hochzeitstanz - Medizin der Wildnis

Jahreskreis a Das Rad der Zeit
Das kelto-germanische Rad der Zeit
TEIL 4:
Hasen, Hexen,
HOCHZEITSTANZ
FESTE IM APRIL UND MAI
TEXT n FRIEDRICH & IRENE REHRNBECK
ILLUSTRATION n SIMONA KOCH
ie Suche nach den animistischen Wurzeln
der Jahresfeste unserer kelto-germanischen
Vorfahren führt uns direkt zum Mythos,
der in jeder Kultur die Basis der Kosmologie mit all ihren Zyklen und Ereignissen
bildet. Die Feste markieren die wichtigsten
Punkte im Sonnen- und Mondjahr. Das
Sonnenjahr besteht aus zwölf Monaten, das
Mondjahr aus dreizehn. Die Sonnenfeste haben ein fixes Datum,
die Mondfeste richten sich meist nach dem ersten Vollmond im
jeweiligen Monat.
Frühlings-Tagundnachtgleiche, Frühlingsopfer (Várblót),
Ostara, Ostern
U
rsprünglich war das größte Fest im Jahreskreis die FrühlingsTagundnachtgleiche, Ostara oder Ostarun. Es wurde um
den 20. März gefeiert, da die Sonne an diesem Datum genau
im Osten aufgeht.
Den Namen „Ostern“ erhielt es erst mit der Christianisierung,
und es wurde von der Kirche auf den ersten Sonntag nach dem
ersten Frühlingsvollmond gelegt. So ist gewährleistet, dass es
niemals auf das gleiche Datum wie das jüdische Passah-Fest
fällt, das als Vorbild für das christliche Ostern dient.
D
as Frühlingsopfer (nordgerman. Várblót) dauerte ursprünglich
wahrscheinlich eine Woche, später vier, dann drei, heute
nur noch zwei Tage. Es war ein ekstatisches Fest mit Essen,
Rauschbier, Tanz, Gesang und Ritualen.
Die dazu gehörende Frühlingsversammlung (nordgerman.
Varthing) ist der richtige Zeitpunkt für Initiationen von Jungen
und Mädchen, da das Erwachen der Sexualität, und damit das
Erwachsenwerden, im Frühling am deutlichsten sichtbar ist.
K
naben wurden zu Jägern und jungen Kriegern im Gefolge
Tyrs (german. Himmels- und Kriegergott), der gerade
jetzt gegen die Winterriesen kämpfen muss. Nachdem er den
84
april | mai 2015
YA91_Ni_Si_FINI_finaleversion.indd 84
Kampf gewonnen hat, verlobt und vereinigt er sich mit der
Liebesgöttin Freyja.
Die Befruchtung der Mutter Erde durch den Himmelsvater
wurde von einem gekürten Paar in einem Mysterienspiel öffentlich dargestellt.
Mädchen, die gerade ihre Menarche hatten, steckten bei
Flurumzügen1 Haselzweige in die Felder. Dieser Buschen mit
neun Heilkräutern, der Penis Tyrs, ist heute noch geschmückt
mit immergrünem Buchs sowie weißen, roten und blauen2
Bändern, und behängt mit Eiern und Sinngebäck. In Kindergärten und Grundschulen wird dieses Ritual leider nur noch als
folkloristischer Brauch praktiziert, denn die Bedeutung und der
mythologische Hintergrund sind verloren gegangen.
Da die Einweihung der Mädchen immer im Verborgenen
und nur von Frauen vollzogen wurde, ist darüber leider nichts
mehr bekannt.
D
ie Feueropfer für die Göttin Ēostre (angelsächs.) oder Ostara3
verbrennen alle Schädlinge und Krankheitserreger, die
Mensch, Tier und Pflanze befallen könnten. Gesunderhaltung, Schutz, Fruchtbarkeit und daraus resultierende reiche
Ernte sind immer überlebenswichtiger Teil der Gebete4
an die Wesen der Anderswelt5. Feuerräder, die einen
Abhang hinuntergerollt werden, und Osterfeuer auf den
Bergen zeigen das Wirken der Göttin des Ostens6, des
wiederkehrenden Lichtes und der Wärme der Sonne.
