Das Lipödem – ein Rätsel? Pathophysiologie, Diagnostik, Therapie und Prävention Dr. med. Gerson Strubel, Facharzt für Angiologie und Allgemeine Innere Medizin, M. Sc. in Preventive Medicine Klinik St. Anna Gefässmedizin und Prävention Definition Dr. med. Gerson Strubel Das Lipödem wurde bereits vor 3500 Jahren im ägyptischen Hatshepsut-Tempel von Dêr el-Bahari in Form eines Reliefs exakt dargestellt (Mariette A. 1877, Abb. 1). Die wissenschaftliche Erstbeschreibung erfolgte 1940 durch Allen und Hines (Allen A. et al.). Synonym für das Lipödem werden die Begriffe «Lipalgie», «Adiposalgie», «Adipositas dolorosa», «Lipomatosis dolorosa der Beine», «Lipohypertrophia dolorosa», «schmerzhaftes Säulenbein» und «schmerzhaftes Lipödemsyndrom» verwandt. Abbildung 1: Die Fürstin von Punt aus Dêr el-Bahari (mittlere Figur). Die mangelnde Kenntnis des Krankheitsbildes führt häufig zu unzureichenden oder gar fehlerhaften Behandlungen und zu einem jahrzehntelangen Leidensweg der Betroffenen, die als «übergewichtig» oder «fett» stigmatisiert werden. Der folgende Artikel soll daher einen Überblick über den aktuellen Wissensstand geben. Das Lipödem ist eine Frauenkrankheit letztlich unbekannter Ursache mit chronisch progredienter, disproportionaler, symmetrischer Unterhautfettvermehrung, erheblicher Druck- und Berührungsempfindlichkeit, Hämatomneigung sowie orthostatischer Ödembildung (Wienert V et al 2009). Der Krankheitsbeginn ist häufig in hormonaktiven Phasen (Pubertät, Schwangerschaft), aber auch in der Menopause gelegen, in Einzelfällen sollen auch Kinder betroffen sein. Männer zeigen diese Veränderungen nur in Ausnahmefällen. Ein Lipödem wurde bei Hypogonadismus, äthyltoxischer Leberzirrhose oder nach Hormontherapie von Tumorerkrankungen beschrieben (Weissleder H. 1994). Ein Testosteronmangel scheint hier von entscheidender Bedeutung zu sein. Überwiegend sind die unteren Extremitäten betroffen, in ca. 30% finden sich auch charakteristische Veränderungen an den Armen. Ein Lipödem ausschliesslich der oberen Extremitäten ist sehr selten. Epidemiologie Exakte epidemiologische Daten fehlen bisher. Eine Erhebung der LymphödemKlinik des St. George-Hospitals in London postuliert eine Prävalenz von 1 auf 72.000, wobei aufgrund übersehener bzw. nicht überwiesener Patientinnen von wesentlich höheren Zahlen ausgegangen werden kann (Child 2010). Eine Untersuchung an einer deutschen lymphologischen Fachklinik in den Jahren 1995/96 fand bei ca. 15% der stationären Patientinnen ein Lipödem (Herpertz 1997). Eine familiäre Häufung wird in 16 – 64% der Fälle beschrieben. Vermutet wird eine autosomal dominante Vererbung mit Beschränkung auf das weibliche Geschlecht (Child 2010). Verschiedene Genmutationen (z. B. PROX1, VEGFR-3, PIT-1, BMP2) stehen im Verdacht, an der Entwicklung eines Lipödems beteiligt zu sein. Pathologische Anatomie und Pathophysiologie Histologisch auffällig sind eine Hyperplasie und Hypertrophie der Fettzellen, die durch bindegewebige Septen voneinander getrennt sind. Immunhistochemisch werden degenerative neben regenerativen Veränderungen des Lipödemgewebes mit Akkumulation von Markrophagen («kronenartige Strukturen») und FettgewebeStammzellen beschrieben (Suga H et al. 2009). Jede Fettzelle verfügt über eine oder mehrere eigene Blutkapillare, welche bereits beim Gesunden Wasser und Eiweiss gegenüber sehr durchlässig, beim Lipödem darüber hinaus auch abnormal strukturiert und deswegen fragil sind. Die Innervation erfolgt durch autonome und sensorische Nervenfasern. Die initialen Lymphgefässe verlaufen ebenfalls intraseptal und besitzen infolge der Kompression durch die umgebenden Adipozyten lediglich eine sehr begrenzte Sicherheitsventilfunktion. Das Auftreten charakteristischer sackförmiger oder fusiformer Mikroaneurysmen, die mittels der Fluoreszenz-Mikrolymphographie nachgewiesen wurden (Amann-Vesti et al. 2001), könnte durch diesen äusseren Druck erklärt werden. In den Spätphasen nimmt der