Beute-Bibel bleibt in Moskau

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SZENE
B üc h e r
Film
Flirt im Dreierpack
Hand aufs Herz, hat unsere Beziehung
eine Zukunft? Als seine Freundin
Emily ihn so zu einer Entscheidung
drängt (weil insgeheim ein anderer sie
bedrängt), findet der wankelmütige
Bill weder in den Sternen noch im Kaffeesatz Antwort. Also erbittet er sich
Bedenkzeit, um seinerseits seine
Zweit-Freundin Margaret (die er eigentlich lieber hätte, wenn sie bloß
nicht auch mit Walter verbandelt wäre) zur Rede zu stellen: Hand aufs
Herz, was ist denn nun? Hal Hartley,
Fachmann für Gefühlskuddelmuddel
und dessen Therapie durch Ironie, hat
die Wechselspielchen zwischen Bill
und Emily und Margaret und Walter
1993 in New York als Halbstundenfilm
inszeniert. 1994 bekam er Filmförderungsgeld, um in Berlin dasselbe Drehbuch mit denselben Dialogen noch einmal zu inszenieren, wobei aber die Namen, gelegentlich auch das Geschlecht
und das Temperament der Figuren geändert wurden: Die Geschichte spielte
nun unter Schwulen. In Tokio 1995 hat
Hartley den Fall erneut aufgerollt,
diesmal mit einem jungen Mädchen als
Hauptfigur, das sich zwischen zwei
Männern entscheiden soll und nicht
will. Unter dem Titel „Flirt“ gibt es die
drei Episoden nun auch hierzulande im
Kino, und alle Hartley-Fans werden
darin wiederfinden, was den pfiffigen
Minimalisten Hartley so liebenswert
macht: das trocken pointierte DialogPingpong und die schrille Delikatesse
der Bilder. Auf dem Verwirrungs-Höhepunkt löst sich in allen drei Episoden versehentlich ein Pistolenschuß
und verpaßt der Hauptfigur einen sehr
blutigen Nasenstüber: Dieses Malheur
ist auf der Notstation unter Lokalanästhesie zu beheben (wobei, wie sich
zeigt, Novocain erotische Phantasien
beflügelt), die großen Fragen des Daseins aber bleiben, Hand aufs Herz,
ungelöst.
Tattoos
Gepikste Seelen
Auf der „5th German International
Tattoo Convention“, die vergangenen
Donnerstag in Berlin begann, verzierten 90 Tätowierkünstler aus 24 Natio-
REUTERS
Szene aus „Flirt“
50 Jahre nach der Verschleppung ist in
Moskau ein Juwel deutscher Buchkunst zu besichtigen: eine zweibändige
Bibel, von Johannes Gutenberg um
1454 in Mainz gedruckt. Sowjetische
Truppen hatten das Werk 1945 im
Deutschen Buch- und Schriftmuseum
von Leipzig konfisziert und als Trophäe nach Moskau gebracht. Der
prachtvoll
illustrierte
GutenbergDruck landete in den Magazinen der
Lenin-Bibliothek. Dort wird er gemeinsam mit anderen Beute-Bibeln
aus Bibliotheken in Dresden, Berlin
und Wernigerode seit vergangenem
Freitag in einer Ausstellung über den
Evangelisten Johannes erstmals der
Öffentlichkeit gezeigt. Der Appell des
deutschen Botschafters Ernst-Jörg von
Studnitz, die Kulturgüter endlich „aus
babylonischer Gefangenschaft nach
Deutschland“ zu entlassen, rief während der Er öffnung lauten Unmut unter den offiziellen Gästen hervor: Aus
innenpolitischen Gr ünden hat der
Kreml sämtliche Rückgabe-Zusagen
längst wieder storniert.
Bibel-Präsentation in Moskau
nen die Körper all derer, die sich selbst
zum Kunstwerk machen wollen. Folgerichtig wurden Preise in diversen Sparten, etwa für das „most realistic tattoo“, vergeben. Die lebenden Objekte, die sich von Künstlern mit Namen
wie „Endless Pain“ Fantasy-Ornamente auf Arme, Beine oder den Bauch
stechen ließen, trugen die Behandlung mit Fassung. „Die ersten Minuten pikst es ganz
schön, doch dann gewöhnt man
sich dran“, berichtet Horst,
dessen Körper in 180 Stunden
großflächig illustriert wurde. In
allen Schichten sei die Hautkunst inzwischen gefragt, zudem gebe es einen regelrechten
„Piercing Boom“, weiß Detlef
Determann, Moderator der
Tattoo Convention, der nebenbei auch als Hundemantel-Designer tätig ist. „Hinter jedem
tätowierten Körper“, tiefgründelt Determann, „steckt auch
eine Seele, die es wert ist, beachtet zu werden.“ Zwar gibt es
etwa zwei Millionen Tätowierte
in Deutschland, doch fühlen
sich viele von ihnen ausgegrenzt. Ziel der Veranstalter
war es denn auch zu zeigen,
daß Tattoo-Fans „ganz normale
Menschen“ sind.
H. FLOSS
KINOARCHIV ENGELMEIER
Beute-Bibel bleibt in Moskau
„Tattoo Convention“-Teilnehmer
DER SPIEGEL 50/1995
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