Max Undercover € DIE FALSCHBERATER

Max Undercover | DIE FALSCHBERATER
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BERATUNGSGESPRÄCH
Max Undercover
von Administrator
Gepostet von Administrator am Mrz 3, 2013 in Was ist das Problem? | Kommentare deaktiviert
Max, der Undercover-Reporter
Auszüge aus meinem Tagebuch
06.05.2015 14:35
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Mittwoch, der 6. März 2013
13.37 Uhr, Berlin Prenzlauer Berg
Ich bin aufgeregt. Das erste Finanzberatungsgespräch meines Lebens! Undercover bin ich für DIE
FALSCHBERATER unterwegs, um Erfahrung beim Beraten-Werden zu sammeln. Nur gut, dass ich mich
vorher informiert habe. Sonst käme ich wohl mit einigen wohlformulierten Verträgen nach Hause – und
wäre in einigen Jahren um tausende Euro ärmer.
13.45 Uhr, auf dem Weg zur Bank
Ich verwende meine reale Identität: 30 Jahre alt, Journalist. Ich habe Schulden: 10 000 Euro ohne Zinsen
fürs BAFöG und nochmal 8 000 Euro mit vier Prozent für einen Studienkredit. Damit ist klar: Jedes
Finanzprodukt, das mir empfohlen wird, ist Quatsch. Denn zuerst muss ich meine Schulden begleichen.
Erst danach macht es überhaupt Sinn, Geld anzulegen – weil die Zinsen auf meine Kredite immer höher
sind als jene, die ich auf Erspartes bekommen würde.
14.01 Uhr, bei der Genossenschaftsbank
Hell, freundlich und es gibt eine Topfpflanze. Schön! „Es wird wirklich mal Zeit, dass Sie sich um Ihre
Altersvorsorge kümmern“, begrüßt mich die freundliche Beraterin, eine ältere Dame. Ja, ja,
Altersvorsorge. Wenn jemand dieses Wort in den Mund nimmt, fliehe ich normalerweise weit, weit weg.
Ich will ja gar nicht alt werden – und schon gar nicht dafür zahlen, dass ich irgendwann am Stock gehe
und nur noch Haare auf dem Rücken habe. Aber neulich bin ich auch 30 geworden, ohne das zu wollen.
Also vorsorgen.
14.03 Uhr, ein Gefallen, den ich nicht ablehnen will
„Ein Glas Wasser?“ Klar, gerne. Standard-Repertoire der Verkäufer: Wenn Du mir was gibst, muss ich Dir
auch was geben. Liegt in den Genen unserer Kultur. Und dann schließe ich eher eine Versicherung ab. Ich
hatte mit Kaffee gerechnet. Schade. Stattdessen will die Dame meinen Personalausweis und tippt meine
Daten in die Tastatur.
14.05 Uhr, der Trick mit der Angst
„Wie viel Geld haben Sie denn im Monat übrig?“
„Zwanzig Euro.“
„Gut. Das ist nicht viel, aber schauen wir mal, was wir damit machen können. Ich meine: die Renten sind
sicher, das glaubt ja heutzutage kein Mensch mehr!“
Eine beliebte Methode: Angst machen. Damit kann man prima verkaufen. Sie dreht den Bildschirm so,
dass ich ihn sehen kann. „So, zwanzig Euro jeden Monat. Aber Sie stehen ja noch am Anfang. Also, mal
12, mal 37, Sie werden ja auch mit 67 in Rente gehen, was? Oder mit 80, haha.“
Nach meinen Schulden fragt meine mütterliche Beraterin mich nicht.
„Was möchten Sie denn? Immobilien? Eine Rente?“ Tja.
„Ich kenne mich leider gar nicht aus“, sage ich. „Rente klingt gut.“
14.23 Uhr, die Gier wächst
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Auf dem Bildschirm erscheinen immer mehr Zahlen, die sich paaren und verschmelzen und immer größer
werden. „Wollen Sie das dynamisch oder nicht? Wir dynamisieren immer.“
„Ja, dynamisch klingt auch gut. Aber was bedeutet das denn?”
„Also, die Beiträge werden immer höher, weil Sie ja auch immer mehr verdienen werden.“
Aha. Gefällt mir, wenn jemand so viel Vertrauen in meine Karriere hat!
„Soviel hätten Sie dann am Ende, schauen Sie mal!“ Knapp 34 000 Euro. Geld, das meins sein könnte.
Die Gier wächst.
14.24 Uhr, die Gier der Bank ist größer
Was die meisten nicht wissen: Jedes Jahr, in dem der Beitragssatz steigt, wird eine Provision fällig. Da
freut sich die Bank.
14.37 Uhr, ich taste mich vor
Apropos Provision: Sie bekomme keine, sagt die Beraterin. Die Bank schon, aber das sei normal, der
Autoverkäufer um die Ecke erhalte ja auch was für seine Vermittlung zwischen Autohersteller und
Endkunde. Ist doch nur gerecht. Nein, wie viel genau, das wisse sie gerade nicht. Nicht so viel jedenfalls.
