sinne der Vereinten Nationen menschenwürdiges
Zusammenleben auf der Erde sichern. IMGE-Publikationen FB 1: Politik-Management 2014
www.imge.info
Die EU-Politik neu ausrichten!
Im Sinne der Vereinten Nationen
menschenwürdiges Zusammenleben auf der Erde sichern
„Krieg ist nicht mehr die ultima ratio,
sondern die ultima irratio.“
Willy Brandt1
Inhalt
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
11.1
11.2
12.
13.
Roman Herzog und nahezu alle Menschen wollen eine andere EU-Politik.
Gegenwärtiges Knowhow ermöglicht allen Menschen Zufriedenheit und Wohlstand.
Friedliche Konfliktregelung hat Priorität. Es gibt ein Reform-Gesamtkonzept.
Im Spannungsfeld der Globalisierung ist das Überleben der Menschheit akut bedroht.
Geschichtliche Erkenntnisse sind hilfreich, um Kriegsirrsinn zu vermeiden.
Die Menschen- und Grundrechte begünstigen weltweit optimales Zusammenleben.
Um bestmöglichen Erfolg zu erreichen, muss Bildung ein Mega-Thema werden.
Politiker benötigen Sachverstand, um dem Allgemeinwohl dienen zu können.
Politisches Vorgehen lässt sich demokratisch, einsichtig und zielführend gestalten.
Das heutige politisch-wirtschaftliche Rivalitäts-Spannungsfeld lässt sich auflösen.
Zu konstruktivem Handeln können juristische Korrekturmittel beitragen.
Aufgaben, Wirkungen und Grenzen juristischer Korrekturmittel
Die religiöse und die weltliche Sichtweise
Konstruktives Handeln lässt sich nur indirekt über finanzielle Mittel gewährleisten.
Vom Kriegsirrsinn zur Weisheit – Kerngedanken und ein Ausblick
Angaben zum Verfasser
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1. Roman Herzog und nahezu alle Menschen wollen eine andere EU-Politik.
„Wir müssen uns darüber klar werden, in welcher Gesellschaft wir im 21. Jahrhundert leben
wollen. Wir brauchen wieder eine Vision.“, sagte der ehemalige Bundespräsident Roman
Herzog 1997 in seiner „Ruck-Rede.“2 Eine solche Klärung ist seitdem nirgends erfolgt –
weder im Blick auf die deutsche, noch auf die europäische oder gar die globale Gesellschaft.
Das liegt mit Sicherheit nicht daran, dass alle Menschen mit ihren Lebensumständen rundum
zufrieden und glücklich sind. Denn überall in der Welt zeigen sich Missstände: Korruption,
Bildungs- und Demokratiedefizite, Arbeitslosigkeit und rücksichtslose Ausbeutung
arbeitender Menschen, Flüchtlingselend, Menschen- und Grundrechtsverletzungen usw. Die
Euro-Krise und die NSA-Abhöraffäre werden als existentiell bedrohlich erlebt. Mit
zunehmendem Mobbing sowie beruflichem und privatem Überforderungs-Stress nehmen
Erkrankungen und Burn-out in unerträglichem Maße zu. Viele wertvolle
Wirtschaftsunternehmen sind vom Untergang bedroht und nicht mehr in der Lage,
längerfristig zu planen.
Offensichtlich ist es überlebensnotwendig, diese Gegebenheiten erfolgversprechend zu
bewältigen. Erforderlich dazu sind zweckmäßige Maßnahmen, doch wo sind solche
erkennbar? Zwischen dem 22. und dem 25. Mai 2014 findet die achte Europawahl statt, bei
1
Vortrag des Bundeskanzlers Willy Brandt zum Thema „Friedenspolitik in unserer Zeit“ in der Universität Oslo
am 11. Dezember 1971 anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises. www.a-k-dahesch.de/brandt.html
2
http://web.archive.org/web/20100411063151/http://www.bundespraesident.de/Reden-und-Interviews/BerlinerReden-,12086/Berliner-Rede-1997.htm
Textversion vom 17.06.2015
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der das Europäische Parlament direkt gewählt wird. Keine der zur Wahl stehenden Parteien
hat bislang ein Programm vorgelegt, das wirklich überzeugend wirkt. Die Bürger erfahren,
dass EU-Gremien Entscheidungen treffen, die ihre Lebensbedingungen vielfach stärker
prägen als das, was die Parlamente in ihrem eigenen Land beschließen. Sie misstrauen
Politikern, die sich wirtschaftlichen Interessen und Lobbyisten stärker verpflichtet fühlen als
dem Wohl ihrer Wähler. Sie beobachten die EU-Politik überwiegend mit Skepsis und
Unbehagen. Falls sie den Idealen der europäischen Einigungsbewegung zustimmen, meinen
sie: Europa ja, aber keinesfalls so! Doch damit, wie Europa werden und welcher Partei man
bei der Europawahl die eigene Stimme geben sollte, scheint sich kaum jemand ernsthaft zu
befassen. Ratlosigkeit, Desinteresse, die Konzentration auf andere Themen und das Gefühl,
nichts ausrichten zu können, herrschen vor.
Die Bürger denken: Falls sich unsere Parlamentarier wirklich für unser Wohl interessieren
würden, dann würden sie sich darum kümmern. Was zu diesem Wohl gehört, hatte Roman
Herzog bereits in seiner „Ruck-Rede“ gesagt, mit Worten, denen nahezu alle Bürger aus
vollem Herzen zustimmen können:
„Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die die europäische Einigung nicht als Technik des Zusammenlebens
versteht, sondern die Europa als Teil ihrer politischen und kulturellen Identität empfindet und bereit ist, diese in
der bunter werdenden Welt zu bewahren und zu bewähren. […] Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die sich für
eine Weltordnung einsetzt, in der die Unterschiedlichkeit der Kulturen nicht neue Konflikt- und Kampflinien
schafft.“
Möglicherweise wurden die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine gezielt initiiert und
inszeniert, um die Konzentration der Europäer von den noch unbewältigten innereuropäischen
Aufgabenstellungen auf einen besonders spannenden außenpolitischen Schauplatz
abzulenken. Sollte die Blickwendung hin zur Ukraine dafür sorgen, dass die notwendige
gründliche Vorbereitung auf die Europawahl vernachlässigt wird, ebenso wie die umfassende
Beschäftigung mit der fundamentalen Frage, in welcher Form Politik in Europa gestaltet
werden sollte? Die Ablenkung von diesen europäischen Herausforderungen begünstigt nicht
deren sachgerechte Bewältigung. Eher begünstigt sie deren Eskalation. Welche Folgen sind zu
erwarten? Wer profitiert davon? Um klar zu erkennen, was hier im Gange ist, muss man
genau hinschauen:
Die EU-Politik ist von der Tendenz geprägt, einen übergroßen Staatenbund anzustreben. Jetzt
wird die Ukraine als eventuelles weiteres Mitglied angesehen. Dabei ist zu berücksichtigen,
dass mangelhafte Homogenität der Zusammensetzung der EU sowie aus wirtschaftlichen
Gründen erforderliche Mobilität und Migration allzu viele Menschen überfordern und in den
Verlust von Geborgenheit und Vertrautem führen können. Auf Gemeinsamkeiten in den
Wurzeln der Menschen und auf ihre gewohnten Lebensformen ist Rücksicht zu nehmen.
Innere Sicherheit setzt übersichtliche und ruhige, angenehme Umweltgegebenheiten voraus.
Wo es daran mangelt, herrscht ein Nährboden für zunehmende Unzufriedenheit, innere
Spannungen und Instabilität, Angst- und Panikreaktionen sowie gewalttätige Aktionen.
Hierzu aufschlussreich waren Fragen zur Klärung der Schuld des rechtsradikalen
norwegischen Massenmörders Anders Behring Breivik gewesen.
Vielfältige geschichtliche Erfahrungen zeigen, dass politisch-soziale Missstände zur Stärkung
von radikalen Organisationen beitragen. Erinnert sei hier zum Beispiel an die verbreiteten
Zweifel an der Zweckmäßigkeit bestimmter demokratischer Gegebenheiten in der Weimarer
Republik. Immer wieder geben Wähler aus Protest gegen nicht überzeugende etablierte
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Parteien ihre Stimme Radikalen, die mit unmenschlichen Maßnahmen eine aus ihrer Sicht
notwendige „Ordnung“ herbeiführen wollen. Aktuell weist die Bundeszentrale für politische
Bildung darauf hin, dass bei der kommenden Europawahl mit einem Erdrutsch zugunsten der
Allianz radikal-rechtspopulistischer Parteien zu rechnen ist. Dazu zählen die NPD, die Front
National, die United Kingdom Independence Party, die niederländische Partei für die Freiheit,
der belgische Vlaams Belang, die Freiheitliche Partei Österreichs, die italienische Lega Nord,
die Dänische Volkspartei, die Partei Die Finnen, die Schwedendemokraten, die ungarische
Jobbik-Partei und Griechenlands Goldene Morgenröte.3
Die Menschen halten es für dringend notwendig, dass in Afrika und überall in der Welt
zufriedenstellende Lebensbedingungen geschaffen werden, die niemanden zwingen, aus der
eigenen Heimat fliehen und woanders um Aufnahme, Asyl und Arbeit bitten zu müssen, nur
um überleben zu können. Zweckmäßig dazu ist eine organisatorische Umgestaltung, die auf
einer Idee beruht, die nach dem Ersten Weltkrieg entstanden war:
Richard Nikolaus Graf von Coudenhove-Kalergi (1894-1972) gründete 1922 die PaneuropaUnion. Dieses Ereignis gilt als der organisatorisch-historische Ausgangspunkt der
europäischen Einigungsbewegung. Coudenhove-Kalergi entwickelte die Idee eines
europäischen Staatenbundes von Polen bis Portugal, den er wahlweise Paneuropäische Union
oder die Vereinigten Staaten von Europa nannte. Unter dem Eindruck der Schrecken des
Ersten Weltkriegs hoffte er, ein derartiger politisch-wirtschaftlicher Zweckverband könnte
einen weiteren Weltkrieg verhindern. Nach Außen hin sollte Paneuropa gemäß seinen
Vorstellungen eine gleichberechtigte Position in einem Verbund von Großmächten neben
Panamerika (als Union der USA mit den Staaten Lateinamerikas), einem Russischen
Bundesreich, dem Britischen Bundesreich (The Commonwealth of Nations) und einem aus
China und Japan bestehenden Ostasien-Reich einnehmen. Dieses Europa sollte eine politisch
voll handlungsfähige Einheit werden, die keiner anderen Macht untergeordnet ist.
Um den Weg zu ebnen für Wohlstand, Glück und dauerhaften Frieden für alle Menschen,
forderte der Gründer der Paneuropa-Union die weltweite Anerkennung der Menschenrechte.4
Die Organisationen der Vereinten Nationen haben inzwischen dafür gesorgt, dass die
Regierungen fast aller Staaten den Menschenrechtskonventionen zugestimmt haben.
Infolge dessen lautet die Präambel des Grundgesetzes:
„Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als
gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk
kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“
Wenn sich menschliche Ideen und Ziele hinreichend verbreiten lassen und wenn ihnen
Überzeugungskraft innewohnt, können sie geschichtliche Entwicklungen bestimmen. Als
Beispiel gebend dafür gilt der Übergang von feindseligen zu freundschaftlichen deutschfranzösischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Offensichtlich unterscheidet sich
die politische Realität im Jahr 2014 deutlich von den Vorstellungen des Gründers der
Paneuropa-Union.5 Heute lässt sich eine Entwicklung einleiten, die in abgewandelter Weise in
3
www.bpb.de/gesellschaft/migration/newsletter/182160/europawahl-2014
Thomas Kahl: Konsensbewusstsein als Basis internationalen Zusammenlebens. Von der Gründung der
Paneuropa-Union zur freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung im global village.
www.imge.info/extdownloads/KonsensbewusstseinAlsBasisInternationalenZusammenlebens.pdf
5
Die Ziele und die kapitalismuskritische Haltung von Coudenhove-Kalergi entsprechen aus heutiger Sicht der
Entspannungspolitik und dem freiheitlich-demokratischen Sozialismus von Willy Brandt. Moderne Gegner
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diejenige Richtung geht, die er nach dem Ersten Weltkrieg für befriedigend gehalten hatte:
Das Entstehen einer Staaten-Union in Europa, die ebenso eigenständige Lebensformen pflegt
wie die großen Staaten und Staatenbünde außerhalb von Europa. Soweit dieser Entwicklung
gegenwärtige Verträge und Abkommen entgegenstehen, sind diese zu überdenken, zu
modifizieren bzw. zu annullieren.
Wenn Gleichberechtigung untereinander sichergestellt ist, kann es neben Großregionen auch
kleinere organisatorische Einheiten geben. Diese sind voneinander so abzugrenzen, dass
1. ihre jeweiligen kulturgeschichtlichen Entwicklungshintergründe und Identitäten gewahrt
und geschützt werden können und
2. jede der Regionen über hinreichende eigene natürliche Ressourcen (Grundflächen,
Bodenschätze etc.) zur Versorgung ihrer Bevölkerung verfügt.
Wie diese organisatorische Neuordnung konkret gestaltet werden kann, ist in den Gremien der
Vereinten Nationen zu erörtern. Die öffentliche Diskussion dazu sollte jetzt beginnen.
Der Zusammenarbeit in Europa liegt das Subsidiaritätsprinzip zugrunde. Dieses besagt
sinngemäß: „Leben und leben lassen sowie sich bei Bedarf gegenseitig unterstützen!“ Nach
diesem Motto ist weltweit eine Vielfalt unterschiedlicher Formen des menschlichen
Zusammenlebens in friedlicher Koexistenz und Kooperation möglich: Lebensart-Reichtum
anstelle von Einheitsbrei. Um dieses Ziel zu verwirklichen, ist hinreichender organisatorischer
Sachverstand erforderlich. Die Bevölkerung erwartet, dass Politiker als Diener des Volkes
hervorragenden Sachverstand haben. Dafür bezahlen die Bürger sie mit Steuergeldern.
2. Gegenwärtiges Knowhow ermöglicht allen Menschen Zufriedenheit und Wohlstand.
Die biologische Gattung Homo sapiens steht angesichts der Globalisierung vor den größten
Herausforderungen der Menschheitsgeschichte. Die Voraussetzungen, um diese
Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen, sind gegenwärtig günstig: Weltweite nachhaltig
friedliche Zusammenarbeit in Wohlstand für alle Menschen lässt sich verwirklichen. Davon
ist auch Ban Ki-moon als amtierender Generalsekretär der Vereinten Nationen überzeugt:
„Die Charta der Vereinten Nationen bringt solche Zuversicht und solche Hoffnung zum Ausdruck, dass man sie
mit Fug und Recht als eine Magna Charta bezeichnen kann, die in einer von Krieg und unsäglichen Gräueltaten
verheerten Welt ein neues Bündnis der Nationen herstellen sollte, das von den Grundsätzen der Gerechtigkeit,
des Friedens, der Gleichheit und der Menschenrechte geleitet ist.“6
Die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen ist 1948 verabschiedet worden.7 Auf dem
Planeten Erde befinden sich alle Menschen in einem Boot. In weltweiter wissenschaftlicher
Zusammenarbeit haben verantwortungsbewusste Forscher alles erstellt, was an praktisch
nützlichem Knowhow zur Verwirklichung der Vision der Vereinten Nationen erforderlich ist.
Dieses Knowhow bezieht sich auf die Art und Weise, wie Menschen miteinander und mit
ihren Aufgaben umgehen können und sollen, um möglichst erfolgreich zu sein. Mit diesem
seiner Ideen, die die Menschenrechte nicht achten, stellen ihn aufgrund von Formulierungen, die er damals
verwendet hatte, dar als rassistisch, erzkonservativ, antidemokratisch- diktatorisch usw. Die heutige
Internationale Paneuropa-Union ist sorgfältig zu unterscheiden von den Intentionen ihres Gründers.
6
Stärkere Vereinte Nationen für eine bessere Welt: Meine Prioritäten als Generalsekretär der Vereinten
Nationen September 2007
7
http://quellen.geschichte-schweiz.ch/allgemeine-erklarung-menschenrechte-uno-1948.html
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Knowhow lassen sich Schwierigkeiten und Aufgaben, denen viele Menschen heute noch
hilflos gegenüberstehen, zum Teil überraschend einfach bewältigen. Dazu ist es notwendig,
dass dieses Knowhow allgemein bekannt gemacht und praktisch umgesetzt wird. Darauf hatte
Roman Herzog in seiner Berliner Rede „Aufbruch ins 21. Jahrhundert“8 1997 hingewiesen:
„Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. […] Jeder weiß, dass wir eine lernende
Gesellschaft sein müssen. Also müssen wir Teil einer lernenden Weltgesellschaft werden, einer Gesellschaft, die
rund um den Globus nach den besten Ideen, den besten Lösungen sucht. Die Globalisierung hat nicht nur einen
Weltmarkt für Güter und Kapital, sondern auch einen Weltmarkt der Ideen geschaffen, und dieser Markt steht
auch uns offen. […] Bildung muss das Mega-Thema unserer Gesellschaft werden. Wir brauchen einen neuen
Aufbruch in der Bildungspolitik, um in der kommenden Wissensgesellschaft bestehen zu können. […] Durch
Deutschland muss ein Ruck gehen. Wir müssen Abschied nehmen von liebgewordenen Besitzständen.“
Wenn die Erkenntnisprobleme gelöst sind, stellt sich die Frage, auf welche Aufgaben sich das
kürzlich von Ban Ki-moon eingerichtete Scientific Advisory Board (SAB) 9 als neuer
wissenschaftlicher Beirat der UNO konzentrieren sollte. Wie kann der Beirat global zu einer
besseren Verknüpfung von Wissenschaft und Politik beitragen? Zu fördern ist vor allem die
Bereitschaft und die Fähigkeit von Politikern, für die praktische Umsetzung gesicherter
wissenschaftlicher Erkenntnisse zu sorgen.10
Seit 1997 veränderte sich das Zusammenleben auf der Erde. Der Ruck, den Roman Herzog
damals forderte, fand noch nicht statt. Inzwischen fordert er einen Ruck in Europa11: So wie
Roman Herzog die Arbeitsweise der EU-Organisationen beschreibt, kann Zusammenarbeit
nicht funktionieren. Nicht nur in Europa, sondern weltweit leiden die Menschen unter
wirtschaftlichen und finanziellen Interessenkonflikten sowie politisch-sozialen
Auseinandersetzungen. In einigen Ländern herrscht Bürgerkrieg. In Syrien und der Ukraine
geht es nicht nur um nationale Angelegenheiten, sondern zugleich um die zukünftigen
Einflussgebiete der sogenannten Ost- und Westmächte. Von einem Rückfall in den „Kalten
Krieg“ ist die Rede sowie von drohenden Weltkriegsgefahren.
