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Pfr. Udo Schmitt (evangelisch)
über: Lukas 12, 15-21
Hamminkeln (Kreis Wesel), am 04.10.2015
Erntedankfest
"Ja, mach nur einen Plan,
sei nur ein großes Licht,
und mach dann noch 'nen zweiten Plan,
gehn tun sie beide nicht."
So ruft es der Bettler Peachum dem Polizeipräsidenten Brown zu, im 3. Akt der
Dreigroschenoper.
Die "Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Planens", auch bekannt als das "Lied von
der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens", hat Bertolt Brecht gedichtet. Brecht war
Kommunist, kannte aber (als er das Lied in den 20er Jahren schrieb) noch nicht das Desaster,
das der real existierende Sozialismus mit seiner Planwirtschaft anrichtete. Alle fünf Jahre ein
neuer 5-Jahres-Plan, der dann regelmäßig scheiterte und schön geredet werden musste. Planvoll
ging die DDR zugrunde.
Dabei weiß auch schon ein Sprichwort: Die Planung ersetzt den Zufall durch den Irrtum. Aber
immer wieder machen Menschen Pläne. Und immer wieder irren sie sich. Vor hundert Jahren
begannen die deutschen Militärs den ersten Weltkrieg und waren siegesgewiss. Sie hatten ja
einen Plan, den so genannten Schlieffenplan, der in einem Sichelschnitt die deutschen Heere
durch Belgien nach Frankreich führen sollte. Doch der Plan ging schief. Schon nach wenigen
Wochen. Dabei hätte der Chef des Generalstabs Moltke (genannt der Jüngere) gewarnt sein
müssen. Sein Vorgänger und Onkel Moltke (der Ältere) hatte auf die vielen Unwägbarkeiten in
der Planung eines Feldzugs hingewiesen. Und er hatte es auf die knappe Formel gebracht: "Kein
Plan überlebt die erste Feindberührung."
Aber so ist das mit Plänen. Wir hängen daran, auch wenn sie den Realitäts-Check nicht
bestehen. Wir halten daran fest, auch dann noch, wenn sie sich schon lange als falsch erwiesen
haben. Wir hängen an unseren alten Irrtümern, nach dem Motto: "Meine Meinung steht fest - bitte
verwirren Sie mich nicht mit Tatsachen." Es mag ein Irrtum sein, aber – hey! - es ist immer noch
meiner - mein Traum. Da ist mein Ziel, das behalte ich im Blick. Und wenn ich erst meine Pläne
umgesetzt habe, dann... Dann fange ich zu leben an. Das ist hier nur eine kleine Durststrecke,
eine vorübergehende Flaute, die zu erwartende Erstverschlechterung, aber dann, dann fängt
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mein Leben an. "Eines Tages. Du wirst schon sehen, werden die Himmel für mich blau sein,
eines Tages, die Felder so grün, eines Tages" (Barbara Streisand). Dann. Komme ich ganz groß
raus… - Oder auch nicht.
Der Mensch denkt, Gott lenkt. Der Mensch plant, Gott lacht. Wir rechnen uns etwas aus, und
haben doch – wie man so sagt – die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Und das ist Gott. So
steht es schon in der Bibel und auch in andern alten Schriften. Im Buch Sirach etwa, das vor
knapp 2.200 Jahren geschrieben wurde, heißt es: "Mancher kargt und spart und wird dadurch
reich und denkt, er habe es zu etwas gebracht, und sagt: Nun will ich mir ein gutes Leben
machen, essen und trinken von dem, was ich habe –, doch er weiß nicht, dass sein Stündlein so
nahe ist und dass er alles anderen lassen und sterben muss." (Sirach 11, 17 - 19)
Und die Moral von der Geschicht: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not! Spare in der Not,
dann hast du wenn du tot! Geld ist zum Ausgeben da. Es macht wenig Sinn, jetzt zu sparen, um
später mal der Reichste auf dem Friedhof zu sein. Das Leben ist jetzt schon - und hier. So erzählt
es auch Jesus im Gleichnis vom reichen Kornbauern. Ein Mann ist reich. Das Land hat gut
getragen. Aber er will mehr. Er baut größere Scheunen, größere Ställe. Immer mehr. Dann, so
denkt er, wenn ich das erst habe, den Erfolg gesichert habe, werde ich glücklich sein. Dann erst?
In seiner "Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral" hat Heinrich Böll die Geschichte eines
Fischers erzählt, der am Strand liegt und döst. Ein Tourist, schick angezogen, flink und eifrig,
kommt vorbei, weckt ihn auf und befragt ihn, was er gefangen hat. Warum er denn nicht öfter
rausfährt, um noch mehr zu fangen, will er wissen. Der Fischer versteht nicht, wozu das gut sein
soll. Der Tourist malt ihm aus, wie er im Beruf aufsteigt, mehrere Boote hat, viele Angestellte und
wie er immer mehr verdient. Aber wozu das Ganze, will der Fischer wissen. Ja, dann, dann könne
er sich zur Ruhe setzen und am Hafen sitzen und dösen. Aber das, meint der Fischer, kann ich
doch auch jetzt schon.
