Newsletter im Vergaberecht

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VERGABERECHT
September 2015/1
Tatsächliche
Unwägbarkeiten
Verhandlungsverfahren!
rechtfertigen
kein
VK Rheinland, Beschluss vom 24. Juli 2015 – Az. VK VOL 7/15
Sachverhalt
Ein
öffentlicher
Auftraggeber
(„Ag“)
schreibt
die
„Bewirtschaftung
und
Instandhaltung von medizinischen Geräten und Einrichtungen“ für einen Zeitraum
von fünf Jahren europaweit im Verhandlungsverfahren aus. In der
Bekanntmachung heißt es unter anderem, dass der Ag, bei dem es sich um ein
Krankenhaus handelt, für seine Standorte ein innovatives und fachkundiges
Unternehmen sucht, welches in der Lage ist, die mit der Medizintechnik
verbundene Leistung „Bewirtschaftung und Instandhaltung von medizinischen
Geräten und Einrichtungen“ in Form eines Werkvertrages verantwortlich zu
übernehmen und zwar derart, dass sich die mit dem Auftrag verbundene Leistung
dauerhaft und ohne Qualitätsverluste gesetzeskonform wirtschaftlich spürbar
verbessert. Für die vorgenannte Leistung soll dann zwischen dem Ag und dem
Bieter bzw. Auftragnehmer eine feste Jahrespauschale auf Grundlage eines
detaillierten Vertragsentwurfs vereinbart werden. Die Antragstellerin („ASt“)
fordert zunächst die Unterlagen zum Teilnahmewettbewerb an und rügt
anschließend gegenüber dem Ag die Wahl des Verhandlungsverfahrens als
vergaberechtswidrig. Sie forderte den Ag dazu auf, die Ausschreibung
aufzuheben und im Anschluss den Auftrag im Wege eines offenen bzw. (soweit
zulässig) nichtoffenen Verfahrens auszuschreiben. Der Ag weigert sich,
woraufhin die ASt einen Nachprüfungsantrag stellt.
Entscheidung
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet. Das gewählte
Verhandlungsverfahren ist rechtswidrig und muss aufgehoben werden.
Die Vergabekammer betont zunächst, dass § 101 Abs. 7 S. 1 GWB ein RegelAusnahme-Verhältnis innerhalb der einzelnen Vergabearten begründet. Den
Vorrang genießt dabei das offene Verfahren. Eine andere Verfahrensart und
somit auch das Verhandlungsverfahren darf nur bei Vorliegen eines
Ausnahmetatbestandes
angewendet
werden.
Dabei
müssen
die
Ausnahmetatbestände restriktiv angewendet und ihre Tatbestandsmerkmale eng
ausgelegt werden, damit die Ausnahme nicht zur Regel werden kann.
Nach Einschätzung der Vergabekammer waren im vorliegenden Fall keine
Gründe für eine Ausnahme ersichtlich. Dies gilt auch für den
Ausnahmetatbestand gemäß § 3 EG Abs. 3 Buchst. b) VOL/A. Diese Vorschrift
erlaubt ein Verhandlungsverfahren, wenn die vorherige Festlegung eines
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Gesamtpreises nicht möglich ist. Diese Voraussetzung lag zwar mangels
abgeschlossener Bestandsaufnahme zum Zeitpunkt der Durchführung des
Vergabeverfahrens vor, da ohne Kenntnis des Umfangs an medizinischen
Geräten und Einrichtungen die zu vereinbarende Jahrespauschale nicht kalkuliert
werden kann. Dieser offene Bedarf rechtfertigt aber gerade nicht die
Durchführung eines Verhandlungsverfahrens. Denn der Ag hat diesen Umstand
nach außen zu vertreten. Er kann seine Verantwortung nicht auf potenzielle
Teilnehmer der Verhandlungsrunde abwälzen. Im Übrigen ist nicht erkennbar,
warum der Ag nicht selber Problemstellungen entdecken und entsprechende
Lösungen entwickeln konnte, um ein offenes Verfahren durchzuführen. Eine
Bestandsaufnahme muss vor Einleitung des Vergabeverfahrens abgeschlossen
sein. Erst wenn sie vorliegt, steht die Zahl der an sich verfügbaren medizinischen
Geräte und Einrichtunge fest. Erst nach ihrem Abschluss ist bekannt, welche
Geräte in vollem Umfang funktionstüchtig sind, welche einer Reparatur
unterzogen und welche vollständig ersetzt werden müssen. Dieser Prozess ist
nicht verhandelbar.
Darüber hinaus rechtfertigt auch § 3 EG Abs. 3 Buchst. c) VOL/A die gewählte
Verfahrensart nicht. Nach der Norm ist ein Verhandlungsverfahren zulässig, wenn
die zu erbringende Dienstleistung in ihrer vertraglichen Spezifikation nicht
hinreichend genau festgelegt werden kann. Zwar konnte der Auftrag
„Bewirtschaftung und Instandhaltung von medizinischen Geräten und
Einrichtungen“ tatsächlich zum Zeitpunkt der Ausschreibung mangels
Bestandsaufnahme nicht genau festgelegt werden. In dem Moment jedoch, in
dem der Bestand und damit der Bedarf feststehen, ist die Dienstleistung in allen
Einzelheiten genau bestimmbar. Dies gilt vorliegend vor allem deshalb, weil für
die überwiegende Zahl der Geräte sowohl Wartungsqualität als auch
Wartungsabstände vom Hersteller oder vom Gesetzgeber genau vorgegeben
werden und die Dienstleistung auch aus diesem Grund nicht verhandelbar ist.
Der AG kann sich also nicht mithilfe einer fehlenden Bestandsaufnahme auf den
Ausnahmetatbestand von § 3 EG Abs. 3 Buchst. c) VOL/A berufen.
Praxishinweis
Öffentlichen Auftraggebern ist zu empfehlen, das Verhandlungsverfahren
lediglich dann zu wählen, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen tatsächlich
vorliegen. Anderenfalls besteht das Risiko, dass das Vergabeverfahren frühzeitig
scheitert.
Des Weiteren ist davon abzuraten, wie im vorliegenden Fall auf eine hinreichende
Klärung des Vergabegegenstandes vor Beginn des Verfahrens zu verzichten.
Eine klare Definition des Vergabegegenstandes hat zudem – unabhängig von
vergaberechtlichen Erwägungen – den Vorteil, dass dem durch Zuschlag
geschlossenen Vertrag ein möglichst eindeutiger und belastbarer Sachverhalt
zugrunde liegt. Das Risiko von späteren Auseinandersetzungen zwischen dem
öffentlichen Auftraggeber und dem Auftragnehmer über Nachträge,
Vertragsanpassungen etc. kann dadurch deutlich herabgesetzt werden.
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