Es soll nicht aufhören Saat und Ernte

Evang.-ref. Kirchgemeinde St. Gallen C
Kirchkreis Linsebühl
Predigt zum Erntedank über 1. Mose 8,22:
"Es soll nicht aufhören Saat und Ernte"
Linsebühl, 25. Oktober 2015; von Pfr. Stefan Lippuner
Lesung: 1. Mose 8,13-22 + 9,8-13
Im sechshundertersten Jahr Noahs, im ersten Monat am ersten Tag des Monats, war
das Wasser von der Erde weggetrocknet.
Da hob Noah das Dach der Arche ab und
schaute hinaus, und siehe, der Erdboden
war trocken geworden. Und im zweiten Monat, am siebenundzwanzigsten Tag des
Monats, war die Erde ganz trocken.
Da redete Gott zu Noah und sprach: "Geh
aus der Arche, du und mit dir deine Frau,
deine Söhne und die Frauen deiner Söhne.
Und alle Tiere, die bei dir sind: die Vögel,
das Vieh und alle Kriechtiere, die auf der
Erde sich regen, die lass mit dir heraus,
dass sie wimmeln auf der Erde und fruchtbar seien und sich mehren auf der Erde."
Da ging Noah hinaus, und mit ihm seine
Söhne, seine Frau und die Frauen seiner
Söhne. Auch alle Tiere, alle Kriechtiere und
alle Vögel, alles, was auf der Erde sich regt,
Art um Art gingen sie aus der Arche. Und
Noah baute dem Herrn einen Altar. Dann
nahm er von allen reinen Tieren und von allen reinen Vögeln und brachte Brandopfer
dar auf dem Altar.
Der Herr roch den beruhigenden Duft, und
der Herr sprach bei sich: "Ich will die Erde
wegen des Menschen nicht noch einmal
verfluchen; denn das Trachten des Menschen ist böse von Jugend an. Ich will künftig nicht mehr alles Lebendige vernichten,
wie ich es getan habe. So lange die Erde
besteht, sollen nicht aufhören Saat und
Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht."
Dann sprach Gott zu Noah und zu seinen
Söhnen, die bei ihm waren: "Ich richte meinen Bund auf mit euch und mit euren Nachkommen und mit allen Lebewesen, die bei
euch sind, mit den Vögeln, dem Vieh und
allen Wildtieren bei euch, mit allem, was
aus der Arche gekommen ist, mit allen Tieren der Erde. Ich will meinen Bund mit euch
aufrichten: Nie wieder sollen alle Lebewesen vom Wasser der Sintflut ausgerottet
werden, und nie wieder soll eine Sintflut
kommen, um die Erde zu verderben."
Und Gott sprach: "Dies ist das Zeichen des
Bundes, den ich stifte zwischen mir und
euch und allen Lebewesen, die bei euch
sind, für alle kommenden Generationen:
Meinen Bogen stelle ich in die Wolken. Der
soll ein Zeichen des Bundes zwischen mir
und der Erde sein."
Liebe Gemeinde.
Gott hat einen Bund geschlossen nach der Sintflut, so haben wir es gehört. Es ist der erste
Bund Gottes, von dem die Bibel berichtet. Gott stiftete ihn lange vor dem Bund mit Abraham,
lange vor dem Bund mit dem Volk Israel am Sinai und noch länger vor dem neuen Bund, der
auf Jesus Christus und dem Glauben an ihn gründet. Diesen Bund, von dem in unserem
Bibeltext aus 1. Mose 8 und 9 die Rede ist, schloss Gott schon in der Urzeit; nicht ganz am
Anfang der Welt, aber am Punkt eines Neuanfangs mit der Welt.
2
Erinnern wir uns: Gott hatte die ganze Welt erschaffen: die Meere und Kontinente, die Berge
und Täler, die Gestirne, die Wiesen und Wälder, alle Pflanzen, alle Tiere im Wasser, in der
Luft und auf dem Land; und zuletzt, als Krone der Schöpfung, hat er die Menschen erschaffen
als seine Ebenbilder. Und es war alles sehr gut. – Doch die Menschen wurden dann schon
bald zum Problem. Sie hatten nämlich von Gott einen freien Willen bekommen und damit die
Möglichkeit zu lieben. Doch sie gebrauchten diesen freien Willen nicht, um Gott zu lieben,
sondern um sich von Gott, ihrem Schöpfer loszusagen, um ihr Geschick selber in die Hand
zu nehmen.