fibrotische Anteil zu. Ursächlich ist wohl eine unspezifische entzündliche Gewebsreaktion, wie sie auch bei der chronisch venösen Insuffizienz angetroffen wird. Pathophysiologisch steht die ätiologisch weiterhin unklare Vermehrung des subkutanen Fettgewebes im Vordergrund. Einer aktuellen Hypothese (Abb. 2) zufolge führt diese gesteigerte Adipogenese zu einer Hypoxie-induzierten Fettgewebsnekrose mit konsekutiver Inflammation und Aktivierung von Fettgewebsstammzellen. Eine relevante Bedeutung wird den zentralen und peripheren Östrogenwirkungen zugeschrieben. So bewirken die weiblichen Geschlechtshormone eine stärkere Abnahme der Lipolyse im Bereich der Oberschenkel im Vergleich zum abdominellen Fettgewebe, ein Effekt, der durch ein differentes Rezeptorenmuster bedingt sein könnte (Gavin et al. 2013). Zentral spielen Östrogene bei der Kontrolle von Appetit und Gewicht eine Rolle. Rezeptorpathologien könnten somit zahlreiche Phänomene des Lipödems erklären (Herbst 2012). Die erhöhte Permeabilität der Blutkapillaren könnte auf einer gesteigerten Angiogenese pathologischer Gefässe als Folge der Hypoxie beruhen. Dies würde die vermehrte Flüssigkeits- und Eiweissansammlung im Interstitium und die hierdurch bedingten orthostatischen Ödeme erklären. Die verstärkte Kapillarfragilität ist für die oft auffallende Hämatomneigung ursächlich. Die charakteristische Druck- und Berührungsempfindlichkeit könnte auf eine vermehrte Reizung sensorischer Fasern infolge der persistierenden Inflammation, aber auch auf eine vermehrte neuronale Kompression durch die Adipozyten zuLuzerner Arzt 101/2015 51 Abbildung 2: Das Lipödem als inflammatorische Erkrankung aktuelles pathophysiologisches Konzept zur Entstehung des Lipödems. rückgeführt werden. Verschiedene Untersuchungen weisen darüber hinaus auf eine Schädigung des sympathischen Nervensystems auf unterschiedlichen Ebenen hin, so dass eine «Lipödem-Polyneuropathie» diskutiert wird. In vitro Untersuchungen konnten darüber hinaus eine Induktion der Adipogenese in Gegenwart von Lymphflüssigkeit nachweisen (Schneider M et al. 2005), die für den chronisch progredienten Verlauf mitverantwortlich sein könnte. Klinik und Diagnostik Die Diagnose wird klinisch gestellt. Apparative Verfahren sind in der Regel nicht erforderlich bzw. dienen vor allem der Beurteilung von Komorbiditäten (Varikosis, PTS, PAVK). Sonographisch zeigt sich eine homogene Verbreiterung der Subcutis (Subcutisdisproportionalität) mit gleichmässig vermehrter Echogenität («Schneegestöber») und betonter Darstellung echoreicher Septen. Anamnestisch ist zunächst der Krankheitsbeginn (Pubertät, nach einer Schwangerschaft, seltener Menopause) von Wichtigkeit. Die Betroffenen klagen über ein spontan auftretendes Spannungsund Schwellungsgefühl sowie eine auffallende Berührungs- und Druckschmerzhaftigkeit an Ober- und Unterschenkel, wobei die Oberschenkel-Aussenseiten oft besonders stark betroffen sind. Sie sind in den Abendstunden und nicht selten nach sportlicher Betätigung akzentuiert. Bei der Inspektion weisen die meisten Patientinnen eine auffallende Diskrepanz zwischen schlankem Oberkörper und kräftiger unterer Körperhälfte auf. Ge- mäss klinischen Kriterien unterscheiden Schmeller und Meier-Vollrath drei Stadien: im Stadium I findet sich eine gleichmässig kleinknotig verdickte Subcutanschicht, wobei die Hautoberfläche glatt erscheint. Im Stadium II imponiert die Hautoberfläche uneben (Orangenhaut), die Gewebestruktur erscheint grobknotig. Charakteristisch für das Stadium III sind ausgeprägte, lappige, deformierende Fettwülste im Knie- und Oberschenkelbereich. Die Haut kann an umschriebenen Stellen kühl sein (Meier-Vollrath 2004). Beim Lipödem findet man keine Ödeme an Knöcheln, Fussrücken oder Zehen. Pathognomonisch ist das abrupte Ende der Volumenvermehrung oberhalb von Knöchel oder Handgelenk. Abbildung 3 zeigt die unterschiedlichen Ausprägungsgrade. Die Patientinnen leiden massiv unter ihrem äusseren