Ausgabe 03-2016 7,1 % Billig ist besser Die Börsen der Schwellenländer sind langfristig am attraktivsten. Wer jetzt in China oder Brasilien einsteigt, kann mit Gewinnen von mehr als elf Prozent pro Jahr rechnen, wenn er sein Geld zehn bis 15 Jahre liegen lässt. Das hohe Renditepotenzial ist auf die niedrige Aktienbewertung zurückzuführen. So hat die brasilianische Börse nur ein ShillerKGV von sieben und ein KBV von 1,1 2,5 % 7,1 % 8,5 % 8,5 % Niederlande Niederlande 17,9 1,7 17,9 1,7 Großbritannien Großbritannien 12,3 1,7 12,3 1,7 5,8 % 5,8 % Dänemark Dänemark 38,2 3,0 38,2 3,0 6,6 % 6,6 % Belgien Belgien 20,5 2,2 20,5 2,2 7,5 % 2,5 % Schweden Schweden 18,4 2,0 18,4 2,0 7,5 % Deutschland Deutschland 16,8 1,7 16,8 1,7 7,5 % 7,5 % 9,8 % Kanada Kanada 16,9 1,6 16,9 1,6 4,6 % 4,6 % Prognostizierte Prognostizierte Rendite*Rendite* XXX Shiller-KGV XXX Shiller-KGV XXX KBV XXX KBV 9,8 % SpanienSpanien 10,7 1,4 10,7 1,4 USA USA 24,6 2,6 24,6 2,6 11,9 % 11,9 % BrasilienBrasilien 7,0 1,17,0 1,1 8,0 % 8,0 % Frankreich Frankreich 15,9 1,5 15,9 1,5 5,5 % 5,5 % Schweiz Schweiz 10,4 % 10,4 % 21,3 2,3 21,3 2,3 * Durchschnittliche reale Rendite p.a. (inklusive Dividenden) in 10 bis 15 Jahren nach dem Einstieg, ermittelt aus Aktienmarktdaten seit 1881; Quelle: Starcapital Italien Italien 11,2 1,1 11,2 1,1 Wo die Börsen billig sind Je niedriger eine Börse bewertet ist, desto mehr Rendite wirft sie langfristig ab. Das belegt eine neue Studie. €uro zeigt, wo der Einstieg jetzt lohnt VON TOBIAS AIGNER R obert Shiller kann sich das Grin sen nicht verkneifen. Der Wirt schaftsnobelpreisträger kennt diese Interviews, kennt die Fra gen, die er schon zigmal beantwortet hat: Kommt jetzt der große Aktiencrash? Wie weit geht es noch runter? Wo steht der Dow Jones am Jahresende? Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos löchert ihn ein Reporter des indischen Fernseh senders NDTV. Und Shiller antwortet wie immer — lächelnd, geduldig und vage: „Die Börsen sind voller Überraschungen. Ich bin ein bisschen pessimistisch, sage aber keinen Crash voraus.“ Shiller weiß einfach, dass auch ein Ökonomie-Profes sor wie er keine sicheren Kursprognosen abliefern kann. Ausgabe 03-2016 10,1 % Norwegen 10,9 1,2 9,5 % Hongkong 13,4 1,2 6,9 % Welt gesamt 18,4 1,8 10,3 % Shiller-KGV Die Börsen kennziffer (im Fachjargon auch CAPE genannt) berechnet sich aus dem Verhältnis vom aktuellen Indexstand zu den durchschnittlichen infla tionsbereinigten Unternehmensgewinnen je Aktie in den vergangenen zehn Jahren. Je kleiner das Shiller-KGV, desto billiger der Aktienmarkt. Korea 12,2 1,0 7,2 % 7,9 % Japan 24,1 1,2 Europa 14,7 1,7 10,9 % Singapur 10,5 1,0 8,8 % 7,8 % 11,2 % BILD: MICHELLE MCLOUGHLIN/REUTERS China 12,0 0,8 Die Frage ist nur: Wer dann? Denn Shiller ist eine Koryphäe für Finanz märkte. Er hat eine der wichtigsten Bör senkennzahlen entwickelt, das ShillerKGV (siehe oben). Sie zeigt an, ob eine Börse hoch oder niedrig bewertet ist. Fast automatisch stellt sich da die Frage, ob sich damit nicht auch die künftigen Aktiengewinne abschätzen lassen. Etwa nach der einfachen Regel: Billige Börsen steigen kräftig, während teure Aktien märkte nur magere Zuwächse verbuchen oder sogar verlieren. Trifft das zu, könn te das Shiller-KGV als Kaufsignal dienen. Australien 14,5 1,8 Schwellenländer 12,8 1,5 Und tatsächlich — der Zusammen hang existiert — das belegen historische Daten. Jedoch nur sehr langfristig. Auf Sicht von einem Jahr ist die Börse zu wild und kaum