In einer aktuellen Studie gelangen Forscher der NASA zu der Schlussfolgerung, das Ende der
Menschheit sei unausweichlich.12 Diese Studie beruht, vergleichbar den Prognosen des Club
of Rome, auf der Annahme, dass alles auf der Erde so weiter geht wie bisher, dass also
vorhandenes Knowhow zur Verbesserung von Gegebenheiten nicht genutzt wird. Es gab
jedoch stets Menschen, die angesichts offensichtlicher Gefahren nicht blind und kopflos
reagierten, sondern vernünftig und weise.
Wie sich mit Konfliktsituationen erfolgversprechend umgehen lässt, hatte in den 70er Jahren
unter anderem der Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker im Starnberger „Max-PlanckInstitut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt“
untersucht.13 Um nachhaltige Lösungen zu finden, ist es zweckmäßig, das Verhalten von
Menschen zu betrachten, im Kontext der Umstände, unter denen sie leben und handeln.
8
http://web.archive.org/web/20100411063151/http://www.bundespraesident.de/Reden-und-Interviews/BerlinerReden-,12086/Berliner-Rede-1997.htm
9
www.sab-2014-berlin.de/de/scientific-advisory-board
10
Siehe hierzu den vorliegenden Text ab Unterpunkt 7.
11
www.wiwo.de/politik/europa/buchrezension-roman-herzog-fordert-einen-ruck-durch-europa/9616508.html
Roman Herzog: „Europa neu erfinden – Vom Überstaat zur Bürgerdemokratie“ Siedler Verlag 2014
12
www.t-online.de/wirtschaft/unternehmen/id_68616564/nasa-studie-warum-die-menschheit-untergehenwird.html
13
C. F. von Weizsäcker: Fragen zur Weltpolitik 1975, S. 122ff., C. F. von Weizsäcker: Wege in der Gefahr.
München 1976, S. 245., C. F. von Weizsäcker: Der bedrohte Friede. München 1981, S. 292ff.
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Unklares menschliches Denken und Formulieren kann ebenso zu Missverständnissen,
Irrtümern, Konflikten und Katastrophen führen wie mangelhafter Überblick, unzulängliche
Systematik, unlogische Prioritäten, unzweckmäßige und zu wenig flexible Organisations- und
Regelungsformen, Informations- und Kommunikationsdefizite, die Verwendung fragwürdiger
Arbeitsmethoden, unterlassene Korrekturmaßnahmen, Planungsversäumnisse,
Überforderungssituationen u.v.m. Als Physiker kannte sich von Weizsäcker mit Systemen aus
und wies deshalb darauf hin, dass stets alles im Gesamtzusammenhang zu betrachten ist.
3. Friedliche Konfliktregelung hat Priorität. Es gibt ein Reform-Gesamtkonzept.
Heute geht es vorrangig darum, Interessen- und Machtkonflikte einsichtig zu überwinden und
weltweit für Kooperationsformen zu sorgen, die alle Menschen auf der Erde befähigen, in
ähnlich friedlicher Weise zusammen zu leben und zu arbeiten, wie es in Schulklassen,
Dörfern und Kleinstädten gelingen kann.14 Was in derartig übersichtlichen sozialen Systemen
zu berücksichtigen ist, das sollte auch im Hinblick auf das global village beachtet werden.
Zunehmend deutlich erkennbar sind Gefährdungen, Vernichtungen und rücksichtslose
Ausbeutungen von natürlichen Ressourcen auf der Erde und eine klimatische Entwicklung mit
immer heftigeren Naturkatastrophen. Die Studien des Club of Rome und der NASA belegen
die hier gegebenen Zusammenhänge eindrücklich. Als Antwort darauf beschlossen bereits
1992 auf der Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen (UNCED) die
Vertreter von 178 Staaten die Agenda 21, ein entwicklungs- und umweltpolitisches
Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert, das nachhaltige Entwicklung fördern soll.15 Dazu
wird eine weltweit veränderte Wirtschaftspolitik für notwendig gehalten.
Wohlklingende Worte und Absichtserklärungen erweisen sich nur als nützlich, wenn sie zu
zweckdienlichen Handlungen führen. Dass Menschen Handlungspflichten haben, war in der
Initiative des InterAction Council von prominenten Politikern betont worden, unter anderem
von Jimmy Carter, Bill Clinton und Helmut Schmidt.16 Erforderlich und anzuwenden ist
zielführendes Knowhow, über das sich vorherrschende zielwidrige Handlungsorientierungen
erfolgreich korrigieren lassen. Das kann nur auf der Grundlage von friedlichen Formen der
Konfliktregelung gelingen, also anhand von Strategien, die weltweite konstruktive
Kooperation begünstigen. Deshalb hat die Anwendung von darauf bezogenem Knowhow
oberste Priorität.
Wie hierzu bereit stehendes Knowhow konkret praktisch umgesetzt wird, ist nicht genau
vorhersehbar. Das hängt davon ab, wie die dafür innerlich offenen Menschen es aufgreifen,
verstehen und zur Anwendung bringen. Diktatorische Maßnahmen sind dabei zu vermeiden,
da sich in der Menschheitsgeschichte oft genug gezeigt hat, dass diese zu katastrophalen
Ergebnissen führen können. Infolge dessen sind demokratische Vorgehensweisen geboten.
www.imge.info/arbeitsgrundlagen/2-rechtliche-grundlagen/235-die-beitraege-des-physikers-vonweizsaecker/index.html
14
Thomas Kahl: Die Logik optimaler Kooperation (Global Governance). Das Konzept der Vereinten Nationen:
Politik und Wirtschaft sorgen für optimale Lebensqualität.
www.imge.info/extdownloads/DieLogikOptimalerKooperation.pdf
15
http://de.wikipedia.org/wiki/Agenda_21
16
1997 schlug das InterAction Council eine „Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten“ als Ergänzung zur
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vor. Siehe hierzu:
Helmut Schmidt: Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten. Piper 1997
Hans Küng (Hg.): Dokumentation zum Weltethos, München 2002
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Der vorliegende Text stellt umfassende Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge dar und
nützliche pragmatische Maßnahmen. Daraus ergibt sich ein in sich stimmiges ReformGesamtkonzept. Dieses lässt sich hier nicht in allen Einzelheiten darstellen. Zum Verständnis
außerdem erforderliche weitere Informationen stehen über die angegebenen Fußnoten sowie
die Internetseiten www.imge.info und www.grundgesetz-verwirklichen.de zur Verfügung.
Die Darstellung folgt 1. den Absichten und Zielen, die der Menschenrechtscharta der
Vereinten Nationen zugrunde liegen und 2. den Intentionen der Väter des Grundgesetzes, das
1949 für die Bundesrepublik Deutschland als Gesellschaftsvertrag beschlossen worden war:17
Die Menschenrechtscharta und das Grundgesetz wurden nach dem Zweiten Weltkrieg
formuliert, um friedliches menschliches Zusammenlebens zu fördern, also um angesichts von
Konflikten zukünftig kriegerische und andere schädigende Vorgehensweisen zu vermeiden.
Diesen Intentionen zufolge ist zu gewährleisten, dass die auf der Erde zustande gekommene
Vielfalt an Lebensformen und kulturellen Errungenschaften zugunsten des Wohlergehens
aller Lebewesen, insbesondere der Menschen, geschützt, erhalten und weiterentwickelt
werden können. Dieses lässt sich vor allem durch zwei Maßnahmen gewährleisten:
1. Juristisch: Die Menschen- und Grundrechte betonen die Bedeutung der Unantastbarkeit
der menschlichen Würde, Individualität und Freiheit, um in jeglicher Hinsicht für
Schadensminimierung zu sorgen.
2. Organisatorisch lässt sich diese Gewährleistung erreichen über (1.) freiheitlichdemokratische Rechtsstaatlichkeit, (2.) das Subsidiaritätsprinzip, (3.) den Föderalismus
bzw. Regionalisierung, (4.) Formen der Bürgerselbstverwaltung, (5.) Regeln der
Kommunikation und Kooperation, (6.) Bildungsmaßnahmen und (7.) die Sicherstellung
erforderlicher materieller Lebensgrundlagen.18
Weltweit können ab sofort überall alle dargestellten Maßnahmen aufgrund von bereits
herbeigeführten, gültigen Rechtsgrundlagen praktisch umgesetzt werden.19 Diese Tatsache,
die Bedeutung der Menschen- und Grundrechte sowie das, was zum zweckmäßigen Umgang
mit den organisatorischen Punkten (1.) – (7.) gehört, haben bislang nur relativ wenige
Menschen erfahren, nämlich besondere Fachexperten. Der vorliegende Text wurde deshalb
unter anderem erstellt, um die dringend erforderliche allgemeine Bekanntmachung zu
unterstützen.
Die erwähnten Maßnahmen sind beweisbar geeignet, weltweit friedliches, faires und alle
Menschen zufriedenstellendes Zusammenleben herbeizuführen. Dazu zweckmäßig sind eine
Gesellschaftsorganisation und ein politisches Handeln, die sich grundlegend von dem
unterscheiden, was bislang vorherrschend gewesen ist. Sehr viele Menschen sehen das heute
Übliche als selbstverständlich und unabänderlich an. Sie können sich auf der Grundlage ihrer
Erfahrungen gegenwärtig noch nicht vorstellen, dass alles sehr viel einfacher, leichter, besser
und kostengünstiger geleistet werden kann.
Das bislang vorherrschende politische Handeln ergab und ergibt sich überwiegend als
Reaktion auf äußere Gefährdungen und Bedrohungen des menschlichen Überlebens. Dieses
17
Ausführungen von Carlo Schmid (SPD) zu den Grundrechten 1946
www.imge.info/extdownloads/AusfuehrungenVonCarloSchmidSPDZuDenGrundrechten1946.pdf
18
Dem konkreteren Verständnis und Umgang mit kulturellen Eigenheiten dienen die Abschnitte 2 und 15 in:
Thomas Kahl: Die juristischen Ordnungsstrukturen unserer globalen Lebensgemeinschaft
www.imge.info/extdownloads/DieJuristischenOrdnungsstrukturenDerGlobalenLebensgemeinschaft.pdf
19
Thomas Kahl: Es gibt eine einheitliche Rechtsordnung für die Menschen in allen Staaten der Erde.
www.imge.info/extdownloads/EsGibtEineEinheitlicheRechtsordnungFuerAlleStaatenDerErde.pdf
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Handeln, das juristische Vorgehen sowie die Gesellschaftsorganisation waren und sind darauf
ausgerichtet, menschliches Leben bestmöglich zu schützen und abzusichern gegenüber
Angriffen, die von anderen Menschen (Feinden), Tieren (auch Bakterien und Viren) sowie
von Naturgewalten, klimatischen Herausforderungen usw. ausgehen können. Diesen galt und
gilt es wirkungsvoll zu begegnen, indem man Überlegenheit und Macht einsetzt, um ihnen
nicht zu erliegen, sie zu bekämpfen und möglichst zu besiegen, um von ihnen nicht getötet zu
werden. Angesichts dessen ist es üblich geworden, dass Politiker und Juristen Partei für
diejenigen ergreifen, die sie vertreten, unterstützen und bezahlen – gegen die jeweiligen
Gegner und Angreifer. Dabei kam und kommt es immer wieder zu kriegerischen
Auseinandersetzungen und Verletzungen, auch mit Todesfolge. Zuweilen ergeben sich hier
Umgangsweisen, die Erinnerungen an das aufkommen lassen, was einst im sogenannten
Wilden Westen üblich gewesen war.
Es können unterschiedliche Ziele verfolgt werden: 1. Das Streben nach guten
Lebensbedingungen für alle Menschen und 2. das Streben nach Schutz und Sicherheit bei
vorhandenen Bedrohungen. In beiden Fällen wird angesichts von Herausforderungen nach
Lösungen gesucht, wobei die verwendeten Vorgehensweisen unterschiedlicher Art sind: Im
ersten Fall werden friedliche Formen der Konfliktlösung gewählt, im zweiten Fall
kämpferische. Da kämpferisches Vorgehen mit schwerwiegenden Schädigungen einhergehen
kann, ist friedliches Vorgehen generell zu bevorzugen. Die Orientierung an den Menschenund Grundrechten dient jeglicher Schadensvermeidung und ist deshalb grundsätzlich der
bislang vorherrschenden kämpferischen Selbstfürsorgeorientierung leistungsmäßig überlegen.
Sie ist vernünftiger und weiser.
Diese Erkenntnis führt zu der Aufgabe und der Pflicht, zu Vorgehensweisen überzugehen, mit
denen viele Menschen bisher noch nicht hinreichend vertraut gemacht wurden. Diese
Menschen müssen die Gelegenheit erhalten, sich diese Vorgehensweisen anzueignen. Dazu
zweckmäßige Maßnahmen werden im vorliegenden Text dargestellt.
Weil Texte und einzelne Formulierungen leicht missverstanden werden, sollten Sie als
Leserin und Leser berücksichtigen: Dieses hier ist ein wissenschaftlicher Text, so wie man ihn
in Lehrbüchern findet. Die Gedankengänge der einzelnen Abschnitte bauen logisch
aufeinander auf. Deshalb wird dieser Text nur in angemessener Weise verständlich, nachdem
man ihn von Anfang bis zum Ende gelesen hat, und zwar mehrmals. Beim zweiten und
weiteren wiederholten Lesen werden Zusammenhänge deutlich, die vorher noch übersehen
worden waren.
Selbstverständlich gibt es sinnvolle Ergänzungen zu den hier erwähnten Zusammenhängen
und Maßnahmen. Wer solche in die Diskussion einbringen möchte, sollte dies tun. Im
Rahmen eines Ideenwettbewerbs lassen sich die zweckmäßigsten Vorgehensweisen ermitteln.
Das Gesamtkonzept ist nur in umfassender Zusammenarbeit realisierbar. Der vorliegende
Text enthält richtungsweisende Anstöße.
Im Blick auf die optimale Organisation des Zusammenlebens aller Menschen auf der Erde
lassen sich zwei Gesamtkonzepte unterscheiden: global government und global governance.
Global government bezeichnet in Anlehnung an bislang übliche Formen der staatlichen
Regierungsorganisation die Einführung einer zentralen Weltregierungsinstitution. Im
Unterschied dazu ist global governance als Konzept zu verstehen, wie man globale Probleme
regeln kann, ohne dass eine zentrale Weltregierungsinstitution erforderlich ist. In das Streben
nach Problemlösung werden unterschiedliche Akteure in ein Netzwerk von Institutionen und
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Regelungen einbezogen, um den Herausforderungen der Globalisierung flexibel zu
begegnen.20 Dazu gehört das dezentrale Steuern von Prozessen über die Kooperation
regionaler (örtlicher) organisatorischer Selbstverwaltungseinheiten, die einander
gleichberechtigt sind, vergleichbar den Bundesländern, Bezirken und Ortschaften im
deutschen Grundgesetz. Dieses Konzept begünstigt den Bedürfnissen der Bürger gerecht
werdende (demokratische) Vorgehensweisen.
4. Im Spannungsfeld der Globalisierung ist das Überleben der Menschheit akut
bedroht.
Die Globalisierung stellt uns nicht nur vor neue Aufgaben und Herausforderungen. Zu ihr
lässt sich aus der Geschichte Hilfreiches lernen. Wir sollten dabei allerdings berücksichtigen,
dass sich in der Geschichte niemals etwas in identischer Weise widerholt, sondern stets in
analogen Formen. So ist auch die Aussage von Theodor W. Adorno zu sehen: „Die
Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung.“ Heute
finden wir Auschwitz-Varianten weltweit – in Guantánamo, in Gefängnissen und
Arbeitslagern, in denen ohne Rechtsgrundlage gefoltert wird, in der Verfolgung und
Ermordung von Angehörigen bestimmter Religionen und oppositioneller politischer
Gruppierungen, in der Unterdrückung von Frauen, Minderheiten, Homosexuellen etc.
Bewusst organisierte Maßnahmen zur Unterdrückung, Ausbeutung und Vernichtung von
Menschen hat es auch vor Auschwitz schon oftmals gegeben: Wenn in einem Ort oder Land
das Streben nach Macht und Geld die Wertpriorität gewonnen hat gegenüber der Achtung und
der bestmöglichen Kultivierung der Menschenwürde und der natürlichen Lebensgrundlagen,
drohen alle kulturellen Errungenschaften der Dekadenz zum Opfer zu fallen. Dieses
Entwicklungsgesetz ist so gültig wie das physikalische Gravitationsgesetz und führte zum
Untergang aller einstigen Hochkulturen. Deshalb war vom Volksmund aus guten Gründen das
Streben bzw. die Gier nach Macht und Geld immer wieder als „Teufelswerk“ bezeichnet
worden.
Eine moderne Variante davon zeigt sich im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung seit
1989/90: Es ist ein ungeregelt-rücksichtsloser Rivalitätskampf um Vorherrschaft entbrannt, in
dem sich weltweit Wirtschaftsunternehmen und Staaten ruinieren.21 Dieser Kampf geht mit
Leistungsüberforderungen einher, die zur Beeinträchtigung der Gesundheit der Bürger führen
und damit zu sinkender Leistungsfähigkeit – bis hin zum Tode.22
Um solcher Dekadenz entgegenzutreten, sind Millionen Angehörige des Islam entschlossen,
dem Geltung zu verschaffen, was sie für Gottes Wort halten. Mit dem Einsatz ihres Lebens
ziehen sie todesmutig gegen die Teufel in den heiligen Krieg. Dabei unterscheiden sie nicht
stets sorgfältig unter denen, die sie zu den Komplizen des Teufels zählen: Barack Obama,
Wladimir Putin, Silvio Berlusconi, Angela Merkel, David Cameron etc., sogar Ban Ki-moon,
eben alle, die aus ihrer Sicht Allahs Geboten zuwider handeln.
