Newsletter VERGABERECHT August 2015/2 Verpflichtende Auskömmlichkeitsprüfung Preisabstand von mehr als 20%? bei einem VK Lüneburg, Beschluss vom 2. März 2015 – Az. VgK-03/2015 Sachverhalt Ein öffentlicher Auftraggeber („Ag“) schreibt Individual- und Behindertenbeförderungsleistungen in mehreren Losen europaweit aus. Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis. Der spätere Antragsteller („ASt“) gibt für drei Lose ein Angebot ab. Bei der Wertung der Angebote landet er jeweils auf dem zweiten Rang. Die Preisabstände zu den jeweils erstplatzierten Angeboten betragen zwischen 20,3% und 30,3%. Der ASt rügt daraufhin, dass die erstplatzierten Angebote wegen einer Missachtung des im anzuwendenden Tarifvertrag geregelten Mindestentgelts nicht auskömmlich kalkuliert seien und deshalb ausgeschlossen werden müssen. Ergänzend führt der ASt aus, dass der Ag zumindest die deutlich günstigeren Angebote wegen des Verdachts ungewöhnlich niedriger Angebote aufklären müsse. Entscheidung Der Nachprüfungsantrag des ASt hat Erfolg. Nach Einschätzung der Vergabekammer hat es der Ag versäumt, die erstplatzierten, ungewöhnlich niedrigen Angebote gemäß § 19 EG Abs. 6 S. 1 VOL/A 2009 in ihrer Kalkulation im Hinblick auf die Tariftreue aufzuklären. Die Vergabekammer führt hierzu aus, dass zwar einem Ag bei der Entscheidung, ob er ein Angebot wegen eines ungewöhnlich niedrigen Angebotspreises aufklärt, ein Beurteilungsspielraum zustehe. Bei einem erheblicher Preisabstand zu den nächst niedrigsten Angeboten könne dieser Beurteilungsspielraum jedoch überschritten sein: „Im Bereich der VOL/A orientieren sich Rechtsprechung und Schrifttum je nach Branche und je nach individueller Bewegung der Preise auf dem Markt mehrheitlich an einer Aufgreifschwelle von etwa 20%, ab der der öffentliche Auftraggeber sogar verpflichtet ist, eine Prüfung der Auskömmlichkeit im Interesse der Konkurrenten vorzunehmen.“ Vorliegend sei der Ag wegen des Überschreitens der Aufgreifschwelle von 20% verpflichtet gewesen, die Angebote aufzuklären. Da der Ag dies unterlassen habe, sei der ASt in seinen Rechten im Sinne von § 97 Abs. 7 GWB verletzt worden. Praxishinweis Öffentlichen Auftraggebern ist zu empfehlen, eine Auskömmlichkeitsprüfung nicht erst ab einem Preisabstand von 20% vorzunehmen. Die Vergabekammer hat zutreffend herausgearbeitet, dass bei der Frage nach einer verpflichtenden Auskömmlichkeitsprüfung auch die Volatilität der Preise in der jeweils konkreten Eine Kooperation von Nohr–Con und LEXTON Rechtsanwälte - Seite 2 von 2 - Branche zu berücksichtigen ist. Es ist mithin möglich, dass eine solche Pflicht auch unterhalb von 20% besteht. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass in einigen Landesvergabegesetzen deutlich niedrige Auffangschwellen definiert sind. So besteht beispielsweise in Berlin bereits ab einem Preisunterschied von 10% eine Aufklärungspflicht, vgl. § 3 S. 2 BerlAVG. Dies wird von öffentlichen Auftraggebern oftmals nicht berücksichtigt. Ihre Ansprechpartner bei Nohr-Con und LEXTON Rechtsanwälte: Genadijus Smertjevas Fabian Winters, LL.M. Bereichsleiter Nohr-Con Rechtsanwalt LEXTON Rechtsanwälte Oraniendamm 34 Kurfürstendamm 220 13469 Berlin T + 49 30 437 466 78 10719 Berlin T + 49 30 8866886-0 F + 49 30 437 466 79 F + 49 30 8866886-60 [email protected] [email protected] www.nohr-con.de www.lexton.de Eine Kooperation von Nohr–Con und LEXTON Rechtsanwälte
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