berechenbar, was erklärt, wa rum Shiller im Interview nicht Klartext redet. Aber über zehn bis 15 Jahre lässt sich die Rendite eines Aktienindex mit tels Shiller-KGV gut abschätzen. Und nicht nur damit. Auch das Kurs-Buch wert-Verhältnis (KBV) gibt Auskunft über das Gewinnpotenzial einer Börse. Deshalb hat €uro beide Kennzahlen in eine Untersuchung gepackt. Zusam KBV Während das Shiller-KGV die Bewertung anhand der langfristigen Erträge misst, fließt in das Kurs-BuchwertVerhältnis (KBV) der aktuelle Substanzwert ein. Das KBV berechnet sich, indem man den Indexstand durch den bilanziellen Buchwert je Aktie der Indexmitglieder teilt. Auch hier deutet ein niedriger Wert auf eine billige Börse hin. men mit Starcapital, einer Vermögens verwaltung aus dem hessischen Oberur sel, hat die Redaktion die gewinnträch tigsten Aktienmärkte für die nächste Dekade ermittelt. Börsen, bei denen der Einstieg für Anleger mit langem Atem lohnen sollte (siehe Grafik links). „Am at traktivsten sind die Schwellenländerbör sen, gefolgt von Europa“, fasst Norbert Keimling, Chef der Kapitalmarktanalyse von Starcapital die Ergebnisse zusam men. €uro nennt drei Papiere, mit denen Investoren auf die Top-Märkte setzen können (siehe Seite 81). ➝ Ausgabe 03-2016 Bewertung beachten Wer bei einem Shiller-KGV von weniger als zehn in Aktien einsteigt, streicht in den folgenden zehn bis 15 Jahren im Mittel jährlich eine Rendite von 12,3 Prozent ein. Bei einem KBV von weniger als 1,0 sind sogar Renditen in Höhe von gut 14 Prozent pro Jahr drin. Sind die Einstiegsbewertungen dagegen hoch, schrumpfen die Gewinne deutlich. Aktienrendite in Abhängigkeit vom Shiller-KGV Shiller-KGV Rendite* p.a. in % 0 bis 10 12,3 10 bis 15 9,3 15 bis 20 7,8 20 bis 25 6,6 25 bis 30 4,2 größer als 30 0,5 Aktienrendite in Abhängigkeit vom KBV KBV 0 bis 1,0 1,0 bis 1,5 Rendite* p.a. in % 14,1 9,9 1,5 bis 2,0 7,7 2,0 bis 2,5 6,3 2,5 bis 3,0 4,5 größer als 3,0 0,6 * Durchschnittliche reale Rendite p. a. (inklusive Dividenden) in 10 bis 15 Jahren nach dem Einstieg, ermittelt mit Börsen indizes von 17 Ländern seit 1979; Quelle: Starcapital Die Börse in São Paulo hat das höchs te Gewinnpotenzial. Ihr Shiller-KGV liegt nur bei 7,0, ihr KBV bei 1,1. Daraus ergibt sich für brasilianische Aktien in den nächsten zehn bis 15 Jahren ein Rendite ziel von knapp zwölf Prozent pro Jahr (in klusive Dividenden), wenn man heute einsteigt. Auch die Börse in China lockt mit üppigen Gewinnen: Sie sollte im Schnitt um 11,2 Prozent zulegen. Italien und Spanien versprechen ein jährliches Plus von rund zehn Prozent und EuropaAktien knapp acht Prozent. Mittelpräch tig sieht indes die deutsche Börse aus. „Sie ist schon gut gelaufen. Es gibt jetzt interessantere Märkte“, urteilt Keimling. Mit einem errechneten Jahresgewinn von 7,5 Prozent muss sich Frankfurt allerdings nicht verstecken. Wichtig bei diesen Zahlen: Sie sind real angegeben. Die Inflation, die stets an den Gewinnen nagt, ist schon abgezo gen. Währungseinflüsse werden dage gen ignoriert. Eine steigende Fremdwäh rung kann die Gewinne für Anleger aus der Eurozone also noch zusätzlich auf peppen, eine fallende schmälern. Ein Ef fekt, der vor allem bei den schwankungs anfälligen Devisen der Schwellenländer zum Tragen kommt. Was aber bedeuten die vorhergesag ten Renditen konkret? Handelt es sich um exakte Werte, die spätestens im Jahr 2031 erreicht werden? Das eher nicht. Sie sind eine Art Hochrechnung — eine Kal kulation, welches Potenzial in den Bör sen