20
http://de.wikipedia.org/wiki/Global_Governance
Thomas Kahl: Wo Rivalität vernichtet, können Rechts- und Bildungsmaßnahmen retten. Demokratische
Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit als Basis globaler Zusammenarbeit (Global Governance).
www.imge.info/extdownloads/WoRivalitaetVernichtetKoennenRechtsUndBildungsmassnahmenRetten.pdf
22
Thomas Kahl: Burn-out oder Totalschaden? Die seelische Krankheit „Rivalität“ wirkt so verheerend wie
früher Pest und Cholera www.imge.info/extdownloads/BurnoutOderTotalschaden.pdf
Thomas Kahl: Burnout bezeichnet Organ-Funktionsstörungen, nicht eine Form von «Depression». Eine
Orientierungshilfe zum Umgang mit Burnout-Symptomen, Depressionen und psychovegetativen
Erschöpfungszuständen. www.imge.info/extdownloads/BurnoutBezeichnetFunktionsstoerungen.pdf
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Ein einflussreicher Berater des US-Außenministeriums, Samuel P. Huntington, prägte 1996
den Begriff des Kampfes der Kulturen („clash of civilisations“) im Zusammenhang mit der
Auseinandersetzung islamistischer Gotteskrieger mit demjenigen, was er als eine typisch
westliche Position darstellte. Wie alle, die offensichtlich nicht in erster Linie nach
Möglichkeiten suchen, militärisch-gewalttätige Auseinandersetzungen zu vermeiden, betonte
Huntington anstelle der wesentlichen Gemeinsamkeiten der Menschen stärker die
Unterschiedlichkeiten in den Kulturen.
Die Lebensvorschriften, an denen sich militante Islamisten orientieren, erscheinen aufgeklärtnaturwissenschaftlich denkenden Menschen in ähnlicher Weise als unerträglich, gewalttätig
und lebensgefährlich wie das Bestreben von Finanzwirtschaftlern und Unternehmern,
Politikern Gesetze zur parlamentarischen Verabschiedung zu diktieren, um ihre
Machtpositionen auf dem Weltmarkt abzusichern – ohne dabei das Wohl der Bevölkerung
angemessen zu berücksichtigen. Handelt es sich bei den heutigen weltweiten
Auseinandersetzungen zwischen Vertretern des kapitalistischen Imperialismus und
Islamistenführern um Formen von Glaubenskriegen23, vergleichbar denjenigen der Zeit der
Kreuzzüge und der Inquisition? Auch damals waren wertvolle Errungenschaften von
Hochkulturen sinnlos zunichte gemacht worden.
Sich zugunsten einer dieser beiden Positionen einzusetzen, fällt allen Menschen schwer, die
davon überzeugt sind, dass es die Aufgabe aller Angehörigen der biologischen Gattung Homo
sapiens ist, verantwortungsbewusst die natürlichen Grundlagen des Lebens auf der Erde zu
schützen und zu kultivieren zum Wohle aller Lebewesen. Es gibt religiöse Menschen, die
davon ausgehen, dass hierin der göttliche Wille und Sein Auftrag an Seine Geschöpfe
bestehen: Eltern wollen stets das Beste für ihre Kinder. Vergleichbar damit dürfte ein
Schöpfergott stets das Beste für seine Geschöpfe wollen und nicht, dass diese leidend
zugrunde gehen.
Zu den bekanntesten geschichtlichen Beispielen des Untergangs von Hochkulturen gehört der
Zerfall des einstigen römischen Weltreich-Imperiums: Der militärische Führungsstil eignet
sich zur Ausweitung von Einflussbereichen, also zur Außenpolitik. Er vermindert die
Lebenschancen angeblich unterlegener Kulturen. Er beruht auf der Ausbeutung von
Menschen und der Natur. Da er sich nicht dauerhaft-nachhaltig dazu eignet, innenpolitisch zur
Zufriedenheit der Bevölkerung beizutragen, wächst ihre Unzufriedenheit und schwindet ihr
Vertrauen in die politische Führung. Wenn der Führung infolge dessen die Kontrolle über die
Gegebenheiten in ihrem Reich zu entgleiten droht, inszeniert diese zur Ablenkung von den
eigentlichen Missständen für die Bevölkerung erfolgversprechende Glücksspiele, spannendes
Theater, beeindruckende Feste, sportliche Wettbewerbe und sonstige KonkurrenzauswahlVeranstaltungen zum Finden von Helden und Preisträgern (panem et circenses - Brot und
Spiele). Damit soll der Eindruck erweckt werden, es komme vor allem auf erfolgreiche
Teilhabe hieran an und jeder habe dazu beste Chancen. Wenn angesichts solcher
Ablenkungsmanöver die entstandenen Missstände bestehen bleiben und zunehmen, erfolgen
unaufhaltsam selbstzerstörerische Entwicklungen.
Im Zuge der Globalisierung sind vergleichbare Entwicklungen in nahezu allen Ländern der
Erde erkennbar – aktuell besonders auffällig in Nordamerika, Venezuela, Griechenland, der
23
Im Islam muss die Gesetzgebung den Geboten Allahs entsprechen. - Der Soziologe Max Weber hatte erklärt,
inwiefern der Kapitalismus auf Elementen calvinistischer Ethik beruht, also eine Variante religiösen Glaubens
darstellt: Hier werden die zur Verfügung stehenden Mittel auf persönlichen materiellen Erfolg und Machtgewinn
ausgerichtet.
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Türkei, Syrien, Russland, der Ukraine. Angesichts von Korruption und anderen Missständen
hilft niemals ein „Empört Euch!“ (Stéphane Hessel)24 weiter, falls allen Beteiligten das
erforderliche Knowhow fehlt. Was nützt Kritik an den Herrschenden, wenn diese den
Missständen selbst rat- und hilflos gegenüber stehen? Dann ist höchstwahrscheinlich
verheerender Bürgerkrieg zwischen der Staatsmacht und deren Opposition zu erwarten. Das
Auswechseln von Führungspersonal geht nicht generell mit höherem Sachverstand und darauf
beruhenden besseren Lösungen einher. Das trifft auch zu, wenn einer neuen politischen
Führung vollstes Vertrauen entgegen gebracht wird. Denn erhaltenes Vertrauen fördert nicht
verlässlich das Knowhow, die Intelligenz, die Ethik und Moral, die Kreativität, die
Kompetenz.
Zu Fortschritten kann es nur kommen, wo jemand zur Verfügung steht, der eindeutig
beweisbar die Wege und Mittel kennt und anwenden kann, mit denen sich die vorliegenden
Herausforderungen und Missstände beheben lassen. Erforderlich dazu sind Knowhow und
Weisheit aufgrund von umfassender Bildung: „Weisheit ist eine menschliche Kardinaltugend
und bezeichnet vorrangig ein tiefgehendes Verständnis von Zusammenhängen in Natur,
Leben und Gesellschaft, sowie die Fähigkeit, bei Problemen und Herausforderungen die
jeweils schlüssigste und sinnvollste Handlungsweise zu identifizieren.“25
5. Geschichtliche Erkenntnisse sind hilfreich, um Kriegsirrsinn zu vermeiden.
In der Geschichte der Menschheit ergaben sich in allen Gebieten der Erde Erfahrungen, aus
denen sich im Blick auf optimales Zusammenleben Wertvolles lernen lässt. Alle
Hochkulturen entstanden aufgrund der sorgfältigen praktischen Berücksichtigung solcher
Erkenntnisse. Wenn wir nach Erkenntnissen suchen, die sich zur Bewältigung heutiger
Herausforderungen eignen, finden wir solche zum Beispiel im Mittelmeerraum:
In der Antike blühten in griechischen und römischen Stadtstaaten Hochkulturen. Diese
zeichneten sich dadurch aus, dass eine leistungsfähige und gebildete Oberschicht die Künste
und Wissenschaften zum Wohle aller Menschen förderte und ihnen dadurch Wohlstand
Gerechtigkeit, Frieden und Zufriedenheit ermöglichte. Die griechische Polis wird als
Grundlage der Idee vom freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat angesehen (Platon,
Aristoteles): Die Polis ist ein Basismodell der Bürgerdemokratie, ebenso wie die
Beratungsrunden im germanischen Thing und das afrikanische Palavern.
Jeder Stadtstaat zeichnete sich durch Eigenheiten aus, die ihn von anderen Stadtstaaten
unterschieden - so wie auch jeder Mensch persönliche Eigenheiten aufweist, die ihn von allen
anderen Menschen unterscheidbar machen.
Der eigene Wert zeigt sich vor allem gegenüber dem Andersartigen. Der Wert des
Andersartigen wird nicht immer sogleich offensichtlich erkennbar. Er ist mit Ruhe, Geduld
und Hochachtung zu erkunden. Wir kennen das aus der Partnersuche und der Archäologie.
Dass man auf unterschiedlichen Wegen zu guten Ergebnissen gelangen kann, führte immer
wieder zu Zweifeln an der eigenen, als allein bewährt angenommenen Vorgehensweise, zur
Verunsicherung und zu dem Streben, in einem Wettbewerb mit anderen den Wert des Eigenen
beweisen zu wollen. In der Folge kam es in der Antike zu Auseinandersetzungen und
24
Stéphane Hessel: Empört Euch! Ullstein 2011
http://de.wikipedia.org/wiki/Weisheit
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25
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Vernichtungskriegen zwischen den einzelnen Stadtstaaten. Die friedliche Alternative dazu
wäre die Einsicht und Anerkennung gewesen, dass es zur eigenen Vorgehensweise auch
Alternativen gib: dass mehrere und auch unterschiedliche Mittel und Wege zum selben Ziel
führen können.
Damalige Unfähigkeit, Pluralismus, also ein Nebeneinander („Koexistenz“) unterschiedlicher
Lebensformen, zu akzeptieren und zu tolerieren, führte ohne jegliche Berechtigung und
Notwendigkeit, also sinnlos, zum Untergang der Stadtstaaten sowie wertvoller kultureller
Errungenschaften. Es erfolgte der Übergang zu größeren Staatengebilden, die mehrere Orte
umfassten. Aus diesen sind allmählich die heutigen Staaten entstanden, unnötigerweise
wiederum in der Regel über kriegerische Auseinandersetzungen. Etliches aus den einstigen
Hochkulturen ließ sich erhalten und weiterentwickeln, einiges wurde vernichtet, einiges geriet
in Vergessenheit.
Betrachten wir auf diesem Erfahrungshintergrund die Auseinandersetzungen im Rahmen der
gegenwärtigen Globalisierung, so die zwischen westlichen und östlichen Staatsmachtblöcken,
so scheint heute das Wichtigste davon in Vergessenheit geraten zu sein: Vorrangig kommt es
darauf an, sich auf das zu konzentrieren, was gemeinsames friedliches Zusammenleben
angesichts aller vorhandenen Unterschiedlichkeiten gewährleisten kann. Diese
sozialintegrative Aufgabenstellung kennen alle Dorfbürgermeister und Lehrer. Angesichts
reichhaltiger Erfahrungen damit gibt es gesicherte Erkenntnisse zu erfolgversprechenden
Vorgehensweisen.
Trotz aller offensichtlichen Schwierigkeiten und noch nicht bewältigten Herausforderungen
lässt sich die europäische Einigungsbewegung als das Bemühen verstehen, die fatale
Alternative „Selbstbehauptung oder Untergang“ (Carl Schmitt) hinter sich zu lassen.
Einigungsprozesse können so gestaltet werden, dass sich alle Beteiligten „behaupten“, ohne
die Gefahr von „Untergang“: In gegenseitiger Anerkennung ihrer eigenen Werte und
Unterschiedlichkeit, im Lernen voneinander („interkultureller Austausch“) und der
Kooperation miteinander sind Menschen in der Lage, etwas Neues entstehen zu lassen, was
vielfältiger, reicher und leistungsfähiger ist als das bislang Existierende. Voraussetzung für
das Gelingen ist, dass unterschiedliche Positionen thematisiert und auftretende Konflikte mit
fairen Methoden ausgetragen werden. Über derartiges Vorgehen erreichen wir konstruktive
Weiterentwicklung und stetigen kulturellen Fortschritt.
6. Die Menschen- und Grundrechte begünstigen weltweit optimales Zusammenleben.
Kultureller Fortschritt beruht vor allem auf der Entwicklung und Anwendung von Wegen und
Mitteln, die es ermöglichen, Nutzen zu mehren, ohne Schädigungen zu verursachen, etwa
über das Vermeiden gewalttätiger und kriegerischer Auseinandersetzungen. Derartige
Auseinandersetzungen über diplomatische Verhandlungen nicht eintreten zu lassen, gehört zu
den wichtigsten kulturellen Errungenschaften: Einvernehmliche Konfliktregelung ist die
Grundlage friedlichen Zusammenlebens.
Wie man sich ein der griechischen Polis entsprechendes optimales Zusammenleben im global
village konkret-anschaulich vorstellen kann, beschrieb bereits im Jahr 1515 der englische
Jurist Thomas Morus in seinem Roman „Utopia“. Auf der Basis des „Gesellschaftsvertrags“
(contract social) von Jean-Jacques Rousseau und des kategorischen Imperativs von Immanuel
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Kant sowie dessen Schrift „Zum ewigen Frieden“26 ließ sich ein demokratischer juristischer
Ansatz zur menschlichen Verhaltensregelung entwickeln: das Konzept der Menschen- und
Grundrechte. Es dient der Akzeptanz sowie der Toleranz alles Andersartigen und der
gegenseitigen Verständigung, Kooperation, Unterstützung, Förderung, Weiterentwicklung.
Hier steht nicht mehr das egozentrische Streben nach Selbstschutz, Machtüberlegenheit
(„divide et impera“) und Selbstdurchsetzung im Vordergrund, so wie in dem bis dahin in
Europa vorherrschenden obrigkeitsstaatlichen römischen Rechtsdenken. Das Konzept der
Menschen- und Grundrechte konzentriert sich auf das Allgemeinwohl, also das Wohlergehen
aller Lebewesen sowie den Schutz und die Pflege ihrer natürlichen Lebensgrundlagen. Es ist
damit dem vielfach rücksichtslosen römischen Machtinteressen-Rechts-Konkurrenzdenken
leistungsmäßig weit überlegen.
Die Menschen- und Grundrechte sind in ihrer Bedeutung und Funktion identisch mit den Zehn
Geboten und mit in anderer Weise formulierten Hinweisen zu einer Lebensführung, die das
Überleben und das Wohlbefinden von Menschen unterstützen sollen – deren Gesundheit,
Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit sowie wohlwollenden und achtsamen Umgang
miteinander. 539 v. Chr. formulierte Kyros der Große, der erste König von Persien, die erste
Charta der Menschenrechte.27 Moses (Levitikus 19, 11-18), Lao Tze (ca. 604 -531 v. Chr.),
Konfuzius (551 - 479 v. Chr.), Buddha (563 - 483 v. Chr.), Sokrates (469 - 399 v. Chr., Jesus
von Nazareth, Khalil Gibran (1883 - 1931) und andere Weisheitslehrer vermittelten ihren
Zeitgenossen Handlungsrichtlinien, die sinngemäß den Menschen- und Grundrechten
entsprachen. Selbstverständlich berücksichtigten sie jeweils den Bildungsstand ihrer
Mitmenschen und Umweltgegebenheiten wie etwa das Klima, verfügbare Gegenstände,
Nahrungsmittel und deren Haltbarkeit sowie Bekömmlichkeit. Daraus ergaben sich zeit- und
kulturspezifische Besonderheiten und Unterschiede in den Anweisungen.
Die Menschen- und Grundrechte dienen der angemessenen Befriedigung der menschlichen
Grundbedürfnisse sowie der bestmöglichen Förderung des menschlichen Potenzials. Der
Wortbestandteil „Rechte“ betont, dass alle Menschen eine Existenz- und Lebensberechtigung
haben und dass es ihnen gut gehen sollte. Dazu haben sie das Recht zu erwarten, dass andere
sie nicht schädigen, übervorteilen, verletzen. Der Schutz des Lebens erfordert gegenseitige
Rücksichtnahme. „Recht“ ist, was im Leben richtig, anständig, gerecht, fair ist. Jeder Mensch
hat ein angeborenes Gerechtigkeitsgefühl, das beinhaltet, dass alle Menschen in gleicher
Weise gerecht behandelt werden sollten.
Am 10. Dezember 1948 wurde auf dieser Basis als praktische Vorbereitung der
Rechtsgrundlagen für die menschliche Lebensgemeinschaft im global village die „Allgemeine
Erklärung der Menschenrechte“ von der Generalversammlung der Vereinten Nationen
verkündet. Am 23. Mai 1949 wurde vom Parlamentarischen Rat das Grundgesetz für die
Bundesrepublik Deutschland mit den Grundrechten beschlossen. Das Grundgesetz ist eine
Formulierung des Gesellschaftsvertrags, der den Naturgesetzen zufolge dem menschlichen
Zusammenleben zugrunde liegt.28
26
Thomas Kahl: Konsensbewusstsein als Basis internationalen Zusammenlebens. Von der Gründung der
Paneuropa-Union zur freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung im global village.
www.imge.info/extdownloads/KonsensbewusstseinAlsBasisInternationalenZusammenlebens.pdf
27
http://de.humanrights.com/what-are-human-rights/brief-history/declaration-of-human-rights.html
28
Thomas Kahl: Die Weltordnung, die Naturgesetze und die menschliche Evolutionsgeschichte. Leben gemäß
der Natur-Ordnung mit dem Grundgesetz: Eine Darstellung für Kinder und Erwachsene
www.imge.info/extdownloads/DieWeltordnungDieNaturgesetzeUndDieEvolutionsgeschichte.pdf
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Die Menschen- und Grundrechte beinhalten etliche Formulierungen, die alle denselben Sinn
verfolgen: die Würde und die Freiheit aller Menschen gleichermaßen zu achten und zu
schützen.29 Was damit gemeint ist, zeigt sich besonders anschaulich und eindrücklich in der
Straßenverkehrsordnung. Deren universelle Grundregeln lauten gemäß § 1 StVO:
(1) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.
(2) Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als
nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.
