66/2015 BGH: Fiktive Abrechnung in der Kaskoversicherung

Mitteilungen der Juristischen Zentrale
VERTRAGSANWÄLTE
Nr. 66/2015
12.11.2015 St/JK
BGH: Fiktive Abrechnung in der Kaskoversicherung nach AKB 2008
Sehr geehrte Damen und Herren,
der BGH hat eine lang erwartete Entscheidung zur fiktiven Abrechnung von Reparaturkosten auf Gutachtenbasis in der Kfz-Kaskoversicherung nach den AKB 2008 gefällt.
In seinem Urteil vom 11.11.2015, Az: IV ZR 426/14, hat der für das Versicherungsvertragsrecht zuständige Senat entschieden, dass auch bei einer fiktiven Abrechnung von Unfallschäden in der Fahrzeugkaskoversicherung unter bestimmten
Voraussetzungen die Aufwendungen, die bei Durchführung der Reparatur in einer
markengebundenen Fachwerkstatt anfallen würden, ersatzfähig sind und der Versicherungsnehmer sich von seinem Versicherer nicht auf die niedrigeren Kosten einer
"freien" Werkstatt verweisen lassen muss.
Sachverhalt
Der Kläger ließ seinen unfallbeschädigten Mercedes nach einem Unfallschaden nicht
reparieren, sondern forderte von seinem Kaskoversicherer den Ersatz der notwendigen Reparaturkosten auf Gutachtenbasis. Dabei legte er ein von ihm beauftragtes
Gutachten zugrunde, in dem auf Basis der Stundenverrechnungssätze einer Mercedes-Fachwerkstatt ein Reparaturkostenaufwand von etwa € 9.400 ermittelt worden
ist.
Der beklagte Versicherer regulierte dagegen auf der Basis eines von ihm eingeholten
Gutachtens nur etwa € 6.400. Diesem Gutachten liegen die Lohnkosten einer ortsansässigen, nicht markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde. Die Differenz von
knapp € 3.000 wurde vom Kläger gerichtlich geltend gemacht.
In Ziffer A.2.7.1 der dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB 2008) heißt es:
"Wird das Fahrzeug beschädigt, zahlen wir die für die Reparatur erforderlichen Kosten
bis zu folgenden Obergrenzen:
a) Wird das Fahrzeug vollständig und fachgerecht repariert, zahlen wir die hierfür erforderlichen Kosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts nach A.2.6.6, wenn Sie
uns dies durch eine Rechnung nachweisen. Fehlt dieser Nachweis, zahlen wir entsprechend A.2.7.1.b.
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b) Wird das Fahrzeug nicht, nicht vollständig oder nicht fachgerecht repariert, zahlen
wir die erforderlichen Kosten einer vollständigen Reparatur bis zur Höhe des um den
Restwert verminderten Wiederbeschaffungswerts nach A.2.6.6."
In den Vorinstanzen wurde der Klage beim Amtsgericht Berlin-Mitte stattgegeben, in
der Berufung hat das Landgericht Berlin die Klage abgewiesen.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, soweit die Reparatur des Fahrzeugs auch in
einer markenfreien Fachwerkstatt zu einer vollständigen und fachgerechten Reparatur führe, seien nur die dort anfallenden Kosten als „erforderlich“ im Sinne der AKB
anzusehen. Für die Übertragung der Grundsätze aus dem gesetzlichen Haftungsrecht gebe es keine tragfähige Begründung.
Entscheidung und Gründe
Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung zwar bestätigt, dass in der Kaskoversicherung allein die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien maßgeblich sind.
Deshalb kann die für den Schadenersatz im gesetzlichen Haftungsrecht entwickelte
Rechtsprechung nicht ohne weiteres angewandt werden.
Der Senat führt aber weiter aus, dass die Aufwendungen für die Reparatur in einer
markengebundenen Werkstatt auch nach der maßgeblichen Auslegung der Versicherungsbedingungen aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers als
„erforderliche“ Kosten im Sinne der Klausel anzusehen sein können, abhängig von
den Umständen des jeweiligen Falles .
Danach kann der fiktive Aufwand einer markengebundene Werkstätte verlangt werden,
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wenn nur in der Markenwerkstatt eine vollständige und fachgerechte Instandsetzung seines Fahrzeugs möglich ist,
wenn es sich um ein neueres Fahrzeug handelt oder
wenn das Fahrzeug vom Versicherungsnehmer bisher stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt gewartet und repariert wurde.
Dass eine dieser drei Voraussetzungen vorliegt ist vom Versicherungsnehmer im
Streitfall darzulegen und zu beweisen, um die Kosten einer markengebundenen
Werkstatt auch fiktiv abrechnen zu könnten.
Da das Berufungsgericht hierzu bislang keine Feststellungen getroffen hat, hat der
BGH den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
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Auswirkungen auf die Praxis:
Da die AKB 2008 bei Kfz-Versicherungsverträgen weit verbreitet sind, hat diese Entscheidung erhebliche Auswirkungen für die anwaltliche Praxis.
So ist die Entscheidung des BGH für Verträge ohne Werkstattbindung ergangen und
konkretisiert die Abrechnung von Kaskoschäden bei fiktiver Abrechnung gegenüber
der gängigen Praxis erheblich. Die Instanz-Rechtsprechung dürfte sich zukünftig bei
der Auslegung der Klausel an den BGH-Entscheidungen aus dem Haftpflichtrecht
orientieren.
Konkret bleibt abzuwarten, wie sich hier die Abwicklung von Kaskoschäden zukünftig
in der Praxis gestaltet, da ja üblicherweise ein von der Versicherung beauftragter
Gutachter die Schadenschätzung erstellt. Ob dieser bereits beim Vorliegen der vom
BGH genannten Faktoren die Stundensätze einer markengebundenen Werkstatt zu
Grunde legt, ist sehr fraglich, zumal ihm auch die entsprechenden Informationen
meist fehlen dürften. Daher dürfte in Zukunft verstärkt mit Gutachten zu rechnen
sein, die lediglich die Stundensätze einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt zu
Grunde legen – viel Konfliktpotential mit der Kaskoversicherung.
Bei Verträgen mit Werkstattbindung war die Erstattung bei fiktiver Abrechnung ohnehin meist schon viel detaillierter in den entsprechenden Klauseln der AKB geregelt
und bedarf – anders als im vorliegenden Fall – keiner Auslegung.
Nach Vorliegen des Volltextes des Urteils wird zudem zu prüfen sein, ob es wirklich
nur den Fall der fiktiven Abrechnung betrifft oder ob – da sich der Begriff „erforderliche Kosten“ auch in der Klausel bei der Abrechnung mit Reparatur wiederfindet – die
hier vorgenommene Auslegung auch auf den Reparaturfall übertragen werden kann.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Dr. Markus Schäpe
Leitung Juristische Zentrale