Und weil sich die Menschen von Gott entfernten, sich sogar gegen Gott stellten und sich somit
vom Guten, von der Wahrheit, von der Gerechtigkeit loslösten, darum wurde es immer schlimmer mit der Menschheit, und das Böse nahm immer mehr überhand. Das ging so weit, dass
es Gott schliesslich reute, die Menschen überhaupt erschaffen zu haben (so steht es ausdrücklich in der Bibel, 1. Mose 6,5). Und er beschloss, wenn auch schweren Herzens, die
Menschheit wieder zu vernichten. Nur die Tiere wollte er verschonen und Noah mit seiner
Familie, da er als einziger gerecht und unverdorben geblieben war. So kam also die Sintflut.
Und nun, am Ende der Sintflut, als die Wasser sich wieder an ihren angestammten Ort zurückgezogen hatten, machte Gott einen Neuanfang mit der Erde und mit der Menschheit und
schloss eben diesen Bund. – Bedeutsam dünkt mich dabei: Dieser Bund galt nicht nur Noah
und seinen Söhnen; er galt nicht nur den Menschen oder einer bestimmten Gruppe von Menschen, wie dies bei späteren Bünden Gottes der Fall war. Diesen Bund nach der Sintflut
schloss Gott mit allen Lebewesen, also auch mit den Pflanzen und Tieren, ja mit der ganzen
Erde, mit seiner gesamten Schöpfung. Gott sprach ja, ich lese es nochmals: "Dies ist das
Zeichen des Bundes, den ich stifte zwischen mir und euch und allen Lebewesen, die bei euch
sind, für alle kommenden Generationen: Meinen Bogen stelle ich in die Wolken. Der soll ein
Zeichen des Bundes zwischen mir und der Erde sein." Das sollten wir uns demütig bewusst
bleiben.
Was ist nun der Inhalt dieses Bundes? Gott versprach feierlich und besiegelte dieses Versprechen mit seinem Bogen am Himmel, mit dem Zeichen des Regenbogens, dass er nie
mehr der Erde und den Lebewesen auf der Erde den Garaus machen wollte. So wie es ihn
vor der Sintflut reute, die Menschen erschaffen zu haben, so reute es ihn nun, die Erde wegen
der Menschen verwüstet zu haben. Das wollte er nie wieder tun. Und so versprach er: "So
lange die Erde besteht, sollen nicht aufhören Saat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und
Winter, Tag und Nacht."
Diese Worte Gottes sind die Grundlage dafür, dass wir überhaupt Erntedank feiern können.
Denn mit diesem Versprechen legte sich Gott erneut und verbindlich darauf fest, dass er zu
seiner Schöpfung steht und sie erhalten will. Damit will Gott aber auch zu uns Menschen
stehen, obwohl "das Trachten des Menschen böse ist von Jugend an", wie Gott selber auch
nach der Sintflut feststellen musste. Trotzdem will er die Bosheit des Menschen nicht mehr
zum Anlass nehmen, um die ganze Schöpfung zu verderben; sogar die Menschheit selber
will er nicht umkommen lassen. Im Gegenteil: Er schliesst mit ihr und allen Lebewesen einen
Bund, mit dem er sich auf den fortwährend Erhalt seiner Schöpfung festlegt. ‒ Ich sehe hier
ganz deutlich ein Zeichen der grossen Gnade Gottes, der nicht den Tod des Sünders will, wie
er durch den Propheten Ezechiel sagt [Ezechiel 18,23], sondern dass der abgefallene Mensch
wieder zu ihm zurückkehrt.
