Atem
wege
Hausarzt Medizin
Nicht alles was pfeift,
ist Asthma
Plötzliche, anfallsartige Atemnot – da liegt die Verdachtsdiagnose Asthma
bronchiale für den Hausarzt auf der Hand. Meist wird dies auch richtig sein,
eine leitlinienkonforme medikamentöse Asthmatherapie wird dann rasch zur
Besserung der Beschwerden führen. Was aber, wenn die Behandlung nicht den
Dr. med. Klaus Kenn
CA Schön Klinik Berchtesgadener Land
E-Mail: kkenn@
schoen-kliniken.de
Tab. 1: Anamnese
Fotos:mauritius
Foto:
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images / Alamy
▪▪ Zeitlicher Verlauf
▪▪ Intensität und Dauer
▪▪ Vermutete Lokalisation des
Atemhindernisses
▪▪ Mögliche Auslöser
▪▪ Bei Ein- oder Ausatmung
▪▪ Husten
▪▪ Bei Belastung oder in Ruhe
▪▪ Lage- und/oder Situations­
abhängigkeit
▪▪ Hilfen zur Symptomreduktion
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gewünschten Effekt zeigt?
Da Dyspnoeattacken von Patienten oft als
hilfreich wie z. B. eine Videodokumentation
bedrohlich erlebt werden, besteht in der Reeines Atemnotanfalls z. B. mit einem Smartgel eine erhebliche Erwartungshaltung, so
phone, das heute doch beinahe überall verdass bei ausbleibendem Therapieerfolg sofügbar ist.
wohl Arzt als auch Patient in Stress geraten
Meist erlebt der Patient Atemnot als eikönnen. Nicht selten „entstehen“ dann kline unbehagliche, ggf. sogar bedrohliche
nische Verläufe, für die Begriffe wie „nicht
Atemanstrengung. Aber auch das Gefühl von
therapierbares, steroidreLufthunger oder ein besistentes, schwerstgradiges
ängstigendes ErstickungsEs gibt immer wieder
Asthma“ benutzt werden.
gefühl können dahinter
Patienten mit unerklärDies aber oft zu unrecht.
stehen. Diese unterschiedlicher Diskrepanz zwilichen Atemnotqualitäschen geschildertem
Befinden und messten sind sowohl von der zuWie wird Atemnot
baren Befunden.
grundeliegenden Störung
fassbar?
als auch vom Patienten
selbst abhängig.
Neben Husten ist Atemnot
Simple Fragen nach dem
eines der häufigsten Gründe
zeitlichen Verlauf und der Intensität der
für Patienten, ihren Hausarzt aufzusuchen.
Atemnot, der vermuteten Lokalisation des
Ähnlich wie Schmerz ist auch Atemnot ein
Atemhindernisses und nicht zuletzt auch
nicht messbares, subjektives Gefühl, und es
finden sich immer wieder Patienten, die eine nach möglichen Auslösern der Dyspnoe
bringen meist entscheidende Hinweise. Es
unerklärliche Diskrepanz zwischen geschilgilt, Atemnot ähnlich einer Schmerzanamdertem Befinden und messbaren Befunnese als facettenreiches Symptom detailden aufweisen. Eine genaue Anamnese der
liert zu hinterfragen. So sollte geklärt werAtemnot kann hier wegweisend sein. Dabei
den, ob die Dyspnoe während der Ein- oder
gilt es, die besonderen Qualitäten der erlebAusatmung auftritt, ob es exogene inhalatiten Atemnot abzufragen. Die exakte Sympve Auslöser/Irritantien gibt und welche Rolle
tombeschreibung der Patienten ist ebenso
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Husten bei der Dyspnoe-Auslösung spielen
kann. Darüber hinaus sollte erfragt werden,
ob die Atemprobleme unter körperlicher
oder psychischer Belastung, in Ruhe, nachts
oder lage- und situationsunabhängig auftreten. Zudem sind Eintrittsgeschwindigkeit,
Dauer der Symptomatik sowie ggf. erlebte
Hilfen zur Symptomreduktion zu klären.
