IfW-Box 2015.6 Zur Wirkung des Ölpreisrückgangs auf den

IfW-Box 2015.6
Zur Wirkung des Ölpreisrückgangs auf den deutschen Außenhandel
Nils Jannsen, Martin Plödt und Tim Schwarzmüller
Die Auswirkungen von Ölpreisänderungen auf die Konjunktur sind in einer Vielzahl von wissenschaftlichen
Studien untersucht worden. Es ist allgemein anerkannt, dass lediglich angebotsbedingte Rückgänge des
Ölpreises die Konjunktur (in ölimportierenden Volkswirtschaften) anregen (Kilian 2009). Gehen die
Ölpreise z.B. infolge einer allgemeinen konjunkturellen Abschwächung nachfragebedingt zurück, wirken
sie dieser Abschwächung zwar entgegen, insgesamt bleibt es jedoch bei Produktionseinbußen. In diesem
Fall reagieren die Ölpreise endogen auf die allgemeinen konjunkturellen Rahmenbedingungen, liefern
aber keine konjunkturellen Impulse.a Maßgeblich für die Auswirkungen von Ölpreisänderungen ist ferner,
wieviel Öl in Relation zum Bruttoinlandsprodukt in einer Volkswirtschaft eingesetzt wird. So dürfte der
Rückgang der Bedeutung von Rohöl im Produktionsprozess eine wesentliche Ursache dafür sein, dass
sich die Wirkung von Ölpreisänderungen auf die Konjunktur in den vergangenen Jahrzehnten offenbar
abgeschwächt hat (Baumeister et al. 2010: 91–137). Die Wirkungen von Ölpreisänderungen auf den
Außenhandel sind bisher jedoch kaum in der wissenschaftlichen Literatur untersucht worden.b
Grundsätzlich dürften sich die realen Importe aus theoretischer Sicht in Folge eines angebotsbedingten
Ölpreisrückgangs erhöhen, da sich die Nachfrage nach ausländischen Gütern mit der Belebung der
Konjunktur und aufgrund des Kaufkraftgewinns durch die Verbesserung der Terms of Trade erhöht. Bei
nachfragebedingten Ölpreisrückgängen dürften die Importe eher zurückgehen, da die mit der allgemeinen
konjunkturellen Abschwächung einhergehende geringere Nachfrage nach ausländischen Gütern kaum
durch die Verbesserung der Terms of Trade kompensiert werden dürfte.
Während die Ausfuhren bei nachfragebedingten Ölpreisrückgängen mit der weltweiten Abschwächung
der Konjunktur spürbar zurückgehen dürften, sind die Wirkungen eines angebotsbedingten Ölpreisrückgangs auf die Exporte aus theoretischer Sicht weniger eindeutig. So dürfte die Nachfrage nach deutschen
Exportgütern in den ölimportierenden Abnehmerländern mit der dortigen Belebung der Konjunktur etwas
angeregt werden. Dagegen dürften die Ausfuhren in die ölexportierenden Länder, die durch den
Ölpreisverfall starke Einbußen hinnehmen müssen, spürbar zurückgehen. Im Folgenden wird empirisch
untersucht, wie Ölpreisänderungen auf den deutschen Außenhandel wirken. Unsere Analyse basiert auf
der Studie von Kilian (2009), der anhand eines kleinen empirischen Modells angebots- sowie nachfragebedingte Änderungen am Ölmarkt identifiziert. Dazu verwendet er ein strukturelles vektorautoregressives
Modell, das drei Variablen beinhaltet: Die weltweite Ölproduktion, den Ölpreis sowie eine Variable, die die
globale Konjunktur abbildet.c
Neben einem sogenannten „Angebotsschock“, der den empirischen Ergebnissen zufolge mit einer Erhöhung der weltweiten Ölproduktion und einem Rückgang des Ölpreises einhergeht (oder umgekehrt),
und einem „Nachfrageschock“, der mit einem Rückgang des Ölpreises und einem Rückgang der weltweiten Ölproduktion einhergeht, identifiziert er einen sogenannten „öl-spezifischen Nachfrageschock“.