14.43 Uhr, eine peinliche Frage
„Müssen Sie denn jeden Monat eine bestimmte Menge an Versicherungen verkaufen?“
Die Dame lacht und ruft der Kollegin hinter ihr zu: „Der Kunde will wissen, wie viele Versicherungen wir
verkaufen müssen!“ Die Kollegin meint: „Keine, natürlich!“ Und beide amüsieren sich sehr.
Peinlich! Trotzdem frage ich weiter: „Soll ich trotz meiner Schulden Geld anlegen?“
„Ach, da machen Sie sich mal keine Sorgen. Die können wir ablösen, bei uns müssen Sie dann weniger
Zinsen zahlen.“
14.56 Uhr, Vertrauen ist wichtig
Am Ende kann ich zwei Verträge mit nach Hause nehmen, eine Rentenversicherung mit Riester und eine
ohne Riester. Einen Termin zum Unterschreiben machen wir auch gleich aus. Da bekomme ich dann wohl
auch Kaffee. Darf mir sogar schon aussuchen, ob mit Zucker oder ohne. Ein Abschied mit Handschlag:
„Das Wichtigste ist, dass Sie mir vertrauen.“
Später erfahre ich von einem Experten der Verbraucherzentrale: Im Schnitt macht die Provision zehn
Prozent des Gehalts bei Bankberatern aus. Und wenn sie nichts verkaufen, dann kommt Druck von oben –
denn mit den Provisionen rechnen die Banken durchaus als fester Einkommensquelle.
Donnerstag, der 7. März
Wenn in meinem Leben alles gut läuft, werde ich es ins Rentenalter schaffen. Doch dann will ich nicht
mehr jeden Tag jeden Euro umdrehen müssen, so wie in den letzten zehn Jahren. Nein. Im Jahr 2050 will
ich genug Geld haben für ein bequemes Auto und für ein schönes Haus mit Garten, in dem ich die Rosen
schneiden kann und die Nachbarskinder verscheuchen. Und das kostet.
Warum also beschäftige ich mich so ungern mit etwas so Wichtigem wie meinen Finanzen? Meine
Antwort: Weil sie abstrakt sind und Zinsrechnungen kompliziert. Ein Auto kann man anfassen, eine Reise
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erleben. Aber Zahlenspiele für Dinge, die in 37 Jahren geschehen – und dazu monatlich noch weniger
Geld haben? Nö.
Freitag, der 8. März
9.35 Uhr, in der Bahn
Heute habe ich gleich zwei Termine: Bei einer kleinen Finanzfirma und einem großen Strukturvertrieb.
9.59 Uhr, bei der netten Beraterin
Das Büro der kleinen Finanzfirma ist geräumig und geflutet mit Tageslicht. Ein großes, blaues Bild hängt
an der Wand. Hier herrscht kein Zwielicht, sondern Unschuld und Seriosität. Meine Beraterin ist 26 Jahre
alt, ihre blonden Haare hat sie streng nach hinten gebunden. Sie ist schick gekleidet, trägt eine teure Brille
und viel Silberschmuck.
10.02 Uhr, 30 Jahre jung
Kaffee steht auf dem Tisch, das freut mich. Wir quatschen ein bisschen, ich fühle mich wohl. Sie spielt
Fußball. Sie sollte deswegen bald mal eine Unfallversicherung abschließen, erzählt sie, wegen der Knie.
Schon sind wir beim Thema. „Sie sind ja 30 Jahre jung, da sollten Sie jetzt auch mal was machen.“
10.11 Uhr, Papierkram
Zusammen füllen wir einen vierseitigen Papierbogen aus. Wie risikofreudig ich beim Geld bin? Ob ich
Immobilien will? Soll mir der Staat im Falle von Hartz IV Geld wegnehmen dürfen?
10.23 Uhr, schon wieder keine Schuldenfrage
Nach Schulden fragt mich die junge Frau auch nicht. Aber ob ich in näherer Zukunft mal eine größere
Anschaffung machen wolle. Ein Auto oder so? Ja, gerne! Aber: „Ich habe 18 000 Euro Schulden“, sage
ich. Ach so, ja. Dann könnte es doch ein Sparziel sein, die abzuzahlen.
10.25 Uhr, wir sind Komplizen
Es ist seltsam, mit einem wildfremden Menschen so offen über meine finanzielle Situation zu sprechen.
Ich schäme mich, offenbar nicht so gut mit Geld umgehen zu können. So entsteht eine Art von
Komplizenschaft. Wenn ich jemandem Geheimnisse anvertraue, vertraue ich demjenigen ja wohl auch,
oder?
10.46 Uhr, die Maske fällt
Als der Bogen ausgefüllt ist, offenbare ich mich als Journalist in geheimer Mission. Provision? Klar, da
lebe sie von. Aber eine alte Oma würde sie nie über den Tisch ziehen. „Das bringt mir doch nichts. Da
muss ich meine Provision zurückzahlen und die Leute kommen nie wieder.“ Daher: Lieber Vertrauen
aufbauen. Und die Schulden? Ja, das wäre schon gut, die zu bezahlen. Einen zweiten Termin, um mir
Angebote vorzulegen, hatte sie aber dennoch ausgemacht.