Die Grund- und Menschenrechte sind allgemeiner formuliert, weil sie sich darauf beziehen,
wie sich Menschen immer zu verhalten haben, also nicht nur im Straßenverkehr: Bei allem,
was man tut, sollte man das Wohl aller Anderen im Blick haben und mit unterstützen. Man
darf sie und ihre Rechte nicht verletzen (Artikel 2 (1) GG). So hatte Hippokrates (um 460 bis
370 v. Chr.) einen Eid für den Umgang von Ärzten mit Patienten formuliert, der die
Verpflichtung enthielt, niemals Schaden anzurichten (nihil nocere). Hier geht es um
Selbstverständliches: Niemand sollte geschädigt werden und niemand will geschädigt werden.
Alle Menschen- und Grundrechte formulieren Tatsachen, die zu berücksichtigen sind, um
Schaden zu vermeiden. Hierzu zwei Beispiele: Eine derartige Tatsachenformulierung ist
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ (Artikel 3 (2) GG). Diese Tatsache wird von
vielen Menschen nicht gesehen, anerkannt und angemessen beachtet. Infolge dessen werden
zum Beispiel Männern und Frauen für die gleiche Arbeitsleistung nicht immer die gleichen
Löhne bezahlt. Dies führt zur Benachteiligung von Frauen und eventuell auch von Kindern,
immer wieder auch zu gesellschaftlichen Konflikten und Schäden. Eine andere Tatsache
lautet: „Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft“
(Artikel 6 (4) GG). Also soll jede Mutter diesen Schutz erhalten. Wenn diese Forderung nicht
erfüllt wird, können sich negative Auswirkungen auf die Mutter, das Kind und die
Gemeinschaft ergeben. Solche Auswirkungen sollen durch den Schutz verhindert werden.
Eine Gemeinschaft schädigt sich selbst, wenn sie nicht gut für Mütter und Kinder sorgt.
Beispielhaft zeigt sich bei diesen beiden Formulierungen, dass es objektive Tatsachen sowie
Auswirkungen gibt, die von vielen Menschen nicht wahrgenommen und anerkannt werden.
Dazu kommt es, weil sich die menschlichen Sinnesorgane und auch der menschliche Verstand
täuschen können: Irren ist menschlich. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die
naturwissenschaftliche Erkenntnis von Kopernikus und Galilei, dass die Erde um die Sonne
kreist.
Diese Tatsache lässt sich nur mit objektiven wissenschaftlichen Forschungsmitteln belegen,
nämlich über astronomische Beobachtungen der Verlaufsbewegungen der Himmelskörper
(Planeten). Jeder Mensch, der von der Erde aus mit bloßen Augen und seinem „gesunden
Menschenverstand“ den tagtäglichen Verlauf der Sonne verfolgt, ist geneigt, diese Erkenntnis
nicht als Tatsache anzuerkennen, weil er nur beobachtet, wie sich die Sonne im Osten
aufgehend und im Westen untergehend um seinen Standort herum bewegt: Objektive
Erkenntnis (=Tatsachen) und subjektive Wahrnehmungen und Eindrücke (= Meinungen)
29
Zur Bedeutung der Würde und der Freiheit siehe:
Ausführungen von Carlo Schmid (SPD) zu den Grundrechten 1946
www.imge.info/extdownloads/AusfuehrungenVonCarloSchmidSPDZuDenGrundrechten1946.pdf Ferner:
www.imge.info/arbeitsgrundlagen/2-rechtliche-grundlagen/232-schutz-vor-staatlichemmachtmissbrauch/index.html sowie
www.imge.info/arbeitsgrundlagen/2-rechtliche-grundlagen/231-die-allgemeine-bedeutung/index.html
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unterscheiden sich voneinander. Platon wies bereits in seinem Höhlengleichnis darauf hin:
Was als offensichtlich erscheint, das erfasst nicht unbedingt die gesamte Wirklichkeit.
Ähnlich revolutionär wie die Erkenntnisse von Kopernikus und Galilei wirkten in der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts die Erkenntnisse des Kommunikationsforschers und
Psychotherapeuten Paul Watzlawick zum menschlichen Zusammenleben: Die menschliche
Wahrnehmung funktioniert nicht zuverlässig: Das Offensichtliche entspricht nicht unbedingt
den wirkenden Tatsachen. Watzlawick untersuchte die Gültigkeit von menschlichen
Äußerungen bzw. Formulierungen: Inwiefern stimmen diese überein mit dem, was objektiv
beweisbar ist? Inwiefern entsprechen sie der Wahrheit?30
Man kann im Blick auf die Grund- und Menschenrechte zum Beispiel fragen: Stimmen die
Äußerungen: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ und „Die Würde des Menschen ist
unantastbar.“? Es lässt sich belegen und beweisen, dass Missachtungen dieser Feststellungen
zu Schädigungen im mitmenschlichen Zusammenleben führen.31 Sie zu beachten und zu
respektieren ist notwendig, um Beleidigungen, Ungerechtigkeiten und andere Verletzungen zu
vermeiden sowie um Vertrauen, konstruktive Zusammenarbeit, Gesundheit und optimale
Leistungsfähigkeit zu gewährleisten. 32 Die Wahrscheinlichkeit, in unproduktiven Streit und
in Rechthaberei zu geraten, verringert sich, wenn man sich an die Menschen- und
Grundrechte hält.
Infolge dessen stimmen diese Formulierungen. Sie sind wahr. Sie stimmen weltweit, auch
unabhängig davon, ob sie von herrschenden politischen Instanzen ausdrücklich und offiziell
als „Menschen- und Grundrechte“ anerkannt und proklamiert worden sind. Sie stimmen auch
unabhängig von dem, woran sich religiöse oder atheistische Menschen orientieren.
Infolge dessen sind die Menschen- und Grundrechte nicht etwas, was nur dem westlichen
Menschenbild der Aufklärung entspricht, aus dem heraus sie einst formuliert wurden. Sie
entsprechen den existenziellen Grundbedürfnissen, die weltweit alle Menschen haben. Sie
entsprechen der menschlichen Konstitution (conditio humana) 33 und dem Streben nach
harmonischem Zusammenleben.34
7. Um bestmöglichen Erfolg zu erreichen, muss Bildung ein Mega-Thema werden.
Wir leben in der „besten aller möglichen Welten“, erklärte der Universalgelehrte Gottfried
Wilhelm Leibniz (1646 - 1716), womit er nicht die unmittelbar erfahrbare Realität mit allen
30
Paul Watzlawick: Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Wahn, Täuschung, Verstehen. Piper. 20. Aufl. 1992
Paul Watzlawick, Janet H. Beavin, Don D. Jackson: Menschliche Kommunikation – Formen, Störungen,
Paradoxien. Huber, Bern 12. Aufl. 2011.
31
Thomas Kahl: Verletzungen der Würde des Menschen und Maßnahmen der Prävention gegen eskalierende
Gewalt. Wie menschliches Versagen zu Terrorismus und dem Weltuntergang führen kann.
www.imge.info/extdownloads/VerletzungenDerWuerde.pdf
32
Thomas Kahl: Der politisch-gesellschaftliche Nutzen der Achtung der Würde des Menschen sowie von
Psychotherapie/Coaching. www.imge.info/extdownloads/NutzenDerWuerde.pdf
33
http://de.wikipedia.org/wiki/Conditio_humana
Thomas Kahl: Missverständnisse der Bibel prägen das bisherige Staats- und Strafrecht. Die Lehre von der
Erbsünde hat verheerende praktische Folgen.
www.imge.info/extdownloads/MissverstaendnisseDerBibelPraegenDasBisherigeStaatsUndStrafrecht.pdf
34
Thomas Kahl: Universelle Prinzipien verhelfen zu Allgemeinwohl, Frieden und Gerechtigkeit. Erfolg auf der
Basis von Harmoniekonzepten.
www.imge.info/extdownloads/UniversellePrinzipienVerhelfenZuAllgemeinwohlFriedenUndGerechtigkeit.pdf
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ihren Übeln meinte, sondern das Potenzial, das in der Natur angelegt ist. Wenn wir
unzufrieden sind, liegt das vielfach daran, dass das Potenzial nicht optimal genutzt wird.
Welches Potenzial hat der Mensch? Wenn es um die Beschaffenheit des Menschen geht, um
die conditio humana, meinen alle Menschen mitreden zu können, als Experten, aufgrund ihrer
eigenen Erfahrungen. Wer dem menschlichen Potenzial in seiner enormen Komplexität
gerecht werden will, der sollte über sein eigenes persönliches Potential sowie das seiner
Verwandten und Bekannten hinaus das Potenzial aller Menschen auf der Erde
berücksichtigen. Experten dafür sind vor allem unter Pädagogen und Psychotherapeuten zu
finden, die über ihre wissenschaftlichen Grundlagenfächer weltweit untereinander vernetzt
arbeiten. Diese beiden Berufsgruppen haben vieles gemeinsam: Sie vermitteln Menschen
Fähigkeiten, die diese bis dahin noch nicht hatten. Sie verbessern das menschliche Potenzial,
die Leistungsbereitschaft und -tüchtigkeit. Psychotherapeuten berücksichtigen dabei auch
geistige, seelische und körperliche Funktionsstörungen (Krankheit, Gesundheit).
Es ist heute objektiv-wissenschaftlich geklärt, was zu optimaler Pädagogik gehört und was zu
optimaler Psychotherapie. Diese Erkenntnisse sind zu wenig bekannt und werden zu wenig
genutzt. Die Aufgaben, die die Schule entsprechend unserer freiheitlich-demokratischen
Verfassungsordnung erfüllen sollte, sind in den Schulgesetzen der Bundesländer klar
formuliert worden. Praktisch werden diese vielfach nicht konsequent verfolgt und deshalb
verfehlt. Dies trägt dazu bei, dass etliche Kinder ungern in die Schule gehen, dem Unterricht
fernbleiben, leistungsmäßig versagen. Psychotherapeutische Kompetenzen sind nützlich, um
derartige Folgen zu beheben.
Erstaunlicherweise ist es möglich, Unternehmer oder Politiker zu werden, ohne eine Schule
oder Ausbildung erfolgreich abgeschlossen zu haben. Man muss nur als Unternehmer zu
arbeiten beginnen oder in ein Gremium gewählt werden. Trotz mangelhafter Bildung und
Ausbildung können Menschen in der Wirtschaft und der Politik sehr einflussreiche Positionen
übernehmen. Niemand überprüft, inwiefern sie sich mit der geltenden Rechtsordnung, dem
Grundgesetz und den Menschenrechten auskennen. Man kann in die Rolle eines Vorgesetzten
gelangen, ohne über hinreichende Kompetenzen zur Menschenführung zu verfügen. Man
kann Entscheidungen treffen, die das Leben vieler anderer Menschen tiefgreifend
beeinflussen und bestimmen, ohne zuvor das Knowhow erworben zu haben, das notwendig
ist, um die Auswirkungen solcher Entscheidungen zutreffend einschätzen zu können.
Wer in dieser Weise handelt, ohne sich mit Menschen hinreichend gut auszukennen, der trägt
möglicherweise zur Beeinträchtigung, Schädigung oder gar Zerstörung menschlichen
Leistungspotenzials bei, was Krankheiten und auch dauerhafte Arbeitsunfähigkeit zur Folge
haben kann. Es gibt Unternehmer und Politiker, die nicht gelernt haben, sich am
Allgemeinwohl zu orientieren und die darum in erster Linie ihre eigenen persönlichen
Interessen verfolgen – auf Kosten und zum Schaden der Allgemeinheit. Psychotherapeuten
kennen sich in der Regel mit den hier gegebenen Zusammenhängen gut aus. Es gehört zu
ihren Aufgaben, zur Diagnose und Überwindung derartiger Schädigungen beizutragen.
Auch Ausbildungsabschlüsse garantierten keinen optimalen Umgang mit anderen Menschen
und mit sachlichen Herausforderungen, keine bestmögliche Aufgabenbewältigung und
Lebenszufriedenheit. Wenn „Ausbildung“ vor allem in der gezielten Aneignung und
Reproduktion von Wissen und Fertigkeiten im Hinblick auf Punktzahlen in Prüfungen
besteht, dann lässt sich in ihrem Rahmen nur mit geringer Wahrscheinlichkeit das umfassende
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Verständnis für die Zusammenhänge entwickeln, das eine unverzichtbare Voraussetzung zu
qualifizierter eigenständiger Aufgabenerfüllung ist. Dann werden in erster Linie
Ausführungskompetenzen vermittelt und erworben, nicht aber Entscheidungs- und
Methodenbeurteilungskompetenzen sowie die Grundlagen für eigenes kreatives Handeln und
Erforschen von Gegebenheiten. Dieser Mangel bewirkt zwangsläufig eine hohe
Wahrscheinlichkeit von Fehlentscheidungen und darauf beruhenden Schädigungen.
Infolge dessen sind Ausbildungsbedingungen herbeizuführen, die sich nicht an
Prüfungsanforderungen orientieren, sondern an dem, was zu kompetenter Berufsausübung
und Alltagsaufgabenbewältigung befähigt: Es ist eine auf die Entwicklung von Verständnis
für die Zusammenhänge gerichtete pädagogische Methodik und Didaktik anzuwenden. Eine
solche wurde im Rahmen der Reformpädagogik35 entwickelt, unter anderem von Martin
Wagenschein.36
Auf gründliche und umfassende Bildung37 ist größter Wert zu legen. Im Hinblick auf das
Allgemeinwohl (common wealth: Lebensqualität, Gesundheit, Entwicklung des
Leistungspotentials 38) ist keine zweckmäßigere und lohnendere Investition bekannt. Doch ein
oft unzulängliches Angebot der Schul- und Ausbildungseinrichtungen und eine mangelhafte
Qualität der Lehrerausbildung39 ermöglichte nicht allen Bürgern, in den Genuss einer solchen
Bildung zu gelangen. In einer demokratischen Bürgergesellschaft ist es notwendig, dass alle
Menschen möglichst hürdenfrei diejenigen Kompetenzen erwerben können, die sie zu
erfolgreicher eigenständiger Lebensführung im Einklang mit dem Allgemeinwohl befähigen.
Die UN-Behindertenrechtskonvention unterstützt die Förderung dieser Kompetenzen unter
anderem mit dem Konzept der Inklusion.
Die Richtigkeit und die Nützlichkeit dessen, was man einmal gelernt hat, sind nicht überall so
offensichtlich klar erwiesen wie beim Lesen, Schreiben und den Grundrechnungsarten. In den
Schulen und Hochschulen werden neben Wahrheiten auch Irrlehren verbreitet, und das eine
ist vom anderen oft nur schwer zu unterscheiden. Wir müssen davon ausgehen, dass wir uns
auch außerhalb solcher Einrichtungen etliches angeeignet haben, was sich eines Tages als
offensichtlich zweifelhaft, unbrauchbar oder gar falsch und uns in die Irre führend
herausstellt.
Wer nachhaltig erfolgreich sein will, kann das nur werden aufgrund der Bereitschaft, das
eigene Vorgehen, Handeln und Reagieren strengen Überprüfungen zu unterwerfen und
kontinuierlich zu verändern. Er oder sie sollte beständig aufgeschlossen alle Entwicklungen
35
http://de.wikipedia.org/wiki/Reformp%C3%A4dagogik
http://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Wagenschein
37
Umfassende Bildung ist eine notwendige Voraussetzung dafür, ein zufriedenstellendes und erfülltes eigenes
Leben führen zu können, mit dessen Ablauf und Ergebnissen man sich angesichts des eigenen Todes
einverstanden fühlen kann. Derartige Bildung geht weit über das hinaus, was ein Bildungsverständnis nahelegt,
das Bildungsmaßnahmen in erster Linie als ein Mittel ansieht, um Sozialprestige und sicheres, hohes finanzielles
Einkommen zu erlangen.
38
http://de.wikipedia.org/wiki/Bruttonationalgl%C3%BCck
Fremuth et al. (Hrsg.): Glückseligkeit des Drachens – die Philosophie des Glücks in Bhutan und anderswo.
Schriftenreihe der DGVN NRW e. V., Band 2. www.wiwi.unimuenster.de/ioeb/Downloads/Forschen/Pfaff/Fremuth_et_al_%282010%29_Gl%C3%BCckseligkeit_des_Drach
ens.pdf
39
Thomas N. Kahl: Lehrerausbildung. Situation – Analyse – Vorschläge. Kösel Verlag München 1979.
Thomas N. Kahl: Unterrichtsforschung. Probleme, Methoden und Ergebnisse der empirischen Untersuchung
unterrichtlicher Lernsituationen. Kronberg/Ts.: Scriptor Verlag 1977
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verfolgen und lernen, um neue Erfordernisse rechtzeitig erkennen und mit diesen bestmöglich
umgehen zu können. Er oder sie braucht den Mut, unkonventionelle Wege zu gehen und sich
deshalb vom Mainstream unberechtigterweise schelten und für verrückt erklären zu lassen.
Denn alle bahnbrechenden Entdeckungen und Erfindungen wurden stets von Menschen
gemacht, die unbeirrbar eigene Wege gingen.
Die erforderliche Eigenständigkeit haben nur Menschen und Institutionen, die in der Lage
sind, autonom, flexibel und rasch zu reagieren und zu handeln.
Je größer und komplexer Institutionen und Organisationen sind, umso höher ist die
Wahrscheinlichkeit, dass ihnen dieses misslingt. Mangelnde Anpassungsfähigkeit stellt das
Überleben infrage und führte unter anderen zum Aussterben der Dinosaurier. Institutionen
und Organisationen, auch Unternehmen und Staaten, sind keine Lebewesen mit
eigenständigem Lebensrecht, sondern lediglich Instrumente oder Anstalten40, die Menschen
sich zu ihrem eigenen Wohl erschaffen haben. Diese können und müssen entsprechend den
jeweiligen Erfordernissen umgestaltet werden.
Bildung sollte dazu führen, die Welt und wie sie funktioniert, zu verstehen und in ihr
bestmöglich erfolgreich handeln zu lernen. Wenn wir bescheiden sind, was die
unverzichtbaren Kompetenzen von Führungskräften betrifft, dann ist zu fordern, dass sich
diese zumindest im Umgang mit Menschen gut auskennen sollten,41 nicht unbedingt auch mit
dem Funktionieren der ganzen Welt entsprechend der Genialität eines Mannes wie Leibnitz.
Zu beachten ist insbesondere, dass zur Bewältigung von Aufgaben und Herausforderungen
stets in erster Linie Sachverstand (Knowhow) und persönliches Engagement erforderlich sind.