Letzterer kann beispielsweise als Erwartungsänderung bezüglich der Entwicklung am Ölmarkt interpretiert
werden, der die Lagerhaltung von Ölreserven beeinflusst. Aus empirischer Sicht stellt er letztlich jedoch
auch eine Restgröße dar, da in ihm alle Änderungen am Ölmarkt, die nicht durch die zuvor beschriebenen
Angebots- bzw. Nachfrageschocks erklärt werden können, subsumiert werden.d In seinen qualitativen
Auswirkungen, beispielsweise auf die Konjunktur, ähnelt er jedoch häufig einem Angebotsschock. Deshalb
beschreiben wir im Folgenden die Wirkungen dieses Schocks auf den deutschen Außenhandel nicht
explizit.
In einem zweiten Schritt werden wichtige Größen für den deutschen Außenhandel (mit Ausnahme des
Expansionsbeitrags jeweils in Zuwachsraten) auf die identifizierten Schocks für den Zeitraum von 1975 bis
2014 (Quartalsdaten) regressiert. Die Ergebnisse dieser Regressionen werden graphisch als kumulierte
Änderungen, die eine Ölpreisänderung auf die jeweiligen Variablen hat, dargestellt, die approximativ den
Niveauänderungen entsprechen. In den Abbildungen wird die Wirkung von Ölpreisschocks dargestellt, die
mit Ölpreisrückgängen einhergehen (also z.B. eine erhöhte Produktion von Rohöl oder ein allgemeiner
Nachfragerückgang).
Auch wenn diese empirische Vorgehensweise in der Literatur etabliert ist, sollten die Ergebnisse nur
sehr vorsichtig interpretiert werden. So dürften in dem Ausmaß, wie die Wirkungen von Ölpreisänderungen
auf die Konjunktur abgenommen haben, die Ergebnisse der Schätzungen auf Basis des Zeitraums von
1975 bis 2014 die aktuellen Auswirkungen des Ölpreisrückgangs überzeichnen. Auch sollte man sich bei
der Interpretation der Ergebnisse vor Augen führen, dass man mit dem hier verwendeten Modell zur
Quelle: Boysen-Hogrefe, J., D. Groll, N. Jannsen, S. Kooths, I. Pirschel, M. Plödt und M. Wolters (2015). Deutschland auf dem
Weg in die Hochkonjunktur. Kieler Konjunkturberichte Nr. 5 (2015|Q1). Institut für Weltwirtschaft, Kiel (Kasten 2: 12–14).
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Identifikation der Ölpreisschocks nur approximativ zwischen angebotsbedingten und nachfragebedingten
Änderungen am Ölmarkt unterscheiden kann, so dass es in der Natur der Sache liegt, dass die
Ergebnisse lediglich zentrale Tendenzen abbilden können.
Abbildung 1:
Auswirkungen von Ölpreisänderungen auf den deutschen Außenhandel
Quartalsdaten; preisbereinigt; kumulative Veränderung der jeweiligen Variable auf einen Angebots-, Nachfrage- bzw. ölspezifischen
Nachfrageschock; preisliche Wettbewerbsfähigkeit basierend auf den Verbraucherpreisen; Konjunktur in den ölimportierenden
Abnehmerländern: Zuwachsrate des Bruttoinlandsprodukts in 42 Ländern gewichtet mit Anteilen an den deutschen Ausfuhren;
Ausfuhren in die ölexportierenden Abnehmerländer: Summe der nominalen Warenausfuhren in die 15 größten Netto-Ölexporteure
preisbereinigt mit dem Deflator der gesamten Warenausfuhren, verfügbar ab 2000.
Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe 1.3; OECD, Economic Outlook und Main Economic Indicators;
nationale Quellen; eigene Berechnungen.
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Generell führt den Ergebnissen zufolge ein Ölpreisrückgang dazu, dass der Außenbeitrag rein rechnerisch negative Expansionsbeiträge zum Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts liefert (Abbildung 1a: Expansionsbeitrag Außenhandel). So gehen die realen Exporte bei angebotsbedingten Ölpreisrückgängen in
der Tendenz zurück (Abbildung 1c: Exporte) während die Importe anziehen (Abbildung 1d: Importe). Bei
nachfragebedingten Ölpreisrückgängen gehen zwar auch die Importe aufgrund der schwächeren heimischen Konjunktur zurück, gleichzeitig sinken die Exporte jedoch in Folge der Eintrübung der weltweiten
Konjunktur ungleich stärker.