Widder und Lamm
Z
ur Frühlings-Tagundnachtgleiche erscheint astrologisch im Osten das Tyrkreiszeichen7 Widder
am Horizont. Das gehörnte 8 Opfertier verheißt
Willenskraft und Durchsetzungsvermögen.
Astronomisch mögen sich die Sternbilder durch
die Jahrtausende verschoben haben, aber die
Interpretation der Energien und Ereignisse in
der Natur sind immer noch gleich, da sie mit
der Jahreszeit zusammenhängen.
yoga aktuell
19.03.15 09:36
yoga aktuell
YA91_Ni_Si_FINI_finaleversion.indd 85
april | mai 2015
85
19.03.15 09:36
D
ie Geburt von zahlreichen Menschen- und Tierkindern, wie
Lämmern, Zicklein, Kätzchen und Häschen zeigt deutlich
die überbordende Kraft der Vermehrung. Die Seelen werden aus
dem Schoß der Göttin Hel oder Frau Holle mit der symbolischen
Energie des Opferblutes ins Fleisch gebracht, sie inkarnieren9.
Das Lamm als Opfertier ist Ersatz für die vom alttestamentarischen Gott ursprünglich geforderte Opferung des erstgeborenen Sohnes, in diesem speziellen Fall Jesus.
Eier, Weidenkätzchen, Nest und Hase
ine Kulthandlung mythologischen Ursprungs ist das Verstecken
von bunt bemalten Eiern in Nestern durch den Osterhasen.
Eier sind ein uraltes Wiedergeburtssymbol. Zum persischen
Neujahr im Frühling verschenken die Frauen rote Eier. Rot ist
die Farbe des Lebendigen. Auf grünen, blühenden Zweigen
unterstreichen sie die Entfaltung von Goth, der aufsteigenden
Vegetationskraft. Zweige mit Weidenkätzchen weisen auf Freyja
hin. Tot und Wiedergeburt werden durch Äpfel10 und Eier symbolisiert und als totemistische11 Ritualspeise verzehrt. Das Nest
ist der Schoß, die Gebärmutter oder der Kessel der Göttin Hel
(german.) oder Ceridwen (kelt.). Darin wird alles Alte und Tote
verkocht, neu geordnet, mit Leben erfüllt und wiedergeboren.
Der Hase ist ein Tier der Liebes- und Mondgöttin Freyja. Nur
zu Ostara bestrahlt die Sonne auf der Mondoberfläche ein Gebirge auf besondere Weise, sodass das Abbild eines Hasen mit
Nest und Ei sichtbar wird.
»Ursprünglich war das größte
Fest im Jahreskreis die FrühlingsTagundnachtgleiche, Ostara oder
Ostarun. Es wurde um den 20. März
gefeiert, da die Sonne an diesem
Datum genau im Osten aufgeht.«
Maifest, Kürfest, Beltane
D
as Maifest (kelt. Beltane) beginnt am zweiten Vollmond nach
dem Osterfest (zwischen 21. April und 20. Mai) und dauert
eine Woche, in der die Felder nicht bestellt werden dürfen.
Das Opfer zum Sommeranfang (Blota i moti sumri) oder das
Siegopfer (Sigrblot) wird nun abgehalten. Endlich hat die Sonne
den Sommer gebracht, und Tyr hat über die Winterriesen gesiegt.
Hohe Zeit, rote Rosen, Maibaum und Maientanz
H
at sich der Sonnengott Baldur (german.) oder Belenos (kelt.)
zu Ostern mit der Liebesgöttin (Ostara, Freyja) verlobt,
vermählt er sich nun mit der blütengeschmückten Erdgöttin
(german.) Fjörgyn, Gunnlada, (kelt.) Bloddwedd12 oder Danu13.
Das Feuer14 vereinigt sich mit dem Wasser. So entsteht Leben.