schlummert, abgeleitet aus histori schen Bewertungen und Kursverläufen. Zu unterschätzen ist ihre Aussage kraft aber nicht. Denn der Zusammen hang zwischen Shiller-KGV und KBV ei nerseits und den Renditen andererseits ist enorm stark. Wie stark, das hat Star capital-Manager Keimling mit den Bör sendaten aus 17 Ländern ermittelt. So legten Aktienmärkte mit einem ShillerKGV unter zehn in den zehn bis 15 Jahren nach dem Einstieg im Schnitt um jähr lich gut zwölf Prozent zu. Börsen mit ei nem Shiller-KGV von 25 bis 30 schafften dagegen nur ein Plus von rund vier Pro zent. Beim KBV ist die Renditeverteilung ähnlich (siehe Tabelle links). Anleger sollten allerdings bedenken: Bei den Renditeprognosen handelt es sich um jährliche Mittelwerte. Im Klar text: Die Gewinne können in den einzel nen Kalenderjahren stark um diesen Mit telwert schwanken. So kann die Börse in São Paulo ihre berechnete Zehnjahres rendite von 11,9 Prozent auch dann errei chen, wenn sie 2016 noch mal um 15 Pro zent fällt. Ein solcher Rückschlag wäre kein Grund, ein Brasilien-Investment ab zustoßen, wenn es wegen der günstigen Börsenbewertung gekauft wurde. Anleger sollten im Hinterkopf haben, dass auch günstig bewertete Börsen zwi schenzeitlich abstürzen können. Einen 100-prozentigen Crash-Schutz bieten niedrige KBVs und Shiller-KGVs nicht. Belgiens Aktienmarkt etwa ist in der Fi nanzkrise um gut 50 Prozent abgetaucht, obwohl das Shiller-KGV schon zuvor unter zehn notierte. Die Wahrscheinlich keit für solche Kursgemetzel sinkt bei tie fen Bewertungen allerdings enorm. In jedem Fall brauchen Anleger, die auf Schnäppchenbörsen setzen, vor al lem zweierlei: Durchhaltevermögen und gute Nerven. Denn sie handeln antizyk lisch. Sprich, sie stecken ihr Geld meist genau in die Aktienmärkte, die zuletzt stark unter die Räder gekommen sind. Ein gutes Beispiel ist China. Hier sind für alle, die heute einsteigen, gut elf Prozent Rendite pro Jahr drin — auch weil der breite MSCI-China-Index von seinem Hoch im Jahr 2015 um rund 40 Prozent abgestürzt ist. Die Turbulenzen haben die China-Aktionäre allerdings hyper nervös gemacht, sodass mit Rückschlä gen jederzeit zu rechnen ist. Die sollten Anleger aushalten können. Teure Wall Street. Antizyklisch inves tieren bedeutet auch, dass man Engage ments in teure Börsen vermeidet. Und teuer, das ist die Wall Street zurzeit. Ihr Shiller-KGV liegt bei 24,6. Zum Vergleich: Der langfristige Durchschnitt beträgt 16,7. Nur in Dänemark haben sich die Kurse in noch luftigere Höhen ge schraubt. „Man kann es drehen und wen den, wie man will“, sagt Keimling, „New York notiert rund 40 Prozent über dem fairen Wert.“ Starcapital hat die Weltleit börse deshalb „gnadenlos untergewich tet“. Die Potenzialberechnung spuckt für US-Aktien nur eine jährliche Rendite von 4,6 Prozent aus. Schon im Vergleich zur deutschen Börse ist das mager, wie eine Rechnung verdeutlicht. Angenommen ein Anleger investiert heute 10 000 Euro in deutsche Aktien und die Renditeprognose von plus 7,5 Prozent jährlich tritt ein, dann hat er seinen Einsatz — vor Steuern und Gebühren — in zehn Jahren mehr als ver doppelt. Mit US-Titeln würde er — bei sta bilem Euro-Dollar-Kurs — nur gut 5000 Euro hinzugewinnen. So sollten Anleger, die heute auf billi ge Börsen setzen, am Ende die höchsten Gewinne kassieren. Wahrscheinlich kön nen auch sie sich ein Grinsen nicht ver kneifen — wenn sie in zehn Jahren auf ihren Depotauszug blicken.
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