Die Ordnungen der Schöpfung, die Ordnungen des Lebens sollen also unverändert bestehen
bleiben: die Tageszeiten, die Jahreszeiten, der Kreislauf von Säen und Ernten, von Wachsen
und Fruchtbringen. Auf diese Weise bleibt auch die Versorgung von uns Menschen bestehen
und gesichert. Gott sorgt für uns, dass wir zu leben haben. Er steht zu uns Menschen; er ist
und bleibt treu, obwohl wir ihm gegenüber oftmals untreu werden.
3
Darum können wir Erntedank feiern. Darum wollen wir nicht vergessen, auch das ganze Jahr
hindurch dankbar zu bleiben, indem wir uns immer wieder bewusst machen, wie wunderbar
und treu der himmlische Vater für unser Leben sorgt. Er hat diese Welt so geschaffen und
erhält diese Welt so, dass das Leben beständig weitergegeben wird und dass alle Geschöpfe
Gottes und gerade wir Menschen versorgt werden. ‒ "So lange die Erde besteht, sollen nicht
aufhören Saat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht."
Gott also steht zu seiner Schöpfung. Er will die Erde und das Leben auf ihr nicht mehr zerstören. Das hat er versprochen; dafür hat er einen Bund mit allen Lebewesen geschlossen. So
weit so gut. Doch nun haben wir ein Problem, und zwar nicht mit Gott, sondern mit den Menschen und ihrem Handeln. – Zur Zeit Noahs vor vielleicht 5- oder 6000 Jahren war es überhaupt noch nicht im Blick und lag jenseits aller Möglichkeiten; doch heutzutage, im 21. nachchristlichen Jahrhundert steht es tatsächlich im Bereich des Möglichen, dass die Menschen
ihrerseits selber diese Erde zerstören.
Sie, wir brauchen Gott nicht mehr dazu; es braucht keine von Gott gebrachte Sintflut mehr. In
den Militärbunkern von Ost und West lagern genügend Atomsprengköpfe, um unsere Erde
mehrmals in die Luft zu jagen. Und mit dem Raubbau an den natürlichen Ressourcen und mit
der Luft- und Umweltverschmutzung haben wir Menschen das Gleichgewicht der Natur und
die Ordnungen der Schöpfung bereits so stark gestört und durcheinander gebracht, dass es
fraglich geworden ist, ob Umkehr und Wiederherstellung überhaupt noch möglich sind. – Oder
ob es nur noch immer schneller immer schlimmer werden kann und es nur noch eine Frage
der Zeit ist, bis das Land der Erde im steigenden Meer versunken oder von den sich ausbreitenden Wüsten aufgefressen ist.
Ich will ja nicht schwarzmalen, aber ich denke, es braucht nicht sehr viel um zu erkennen,
dass die Zerstörung der Welt durch das, was die Menschen tun oder unterlassen, in manchen
Bereichen schon recht weit fortgeschritten ist. – Gott steht zu seinem Bund, zu seinem Versprechen, dass er die Erde nicht mehr verderben will. Wir Menschen dagegen scheinen oft
nicht sonderlich daran interessiert zu sein, uns unsererseits ebenfalls daran zu halten.
Dabei gab Gott schon bei der Schöpfung, bei der Erschaffung der Welt den Menschen den
Auftrag und die Aufgabe, die Erde "zu bebauen und zu bewahren" [1. Mose 2,15], das heisst:
sie zu kultivieren und zu nutzen, aber sie auch zu schützen und zu erhalten. Deshalb gehören
die Bemühungen zum Schutz der Umwelt und zum Erhalt der Schöpfung durchaus zusammen mit Erntedank, mit der Dankbarkeit für Gottes wunderbare und grosszügige Versorgung
mit den Gaben der Schöpfung.
Ich bin zwar nicht der Meinung, dass Umweltschutz und Bewahrung der Schöpfung zu den
Kernthemen des christlichen Glaubens gehören, aber doch dass sie einen wichtigen Bereich
im kirchlichen Leben und Handeln darstellen. Gott hat versprochen, seine Schöpfung und die
Ordnungen seiner Schöpfung zu erhalten: "So lange die Erde besteht, sollen nicht aufhören
Saat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht." – Wir Menschen sollten
ihm nicht überheblich und gottvergessen ins Handwerk pfuschen, sondern unseren Teil des
Auftrags getreulich erfüllen. Vergessen wir das nicht, wenn wir Erntedank feiern, dass auch
das dazu gehört. Wir haben eine Verantwortung für diese Schöpfung, die Gott uns gegeben
hat und die er erhalten will.