Erscheinungsbild. Sie berichten über eine zunehmende Frustration, nicht zuletzt, da ihre Beschwerden von vielen Ärzten nicht richtig eingeschätzt werden. Das Ergebnis ist häufig eine übermässige Kalorienzufuhr mit konsekutiver Gewichtszunahme, so dass sich bei etwa der Hälfte der Betroffenen zusätzlich eine alimentäre Adipositas entwickelt, die das Krankheitsbild aggraviert (Geer 1974). Weitere mögliche Konsequenzen sind depressive Erkrankungen und Essstörungen bis zur Bulimie. Die Beschwerden nehmen in den meisten Fällen mit steigendem Alter zu. Der Verlauf ist jedoch im Einzelfall nicht vorhersehbar. Viele Patientinnen beschreiben unter konservativer Therapie nach einer initialen Verbesserung eine erneute Schmerzprogredienz. Eine Verschlechterung kann durch Vermehrung des umschriebenen Fettvolumens oder durch eine zunehmende Fibrosierung des Gewebes mit Ausbildung eines Lip-, Lymphödems erfolgen. Ein weiteres Problem im Krankheitsverlauf stellen Gelenkspätkomplikationen dar. Die Fettwülste an der proximalen Oberschenkelinnenseite bedingen eine Abbildung 3: Stadium I, II und III des Lipödem nach Schmeller und Meier-Vollrath (von li. Nach re.). 52 Luzerner Arzt 101/2015 Ausweichbewegung der Beine, die zu einer umgekehrten V-Stellung führt, um das Aufscheuern der Haut zu vermeiden. Es entwickelt sich im weiteren Verlauf eine Valgusdeformität in den Kniegelenken, eine Knickfussstellung im oberen Sprunggelenk und eine scheinbare Varisierung im Hüftgelenk (Stutz 2011). Diese ist verantwortlich für den typischen «Entengang» der Lipödem-Patientinnen. Die arthrotischen Beschwerden verhindern eine ausreichende körperliche Betätigung und fördern die Gewichtszunahme. Endpunkt dieser Entwicklung ist häufig die Notwendigkeit einer Totalendoprothese. Lipödem-Patientinnen sind in besonderem Masse durch ihre Schmerz symptomatik gekennzeichnet. Bei grosser interindividueller Variabilität werden die Beschwerden als drückend, dumpf, schwer, ziehend, quälend, entnervend, heftig, unerträglich, erschöpfend und stechend beschrieben (Schmeller et al. 2008). Der Leidensdruck ist oft erheblich. Bei testpsychologischen Untersuchungen in der eigenen Praxis kamen der Beck-Depressions-Inventar, der Trierer Inventar zum chronischen Stress (TICS), der Beschwerdefragebogen nach Rapprich (Rapprich et al. 2011) sowie der Kieler Schmerzfragebogen zur Anwendung. Übereinstimmend zeigte sich eine durch die Schmerzsymptomatik verursachte chronisch psychische Belastung, auch vor dem Hintergrund, dass eine Heilung mittels konservativer Therapie nicht möglich erscheint. Diese Patientinnen leiden also unter einem chronischen Schmerzsyndrom, auch im Sinne eines biopsychosozialen Krankheitsgeschehens. Differentialdiagnose Die wichtigste Differentialdiagnose ist die sogenannte Lipohypertrophie, besser Subcutisdisproportionalität ohne Schmerzsymptomatik. Während die morphologischen Veränderungen weitgehend gleich sind (Reit(er)hosen), finden sich im Gegensatz zum Lipödem keine Ödeme und damit auch keine Druck- und Spannungsschmerzen. Diskutiert wird allerdings, dass sich im Laufe der Zeit aus einer Lipohypertrophie ein Lipödem entwickeln kann. Alimentäre Adipositas, Lymphödem, Phlebödem, Morbus Dercum und benigne symmetrische Lipomatose Launois-Bensaude (Madelung-Syndrom) sind ebenfalls zu berücksichtigen. In frühen Erkrankungsstadien kann bereits das konsequente Tragen einer Kompressionsbestrumpfung genügen, um der Entstehung eines orthostatischen Ödems entgegen zu wirken. In fortgeschrittenen Stadien kommt die Komplexe Physikalische Entstauungstherapie (KPE) zum Einsatz. Diese beinhaltet die Manuelle Lymphdrainage (MLD), das Anlegen mehrschichtiger lymphologischer Kompressionsverbände bzw. das Tragen der lymphologischen Kompressionsbestrumpfung in flachgestrickter Nahtware, gymnastische Übungen sowie eine sorgfältige Hautpflege. Die MLD bewirkt dabei eine Steigerung des zentripetalwärts transportierten Volumens der Lymphkollektoren. Die