14.27 Uhr, im Vorzimmer des Strukturvertriebes
Dunkles Holz dominiert den Raum. Auf dem Tisch liegen Broschüren mit glücklichen Menschen, die
schlaue Sachen mit Geld machen. Vor unserem Termin hat mir der Berater eine e-mail geschickt, drei
Dokumente im Anhang: Eine Erklärung zum Datenschutz des Finanzvertriebs, eine Aufstellung meiner
Lebenshaltungskosten, aufgeschlüsselt in 20 Punkte, und eine Liste von fast 40 verschiedenen Papieren
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und Nachweisen – von meinem (nicht vorhandenen) Aktiendepot über eine Kopie meines
Personalausweises bis hin zu meiner Sozialversicherungsnummer. Dies alles solle ich zum Gespräch
mitbringen, damit er mich angemessen beraten könne. Ich habe keine Zeit, dies alles zu besorgen und
frage per Telefon nach, ob ich trotzdem kommen solle – auch ohne Unterlagen. „Klar, kein Problem“, war
die Antwort des Beraterbüros.
14.37 Uhr, der Berater holt mich ab
Er hat einen eindringlichen Blick und einen teuren Anzug an. Führt mich in sein Büro und stürmt wieder
raus. Hat er mich ertappt? Vorher gar gegoogelt? Nein, er muss der Sekretärin noch was Wichtiges sagen.
14.39 Uhr, ein Wirbelwind
Er stürmt zurück und schimpft über eine Demonstration von Verdi, wegen der er keinen Parkplatz
bekommen hat. Es folgt ein Wirbelwind von Zahlen, Zahlen, Zahlen und Fragen, Fragen, Fragen – von
denen er die meisten gleich selbst beantwortet. Im fast eineinhalb-stündigen Gespräch nicke ich
mindestens hundert Mal und sage „Ja“ oder „Mhm-Mhm“.
15.28 Uhr, die Finanzblume
Der Mann ist gut. Er verkauft seit zwanzig Jahren Finanzprodukte. Souverän spult er ein hypnotisches
Programm ab. Er steht auf, läuft auf und ab, gestikuliert. Schreibt meinen Namen auf ein Flipchart, zieht
einen Kreis darum, zeichnet Kranken- und Rentenversicherungen und vieles mehr drumherum – eine
Finanzblume – und stellt mich somit in den Mittelpunkt. Wertschätzung!
15.42 Uhr, der Fels in der Brandung
Ich weiß, welche Psychotricks er anwendet und sie funktionieren trotzdem. Wie gemein! Ich werde immer
verwirrter, und er ist mein Anker in dieser unsicheren Welt.
„Wenn Sie zum Beispiel mal einen Autounfall haben, ja? Gleich nachdem Sie die 110 gerufen haben
wählen Sie meine Nummer, klar? Ich kümmer’ mich dann um alles.“
Schön, so was zu hören. Wer wünscht sich keinen Fels in der Brandung? Der dazu noch Kohle anspült?
15.58 Uhr, ein fairer Finderlohn
„Wenn ich Ihnen zeigen könnte, wie Sie in den nächsten fünf Jahren 5000 Euro netto haben können,
einfach so – wie viel sollte ich davon abbekommen? Was wäre fair?“ Ich überlege. Will ja nicht geizig
sein.
„So 500 Euro?“
„Ja, das sagen die meisten. Gibt ja auch immer zehn Prozent Finderlohn. Aber so viel will ich gar nicht
von Ihnen!“
16.00 Uhr, der Deal
„Wenn ich Sie beraten soll, dann müssen wir folgende Vereinbarung treffen.“ Ich soll ihm 95 Euro zahlen,
ihn weiterempfehlen (im Klartext: Ich gebe ihm viele wertvolle Kontakte, die er abgrasen kann), 50 Euro
Verwaltungsgebühr pro Jahr zahlen und natürlich die Provision.
16.03 Uhr, die Maske fällt
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Ich sage, dass ich als Journalist hier bin. Er zuckt nicht mal mit der Wimper. Die gehören auch zu seinen
Kunden, die arbeiten bei großen Zeitungen. Eventuell könne er mich weiterempfehlen. Das habe schon
öfter geklappt. Im Übrigen sei über sein Unternehmen in den letzten Jahren zu Unrecht schlecht berichtet
worden. „Ihr Journalisten verunsichert die Anleger. Die wissen gar nicht mehr, was sie tun sollen. Die
kündigen ihre Verträge und machen Riesenverluste!“
„Aber die Verträge sind doch auch oft Verlustgeschäfte?“
Für den Berater ist das offenbar kein Argument. Jemand mit einem schlechten Vertrag sei immer noch
klüger als der, der gar nichts für sein Alter spare, sagt er und blickt mich wieder eindringlich an.
„Wenn Sie hierüber einen Artikel schreiben, dann sollten Sie an Ihre gesellschaftliche Verantwortung
denken. Es bringt doch nichts, die Menschen immer mehr zu verunsichern.“
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