Eine Einschränkung zum bis jetzt Gesagten muss ich nun aber zum Schluss doch noch anbringen. Gott versprach, die Ordnungen und Gesetzmässigkeiten der Natur, der Welt zu erhalten, "so lange die Erde besteht." Diese Formulierung tönt bereits an oder weist darauf hin,
dass es nicht für alle Ewigkeit so sein wird, sondern nur für eine begrenzte Zeit: "so lange die
Erde besteht." – Tatsächlich ist in der Bibel die Rede davon (deutlicher im Neuen Testament,
aber sehr wohl auch im Alten Testament), dass irgendwann einmal, am Ende dieses Zeitalters, dieses Äons, am Zielpunkt aller Zeiten, dass da diese Welt, wie Gott sie geschaffen hat
und wie wir sie kennen, doch einmal vergehen wird, doch verschwinden wird.
4
"Der Himmel und die Erde werden vergehen", sagte zum Beispiel Jesus selber [Markus
13,31]. Der Apostel Petrus schrieb in seinem zweiten Brief: "Dann wird der Himmel verschwinden mit grossem Getöse, die Elemente des Alls werden sich in der Hitze auflösen, und die
Erde und die Werke auf ihr werden nicht mehr zu finden sein" [2. Petrus 3,10]. Und Johannes
musste in seiner Offenbarung feststellen: "Der erste Himmel und die erste Erde sind verschwunden und das Meer ist nicht mehr" [Offenbarung 21,1b].
Unsere Erde wird also nicht unendlich lange und für immer bestehen bleiben (das sagen übrigens auch Naturwissenschaftler aus rein astronomischer und kosmologischer Sicht). Und
damit sind auch die Ordnungen Gottes für die Schöpfung (Tageszeiten, Jahreszeiten, Saat
und Ernte etc.) zeitlich begrenzt und werden doch einmal aufhören. Daran können wir selbst
mit allen unseren Bemühungen zur Bewahrung der Schöpfung nichts ändern. – Und so sind
alle menschlichen Aktivitäten zum Schutz der Umwelt und zum Erhalt der Natur zwar sinnvoll,
nötig und wichtig, aber sie haben letztlich keinen Ewigkeitswert. Denn diese Erde wird nicht
in alle Ewigkeit bestehen.
Allerdings soll uns diese Erkenntnis nicht etwa mutlos und hoffnungslos machen. Denn Gott
steht zu seiner Schöpfung und erhält sie, wenn auch für eine begrenzte Zeit. Gott steht auch
zu uns Menschen und versorgt uns mit allem, was wir brauchen, so lange wir auf dieser Erde
leben. – Und schliesslich wird das Ende dieser Erde nicht gleichzeitig auch das Ende von
Gottes Welt überhaupt sein. In der Offenbarung des Johannes steht nämlich ebenfalls: "Ich
sah einen neuen Himmel und eine neue Erde" [Offenbarung 21,1a]. Und Petrus schrieb weiter: "Wir warten aber aufgrund seiner Verheissung auf einen neuen Himmel und eine neue
Erde" [2. Petrus 3,13].
Wenn also diese Schöpfung doch einmal aufhört zu bestehen und zu einem Ende kommen
wird, wird Gott nochmals einen Neuanfang machen; diesmal (im Unterschied zum Neuanfang
nach der Sintflut) eine eigentliche Neuschöpfung. Und wenn wir mit Gott verbunden sind,
wenn wir durch den Glauben an Jesus Christus zu Gottes Volk gehören, dann werden wir
Anteil haben an dieser neuen Schöpfung in der Ewigkeit. – Ich meine, dieser Blick weit über
unsere bestehende Welt hinaus gehört durchaus auch zum Erntedank.
AMEN