Allzu oft erliegen Politiker und Unternehmer der verbreiteten irrtümlichen Vorstellung, dazu
sei vor allem Geld nötig und zweckmäßig: mit Geld ließe sich das Handeln von Menschen
zielgerecht steuern. So bemühen sie sich um Geld und einen sachverständigen Umgang damit,
um möglichst viel davon zur Verfügung zu haben. Erfolgsentscheidend ist jedoch nicht,
wieviel Geld eingesetzt werden kann, sondern wie und wozu Geld und anderes Eigentum
letztendlich verwendet werden. Deshalb betont Artikel 14 GG ausdrücklich den Gebrauch
von Eigentum zum Wohle der Allgemeinheit. Ein solcher Gebrauch von Geld erfordert weit
mehr als nur finanziellen und wirtschaftlichen Sachverstand. Er erfordert in erster Linie die
sachkundige Berücksichtigung der Bedürfnisse der Bürger im Blick auf deren zweckmäßige
Befriedigung (siehe unten 8., 9. und 12.).
Wer mit Menschen zusammenlebt und arbeitet, benötigt eine humanwissenschaftlich
fundierte Ausbildung, vorzugsweise auf den Grundlagen der Psychologie, Pädagogik sowie
Psychotherapie. Die Psychologie ist als empirisch-experimentelle Wissenschaft vom
menschlichen Erleben und Handeln heute die Grundlagenwissenschaft für alle
mitmenschlichen Aufgabenfelder.
Dass kompetentes Zusammenleben und -arbeiten mit Menschen eine humanwissenschaftlich
fundierte Ausbildung erfordert, ist zweifellos ein hoher Bildungsanspruch. Dieser Anspruch
ergibt sich aus der Komplexität des Menschen als biologisches Lebewesen:
40
Ausführungen von Carlo Schmid (SPD) zu den Grundrechten 1946
www.imge.info/extdownloads/AusfuehrungenVonCarloSchmidSPDZuDenGrundrechten1946.pdf
41
Thomas Kahl: Die Psychologie als Grundlage der ökologisch-achtsamen sozialen Weltmarkt-Wirtschaft. Die
Achtung der Menschen- und Grundrechte bildet die Basis optimaler wirtschaftlicher Produktivkraft.
www.imge.info/extdownloads/DiePsychologieAlsGrundlageDerMarktwirtschaft.pdf
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„Wenn man von dem gesellschaftlichen Auftrag einer Wissenschaft sprechen kann, so liegt jener der
Psychologie in der Verpflichtung zu dem unermüdlichen Hinweis auf die Komplexität und Differenziertheit
menschlichen Verhaltens und Erlebens. Angesichts der Leichtfertigkeit, mit der viele Repräsentanten unserer
Gesellschaftsordnung psychologische Probleme zu sehen und zu lösen gewohnt sind, gehören zu der Erfüllung
dieser Aufgabe sowohl Mut als auch Sachkenntnis.” 42
Um dem oft unzureichenden wissenschaftlichen Sachverstand von Politikern abzuhelfen,
hatte der Theologe Georg Picht 1964 in seiner Schrift „Die deutsche Bildungskatastrophe“
betont:
„Aufgabe der Wissenschaft ist die analytische Klärung der Sachverhalte, die Ausarbeitung der Methoden, die
Aufdeckung der in jeder Entscheidung verborgenen Konsequenzen, von denen die Handelnden oft keine Ahnung
haben, und – was man nur zu oft vergisst – die auf alle erreichbaren Daten gestützte Prognose. Sie ist deshalb als
beratende Instanz unentbehrlich. Aber sie degeneriert, wenn man ihr die Entscheidungen der Exekutive
zuschieben will. Entscheiden kann nur der Politiker. Er wird aber falsch entscheiden, wenn er dem typisch
deutschen Irrglauben huldigt, Gott habe ihm mit seinem politischen Amt zugleich auch jenen geschulten
wissenschaftlichen Verstand gegeben, den er im zwanzigsten Jahrhundert braucht. Ein Politiker, der Verstand
hat, weiß, dass er ohne die Wissenschaft nicht mehr auskommen kann.”43
Mängel in der Bildung führten immer wieder zu Irrtümern, also unzweckmäßigen
Handlungen. Diese verursachten immense geistige, seelische und körperliche Schädigungen
des menschlichen Potentials und der Ressourcen der Natur. Dazu trugen vor allem
kriegerische sowie persönliche Auseinandersetzungen bei, die seit Jahrtausenden stattfanden.
Stets gingen etliche Schädigungen von Eltern auf deren Kinder über. Diese Gegebenheiten
führten dazu, dass es heute oft außerordentlich schwierig sein kann, andere Menschen
angemessen zu verstehen und mit ihnen im direkten zwischenmenschlichen Kontakt
fruchtbare Formen der Kooperation herzustellen. Hier liegen wichtige Gründe für
mangelhaftes Vertrauen und für zunehmendes Scheitern von Partnerschaftsbeziehungen.44 Mit
menschlichen Unzulänglichkeiten hilfreich umgehen zu können, gehört zu den wertvollsten
menschlichen Leistungen.
Um die vorzufindenden Schwierigkeiten bestmöglich bewältigen zu können und um
zusätzliche Schädigungen zu vermeiden, benötigen heute nahezu alle Menschen
psychodiagnostische und psychotherapeutische Kompetenzen. Da sich alle Menschen
voneinander unterscheiden, sind stets eigenständige Forschungsbemühungen und Kreativität
erforderlich, um im Einzelfall herauszufinden, welche konkreten Gegebenheiten vorliegen
und wie sich im Kontakt miteinander konstruktiv vorgehen lässt. Es gibt Methoden, mit denen
die erforderlichen Kompetenzen allen Menschen leicht, schnell und kostengünstig vermittelt
werden können. Dazu eignen sich Massenmedien,45 insbesondere auch das Internet.
8. Politiker benötigen Sachverstand, um dem Allgemeinwohl dienen zu können.
Staatliche und internationale Organe haben gemäß den Verfassungsgrundlagen die Aufgabe,
über ihr organisatorisches Vorgehen, ihre Gesetzgebung, ihre Rechtsprechung und ihren
Umgang mit finanziellen Steuermitteln die Interessen und das Wohl aller Bürger bestmöglich
42
Thomae, H. und Feger, H.:, Einführung in die Psychologie 7, Akad. Verlagsges.1976, S. 4.
Georg Picht: Die deutsche Bildungskatastrophe. Olten/Freiburg: Walter 1964, S. 60f.
44
Thomas Kahl: Beziehungskonflikte, Streit, Sprachlosigkeit: Hintergründe und Lösungsmöglichkeiten
www.seelische-staerke.de/paarbeziehungen/r1v2.html
45
Thomas Kahl: Fernsehserien („Telenovelas“) verdeutlichen einen grundgesetzgemäßen menschenwürdigen
Umgang, während staatliche Instanzen hier pädagogisch vielfach versagen.
www.imge.info/extdownloads/FernsehserienVerdeutlichenMenschenwuerdigenUmgang.pdf
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zu unterstützen. Sie sind dafür von den Bürgern bezahlte und angestellte Dienstleister.
Gewählte Repräsentanten (Abgeordnete, Minister, Kanzler, Präsidenten etc.) haben als
Vertreter des Volkes die Pflicht, dem Allgemeinwohl zu dienen und Schädigungen zu
vermeiden. Sinngemäß besagt das der Amtseid. Damit ihre Aufgaben dementsprechend
ausgeführt werden, benötigen sie hinreichenden Sachverstand.
Sachverstand beruht auf Knowhow, auf verantwortungsbewusstem zweckrationalem Handeln.
Was derartiger Sachverstand ist, das lässt sich anschaulich beispielhaft anhand von Koch- und
Backrezepten verdeutlichen: Solche Rezepte sind operationale Definitionen. Diese besagen,
was konkret benötigt wird und zu tun ist, um angestrebte Ergebnisse als gelungene Werke
tatsächlich zu erreichen. Zu diesen gelangt man nur über Selbstdisziplin, Selbstbeherrschung,
bewusste Selbstregulation des eigenen Vorgehens. Operationale Definitionen geben an, wie
zweckrationales Handeln erfolgen sollte. Handwerker und Techniker sind damit in der Regel
gut vertraut. Darauf beruht die weise Empfehlung, dass wer ein öffentliches Amt übernehmen
will, ein ordentliches Handwerk erlernt und über mehrere Jahre hinweg mit Erfolg ausgeübt
haben sollte, etwa Zimmermann oder Seelenklempner.
Wesentliches dazu verdeutlicht die folgende Antwort eines jüdischen Seelsorgers:
„Ein junger Mann gab dem Riziner einen Bittzettel, darauf stand, Gott möge ihm beistehn, damit es ihm gelinge,
die bösen Triebe zu brechen. Der Rabbi sah ihn lachend an: „Triebe willst du brechen? Rücken und Lenden wirst
du brechen, und einen Trieb wirst du nicht brechen. Aber bete, lerne, arbeite im Ernst, dann wird das Böse an
deinen Trieben von selbst verschwinden.”46
Jeder Mensch, der sich in einem konkreten Arbeitsbereich um Qualitätsarbeit bemüht – etwa
jeder Handwerksmeister – kann sich durch die Konzentration auf seine Aufgaben und das
Bemühen, eine Arbeit zu leisten, die die Kundenansprüche voll befriedigt, intensiv darin
schulen, mit seinen Trieben und Launen immer besser zurecht zu kommen.
Die gewissenhafte Beachtung der Grund- und Menschenrechtsordnung begünstigt
zufriedenstellendes und gewinnbringendes Zusammenleben und die innere Sicherheit auf
kostengünstigste Weise. Jegliche mangelhafte Beachtung dieser Ordnung beeinträchtigt und
gefährdet das Zusammenleben. Zu den Folgewirkungen mangelhafter Beachtung dieser
Ordnung gehören Ungerechtigkeiten, Konflikte und Streitigkeiten, Aggressivität und
Unzufriedenheit, Überforderung und Stress, gesundheitliche Beeinträchtigungen, Mobbing,
Armutselend, kriminelle Verhaltenstendenzen, Gewalttätigkeiten, Protestverhalten,
Terrorismus, kriegerische Auseinandersetzungen und weitere Missstände.47
Angesichts dessen ist Politikern zu empfehlen, ihr Handeln kritisch zu überprüfen und für
Organisationsformen zu sorgen, die das Wohl der Bevölkerung nachweislich am
wirkungsvollsten unterstützen. Das übliche politische Handeln ist weitgehend das Ergebnis
von Traditionen und Konventionen, die in der Vergangenheit einmal einen gewissen Sinn und
Nutzen gehabt hatten, sich angesichts heutiger Gegebenheiten jedoch als unzweckmäßig
46
Martin Buber: Die Erzählungen der Chassidim. Zürich: Manesse 1949, S. 500.
Thomas Kahl: Verletzungen der Würde des Menschen und Maßnahmen der Prävention gegen eskalierende
Gewalt. Wie menschliches Versagen zu Terrorismus und dem Weltuntergang führen kann.
www.imge.info/extdownloads/VerletzungenDerWuerde.pdf
Thomas Kahl: Missverständnisse der Bibel prägen das bisherige Staats- und Strafrecht. Die Lehre von der
Erbsünde hat verheerende praktische Folgen.
www.imge.info/extdownloads/MissverstaendnisseDerBibelPraegenDasBisherigeStaatsUndStrafrecht.pdf
Thomas Kahl: Deutschland und die Welt brauchen Papst Franziskus dringend. Ein Gebet von Franz von Assisi
beruht auf dem Verhalten Jesu Christi, der sich für die Achtung der Grundrechte eingesetzt hatte.
www.imge.info/extdownloads/DeutschlandBrauchtPapstFranziskusDringend.pdf
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erweisen können. Etliches wird allzu umständlich und kostenaufwändig gemacht: Es wird
unendlich viel geredet und getan, um Konsens herzustellen – siehe unten 9.5: Demokratischer
Pragmatismus. Demgegenüber ist vordringlich für Sachverstand zu sorgen und mit diesem für
zweckmäßiges praktisches Vorgehen.
Infolge unzureichenden Sachverstands führen politische Bemühungen vielfach nicht zu den
angestrebten positiven Ergebnissen, sondern zu Schädigungen, finanziellen Fehlinvestitionen
und Unzufriedenheit der Bevölkerung. Deshalb sollte das gesamte politisch-administrative
Handeln zugunsten des Allgemeinwohles auf Rationalität und praktische Nützlichkeit hin
optimiert werden. Es sollte einfach, klar, übersichtlich, transparent, nachvollziehbar,
überprüfbar und leicht korrigierbar werden.48 In diesem Sinne verwendet Roman Herzog
aktuell die Bezeichnungen „schlank, kompetent und schlagkräftig“.49
Auf diese Ziele ausgerichtete Korrektur-Notwendigkeiten ergeben sich in regelmäßigen
Abständen immer wieder. Denn alle Institutionen und Organisationen tendieren dazu,
Eigendynamiken zu entwickeln, die vielfach der bestmöglichen Erfüllung ihrer eigentlichen
Aufgaben zuwider laufen.50 Wegweisend-zweckmäßige Korrektur-Maßnahmen waren in
Deutschland vor etwa 200 Jahren die organisatorischen Reformen von Stein (1757 – 1831)
und Hardenberg (1750 – 1822) sowie die Bildungsreformen von Wilhelm von Humboldt
(1767 – 1835) gewesen. Heute gibt es zeitgemäße organisatorische Varianten dazu und
wirksamere Technologien, z. B. Logistik- und Organisationsentwicklungsverfahren sowie das
Internet. Damit gelingt Vieles leichter und kostengünstiger als damals.
9. Politisches Vorgehen lässt sich demokratisch, einsichtig und zielführend gestalten.
Was Politiker konkret tun sollten, um die anzustrebenden Ziele tatsächlich zu erreichen,
wurde auf der Basis der Grund- und Menschenrechte bereits weitgehend geklärt. Dazu
gehören unter anderem die folgenden Erkenntnisse:
1. Was wir vor allem anderen benötigen, ist die Einhaltung und Befolgung der Menschenund Grundrechte. Dafür zu sorgen „ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ gemäß Art.
1 GG sowie gemäß den Kinderrechtskonventionen der Vereinten Nationen. Dort werden
die Pflichten von Politikern dargestellt.51
Wenn die Politiker ihre Aufgaben und Pflichten sorgfältig erfüllen, brauchen wir kaum
noch neue staatliche Gesetze. Damit die geltenden Gesetze eingehalten werden, müssen
sie allen Menschen bekannt und einsichtig sein. Je einfacher und klarer die Gesetze
formuliert sind, umso leichter lässt sich Rechtssicherheit herstellen und gewährleisten. Die
Menschen- und Grundrechte sind deshalb so formuliert worden – in kurzen Sätzen.
Um Missverständnisse zu verhindern, sind erläuternde Kommentare nützlich, ferner
konkrete Umsetzungsrichtlinien in Form von Vorgehens- und Verfahrensvorschriften
48
Thomas Kahl: Politik-Management gemäß dem Grundgesetz gelingt mit Leichtigkeit. Die Ausbildung und
Einstellung von Repräsentanten ist revisionsbedürftig.
www.imge.info/extdownloads/PolitikManagementGemaessDemGrundgesetz.pdf
35
Roman Herzog: „Europa neu erfinden – Vom Überstaat zur Bürgerdemokratie“ Siedler Verlag 2014
50
Scott Adams: Das Dilbert-Prinzip. Die endgültige Wahrheit über Chefs, Konferenzen, Manager und andere
Martyrien. Redline Verlag, München 1997
C. Northcote Parkinson: Parkinsons Gesetz und andere Studien über die Verwaltung. Verlagsanstalt Handwerk,
Düsseldorf 2005.
Laurence J. Peter, Raymond Hull: Das Peter-Prinzip oder die Hierarchie der Unfähigen, Reinbek bei Hamburg
1972
51
Thomas Kahl: Die juristischen Ordnungsstrukturen unserer globalen Lebensgemeinschaft
www.imge.info/extdownloads/DieJuristischenOrdnungsstrukturenDerGlobalenLebensgemeinschaft.pdf
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Zusammenleben auf der Erde sichern. IMGE-Publikationen FB 1: Politik-Management 2014
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2.
3.
4.
5.
52
(Erlassen) sowie von Kriterien, die bei Entscheidungen zu beachten sind. Derartige
Konkretisierungen erleichtern die Überprüfung der Einhaltung der Gesetze. Zugleich
engen sie die Ermessensspielräume ein und schützen damit vor missbräuchlichen und
willkürlichen Auslegungen.
Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen (Artikel 1 (1) GG) und das Recht auf die
freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit (Artikel 2 (1) GG) sind die grundlegenden
Rechte. Was sich logisch aus ihnen ergibt, wird in allen anderen Menschen- und
Grundrechten weiter ausgeführt und konkretisiert. Dazu gehören insbesondere die Freiheit
des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen
Bekenntnisses. Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe
gezwungen werden. Diese Freiheiten werden ausdrücklich als unverletzlich herausgestellt.
(Artikel 4 GG). Daraus folgt:
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind als Vertreter des ganzen Volkes an
Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen (Artikel 38
(1) GG). Damit ist jeder Fraktionszwang unvereinbar.
Der Artikulation der Willensbildung des Volkes können politische Parteien dienen
(Artikel 21 (1) GG). Nötig sind sie dazu nicht.52 Vielfach erweisen sie sich hier als
schädlich.53
Der Wille der Angehörigen des Volkes ist seit Jahrtausenden klar: „Das Volk“ benötigt
das, was in den Grund- und Menschenrechten formuliert worden ist. Dazu gehören im
Sinne der Befriedigung der allgemeinen menschlichen Grundbedürfnisse: Ausreichende
und gesunde Ernährung, Kleidung, Wohnraum, saubere Luft und Ruhe zur Erholung,
Gesundheitsfürsorge, seelische und körperliche Unversehrtheit bzw. Sicherheit im
Zusammenleben, die Achtung der persönlichen menschlichen Würde, Gerechtigkeit sowie
Freiheit zur Entfaltung der eigenen Persönlichkeit, der eigenen Begabung und
Leistungsfähigkeit. Wesentliche Voraussetzungen für menschenwürdiges Leben lassen
sich kostengünstig gewährleisten und finanzieren: Einerseits über angemessene Löhne und
Gehälter, andererseits gemäß dem Sozialstaatsprinzip54 zum Beispiel über eine
zufriedenstellende Grundsicherung bzw. das sog. bedingungslose Grundeinkommen.