Differenzialdiagnosen
Unter den dann zu beachtenden Differenzialdiagnosen spielen Fehlfunktionen der
Stimmbänder, in der Literatur als Vocal Cord
Dysfunction (VCD) bezeichnet, die wichtigste Rolle. Natürlich sind auch andere Differenzialdiagnosen der akuten Atemnot zu
erwägen (Tab. 2). So kann z. B. eine Hyperventilation von Patienten trotz einer übermäßigen Atemintensität als bedrohliche
Atemeinschränkung
erlebt werden.
Tab. 2: Differenzialdiagnosen des nicht
Bei der Überlegung,
kontrollierbaren, schweren Asthma bronchiale
ob eine Vocal Cord
Dysfunction (VCD)
Große Atemwege
als Ursache für die
Vocal Cord Dysfunction (VCD)
geschilderten AtemFremdkörper, Tumorneubildungen
notanfälle in Frage
Tracheomalazie
kommt, spielt vor alKleine Atemwege
lem die Manifesta­
COPD
tionsgeschwindigkeit
Zystische Fibrose
eine Rolle. Benötigt
Bronchiektasen
ein durch AllergeObstruktive Bronchiolitis
ne oder inhalative
Allergische bronchopulmonale Aspergillose (ABPA)
Churg-Strauss-Syndrom
Irritationen ausgelöster AsthmaanLungenparenchym/-gefäße
fall zur vollen AusSarkoidose
prägung in der Regel
Rezidivierende Lungenembolien
3 – 5 Minuten, so ist
es für die VCD typisch, dass Atemnot
von einem Atemzug zum anderen – d. h. perakut auftritt. Anders als beim Asthma betrifft diese Dyspnoe in mehr als 95 % die Einatmung. Auf Befragung geben die Patienten
typischerweise ein Engegefühl im Hals- bzw.
in den oberen Thoraxbereich an, so dass solche anamnestischen Angaben bereits auf das
Vorliegen einer funktionellen Stimmbandstörung hinweisen können. Eine klassische
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Asthma-Medikation zeigt bei der VCD keinen Effekt.
Die unter Ruhebedingungen durchgeführte Diagnostik wird in der Regel kaum weiterhelfen. Selten lassen sich bei genauer Analyse diskrete Einschränkungen der Inspiration
in der Fluss-Volumen-Kurve erkennen.
Da die Dauer dieser Anfälle in der Regel auf
1 – 2 Minuten beschränkt ist und diese sich
selbst limitieren, hat der Patient meist keine
Chance, sich mit einer akuten Symptomatik
notfallmäßig zur Diagnostik vorzustellen.
Bei wiederholten unklaren Atemnotanfällen
ist daher – falls möglich – eine Videodokumentation anzustreben.
Mehr als die Hälfte der Patienten weisen neben der VCD gleichzeitig ein typisches Asthma bronchiale auf, so dass es gilt, eine obere, halsbetonte, inspiratorische Atemnot
von einer unteren, thorakalen exspiratorischen Atemnot zu unterscheiden, um jeweils
die richtigen therapeutischen Maßnahmen
zu ergreifen. Neue eigene Studienergebnisse aus einer großen Befragung mit mehr als
2000 Menschen im Norden Deutschlands
zeigen jedoch, dass eine inspiratorische,
VCD-typische Atemnot wesentlich häufiger
zu sein scheint als bisher angenommen, so
dass grundsätzlich ein anamnestisches Hinterfragen des Atemnotcharakters zu empfehlen ist.
Sichere Angaben zur Häufigkeit einer VCDErkrankung fehlen noch, jedoch gingen Experten bislang für Deutschland von einer
Gesamtzahl von ca. 250.000 – 300.000 aus,
d. h. dass dieses Problem in jeder Hausarztpraxis anzutreffen sein müsste. Dass die VCD
in ca. 75 % das weibliche Geschlecht betrifft,
ist ebenso bekannt wie unerklärt.
Pathophysiologie
Als für eine VCD ursächlich werden heute
u.a. entzündliche Veränderungen im Bereich
der Nase und Nasennebenhöhle („post nasal
drip“) diskutiert. Als noch bedeutender wird
von Experten eine Refluxproblematik angesehen, wobei hier weniger der gastroösophageale, sondern vielmehr der laryngopharyngeale Reflux (LPR) von Bedeutung zu sein
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Für Patienten mit funk­
tioneller Stimmband­
störung ist es hilfreich,
geeignete Atemstrate­
gien zu erlernen.
scheint, der über repetierende lokale Irritationen VCD-Atemnotanfälle auslösen kann.
