Deutschland: Unsicherheit lastet nur kurz auf Expansionskräften Von Jens Boysen-Hogrefe, Salomon Fiedler, Dominik Groll, Nils Jannsen, Stefan Kooths, Martin Plödt und Galina Potjagailo. Die deutsche Konjunktur erweist sich in einem schwierigen internationalen Umfeld als robust. Für das laufende Jahr rechnen wir mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 2,0 Prozent. Damit reduzieren wir zwar unsere Prognose um 0,2 Prozentpunkte, vor allem weil die Ausfuhren aufgrund der vorerst verhaltenen Expansion in wichtigen Abnehmerländern im Winterhalbjahr deutlich zur Schwäche tendieren. Gleichwohl würde sich das Expansionstempo noch einmal beschleunigen. Maßgeblich sind vor allem binnenwirtschaftliche Faktoren. So expandiert der private Konsum im gesamten Prognosezeitraum angetrieben von der günstigen Einkommensentwicklung infolge des an-haltenden Aufwärtstrends auf dem Arbeitsmarkt mit sehr hohen Raten. Im laufenden Jahr erhält er abermals Impulse durch die niedrigen Ölpreise sowie staatliche Transfers und wird voraussichtlich so stark zulegen wie seit mehr als 15 Jahren nicht mehr. Aber auch die Investitionen dürften wieder Tritt fassen und zum zweiten Standbein des Aufschwungs werden. Vor allem die Bauinvestitionen werden wohl aufgrund der ungemein günstigen Rahmenbedingungen deutlich rascher zulegen als im Vorjahr. Im Verlauf des Jahres wird die Weltwirtschaft voraussichtlich ihre Schwächephase nach und nach überwinden, so dass sich auch die Absatzmöglichkeiten für die deutschen Exporteure wieder verbessern. Für das Jahr 2017 rechnen wir mit einer weiteren Beschleunigung der konjunkturellen Dynamik und einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 2,2 Prozent. Dafür spricht, dass die binnenwirtschaftlichen Expansionskräfte weiter hoch bleiben dürften, auch weil das monetäre Umfeld äußerst anregend bleibt und sich die Perspektiven für die Ausfuhren mit der Belebung der Weltwirtschaft verbessern. Der Aufschwung fasst nach der jüngsten kleinen Schwächephase, die vor allem temporären externen Einflüssen geschuldet war, wieder Tritt. Zwar reduzieren wir unsere Prognose für den Anstieg des Bruttoinlandsprodukts im laufenden Jahr etwas auf 2 Prozent, vor allem weil die Konjunkturschwäche in wichtigen Abnehmerländern die deutschen Ausfuhren im Winterhalbjahr belastet. Allerdings wird die konjunkturelle Dynamik in Deutschland hoch bleiben. Die günstigen binnenwirtschaftlichen Faktoren sorgen dafür, dass die deutsche Konjunktur auch in unruhigem internationalem Fahrwasser Kurs hält. Die Sorgen um die Robustheit der Weltwirtschaft sowie die insgesamt erhöhte Unsicherheit haben zu einer Erwartungseintrübung der Unternehmen geführt, die für sich genommen für eine deutliche Verlangsamung der Konjunktur in der ersten Jahreshälfte spricht. Allerdings schätzen die Unternehmen ihre Lage nach wie vor recht gut ein. Zudem waren von der Eintrübung wohl vor allem im Exportgeschäft tätige Unternehmen im verarbeiteten Gewerbe betroffen. Die Geschäftsaussichten im Dienstleistungssektor sind ausweislich von Befragungen des DIHK so gut wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr und die günstigen Aussichten für den privaten Konsum haben sich zuletzt auch wieder in stärker steigenden Einzelhandelsumsätzen abgebildet. Der sehr kräftige Anstieg der Industrieproduktion im Januar Deutschland: Unsicherheit lastet nur kurz auf Expansionskräften spricht dafür, dass das Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal in deutlich beschleunigtem Tempo um 0,6 Prozent zulegen wird. Danach dürfte sich die Zuwachsrate vorübergehend leicht abschwächen. Für das laufende Jahr veranschlagen wir zusätzliche Ausgaben des Staates im Rahmen der Flüchtlingsmigration von rund 17 Mrd. bzw. rund 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der Impuls für das Bruttoinlandsprodukts dürfte freilich etwas geringer ausfallen, beispielsweise weil ein Teil der der dafür notwendigen Mittel umgelenkt werden dürfte. Alles in allem rechnen wir für das laufende Jahr damit, dass diese Ausgaben die Zuwachsrate des Bruttoinlandsprodukt Bruttoinlandsprodukt sichtbar anheben werden, ohne jedoch, dass sie das Prozent 2010 = 100 1,0 Konjunkturbild in Deutschland prägen. Im kommenden Jahr werden sich die 114 Ausgaben unseren Annahmen zufolge 0,8 deutlich geringer um noch einmal knapp 112 5 Mrd. (weniger als 0,2 Prozent des 0,6 Bruttoinlandsprodukts) erhöhen. 