Wo noch nicht hinreichend geklärt ist, was Menschen wollen und brauchen, lassen sich
die erforderlichen Informationen auf der Grundlage von Umfragen ermitteln, die auf
objektivierenden wissenschaftlichen Datenerhebungs- und Auswertungsmethoden
beruhen. Mit solchen Methoden lässt sich heutzutage recht zuverlässig feststellen
(messen), inwiefern die Menschen- und Grundrechte beachtet oder missachtet werden
sowie wo akut Korrekturbedarf besteht.55 Umfragen in der Form von Abstimmungen und
Wahlen sind klassische demokratische Verfahren.
Der demokratische Pragmatismus, der darin besteht, sich für das zu entscheiden, worauf
man sich in Gremien mit anderen möglichst leicht einigen kann, sorgt keineswegs immer
Thomas Kahl: Konsensbewusstsein als Basis internationalen Zusammenlebens. Von der Gründung der
Paneuropa-Union zur freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung im global village. S.2
www.imge.info/extdownloads/KonsensbewusstseinAlsBasisInternationalenZusammenlebens.pdf
53
„Die parlamentarische Demokratie, mit ihrer Mitte in einem lebendigen Parlament, ist durch die
Machterwerbs- und Machterhaltungsinstitutionen des Parteienstaates überwuchert und verschlissen worden.“
(Wilhelm Hennis: Deutschland ist mehr als ein Standort. Parteienherrschaft, Bürokratisierung, Missbrauch des
Föderalismus: Der politische Stillstand hat nicht nur ökonomische Ursachen. In: DIE ZEIT Nr. 50, 5.12.1997, S.
6-7.)
54
http://de.wikipedia.org/wiki/Sozialstaatsprinzip
55
Thomas Kahl: Qualitätsmanagement in Deutschland, Europa und weltweit. Die Entwicklung einer humanen
Technologie für Global Governance.
www.imge.info/extdownloads/QualitaetsmanagementInDeutschlandEuropaWeltweit.pdf
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für qualitativ optimale Ergebnisse. Demokratieskeptiker hatten stets darauf hingewiesen,
dass gründlicher Sachverstand unverzichtbar ist, um Aufgaben angemessen anzupacken
und zu bewältigen. Der demokratische Pragmatismus geht davon aus, dass alles gut und
verbindlich sei, wozu Konsens oder eine Abstimmungsmehrheit zustande kam. Wenn
Sachverstand dabei nicht hinreichend zum Zuge kommt, so wird immer wieder Falsches
bzw. Schädliches beschlossen: Denn zu Konsens kann man mit etlichen Mitteln
(Methoden) gelangen. Dazu gehören unter anderem Mehrheitsbeschlüsse sowie der
Fraktionszwang und andere Absprachen unter Stimmberechtigten, etwa Koalitions- und
sonstige Bündnisvereinbarungen, denen Interessengemeinsamkeiten zugrunde liegen.
Über diese Mittel wird allzu oft sachkundigen Abgeordneten die argumentative
Wirksamkeit entzogen, falls sie sich für etwas einsetzen, was von einer Parteilinie bzw.
dem Mainstream abweicht.
Als Schutzmittel gegen die genannten destruktiven Auswirkungen dieses demokratischen
Pragmatismus gibt es in einzelnen Gremien Vetorechte, so zum Beispiel im Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen. Vetorechte sollen und können verhindern, dass eine Mehrheit
Beschlüsse fasst, die eine Minderheit zu etwas zwingen, was für diese Minderheit
unerträglich ist, etwa deren Existenzgrundlagen und Lebensqualität gefährdet. Sie sollen
mithin dem Schutz von Menschen- und Grundrechten sowie dem Schutz von
Sachverstand dienen. Solche Vetorechte können auch von Personen bzw. Repräsentanten
von Organisationen (etwa Staaten) in Anspruch genommen und geltend gemacht werden,
die die Menschen- und Grundrechte in offensichtlicher Weise missachten und sich durch
Mehrheitsbeschlüsse nicht dazu drängen lassen wollen, diese konsequenter zu befolgen.
6. Das Volk benötigt auf der Basis von erworbener eigener Selbstdisziplin und
Selbstbeherrschung nicht mehr Politiker, die es regieren und reglementieren. Heute steht
den Menschen über Bildungs- und Informationsangebote vielfältig bewährtes Knowhow
zur Verfügung, mit dem sie einen großen Teil dessen, was zu regeln ist, in freier
Selbstbestimmung über Selbstverwaltungsorgane eigenständig sachkompetent regeln
können.
Beispielgebend hierfür sei die Erklärung der Kultusministerkonferenz vom 25.5.1973
genannt, in der die schulische Selbstverwaltung dem Grundgesetz entsprechend geregelt
wurde. Deutschland hätte heute vermutlich das beste Schulsystem der Welt und die
Schülerinnen und Schüler in unserem Land zeigten in den PISA-Studien allerhöchste
Leistungen, wenn Politiker und Beamte konsequent für die praktische Beachtung und
Umsetzung dieser bahnbrechenden rechtlichen Regelung gesorgt hätten.56
7. Damit sich organisatorische Einheiten über Selbstverwaltung für alle Beteiligten
möglichst zufriedenstellend regeln lassen, sollten diese übersichtlich klein sein. Zur
Regelung einheitenübergreifender Angelegenheiten, etwa von Finanzbedarf und
Infrastrukturmaßnahmen, bietet sich unter anderem ein Einheitenvertretungssystem über
Delegierte an, die mit einschlägig fachkompetenten Experten kooperieren. Zur
organisatorischen Koordination der Einheiten und zur Befriedigung von deren Bedarf
stehen Logistikverfahren zur Verfügung.
8. Das traditionelle bürokratische Organisationsmodell, das dem militärischen
Führungsstildenken entstammt, das auf Befehl und Befehlsausführung sowie Vorgesetzten
und Untergeordneten in hierarchischer arbeitsteiliger Anordnung beruht, lässt sich durch
kollegiale Kooperationsformen ersetzen, wo sich diese als leistungsfördernder, effizienter
und kostengünstiger erweisen.57
56
Thomas Kahl: Der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule zwischen dem Anspruch des Grundgesetzes
und der Wirklichkeit. Eine entwicklungsgeschichtliche Betrachtung mit Hinweisen zur Auftragsbewältigung.
www.imge.info/extdownloads/DerBildungsUndErziehungsAuftragDerSchule.pdf
57
Peter Fürstenau: Neuere Entwicklungen der Bürokratieforschung und das Schulwesen. Ein organisationssoziologischer Beitrag. In: Zur Theorie der Schule, Pädagogisches Zentrum Veröffentlichungen. Beltz 1969
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9. Im Rahmen des weiteren Globalisierungsprozesses, der zur Bildung der globalen
Lebensgemeinschaft führen wird,58 werden alle Menschen allmählich eine WeltbürgerIdentität entwickeln. Sie werden ihre bisherigen inneren Verbundenheitsgefühle mit ihrer
Herkunftsgegend lockern und möglicherweise sogar auflösen, so wie das heute schon bei
vielen Migranten der Fall ist. Die bisherigen nationalstaatlichen Perspektiven verlieren
damit ihre Bedeutung; alles Außenpolitische entfällt zugunsten einer umfassenden
weltinnenpolitischen Orientierung. Dies gilt zumindest so lange, wie das Leben auf der
Erde nicht von Außerirdischen bedroht wird. Damit verringern sich die Kosten für die
Landesverteidigung bzw. -kriegsführung.
10. Das heutige politisch-wirtschaftliche Rivalitäts-Spannungsfeld lässt sich auflösen.
Politische und wirtschaftliche Arbeitsfelder gleichen vielfach vermintem Gelände, in dem
man niemals sicher davon ausgehen kann, zu überleben: Etliche Kollegen und Gegner
erscheinen allzeit bereit, sich mit unfairen und kriminellen Mitteln Vorteile zu verschaffen
und andere aus dem Feld zu schlagen. Wo es keine Aufsichtsorgane gibt, die hier so wie
Schiedsrichter oder Verkehrspolizisten verbindlich für die Einhaltung menschenwürdiger
Umgangsformen sorgen, sollte man beständig auf der Hut sein und sich selbst bestens
schützen und absichern. Menschen tun unter solchen Bedingungen alles ihnen Mögliche, um
zu überleben und um sich zu behaupten. So wie einst im Wilden Westen herrscht hier quasi
das Notwehr- und Kriegsrecht.
Dieses Selbstschutz-Bedürfnis begünstigt eine quasi naturgesetzliche Entwicklung, in der die
eigentlichen Aufgaben von Politikern und Unternehmern in den Hintergrund geraten:
Politiker und Unternehmer sind Organisatoren (Manager), die Waren und Dienstleistungen
bereitstellen, um Bedürfnisse der Bevölkerung bzw. von Kunden zu befriedigen. Dafür
werden sie von diesen anerkannt, in der Regel auch über finanzielle Zuwendungen
(Bezahlung von Gehältern, Kosten, Steuern, Spenden). Ihre Aufgabe ist es, zur Lebensqualität
aller Menschen beizutragen, also dazu, dass die Menschen in jeder Hinsicht zufrieden sind
und sich den Aktivitäten widmen können, die ihren Interessen und Begabungen entsprechen.
Damit bereichern diese ihr eigenes Leben und das anderer Menschen.
Rein gar nichts sichert zuverlässig und nachhaltig die Lebensgrundlagen von Politikern und
Unternehmern sowie ihrer Träger, der Parteien und Unternehmen. Nur Marktführer bzw.
Parteien, die möglichst alles im Griff haben, können sich relativ sicher fühlen. Darum sind
viele bestrebt, in eine derartig sichere Position zu gelangen. Dazu müssen sie sich gegenüber
allen Mitbewerbern durchgesetzt haben, also so gut wie unschlagbar geworden sein.
In eine derartig sichere Position können nur ganz wenige gelangen. Und auch dann, wenn
diese einmal erlangt worden ist, besteht die Gefahr, sie zu verlieren. Von daher kann nie
irgendein Politiker oder Unternehmer davon ausgehen, jemals über genug Macht oder Geld zu
verfügen, um völlig sicher zu sein.
Thomas Kahl: Notwendige Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit. Die Gesundheitsreporte der Krankenkassen
berichten, dass Burnout-Symptome und psychische Erkrankungen zunehmen. Hier sind organisatorische
Reformen erforderlich. www.imge.info/extdownloads/NotwendigeMassnahmenZumSchutzDerGesundheit.pdf
58
Thomas Kahl: Das zukünftige Leben innerhalb der globalen Menschheitsfamilie. Die Vision des
brasilianischen Jesuiten Leonardo Boff.
www.imge.info/extdownloads/DasZukuenftigeLebenInnerhalbDerGlobalenMenschheitsfamilie.pdf
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Das Handeln vieler Menschen, die diesen Berufsgruppen angehören, wird von nackten
Überlebens- und Existenzängsten beherrscht. Diese Ängste stehen im Vordergrund, nicht in
erster Linie Gier, charakterliche oder ethisch-moralische Defizite, mangelhafte Intelligenz
oder Bildung. Wer sich in Überlebens- und Existenzängsten befindet, der kämpft gegen alles
Bedrohliche an, wie Soldaten im Krieg gegen Feinde. Um unter derartigen Bedingungen das
eigene Überleben sicherzustellen, erscheinen die Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse und
Erwartungen anderer sowie Mitgefühl mit Gegnern in der Regel nicht als nützlich, sondern
sogar als lebensgefährlich.
Existenzängste, Erfolgsdruck und Stress reduzieren die Fähigkeit des hochentwickelten
menschlichen Großhirns, differenziert und kreativ zu denken und angesichts von
Herausforderungen nachhaltig konstruktive Lösungen zu entwickeln. Sie begünstigen die
Aktivierung des Stammhirns, das der Sicherstellung des unmittelbaren Überlebens angesichts
von konkreten Gefahren dient. Das Stammhirn, das auch als Reptiliengehirn bezeichnet wird,
verfügt wie etliche Tiere nur über drei Reaktionsformen: Flucht, Angriff oder Inaktivität
(Kapitulation, Abwarten, Totstellungsreflex).59
Wenn Menschen aktuell gerade keine unmittelbare Überlebensgefahr wahrnehmen, planen sie
vernünftigerweise Absicherungsmaßnahmen gegen solche Gefahren. Nützlich ist dazu die
Beschaffung von Waffen und weiteren Hilfsmitteln zur Existenzsicherung und
Selbstverteidigung.
Zu den erfolgversprechenden Selbstschutzmaßnahmen gehören:
• das Streben nach materiellem Eigentum und Geld als Grundlagen für reichhaltige eigene
Handlungsmöglichkeiten,
• die Zusammenarbeit mit anderen Menschen und mit Organisationen, die die gleichen
Interessen verfolgen, um für eine mächtige Unterstützung der eigenen Position zu sorgen,
• die perfektionierte Kontrollüberwachung des Handelns anderer Menschen, wie George
Orwell sie in seinem Roman „1984“ durch „big brother“ beschrieben hatte, sowie
• die gezielte Steuerung des Handelns anderer Menschen mit Informations-, Propaganda-,
Manipulations-, Nötigungs- und Täuschungsmanövern, die auch auf juristischen
Instrumenten beruhen können, etwa Verträgen und der Androhung von Strafen.
Derartige Selbstschutzmaßnahmen von Politikern und von Managern von
Wirtschaftsunternehmen gegenüber Wählern und Kunden missachten die Menschen- und
Grundrechte. Sie führen dazu, dass die Bedürfnisse der Bevölkerung und der Kunden nicht so
befriedigt werden, wie diese es erwarten und brauchen. Sie sind mit sämtlichen Vorstellungen
von „Demokratie“ unvereinbar. Sie führen zu Misstrauen, Ablehnung und Hass gegenüber
diesen Berufsgruppen und können infolge dessen Proteste und Oppositionsbewegungen
auslösen, die exakt das gefährden, was diese Selbstschutzmaßnahmen bewirken sollten: Die
Existenzsicherung der Angehörigen dieser Berufsgruppen. Im Rahmen der Gegebenheiten des
Ost-West-Konflikts im „Kalten Krieg“ entstanden unter anderem Einrichtungen wie der
Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst (BND) sowie der Staatssicherheitsdienst
(SSD) in der ehemaligen DDR.
Das Handeln von Politikern und von Managern in Wirtschaftsunternehmen wird von dem
Spannungsfeld geprägt, in dem sie sich befinden: Wer in einem Haifischbecken ist, lebt in der
Gefahr, darin umzukommen. Deshalb muss dieses Rivalitäts-Spannungsfeld möglichst schnell
59
Gerald Hüther: Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher. Fischer 2011
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aufgelöst werden. Gelingt dieses nicht, so werden zwangsläufig alle Menschen ausnahmslos
in einem unerbittlichen Weltbürgerkrieg unentrinnbar zugrunde gehen. In Ländern wie Syrien
zeigt sich eindrücklich, was damit verbunden ist: Um in diesem Spannungsfeld selbst
überleben zu können, muss man andere auf direkte Weise mit Waffengewalt umbringen oder
mit verdeckt-indirekten Mitteln der Schwächung und Unterdrückung, etwa Kontroll- und
Spionagemaßnahmen, Mobbing, Täuschung, finanzieller Ausbeutung.
Im gegenwärtigen Spannungsfeld gelingt es Wirtschaftsunternehmen zunehmend weniger,
sich auf dem Markt zu behaupten. Sie gehen in großer Zahl unter und mit ihnen immer mehr
Menschen: Während Zahlen und Kommentare zur wirtschaftlichen Situation veröffentlicht
werden, die ein positives Bild vermitteln sollen, zeigt sich die davon abweichende Realität
jedem, der mit Sachverstand direkt in die Betriebe blickt. Wo der Markt mit Waren und
Dienstleistungen weitgehend gesättigt ist, sinken die Umsätze und Erträge im Bereich der
unmittelbaren Versorgung der Bevölkerung. Um dem entgegenzuwirken, bemüht man sich
um Kundenbindung, auch über Vergünstigungen, Preisnachlässe und Geschenke. Um die
Verluste auszugleichen, kann beim Personalaufwand gespart werden, was stressbedingte
Erkrankungen unter den Mitarbeitern fördert. Daraus ergibt sich steigende Nachfrage nach
gesundheitsbezogenen Leistungen. Wirtschaftswachstum wird daneben vor allem über
öffentliche Aufträge, Subventionen und finanzielle Entlastungen für Unternehmen gefördert,
wobei alle Kosten von den Bürgern getragen werden. Diese müssen bei tendenziell sinkenden
Einkommen und zunehmenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit steigenden Kosten
zurechtkommen. Das kann nicht lange gut gehen. Sie fühlen sich weitgehend hilf- und
machtlos den Entscheidungen ausgeliefert, die Unternehmer und politische Gremien treffen,
um ihre eigene Existenz abzusichern.
Damit ergibt sich eine Frontenbildung zwischen den Bürgern einerseits und Politikern und
Unternehmern andererseits. Da beide Seiten zum Überleben voneinander existenziell
abhängig und aufeinander angewiesen sind, sind sie nicht „Gegner“, sondern
Interessenpartner mit dem gemeinsamen Ziel, bestmöglich leben zu können. Deshalb ist es für
alle Beteiligten erlösend, aus diesem Dilemma herauszufinden.