Wachstum. Das ist das goldene Kalb unserer Zeit. Wachstum, wir brauchen Wachstum. Sagen
alle. Es ist ein ökonomischer Zwang. Aber es ist noch keine Garantie dafür, dass man dann
glücklich ist, denn: "Wohlstand ist, wenn man mit Geld, das man nicht hat, Dinge kauft, die man
nicht braucht, um damit Leute zu beeindrucken, die man nicht mag" (Das Zitat stammt angeblich
von Alexander von Humboldt, andere geben Walter Slezak als Quelle an).
Noch ein Stall, und noch ein Stall, noch größer als der erste. Es muss so sein. Erst 5 Kühe, dann
50 Kühe, dann 500. Erst ein Auto, dann zwei. Erst ein Kleinwagen, dann eine Familienkutsche,
schließlich ein SUV (Ess-Juu-Wii), ein geländegängiger Allrad-Panzer für den
Großstadt-Nomaden. Da passen ja auch die Golfschläger viel besser rein. Nur schade, dass er
so viel schluckt und dass er auch in keine Parklücke mehr passt. Aber wir haben nicht die Wahl.
Auch unsere Bauern nicht: Entweder du machst mit im Spiel "doppelt oder nichts", oder du spielst
nicht mehr mit. Friss oder stirb! Wachse oder weiche! Wer nicht mitmacht, muss vom Markt
gehen.
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Dabei wissen wir ja, spüren es, erleiden es, dass das "immer mehr und immer mehr" nicht
automatisch glücklicher macht. "Immer mehr ist nicht genug" (Petra Pinzler). Was nützt mir mein
wirtschaftliches Wohlergehen, das volle Konto, die dicke Brieftasche, wenn ich nicht gesund bin?
Oder keine Zeit habe - für die Familie, für Freunde und für mich selbst? Oder meinen Enkeln eine
verwüstete Erde hinterlasse? Oder wenn andere für meinen Wohlstand leiden müssen, irgendwo
am anderen Ende der Erde im Elend stecken, damit ich Billigware in Massen habe? Immer mehr
ist nicht genug.
Das wusste auch schon Jesus, er sagt: Seht euch vor und hütet euch vor jeder Art Habgier! Denn
auch dem, der im Überfluss lebt, wächst sein Leben nicht aus dem Besitz zu.
Das Leben wächst. Es wächst uns zu. Aber nicht aus dem Haben und Besitzen. Das Leben ist
ein Geschenk. Wie die Liebe, die Gesundheit und das Glück. Unverfügbar. Nicht planbar. Aber
schon jetzt - da. Und jetzt schon ein Grund, dankbar zu sein.
Das ist es, was uns die Bibel empfiehlt: Jeden Tag dankbar aus Gottes Hand zu empfangen.
Jeden Morgen mit Danken beginnen und jeden Abend dankbar zurück in Gottes Hände legen.
Die Hände, die das Leben geben, bewahren und erhalten. Alles, was wir in diesem Jahr erreicht
haben, nehmen wir aus seiner Hand. Erfolge und Misserfolge. Wenn etwas gelingt, dann sollen
wir nicht sagen: Das habe alles ich gemacht! Alles geplant! Sondern Gott dafür danken, dass ER
es hat gelingen lassen, wachsen und blühen lassen, und Früchte tragen lassen für mein Leben.
Und gerade heute – am Erntedanktag – wollen wir uns das noch einmal bewusst ins Gedächtnis
bringen, es uns selber zurufen: Seht die Früchte, die Äpfel, das Brot! Was geht es uns doch gut!
Wir haben so viel! Viel mehr, als wir zum Leben brauchen. Lasst es uns teilen mit den Armen, mit
denen die fliehen vor Hunger und Krieg. Es ist genug für alle da. Mehr als genug. So viel hat uns
Gott gegeben, nicht um es in Speichern zu verstecken. Es zu horten, zu verstecken: "Mein
Schaaatz!"
Soviel hat er uns gegeben. Nicht weil wir es geplant haben, nicht weil wir es verdienen. Sondern
dass alle Menschen davon satt werden und leben können. Darum trägt Mutter Erde ihr
Frühlingskleid und ihren Herbstmantel für uns, darum die Saat und darum die Ernte. Und darum
das Wachstum, das wir brauchen: Damit wir Menschenkinder – nicht haben, nein – sondern sind:
dankbar, glücklich und zufrieden. Reich ist nicht der, der viel hat. Reich ist der, der genug hat.
Und wir haben genug. Mehr als genug. Darum wollen wir Gott dafür danken. Heute und alle Tage
unseres Lebens.
© Udo Schmitt 2015
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