0,4 Der jüngste Ölpreisrückgang hat die Aussichten für die deutsche 108 Konjunktur nicht aufgehellt. Er ging 0,2 nämlich wohl zu einem Gutteil auf einen geringen Bedarf an Rohöl in Folge einer 106 0,0 Abschwächung der Weltkonjunktur zurück. Dadurch dürfte der 104 -0,2 Kaufkraftgewinn, den ölimportierende Volkswirtschaften wie Deutschland bei Ölpreisrückgängen verzeichnen, in etwa 102 -0,4 durch die schlechteren Absatzaussichten 1,7 2,2 1,6 0,3 2,0 auf den Weltmärkten wieder aufgezehrt 100 -0,6 werden. Vor diesem Hintergrund sind die I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV Aussichten für die Zuwachsrate des 2013 2014 2015 2016 2017 Bruttoinlandsprodukts im laufenden Jahr durch den Ölpreisrückgang im Großen Quartalsdaten, preis-, kalender- und saisonbereinigt; und Ganzen unverändert geblieben, Veränderung gegenüber dem Vorquartal, Jahresrate (gerahmt). wobei der private Konsum im Zuge des Ölpreisrückgangs wohl etwas stärker zulegen dürfte und die Ausfuhren etwas schwächer (siehe Kasten „Zur Wirkung von Ölpreisänderungen auf die deutsche Konjunktur“). Die Konjunktur wird vor allem von binnenwirtschaftlichen Auftriebskräften getragen. Diese spiegeln sich in den realen Einkommen der privaten Haushalte wider, die im laufenden Jahr ebenso wie der private Konsum - wohl so stark expandieren werden wie seit mehr als 15 Jahren nicht mehr. Neben den anhaltend hohen Zuwachsraten bei den Bruttolöhnen und -gehältern in Folge der günstigen Entwicklung am Arbeitsmarkt, kommen im laufenden Jahr noch Sonderfaktoren hinzu. So werden die monetären Sozialleistungen vor allem aufgrund von Rentenerhöhungen in beschleunigtem Tempo steigen. Zudem werden die Verbraucherpreise ölpreisbedingt wohl auch im laufenden Jahr nur sehr verhalten zulegen. Im Jahr 2017 dürften die realen Einkommen in deutlich geringerem Tempo, allerdings nach wie vor mit einer recht hohen Rate, expandieren. Unter der Voraussetzung, dass sich die Sparquote infolge der hohen Dynamik bei den realen Einkommenszuwächsen im laufenden Jahr erhöht (auf 10,1 Prozent) und sich im kommenden Jahr wieder reduziert (auf 9,7 Prozent), wird die Zuwachsrate des privaten Konsums im Jahr 2017 mit reichlich 2 Prozent wohl etwa so hoch ausfallen wie im laufenden Jahr. Die Investitionen werden im laufenden Jahr wohl in deutlich beschleunigtem Tempo expandieren. Maßgeblich ist die höhere Dynamik bei den Bauinvestitionen, die nach einer ausgeprägten Schwäche im Sommerhalbjahr des abgelaufenen Jahres zuletzt wieder Tritt gefasst 110 2 Deutschland: Unsicherheit lastet nur kurz auf Expansionskräften haben. Da die Rahmenbedingungen sowohl für den privaten Wohnungsbau (sehr niedrige Hypothekenzinsen und stabile Einkommensperspektiven) als auch den Wirtschaftsbau (günstige Geschäftsaussichten im Dienstleistungsbereich und zunehmende Kapazitätsauslastung im verarbeitenden Gewerbe) bzw. den öffentlichen Bau (recht günstige Finanzlage bei den Kommunen und zusätzliche Investitionen im Rahmen der Flüchtlingsmigration) äußerst anregend sind, rechnen wir für den gesamten Prognosezeitraum mit recht hohen Zuwachsraten bei den Bauinvestitionen. Die Ausrüstungsinvestitionen dürften mit der zunehmenden Kapazitätsauslastung sowie den sich allmählich wieder bessernden Absatzaussichten in der Welt im Verlauf des Jahres etwas beschleunigen. Die Zuwachsrate dürfte im laufenden Jahr mit 4 Prozent etwas geringer ausfallen als im abgelaufenen Jahr, das freilich durch einen sehr hohen statistischen Überhang sowie durch eine äußerst hohe Zuwachsrate im ersten Quartal geprägt war. Die Exporte dürften im laufenden Jahr vor allem aufgrund eines Dämpfers im Winterhalbjahr mit 3,4 Prozent deutlich langsamer expandieren als im Jahr 2015. Maßgeblich für die Schwäche im Winterhalbjahr ist neben der etwas geringeren Dynamik in wichtigen Absatzmärkten wohl auch die seit dem Herbst des vergangenen Jahres zu verzeichnende erhöhte Unsicherheit an den Finanzmärkten, die die Ausfuhren offenbar zusätzlich belastet (Kasten „Zur Wirkung von Unsicherheit in den Abnehmerländern auf die deutsche Ausfuhren“). Mit dem Auslaufen dieser Belastungsfaktoren dürfte sich das Expansionstempo