Zweckmäßige Maßnahmen zu nachhaltigem Selbstschutz, also zur Befreiung aller Politiker
und Unternehmer von ihren Existenzängsten, bestehen darin, das Spannungsfeld zu
entspannen. Dieses kann gelingen, indem im „Haifischbecken“ für existenzsichernde
Umgangsregeln gesorgt wird. Die Organisationen der Vereinten Nationen können zur
Einführung solcher Regeln autorisiert werden, zum Beispiel über die Deutsche Petition zur
globalen politischen Ordnung. 60 Diese ist an das EU-Parlament gerichtet. Die gnadenlosrücksichtslose Rivalität lässt sich auf der Basis der Menschen- und Grundrechte in faire
Kooperationsformen überführen.61 Mit jedem Tag, der nicht genutzt wird, um die
60
www.deutsche-petition-zur-globalen-politischen-ordnung.de/
Thomas Kahl: Es gibt eine einheitliche Rechtsordnung für die Menschen in allen Staaten der Erde.
www.imge.info/extdownloads/EsGibtEineEinheitlicheRechtsordnungFuerAlleStaatenDerErde.pdf
Thomas Kahl: Die Psychologie als Grundlage der ökologisch-achtsamen sozialen Weltmarkt-Wirtschaft. Die
Achtung der Menschen- und Grundrechte bildet die Basis optimaler wirtschaftlicher Produktivkraft.
www.imge.info/extdownloads/DiePsychologieAlsGrundlageDerMarktwirtschaft.pdf
Thomas Kahl: Verabschieden wir uns vom „neoliberalen Kapitalismus“! Der Weg hin zu einer
menschenwürdigen Wirtschaftsordnung und Politik weltweit.
www.imge.info/extdownloads/VerabschiedenWirUnsVomNeoliberalenKapitalismus.pdf
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61
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erforderlichen Reformmaßnahmen zur Herstellung von Vertrauen in Gang zu setzen,
verschärfen sich die Spannungen, bis sie in unkontrollierbaren Formen destruktiv eskalieren.62
Rivalitätsspannungen gehören zu den Ur-Sachen des Lebens. Sie entstehen in Partnerschaften
und Familien angesichts alltäglicher praktischer Fragen und müssen schon dort sorgfältig
begrenzt, entkräftet und zugunsten menschenwürdigen Umgangs überwunden werden. Solche
Fragen sind: Wer bestimmt, was getan wird? Wer setzt sich durch? Wer lässt wem den
Vortritt? Wer beginnt bei einem Spiel mit dem ersten Zug? Wer besiegt wen? Wer ist stärker
und schießt schneller? Anstatt sich hier zu streiten oder gar zu duellieren, sollte man Regeln
befolgen, die die Zusammenarbeit, die Zufriedenheit und die Leistungsfähigkeit aller
Beteiligten fördern.
„Geschwisterrivalität“ bzw. die Bedrohung oder Schädigung des Wohles von Geschwistern
sowie anderen Menschen gehört zu den allgemein anerkannten seelischen Krankheiten63, die
eine psychotherapeutische Behandlung erfordern können. Diese dient auch der Vorbeugung
gegenüber eskalierenden Schädigungen. Rivalität geht mit grundsätzlichem gegenseitigem
Misstrauen einher bzw. mit der inneren Überzeugung, dass der Mensch des Menschen Wolf
sei („homo homini lupus“). Verlorenes Vertrauen in andere lässt sich erfahrungsgemäß nur
schwer überwinden. Weltweit stehen heute wirksame familientherapeutische Arbeitsweisen
zur Verfügung. 64
In Deutschland übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Therapiekosten. Artikel 1 (1)
des Grundgesetzes verpflichtet sie dazu. Dieser Artikel besagt: „Die Würde des Menschen ist
unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Die
sorgfältige Achtung der Würde des Menschen ist „Grundlage jeder menschlichen
Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“ (Art. 1 (2) GG).
11. Zu konstruktivem Handeln können juristische Korrekturmittel beitragen.
11.1 Aufgaben, Wirkungen und Grenzen juristischer Korrekturmittel
In einigen Ländern war und ist es üblich, militärische Kommandanten und Politiker, die aus
irgendwelchen Gründen versagt haben und für Menschenrechtsverbrechen mitverantwortlich
sind, zu Gefängnisstrafen oder zum Tode zu verurteilen. Derartiges entspricht nicht den
Menschen- und Grundrechten, denn diese fordern als Rechtsgebot, das Allgemeinwohl
bestmöglich zu begünstigen und niemandem Schaden zuzufügen. Es ist dafür zu sorgen, dass
Menschen, die bislang Schaden angerichtet haben, davon abgehalten werden, das weiterhin
tun zu können. Notwendig kann hierzu Sicherheitsverwahrung sein. Diese ist sorgfältig von
Bestrafung zu unterscheiden.
Das traditionelle juristische Bestrafungs- und Verurteilungsvorgehen beinhaltet das
Vergeltungsprinzip. Dieses besagt, dass Menschen, die sich nicht gesetzeskonform verhalten
oder anderen Leid zugefügt haben, dafür büßen sollten, indem sie selbst Leid erfahren oder
mit ihrem Leben dafür „bezahlen“ (Todesstrafe). Dieses Prinzip ist bedenklich:
62
Thomas Kahl: Verletzungen der Würde des Menschen und Maßnahmen der Prävention gegen eskalierende
Gewalt. Wie menschliches Versagen zu Terrorismus und dem Weltuntergang führen kann.
www.imge.info/extdownloads/VerletzungenDerWuerde.pdf
63
Diagnose: ICD-10 F93.3: Emotionale Störung mit Geschwisterrivalität
64
Ronald D. Laing: Die Politik der Familie. Kiepenheuer und Witsch 1974
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1) Nachweisbar ist die Abschreckungswirkung von Strafandrohungen enttäuschend gering.
Täter legen es üblicherweise darauf an, nicht gefasst zu werden und sich jeglicher
Bestrafung zu entziehen. Strafandrohungen verleiten sie dazu, eigenes Fehlverhalten zu
vertuschen, abzustreiten und zu leugnen, anstatt dieses einzugestehen, aus eigenem
Versagen lernen zu wollen und dessen Ursachen wirkungsvoll zu beheben, um in Zukunft
Bestmögliches zu leisten. Anstatt in diesem Sinne positives Handeln zu unterstützen,
fördern Strafandrohungen die dunkle Seite der Kreativität.65
2) Das Vergeltungsprinzip wird immer wieder zur Rechtfertigung von Schädigungen und
Gewalttaten eingesetzt: Wer geschädigt worden ist, tendiert dazu, andere zu schädigen im
Sinne von Selbstjustiz oder es als Genugtuung zu erleben, wenn Schädiger von Richtern
hart bestraft werden und darunter zu leiden haben. Das begünstigt die Eskalation von
Schädigungen und führte zu der Formulierung „Fiat justitia et pereat mundus.“66
3) Die Annahme, dass Strafen und Bußen über Besinnung zur Einsicht in dasjenige führen,
was man falsch gemacht hat und was man stattdessen richtigerweise tun sollte, erweist
sich erfahrungsgemäß allzu oft als nicht zutreffend. Sie kann nur dann zutreffen, wenn das
eigentlich richtige Handeln unumstritten eindeutig klar ist, wo Menschen also aufgrund
ihrer persönlichen Kenntnis der Gegebenheiten Rechtssicherheit wahrnehmen. Sie trifft
nicht zu, wenn sich Menschen in ethisch-moralischen Konflikten befinden, wo zu
entscheiden ist, welcher Wert gegenüber gleichzeitig zu berücksichtigen anderen Werten
als vorrangig anzusehen ist.67 Typisch dafür ist die Frage, ob es im Moment gerade
vorzuziehen ist, für das eigene persönliche Wohl zu sorgen oder für das von Angehörigen,
also Kindern, Eltern und Lebenspartnern, beruflichen Kollegen, Vorgesetzten und
Untergebenen.
4) Rechtskunde müsste ab der Grundschule Unterrichtsfach sein, um dafür zu sorgen, dass
alle Menschen mit der geltenden Rechtsordnung, dem Grundgesetz und den
Menschenrechten hinreichend vertraut sind. Zuwiderhandlungen erfolgen häufig aufgrund
von Unkenntnis oder mangelnder Rechtssicherheit. Dagegen helfen keine Verurteilungen
und Bestrafungen, sondern nur Informationen.
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag sollte, wie alle Richter, bei der Verhängung
von Sanktionen gegen Täter sorgfältig darauf achten, konstruktive Folgewirkungen zu fördern
und keine Schädigungen am Leib und Leben von Verurteilten zu verursachen.68
Juristische Maßnahmen hatten und haben stets in erster Linie pädagogische Funktionen: Die
Achtung der Menschenrechte erfordert, dass alle Täter wohlwollend am Leben gelassen und
angesehen werden als leider irregeleitete Mitmenschen, die sich über angemessene
Unterstützung (zum Beispiel in Form von Coaching) auf einen vernünftigeren Weg bringen
lassen. Das gilt auch für Unternehmer und Politiker, die aufgrund unzureichend nützlicher
häuslicher Erziehung sowie Schul- und Ausbildung Schlimmes angerichtet haben. Täter
65
David H. Cropley, Arthur J. Cropley, James C. Kaufman and Mark A. Runco: The Dark Side of Creativity.
Cambridge University Press 2010
David H. Cropley and Arthur J. Cropley: Creativity and Crime: A Psychological Analysis. Cambridge University
Press 2013
David H. Cropley: Creativity & Crime in the Military Domain
www.academia.edu/4193143/Creativity_and_Crime_in_the_Military_Domain
66
Übersetzung: „Es möge vollzogen werden, was gerecht ist, und gehe die Welt angesichts dessen zugrunde.“
67
Lawrence Kohlberg verwendete solche Dilemmata bei seinen Forschungen zum ethisch-moralischen
Verhalten: Lawrence Kohlberg: Die Psychologie der Moralentwicklung. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1996
68
Thomas Kahl: Maßnahmen zur Verwirklichung der Vision der Vereinten Nationen. Neue Technologien können
die Effektivität der UNO-Arbeit verbessern.
www.imge.info/extdownloads/MassnahmenZurVerwirklichungDerVisionDerVereintenNationen.pdf
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können und sollen sich mit den Schäden vertraut machen, die sie bewusst oder in Unkenntnis
der Zusammenhänge verursacht haben. Sie sollen Gelegenheit erhalten, sich als wertvolle
Mitmenschen zu erweisen, indem sie an Resozialisierungsmaßnahmen teilnehmen und
persönlich aktiv dazu beitragen, eingetretene Schädigungen zu beheben.
Geschädigte, hilflose oder überforderte Menschen neigen beim Verfolgen ihrer Ziele dazu,
andere zu verletzen sowie zu Macht- und Gewaltmitteln zu greifen, also Täter zu werden.
Angesichts dessen benötigen sie hilfreiche Unterstützung, um aus dieser problematischen
Verhaltenstendenz herausgelangen zu können. Es dient nicht der Problemlösung, sie als böse,
schlecht oder gefährlich zu bezeichnen und zu bestrafen. Dieses Vorgehen führt in der Regel
nur zu weiteren Schädigungen und damit zur Vergrößerung der Probleme.
Alle juristischen Maßnahmen sind im Blick auf ihre Vereinbarkeit und Übereinstimmung mit
dem Konzept der Menschen- und Grundrechte zu überprüfen und erforderlichenfalls zu
korrigieren bzw. außer Kraft zu setzen.69 Dem Rechtswesen fällt zum Schutz des
menschlichen Lebens die Aufgabe zu, vorsichtige, rücksichtsvolle und fair (= gerecht)
handelnde Menschen sowie Schwächere und Abhängigere wie zum Beispiel Kinder, Mütter,
Kranke und Alte, vor rücksichtslosem Vorgehen anderer wirkungsvoll zu schützen.
Die Brauchbarkeit juristischer Korrekturmittel stößt an Grenzen angesichts von
Rivalitätsgegebenheiten, wie sie im politisch-wirtschaftlichen Spannungsfeld vorherrschen.
Es nützt kaum etwas, rücksichtslose Täter ihres Amtes zu entheben und zum Beispiel über
Sicherheitsverwahrung „unschädlich“ zu machen. Auf das Handeln von Personen gerichtete
Strafmaßnahmen verfehlen ihr Ziel, wo die Personen angesichts konkreter RollenGegebenheiten keine alternativen Handlungsmöglichkeiten erkennen können.70 Da wird jeder
Positionsnachfolger Ähnliches tun.
In Kriegs- und Notwehrsituationen ist rücksichtsloses Handeln leider oft unvermeidlich. Das
führt dazu, dass hier Täter mit Freispruch rechnen können. Zweckmäßig ist, dafür Sorge zu
tragen, dass derartige Notwehrsituationen sowie Kriege nicht zustande kommen und diese,
wenn sie eingetreten sind, schnellstmöglich zu beenden – vergleichbar Streitigkeiten unter
Kindern. Mit geeigneten pädagogischen Mitteln ist zu zeigen, wie sich Konflikte lösen lassen,
ohne dass es zu Eskalationen und zu gravierenden Schädigungen kommt.
Das Konzept der Menschen- und Grundrechte verpflichtet zu wirksamen
schadensvorbeugenden Maßnahmen. Im Rahmen des traditionellen Strafrechts stehen die Tat
und der Täter im Vordergrund, weniger die realen Umstände, die zu Taten führen. Diese
eingeengte Perspektive geht mit verheerenden Schädigungen einher.
11.2 Die religiöse und die weltliche Sichtweise
Die Tendenz, Fehlverhalten über Strafmaßnahmen beheben zu wollen, dürfte ihren Ursprung
in religiösen Lehren haben, in denen von „Strafen Gottes“ als Reaktionen auf menschliche
Sünden die Rede ist. Gott wurde im Alten Testament ab und zu als ein erzürnter Mann
dargestellt, den Menschen milde und versöhnlich stimmen wollten, indem sie ihm Opfer
69
Thomas Kahl: Die juristischen Ordnungsstrukturen unserer globalen Lebensgemeinschaft, Abschnitt 3.
www.imge.info/extdownloads/DieJuristischenOrdnungsstrukturenDerGlobalenLebensgemeinschaft.pdf
70
Seit den Lernexperimenten von Iwan Pawlow (1849-1936) ist zweifelsfrei geklärt, dass Strafen auch Hunde
nicht davon abhalten, ihr natürliches Bedürfnis nach Nahrung konsequent zu verfolgen.
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brachten und sich bußbereit sowie reumütig zeigten. Sie konzentrierten sich dabei auf ihn und
sein emotionale Befindlichkeit, anstatt unabhängig davon in erster Linie die unmittelbaren
Folgen ihres Handelns zu betrachten. Sie verhielten sich wie kleine Kinder, die ihren Eltern
gut gefallen und alles recht machen wollen.
Falls es tatsächlich göttliche Strafen geben sollte, empfiehlt es sich, die Weisheit Gottes
sorgfältig von dem zu unterscheiden, was menschliche Vertreter von Religionen, etwa die
Päpste der katholischen Kirche oder Prophet Mohammed als Begründer des Islam sowie
staatliche Gesetzgeber geneigt sind, als Straftaten anzusehen und über Strafandrohungen
unterbinden zu wollen. Im religiösen Bereich geht es üblicherweise vorrangig um Ziele wie
das Seelenheil und den jenseitigen Aufenthalt im Himmel, im Fegefeuer oder in der Hölle.
Demgegenüber haben staatliche Gesetzgeber vorrangig dafür zu sorgen, dass das menschliche
Zusammenleben auf der Erde bestmöglich gestaltet wird.
Im Bereich des Islam wird menschliches Fehlverhalten oft besonders drastisch bestraft. So
gibt es hier zum Beispiel Anweisungen, Dieben die Hände abzuschlagen, damit sie nicht mehr
stehlen können. Inwiefern das aus religiöser Sicht zugunsten des Seelenheils zweckmäßig sein
kann, lässt sich angesichts der Begrenzungen und der Unvollkommenheit des menschlichen
Verstandes schwer beurteilen. Leicht erkennbar ist, wie sich derartige Strafen auf das
menschliche Zusammenleben auswirken: Derartige Bestrafungen führen zu dauerhaften
Schädigungen und zur Beeinträchtigung positiver Handlungsmöglichkeiten von Menschen.
Solche sind mit den Menschen- und Grundrechten nicht zu vereinbaren. Infolgedessen wird
verständlich, dass engagierte Islamisten, die derartige Strafen für geboten halten, wenig
Bereitschaft zeigen, entsprechend den Menschen- und Grundrechten zu handeln. Sie
betrachten deren Vertreter als Menschen, die sich nicht an dem ausrichten, was ihres
Erachtens Allah von Menschen erwartet.
Es gibt Vertreter des Islam, die in den interreligiösen und interkulturellen Dialog eingetreten
sind und wesentliche Positionen aller anderen Religionen problemlos anerkennen und teilen.
Sie stimmen den Menschen- und Grundrechten voll zu.71 Dazu gehören zum Beispiel die
spirituellen Lehrer Pir Vilayat Inayat Khan (1916-2004) sowie dessen Sohn Pir Zia Inayat
Khan. Diese bemühen sich als Pädagogen, Menschen zu einer Lebensgestaltung zu verhelfen,
die sowohl das optimale menschliche Zusammenleben auf der Erde als auch das Seelenheil im
Hinblick auf das Jenseits begünstigt.72 Möglicherweise ist es ein menschlicher Irrtum
anzunehmen, dass sich beide Ziele nicht miteinander vereinbaren lassen:
Erinnert sei hier an eine Aussage des Jesus von Nazareth, der als Gottes Sohn bezeichnet
wird: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Matth.25,
40). Denn gemäß der biblischen Schöpfungsgeschichte hatte Gott den Menschen nach seinem
Ebenbild erschaffen (Genesis 1,26).
Alle Menschen können sich darauf einigen, dass es um das Vermeiden von Schädigungen
gehen muss. Die heiligen Schriften der verschiedenen Religionen, auch des Islam, wurden
nach einhelliger Meinung verfasst, um zu einem Handeln zu veranlassen, das dem
nachhaltigen menschlichen Wohl dient. Die erzieherische Absicht solcher Texte verdeutlichte
zum Beispiel Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781).73
71
www.bpb.de/internationales/weltweit/menschenrechte/38719/menschenrechte-und-islam?p=all
Thomas Kahl: Die Religionsfreiheit als fundamentales Menschen- und Grundrecht.
www.imge.info/extdownloads/DieReligionsfreiheitAlsFundamentalesMenschenUndGrundrecht.pdf
73
Gotthold Ephraim Lessing: Die Erziehung des Menschengeschlechts. Berlin 1780
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30
72
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www.imge.info
***
Unsere erste Aufgabe besteht darin, zu erkennen und zu wissen, wie man Schädigungen am
besten vermeidet. Schwieriger ist die zweite Aufgabe. Sie besteht darin, das Erkannte und
Bekannte praktisch zu befolgen, ihm möglichst nicht zuwider zu handeln. Am leichtesten
kommen wir hier zu Erfolgen, wenn wir uns dabei gegenseitig praktisch unterstützen. Hierzu
gibt es unendlich viele Möglichkeiten.