Bei einem angebotsbedingten Ölpreisrückgang wird zwar die Konjunktur in den ölimportierenden
Volkswirtschaften stimuliert, wodurch die Ausfuhren für sich angeregt werden (Abbildung 1e: BIP in den
Abnehmerländern). Allerdings brechen die Ausfuhren in die ölexportierenden Länder geradezu ein (Abbildung 1f: Ausfuhren in die ölexportierenden Länder). Die Ergebnisse für die Ausfuhren müssen, obgleich
plausibel, jedoch mit besonderer Vorsicht betrachtet werden, da aufgrund der eingeschränkten Datenverfügbarkeit lediglich Werte für den Zeitraum ab 2000 verwendet werden konnten. Auffällig ist auch, dass
den Ergebnissen zufolge die Ausfuhren in die ölexportierenden Länder zeitnah zurückgehen, während die
Konjunktur in den Abnehmerländern erst verzögert anzieht. Hinzu kommt, dass sich die preisliche
Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands nach Ölpreisrückgängen in der Regel verschlechtert (Abbildung 1b:
Preisliche Wettbewerbsfähigkeit). Letzteres kann dadurch erklärt werden, dass Ölpreisrückgänge tendenziell mit einer Aufwertung der heimischen Währung einhergehen. Letztlich spricht für eine Verschlechterung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit jedoch auch, dass die Produktion in Deutschland und eine
Vielzahl der deutschen Exportgüter international vergleichsweise energieeffizient sein dürften, so dass
sich bei einer Verringerung der Energiepreise die Wettbewerbsposition vieler deutscher Exporteure relativ
verschlechtern dürfte.
Verkürzt man die Schätzperiode auf den Zeitraum von 1999 bis 2014, verfestigt sich das Bild, dass Ölpreisrückgänge in der Regel mit einem Rückgang der Exporte sowie mit einem negativen Expansionsbeitrag des Außenhandels einhergehen. Allerdings erweisen sich für diesen Schätzzeitraum nicht alle der
oben beschriebenen Ergebnisse als robust. Dies könnte damit zusammenhängen, dass in dem kürzeren
Schätzzeitraum die Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 ein ungleich höheres Gewicht bekommt, die von
außergewöhnlich kräftigen Änderungen beim Welthandel und bei den Ölpreisen geprägt war.
aVgl. Gern et al. (2015): Kasten 1. — bEine wichtige Ausnahmen stellen Carstensen et al. (2013) dar. — cDie Schocks
im strukturellen vektorautoregressiven Modell werden mittels der sogenannten Cholesky-Zerlegung identifiziert, wobei
die drei Variablen in monatlicher Frequenz in der folgenden Reihenfolge eingehen: Ölproduktion, Weltkonjunktur und
Ölpreis. Diese Annahmen postulieren eine vertikale kurzfristige Angebotskurve des Rohöls. Die Ölproduktion geht
gemäß Kilian (2009) in Veränderungsraten in das Modell ein, die Variable, die die Weltkonjunktur abbildet, in
prozentualer Abweichung vom linearen Trend und die Zuwachsrate des Ölpreises in Abweichung von ihrem
Durchschnittswert. Anders als Kilian (2009), der einen Frachtraten-Index für die weltweite Konjunktur heranzieht, verwenden wir die weltweite Industrieproduktion, basierend auf der Industrieproduktion in 46 Volkswirtschaften, gewichtet
zu Marktwechselkursen. — dBezüglich der jüngsten Entwicklungen am Ölmarkt könnte dieser Schock beispielsweise
den im Verhältnis zur moderaten Produktionsausweitung bei Rohöl sowie zu dem verhaltenen Nachfragerückgang ungewöhnlich starken Einbruch bei den Ölpreisen abgreifen.
Literatur
Baumeister, C., G. Peersman und I. Van Robays (2010). The Economic Consequences of Oil Shocks:
Differences across Countries and Time. In R. Fry, C. Jones und C. Kent (Hrsg.), Inflation in an Era of
Relative Price Shocks. Sydney.
Carstensen, K., S. Elstner und G. Paula (2013). How much did oil market developments contribute to the 2009
recession in Germany? Scandinavian Journal of Economics 115: 695–721.
Gern, K.-J., N. Jannsen, S. Kooths und M. Plödt (2015). Weltkonjunktur zieht allmählich an. Kieler Konjunkturberichte Nr. 3 (2015|1). Institut für Weltwirtschaft, Kiel.
Kilian, L. (2009). Not All Oil Price Shocks Are Alike: Disentangling Demand and Supply Shocks in the Crude Oil
Market. American Economic Review 99 (3): 1053–1069.
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