wieder spürbar erhöhen, so dass die Exporte im kommenden Jahr unserer Einschätzung zufolge um knapp 6 Prozent zulegen werden. Da sich das Expansionstempo bei den Einfuhren aufgrund der robusten Binnenkonjunktur im laufenden Jahr wohl nur geringfügig verlangsamen wird, wird der Außenbeitrag wohl einen negativen Expansionsbeitrag von 0,6 Prozentpunkten zum Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts liefern; im kommenden Jahr wird der Außenbeitrag wohl in etwa neutral sein. Die Beschäftigung nimmt weiter spürbar zu. Die zwischenzeitliche Verlangsamung des Beschäftigungsanstiegs zu Beginn des vergangenen Jahres, die wohl vor allem dem mindestlohnbedingten Wegfall von Minijobs geschuldet war, ist vorerst überwunden. Im Prognosezeitraum dürfte allmählich die Flüchtlingsmigration auf den Arbeitsmarkt Wirkung zeigen. Dieser Prozess wird jedoch einige Zeit in Anspruch nehmen, da die Flüchtlinge aufgrund von Zugangsbeschränkungen, langen Asylverfahrensdauern und Integrationskursen dem Arbeitsmarkt erst mit erheblicher Verzögerung zur Verfügung stehen werden. Die Arbeitslosenquote (in der Abgrenzung der Bundesagentur für Arbeit) dürfte im laufenden Jahr auf einen neuen Tiefststand im wiedervereinigten Deutschland in Höhe von 6,2 Prozent fallen. Im kommenden Jahr dürfte sie sich trotz steigernder Beschäftigung etwas erhöhen, da dann eine zunehmende Zahl von Flüchtlingen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, aber wohl erst allmählich in Beschäftigung kommen wird (Kasten „Annahmen zur Flüchtlingsmigration und Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt“). Die Risiken für den Ausblick für die deutsche Konjunktur haben sich zuletzt wieder erhöht. Abwärtsrisiken ergeben sich für das laufende und das kommende Jahr hauptsächlich durch das unsichere weltwirtschaftliche Umfeld. So besteht nach wie vor Unsicherheit über die Robustheit der Konjunktur in den Schwellenländern und der Weltwirtschaft insgesamt. Jüngst haben sich zudem Fragen bezüglich der politischen Stabilität der Europäischen Union gemehrt. Schließlich verdichten sich die Hinweise, dass die Geldpolitik zunehmend an ihre Grenzen stößt und sich der Ausstieg aus der ausgeprägten monetären Expansion als sehr schwierig erweisen könnte. In dieser Gemengelage, zu der die nach wie vor hohen geopolitischen Risiken hinzukommen, kann es immer wieder zu Rückschlägen für die deutsche Konjunktur kommen beispielsweise über einen Dämpfer beim Außenhandel oder einem Anstieg der Unsicherheit, der nicht zuletzt das Investitionsklima verschlechtern würde. Aufwärtsrisiken für die deutsche Konjunktur, die geringer als die Abwärtsrisiken sind, bestehen, darin, dass die Binnenkonjunktur auch vor dem Hintergrund des sehr expansiven monetären Umfelds stärker anzieht als von uns erwartet. So unterstellen wir beispielsweise in unserer Prognose, dass die Investitionen in etwas geringerem Tempo anziehen, als dies in früheren Aufschwungsphasen der Fall gewesen ist, auch weil es dort zuletzt immer wieder zu Rückschlägen gekommen war. 3 Deutschland: Unsicherheit lastet nur kurz auf Expansionskräften Tabelle 1: Eckdatentabelle für die wirtschaftliche Entwicklung 2014–2017 2014 2015 2016 2017 Bruttoinlandsprodukt, preisbereinigt 1,6 1,7 2,0 2,2 Bruttoinlandsprodukt, Deflator 1,7 2,1 1,9 1,8 Verbraucherpreise 0,9 0,3 0,5 1,8 Arbeitsproduktivität (Stundenkonzept) 0,4 0,6 0,7 1,3 42 703 43 031 43 516 43 936 6,7 6,4 6,2 6,3 0,3 0,6 -0,0 0,1 Schuldenstand 74,9 71,2 68,6 65,6 Leistungsbilanz 7,4 8,3 8,4 8,2 Erwerbstätige im Inland (1000 Personen) Arbeitslosenquote (Prozent) In Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt Finanzierungssaldo des Staates Bruttoinlandsprodukt, Verbraucherpreise, Arbeitsproduktivität: Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent; Arbeitslosenquote: Abgrenzung der Bundesagentur für Arbeit. Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe 1.2; Deutsche Bundesbank, Monatsbericht; Bundesagentur für Arbeit, Monatsbericht; grau hinterlegt: Prognose des IfW. Fachliche Ansprechpartner: Prof. Dr. Stefan Kooths Tel.: +49 (0) 30-2067-9664 (Büro Berlin) Tel.: +49 (0) 431-8814-579 (Büro Kiel) [email protected] Dr. Nils Jannsen Phone: +49 (0) 431-8814-298 [email protected] 4
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