12. Konstruktives Handeln lässt sich nur indirekt über finanzielle Mittel gewährleisten.
Wenn es um die Sorge für das Wohl von Menschen geht, erweist sich Geld als ein wenig
geeignetes Mittel. Denn menschliches Verhalten lässt sich über Geld allein nicht zweckmäßig
steuern. Zu zweckmäßigem Verhalten sind stets in erster Linie Überblick, Sachverstand,
Erfahrung, Übung, Sorgfalt, Freiheit, hinreichende Zeit usw. erforderlich. Wo es an diesen
mangelt, wird Geld in der Regel fehlinvestiert. Geld kann nur indirekt zweckmäßig sein: um
die materiellen Lebens- und Arbeitsgrundlagen bereit zu stellen, die jemand benötigt, um
konstruktiv handeln zu können.
Diese Erkenntnis lag einst weltweit dem staatlichen Beamtenstatus zugrunde sowie der
Beamtenethik, zu der äußere Unabhängigkeit, Unbestechlichkeit und das Bemühen um
gewissenhafte Arbeit und objektive Gerechtigkeit im Umgang mit anderen gehören. Dieses
Beamtenkonzept entspricht den Menschen- und Grundrechten sowie den Erwartungen, denen
politische Repräsentanten verpflichtet sind – gemäß ihrem Amtseid74 und dem Grundgesetz.
Derartige Verpflichtungen sind sowohl von den Amtsinhabern als auch von den
Gesetzgebungsorganen nicht immer hinreichend beachtet worden und im Laufe der Zeit
anscheinend fast gänzlich in Vergessenheit geraten. Roman Herzog weist in seinem neuesten
Buch auf derartige Versäumnisse hin. Dabei bezieht er sich auf das Subsidiaritätsprinzip75,
das eine wesentliche Grundlage freiheitlich-demokratischer Rechtstaatlichkeit ist:
„Solche weitgefassten Prinzipien funktionieren dann nicht, wenn sie in jedem einzelnen Fall erst vor Gericht
eingeklagt werden müssen und das zuständige Gericht, hier also der Europäische Gerichtshof, zu ihrer
Durchsetzung auch keine große Lust verspürt.“76
Geld hat nur als Tauschgegenstand einen Wert. Geld trägt selbst keinen Wert in sich. Es
erweist sich als wertvoll, wenn man es gegen etwas eintauscht, was man erhalten möchte.
Was und wieviel man dafür bekommt, wird aufgrund von Vereinbarungen festgelegt. Die
Festlegung erfolgt über den Preis. Der Preis hat nichts mit dem Nährwert zu tun, den die
bezahlten Waren oder Dienstleistungen für den Empfänger haben: Oft werden hohe Preise für
Wertloses oder Schädliches verlangt und bezahlt. Wertvolles und Nützliches kann
unbezahlbar sein und verschenkt werden, etwa elterliche Liebe an Kinder. Herausragende
Leistungen werden immer wieder kostenlos zur Verfügung gestellt. Es gibt Künstler,
Schriftsteller und Erfinder, die mit ihren Arbeiten von sich aus die Welt bereichern und nicht
an Geld interessiert sind. Der Verkaufspreis hat auch wenig mit dem Herstellungsaufwand
Erich Fromm: Ihr werdet sein wie Gott. Eine radikale Interpretation des Alten Testaments. DVA 1982
74
Zum Beispiel laut Artikel 56 GG
75
Zur Funktion des Subsidiaritätsprinzips siehe Abschnitt 2, S. 7 ff. in: Thomas Kahl: Die juristischen
Ordnungsstrukturen unserer globalen Lebensgemeinschaft
www.imge.info/extdownloads/DieJuristischenOrdnungsstrukturenDerGlobalenLebensgemeinschaft.pdf
76
Roman Herzog: „Europa neu erfinden – Vom Überstaat zur Bürgerdemokratie“ Siedler Verlag 2014, S. 135 f.
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und der Qualität von erstellten Waren und Dienstleistungen zu tun. Er wird vom Anbieter
willkürlich im Hinblick auf aktuell erfolgversprechende Marktgegebenheiten festgelegt.
Zusätzlich beeinflussen politische Instanzen, was und wieviel man für Geld bekommt. Diese
Beeinflussung der Geld-Wert-Vereinbarung beruht hauptsächlich auf übergeordneten
Gesichtspunkten, etwa der Regelung der Geldwertstabilität, der Abstimmung von
Wechselkursen und der Festsetzung von Zinsen. Daneben gibt es die Besteuerung von Waren
und Dienstleistungen, so etwa die Tabak-, die Mehrwert- und die Einkommenssteuer.
Angesichts derartiger Eingriffsmöglichkeiten, der Staatsverschuldung und unvorhersehbarer
Entwicklungen auf dem Weltfinanzmarkt sind sich alle Finanzexperten weltweit in einem
Punkt einig: Was auf uns finanziell zukommt, ist nicht zuverlässig kalkulierbar. Hier sind nur
Spekulationen aufgrund von ungesicherten Annahmen und Vermutungen möglich, da
finanzielle Entwicklungen nicht Gesetzmäßigkeiten von der Art folgen, wie wir sie aus der
Physik und anderen Naturwissenschaften kennen. Von einem Tag zum nächsten kann es einer
unerwarteten und völlig neuen Sachlage kommen, wie in der Bankenkrise im März 2013 auf
der Insel Zypern.
Die offensichtliche finanzielle Unsicherheit ist dennoch kein Grund zur Sorge, denn es geht
hier nur um Zahlen und um Rechenkunststücke damit. Wir können ganz beruhigt in die
Zukunft blicken, wenn wir uns von allem Finanzgerede unabhängig machen, indem wir
wissen, wie sich weiterleben lässt, wenn plötzlich alles Geld weg sein sollte oder wertlos
geworden ist. Denn alles, was wir zum Leben brauchen, lässt sich auch ohne jegliches Geld
austauschen und verteilen.77 Finanzierungsinstitute können praktisch nützlich sein; unbedingt
erforderlich sind sie nicht. Wie das gut funktionieren kann, wurde längst geklärt. Notwendig
ist, sich da an zweckmäßige Vorgehensweisen zu halten, also nicht kopflos zu reagieren.78
Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte wurden diverse Steuern und Sozialabgaben eingeführt,
oft mit plausiblen Begründungen und Zweckbestimmungen. So war es zum Beispiel bei der
Einführung der Pflegeversicherung als Ergänzung zur Krankenversicherung. Die zuständigen
Geldeinnahmestellen, etwa die Versicherungen und Finanzämter, müssten eigentlich von sich
aus allen Bürgern in übersichtlicher und leicht nachvollziehbarer Form Rechenschaft darüber
ablegen, wieviel Geld sie einnehmen und was damit konkret geschieht: Wieviel Geld erfordert
der Verwaltungsaufwand? Welche Gehälter werden davon bezahlt? Inwiefern sind diese
gerechtfertigt, also nicht zu niedrig oder zu hoch? In welchem Umfang kommen die
Einnahmen den Bürgern tatsächlich im Sinne ihrer eigentlichen Zweckbestimmung zugute?
Inwiefern decken die zur Verfügung stehenden Gelder den Bedarf an Leistungen ab? Wie
wird mit Defiziten und Überschüssen verfahren? Wie wird dafür gesorgt, dass die Gelder auf
rationelle, kostensparende Weise verwendet und nicht zweckentfremdet werden?
Nur aufgrund derartiger Klarstellungen ist mit Vertrauen der Bevölkerung in die zuständigen
Organe zu rechnen. Das eingezahlte Geld gehört den Bürgern. Ihnen stehen deshalb
77
Thomas Kahl: Die Weltordnung, die Naturgesetze und die menschliche Evolutionsgeschichte
Leben gemäß der Natur-Ordnung mit dem Grundgesetz: Eine Darstellung für Kinder und Erwachsene
www.imge.info/extdownloads/DieWeltordnungDieNaturgesetzeUndDieEvolutionsgeschichte.pdf
78
Thomas Kahl: Wenn plötzlich alles Geld weg sein sollte: Wie geht es dann weiter? Hier finden Sie sichere
Geldanlagen. www.imge.info/extdownloads/WennPloetzlichUnserGeldWegSeinSollte.pdf
Thomas Kahl: Handeln Sie als starke Kanzlerin! Offener Brief zur Euro-Politik. Dr. Angela Merkel soll 2013
den Friedensnobelpreis erhalten. www.imge.info/extdownloads/OffenerBriefAnFrauMerkel.pdf
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zuverlässige Informationen über dessen Verwendung zu und Mitbestimmungsmöglichkeiten
dort, wo richtungsweisende Entscheidungen zu treffen sind. Die Entsendung gewählter
Bürgervertreter in die zuständigen Gremien gewährleistet nicht, dass dort ein Umgang mit den
Geldern erfolgt, der dem Wohl der Einzahlenden bestmöglich dient.
Von verschiedenen Seiten wurde immer wieder hinreichende Transparenz eingefordert sowie
die Durchführung von Steuer- und Abgabenreformen, um zu vereinfachten Vorgehensweisen
und besserem Überblick zu gelangen. Sogar ausgewiesene Fachexperten bezeichnen sich
angesichts des in Jahrzehnten gewachsenen Dickichts an Regelungen und Entscheidungen als
überfordert, wenn sie gefragt werden, was alles zu berücksichtigen ist.
Angesichts dessen konnten die dringend erforderlichen Klärungen noch nicht erfolgen. Solche
Klärungen können nur gelingen auf der Grundlage eines Reform-Gesamtkonzeptes, in dem
die Kosten aller relevanten gesellschaftlichen Aufgaben in ihren funktionalen
Zusammenhängen nutzenorientiert einschätzbar sind.
So lange diese Klärungen noch ausstehen, haben viele Bürger den Eindruck, den gegebenen
Umständen hilflos ausgeliefert zu sein. Sie leiden unter Existenzängsten im Blick auf ihre
Zukunft. Sie geraten in die Sorge, nicht mehr hinreichend über Eigentum und Geld zu ihrer
Absicherung – und der ihrer Kinder – verfügen zu können. So sehen sie sich verpflichtet,
beständig möglichst viel Geld zu verdienen, um sich günstige Lebensgrundlagen zur
Entfaltung ihrer Handlungsmöglichkeiten zu schaffen. Wer sich in ständiger Sorge um das
eigene Überleben befindet und sein Einkommen über Nebenjobs sichern muss, der kann nicht
zugleich Hervorragendes leisten. Wer zu wenig zum Überleben hat, kann sich gezwungen
sehen, sich auf illegale Weise erforderliche finanzielle Mittel zu beschaffen. Das kann zu
juristischem Handlungsbedarf führen sowie zu damit einhergehenden Kosten, die in der Regel
zumindest zum Teil den Steuerzahlern aufgebürdet werden. Über eine zufriedenstellende
Grundbedürfnis-Absicherung bzw. das sog. bedingungslose Grundeinkommen können alle
Menschen – vergleichbar den früheren Beamten – von ihren Existenzsicherungssorgen
nachhaltig befreit werden. Damit erhalten sie eine Basis für selbstbestimmte, sinnerfüllte und
kreative Leistungsaktivitäten.
Jeder gesunde Mensch hat das Bedürfnis, die eigene Zeit mit sinnvollen Tätigkeiten bzw.
Arbeiten auszufüllen. Bei Personen, denen das nicht gelingt, lassen sich die Ursachen klären
und beheben. Grundsätzlich sind alle Menschen in der Lage und gewillt, Wertvolles zu
leisten. Sie brauchen lediglich zu ihrer persönlichen Situation passende Umweltgegebenheiten
und Unterstützung. 79
Investitionen in Bildungsmaßnahmen, die für Sachverstand sorgen sowie für die Beachtung
der Menschen- und Grundrechte, tragen entscheidend zu zufriedenstellender GrundbedürfnisAbsicherung (vgl 9.4) bei sowie zu ansteigender Leistungsproduktivität aller Bürger
zugunsten des Allgemeinwohls. Mit zunehmender Bildung und Beachtung der Grundrechte
fallen deutlich geringere Kosten in der Gesundheitsversorgung, für juristische
Auseinandersetzungen und Versicherungen an. Letztlich dienen die Steuer- und
Sozialabgaben der Grundbedürfnis-Absicherung. Geringerer Verwaltungsaufwand im
Vergleich zum aufwändigen Verfahren der bisherigen Sozialhilfegewährung (Hartz IV)
79
Thomas Kahl: Die Maßnahme „kooperativ sinnvoll arbeiten“. Jeder kann Wertvolles zum Allgemeinwohl
beitragen: Arbeitslosigkeit ist überwindbar.
www.imge.info/extdownloads/DieMassnahmeKooperativSinnvollArbeiten.pdf
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ermöglicht die Bereitstellung erheblicher finanzieller Mittel zur Grundbedürfnis-Absicherung.
Angesichts dieser Gegebenheiten dürfte sie sich überraschend kostengünstig gewährleisten
lassen. Sie ist eine Reformmaßnahme, die das gesamte öffentliche Finanzsystem enorm
entlastet.
13. Vom Kriegsirrsinn zur Weisheit – Kerngedanken und ein Ausblick
Die Menschheitsgeschichte ist voll von Irrtümern. Einer davon besteht in der Vorstellung,
dass es im Leben darauf ankomme, wer aus Wettkämpfen und Kriegen als Sieger hervorgehe
und wer den wievielten Platz in einer Rangreihe belegt – was es erforderlich mache, sich
ständig mit anderen zu vergleichen und Überlegenheit diesen gegenüber anzustreben.
Irren ist menschlich: Menschen lernen über Versuch und Irrtum und gelangen auf diesem
Weg zur Weisheit. Fehler erfolgen dabei oft unvermeidlich und sollten zum Anlass
genommen werden, dafür Sorge zu tragen, dass sie sich möglichst nicht wiederholen.80
Strafandrohungen und Strafmaßnahmen sind dazu keine geeigneten Mittel: Sie können hier zu
Ängsten, Stress und Überforderung führen, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass es zu
zusätzlichen Fehlern kommt. Fehler erfordern zweckmäßige Korrekturmaßnahmen. Damit
lassen sich alle Irrtümer und die daraus entstandenen Fehlentwicklungen überwinden. Dieser
Weg führt zur Vollkommenheit. Wettkämpfe, Kriege und das Streben nach Vorherrschaft
taugen dazu nicht wirklich, denn sie führen an diesem Ziel vorbei.
Es lässt sich ein universelles Bildungsprogramm für alle Menschen im global village erstellen,
das Irrtümern und Fehlern wirkungsvoll vorbeugt. Ein solches Programm sorgt zuverlässig für
gute Leistungen und Sachverstand. Hier liegen erfolgversprechende Aufgaben für die
kommenden Jahrzehnte. Dazu haben die UNESCO und andere wissenschaftliche Initiativen
bereits nützliche Vorarbeiten geleistet. Diese gilt es zu nutzen.
„Der beste Führer ist der,
dessen Existenz gar nicht bemerkt wird,
der zweitbeste der, welcher geehrt und gepriesen wird,
der nächstbeste der, den man fürchtet
und der schlechteste der, den man hasst.
Wenn die Arbeit des besten Führers getan ist,
sagen die Leute: Das haben wir selbst getan.“
Lao Tze, chinesischer Philosoph (ca. 604 -531 v. Chr.)
Angaben zum Verfasser
Dr. phil. Dipl.-Psych. Thomas Kahl, Jahrgang 1950, arbeitet seit über 20 Jahren als
Psychotherapeut mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Er wurde in seiner Ausbildung
unter anderem geprägt von Prof. Dr. Albert Görres (1918-1996), Direktor des Klinischen
Instituts für Medizinische Psychologie und Psychotherapie an der Medizinischen Fakultät der
Technischen Universität (TU) München81. Dieser stand im persönlichen Kontakt mit Prof. Dr.
Karl Rahner SJ, Papst Paul VI. sowie Kardinal Joseph Ratzinger (Papst Benedikt XVI.). Die
Eltern des Autors waren eng befreundet mit dem Ingenieur Carl-Josef Görres (1905–1973)
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Thomas Kahl: Der politisch-gesellschaftliche Nutzen der Achtung der Würde des Menschen sowie von
Psychotherapie/Coaching. www.imge.info/extdownloads/NutzenDerWuerde.pdf
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http://de.wikipedia.org/wiki/Albert_G%C3%B6rres
Textversion vom 17.06.2015
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© Thomas Kahl: Die EU-Politik neu ausrichten! Im Sinne der Vereinten Nationen menschenwürdiges
Zusammenleben auf der Erde sichern. IMGE-Publikationen FB 1: Politik-Management 2014
www.imge.info
und dessen Ehefrau, der Schriftstellerin Ida Friederike Görres (1901–1971). Diese war die
Schwester des Gründers der Paneuropa-Union, Graf Coudenhove-Kalergi.
Thomas Kahl wurde 1968 als Gründer der Schülervertretung Nordrhein deren erster
Landessprecher. Abitur am mathematisch-naturwissenschaftlichen Humboldt-Gymnasium in
Köln. Der Gymnasialdirektor schlug ihn für die Aufnahme in die Studienstiftung des
deutschen Volkes vor. In die Erklärung der Kultusministerkonferenz vom 25.05.1973 wurden
Regelungen aufgenommen, die er zuvor in die Diskussion zum NRWSchulmitwirkungsgesetz eingebracht hatte.
Er verfasste seine sozialpsychologische Diplomarbeit im Institut von Prof. Dr. Peter R.
Hofstätter und promovierte in Erziehungswissenschaft mit einer wissenschaftstheoretischen
Doktorarbeit bei Prof. Dr. Dr. Joachim Thiele, einem ehemaligen Assistenten von Prof. Dr.
Carl-Friedrich von Weizsäcker. Danach arbeitete er als Lehrer im Schuldienst sowie in der
Lehreraus- und Fortbildung. Im Fachbereich Psychologie der Universität Hamburg war er
1982-1990 Hochschulassistent bei Prof. Dr. Arthur J. Cropley, der lange für die UNESCO
tätig gewesen war. Er gründete 2012 das Psychologische Institut für Menschenrechte,
Gesundheit und Entwicklung gGmbH (IMGE) und erstellt unter anderem Konzepte zur
gesundheitlichen Versorgung (public health) entsprechend der Ausrichtung der
Weltgesundheitsorganisation WHO.
Mit Sachverstand
intelligent und kreativ
mit bewährten Methoden
an den Wurzeln anzusetzen
ermöglicht maximale Wertschöpfung
auf der Grundlage minimaler materieller Mittel.
Textversion vom 17.06.2015
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