In den Feldern und Wiesen wurde daher ausgiebig der Lust zu
Ehren der Götter gehuldigt.
Die Rituale von Ostara und Maifest haben sich im Laufe der
Zeit vermischt. Daher werden bei beiden Festen Paare für die
„heilige Hochzeit“ gekürt (griech. Hieros Gamos).
Maibaum, Weltenbaum
D
er mit grünen Kränzen geschmückte Maibaum15 ist die
Weltenachse und ein tantrischer Kultgegenstand.
86
april | mai 2015
YA91_Ni_Si_FINI_finaleversion.indd 86
Abbildungen: http://commons.wikimedia.org
E
Walpurgisnacht (Johannes Praetorius, 1668)
E
in riesiger, in die Mutter Erde gesteckter, göttlicher Penis
wird von einem grünen Pflanzenschoss umfangen und
von Tänzern umrundet. Dabei verflechten Männer und Frauen
durch ihre Mäanderbewegungen rote Bänder zu einem den
Baum umschlingenden Schlauch, Symbol für eine tierische oder
menschliche, durch Erregung gerötete Vagina.
Maitanz
D
ie Linde ist Freyjas Baumheiligtum. Bis ins 20. Jahrhundert
gab es in Bayern so genannte Tanzlinden. Der Tanzboden
wurde in die Krone auf die nach unten gebogenen Äste gebaut.
Tänzer bewegen sich noch heute gemeinsam in der „Tanzrichtung“, d.h. im Kreis linksherum. Seit der Christianisierung ist
das die verpönte Richtung der Hexen, denn Tanzen führt zu
Lust und gehört zu heidnischen Kulthandlungen.
Wonnemonat, Rot und Blau
L
iebespaare schnitzen in Baumrinden gerne ein Herz, das von
einem Pfeil durchbohrt wird. Das ist eigentlich die Darstellung der gespreizten Schamlippen, in die der Penis eindringt.
Bei Erregung ist die Scham gerötet und mit Blut gefüllt. Als
Pendant verlocken Frauen Männer mit durch Lippenstift geröteten und möglichst prallen Lippen. Hat der Zauber gewirkt,
wird im Wonnemonat Mai geheiratet.
Das schweizerische „g’hüret“ (= geheiratet) zeigt deutlich den
sprachlichen Zusammenhang der Wörter „heiraten, huren und
küren“. Jemanden zu lieben hieß, mit ihm Sex zu haben. Erst
die christliche Moral trennt beides voneinander.
F
rauen tragen zur Hochzeit etwas Altes, etwas Neues, etwas
Geborgtes und etwas Blaues. Blau ist nicht nur die Farbe
des wachstumsfördernden Wassers, sondern regt tatsächlich
Fruchtbarkeit an. Im österreichischen Waldviertel werden Samen vor der Aussaat auf blaue Schürzen der Arbeitstrachten von
Frauen gelegt. Im Versuch keimten diese Samen zwei Wochen
vor denen ohne farbliche Stimulation.
Walpurgis
I
n der Nacht zum 1. Mai, der Walpurgisnacht, ist der Kontakt
zur Anderswelt besonders intensiv. Die Heiden feiern ein
eksta­tisches Hexenfest16, eine Orgie, verbunden mit der Einnahme psychoaktiver Substanzen, vorzugsweise Nachtschattengewächse, Fliegenpilze, Mohnsaft und Hanf. Diese erzeugen
erotische Gefühle und Visionen. n
yoga aktuell
19.03.15 09:36
Jahreskreis a Das Rad der Zeit
Gebet der Medea an Hekate17:
„Nacht, Vertrauteste du der heimlichen Dinge;
ihr Sterne, die ihr der tragenden Glut nachfolgt mit der goldenen Luna;
du Hekate mit dem dreifachen Kopf, du weißt, was jetzt anhebt:
Komm doch und hilf mir mit murmelndem Spruch
und kunstvollem Zauber.
Und du Erde, du gibst den Hexen die mächtigen Kräuter.