Zudem können akute Pharyngitiden wie
auch Recurrensparesen (z. B. nach StrumaOperationen) zur Erstauslösung einer VCD
Anlass geben. Nicht selten trägt eine Kombination der genannten Ursachen zur Erstmanifestation einer VCD bei.
Ein schlüssiges pathophysiologisches Konzept der VCD existiert noch nicht. Die früher im Vordergrund stehende Sicht, dass es
sich vorwiegend um ein psychosomatisches
Krankheitsbild handelt, sollte allerdings verlassen werden. Vielmehr führen wiederholte,
als lebensbedrohlich erlebte Erstickungsanfälle mit Angst- und Panikattacken über die
Zeit in vielen Fällen dazu, einen zuvor psychisch unauffälligen Menschen derart zu destabilisieren, dass eine psychosomatische Irritation anmuten mag. Diese ist jedoch in
den meisten Fällen eher im Sinn einer somatopsychischen Abfolge zu sehen. In einigen
Fällen lassen sich allerdings tatsächlich psychische Überforderungssituationen mit Neigung zu Angst und Hyperventilation als ursächlich detektieren.
len sowie die konsequente Eindämmung
von Reflux können bereits zur Besserung der
Symptomatik führen. Grundsätzlich gilt es,
dem Patienten gezielte Informationen über
diese besondere laryngeale Störung zukommen zu lassen, die zum Verstehen der Symptomatik beitragen. Dies allein kann die meist
erhebliche Angstkomponente reduzieren
und einen Zugang zur Therapie ermöglichen.
Hierzu sollen die Patienten Atemstrategien
erlernen, die im Sinn einer bauchbetonten
Atmung oder einer entspannten, vorsichtigen nasalen Inspiration zu beschreiben sind
(throat relaxed breathing).
Im akuten Anfall ist die beruhigende Einwirkung von Außenstehenden für die Patienten sehr wichtig, da die Atemnot oft als
lebensbedrohlich erlebt wird. Allein die Information, dass man an VCD nach allem, was
bekannt ist, nicht sterben kann, ist für Viele schon der erste Schritt in eine erfolgreiche
Therapie. Nach einem ersten VCD-Anfall reichen mitunter erklärende Hinweise, um Sicherheit und Beruhigung zu vermitteln.
In chronifizierten, heftiger ausgeprägten Fällen empfiehlt es sich, die Symptomatik differenzialdiagnostisch möglichst beweisend
aufzuarbeiten und durch bezüglich VCD erfahrene Atemphysiotherapeuten spezielle
Verhaltensstrategien vermitteln zu lassen.
Literatur beim Verfasser
Interessenkonflikte: keine
Fazit
Eine exakte Anamnese kann bei Atemnot unklarer Genese bzw. bei VCD-Verdacht in vielen Fällen bereits ohne apparative Diagnostik wegweisend sein.
Eine frühzeitige Diagnosestellung ist wichtig, da die Chronifizierung einer
angstbesetzten Symptomatik sowie einer hochdosierten, erfolglosen antiasthmatischen Therapie inklusive Kortikosteroiden zu erheblicher Morbidität
führen kann.
In der täglichen Praxis kann die VCD als ein beeindruckendes Krankheitsbild
imponieren, das durch den Arzt, der darum weiß, relativ leicht zu erkennen
ist.
Es kann durchaus zu den Erfolgserlebnissen des praktisch tätigen Arztes zäh-
Therapie
len, wenn allein durch eine subtile Anamnese, durch Aufklärung und durch
Die nachhaltige Behandlung entzündlicher
Affektionen der Nase und Nasennebenhöh-
unbehandelbare Erstickungsanfälle therapierbar werden. Die „Droge Arzt“ ist
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die Vermittlung spezieller Verhaltens- und Atemstrategien zuvor bedrohliche,
hierbei von essenzieller Bedeutung.
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