Lüftchen und Winde und Berge, ihr Flüsse all und ihr Teiche,
Göttin der Haine herbei!
O helft mir, ihr Götter der Nächte.“
(aus den Metamorphosen des Ovid)
HP Irene und HP Friedrich Rehrnbeck, Heilpraktiker/in, Dozent/in, Seminarleiter/in, führen
zusammen seit 15 Jahren eine Praxis in Immenstadt im Allgäu. Seit 10 Jahren Studium und ausgewählte Integration des süd- und nordamerikanischen sowie nepalesischen Schamanimus in den Praxisalltag. Andere
Praxisschwerpunkte: Osteopathie, Psychotherapie, Traditionelle Chinesische
Medizin, Ayurveda, Ausleitungsverfahren u.v.m.
Internet: www.medizinderwildnis.de
facebook: Medizin der Wildnis
Glossar:
1) Auf den Boden tropfendes Menstruationsblut macht die Erde fruchtbar.
2) Die beiden Farben blau (Wasser) oder schwarz (Erde) sind gegeneinander austauschbar. Wasser und Erde, die weiblichen Elemente, sind der nordischen Göttin
Modir (= die feuchte Mutter Erde) zugeordnet.
3) nordgerman. Freyjas Beinamen Astagud (Ostgöttin) = Liebesgöttin
4) „Gebet mir ...!“ typischer Beginn einer Bitte an die Götter.
5) Riesen, Zwerge, Götter, Ahnen und Elementarwesen
6) griech. Eos, latein. Aurora = Göttin der Morgenröte; lat. aurum = Gold; vord.
Orient Astarte, Ishtar = Licht des Morgensterns, german. austro = Osten; vgl.
Austria oder Österreich.
7) Tyr = Himmelsgott (alte Wanengottheit), auch Zius oder Zeus (sprich. Se-us
mit getrennt gesprochenen Selbstlauten) griech. Himmelsgott und Göttervater auf
dem Olymp. Dienstag heißt eig. Tyrstag; schweiz. Zischtig
8) „Der Gehörnte Gott“ ist meist ein männlicher Fruchtbarkeitsgott in vielerlei Gestalt (Hirsch, Ziege, Stier, Widder): z.B. Freyr, Cernunnos; weibl. z.B. Audhumla, Hathor
9) lat. caro = Fleisch
10) Äpfel spenden den Göttern ewiges Leben. Vgl. ( griech.) Hesperiden oder (kelt.)
Avalon, der Apfelgarten der Morrígan im unterirdischen Feenland oder auf einer
Insel im Westen, im Atlantik (eventuell Atlantis).
11) Totem = Verkörperung von Kräften oder Wesenheiten der Natur
12) walisisch blodeu = Blumen, Blumenfrau, engl. to wed = heiraten
13) auch Dana oder Ana (sanskrit Mutter) = Flussgöttin, Wassergöttin; die Donau
ist nach ihr benannt
14) Bel = scheinend, leuchtend, feurig
15) german. maje = Blätterschmuck, der „Maien“ ist ein blühender Zweig.
16) Keltische Hexenfeste, viermal im Jahr, jeweils in der Nacht vor einem Mondfest
17) Hekate = griechische Version der Dreifachen Göttin
1
Quellenangaben:
9
• Martha Sills-Fuchs: Wiederkehr der Kelten, Verlag Knaur
• Voenix: Weltenesche Eschenwelten, Edition Roter Drache
• Géza von Neményi: Die Wurzeln von Weihnacht und Ostern, Verlag KerskenCanbaz
• Géza von Neményi: Götter, Mythen, Jahresfeste, Verlag Kersken-Canbaz
• Barbara G. Walker: Das geheime Wissen der Frauen, dtv
• Barbara G. Walker: Die Geheimnisse des Tarot, Verlag Gondrom
• Christian Rätsch: Walpurgisnacht. Von fliegenden Hexen und ekstatischen
Tänzen, AT Verlag
7
2
5
0
YA91_Ni_Si_FINI_finaleversion.indd 87
19.03.15 09:36