anschliessend angelegte Kompressionbandagierung in Kombination mit Gymnastik unterstützt die Ent- und verhindert die Reödematisierung. In der ambulanten oder stationären Entstauungsphase (Phase I der KPE) werden die genannten Massnahmen ein- bis zweimal täglich durchgeführt. In der Erhaltungs- und Optimierungsphase (Phase II der KPE) ist die MLD meist nur noch ein- bis zweimal wöchentlich notwendig. Es werden lymphologische Kompressionsstrümpfe getragen, die sich den Kalibersprüngen der Extremitäten besser anpassen und somit einen gleichmässigeren Druck ausüben. Die KPE bewirkt ein Nachlassen der Spannungs- und Druckschmerzen, gelegentlich auch der Hämatomneigung durch Reduktion der Kapillarfragilität (Szolnoky et al. 2008). Die geschilderten Massnahmen müssen lebenslang ohne Unterbrechung durchgeführt werden, da es sonst sofort zur Nachbildung der Ödeme kommt. Die Zunahme des Unterhautfettgewebes kann nicht verhindert werden und häufig verstärken sich die Beschwerden auch unter konsequenter KPE. Von Wichtigkeit sind daher eine individuelle Schmerzkontrolle, wobei die Aquatherapie zumeist als sehr angenehm und hilf- reich empfunden wird, sowie häufig eine psychologische Betreuung. Die operative Behandlung des Lipödems beinhaltete bis Anfang der 1990erJahre grossflächige Lipektomien oder Absaugungen in Vollnarkose mit dicken und teils scharfen Absaugkanülen ohne vorherige Auffüllung des Subkutangewebes mit Flüssigkeit («dry technique»). Komplikationen waren teils lebensgefährliche Blutungen und ausgeprägte Lymphgefässverletzungen (Hoffmann et al. 2004). Mit Einführung der Tumeszenzlokalanästhesie (TLA) («wet technique»), durch den Einsatz stumpfer Mikrokanülen sowie durch die Etablierung der Vibrations- und aktuell der Laserliposuktion lassen sich bei hinreichender Erfahrung des Operateurs eine ausgeprägte Verringerung der Gewebetraumatisierung erzielen, da nur das locker zwischen dem Bindegewebsgerüst liegende Fett abgesaugt wird und Nerven und Gefässe weitgehend geschont werden (Schmeller et al. 2002). Die Liposuktion in Längsrichtung der Extremitäten schliesst eine Lymphgefässschädigung aus (Schmeller et al. 2006). Pro Eingriff sollten nicht mehr als vier Liter reines Fett entfernt werden. Die Abbildung 4 zeigt beispielhaft einen prä- und postoperativen Befund. Die wenigen Langzeituntersuchungen nach Liposuktion zeigen eine hochsignifikante Verbesserung hinsichtlich der Parameter spontane Schmerzen, Druckschmerzen, Schwellungs- und Blutergussneigung, Bewegungseinschränkung, kosmetische Beeinträchtigung, Beeinträchtigung der Lebensqualität und Gesamtbeeinträchtigung bei über 99% der untersuchten Patientinnen. Vital bedrohliche Komplikationen traten nicht auf, lokale Wundinfektionen und Nachblutungen waren sehr selten. Hinsichtlich des Langzeiterfolges (mittlere Beobachtungszeit 7 Jahre und 8 Monate) konnte festgestellt werden, dass ca. 25 – 30% der Betroffenen postoperativ Behandlungsoptionen Die moderne Therapie des Lipödems beruht auf zwei Säulen. Dabei hat die konservative Behandlung die Ödembeseitigung über eine Verminderung des interstitiellen Flüssigkeitsvolumens, die operative Therapie die Fettreduzierung zum Ziel. Anzustreben ist die Kombination beider Verfahren, um ein optimales Ergebnis zu erzielen (Schmeller et al. 2004). Abbildung 4: Entfernung von 3200 ml Fett an den Waden (Bildmaterial von Prof. W. Schmeller, Hanse-Klinik, Lübeck). Luzerner Arzt 101/2015 53 keine konservative Therapie benötigten, die übrigen 75% konnten die Intensität der KPE deutlich reduzieren. Rezidive wurden nicht beobachtet (Schmeller et al. 2010). Prävention? Eine sinnvolle Primärprävention des Lipödems ist nicht bekannt und in absehbarer Zeit auch nicht zu erwarten. Wichtig sind eine frühzeitige und korrekte Diagnose sowie eine sorgfältige Aufklärung der Patientinnen. Mütter mit einem gesicherten Lipödem sollten mit Beginn der Pubertät auf die Entwicklung der Körperform ihrer Töchter und auf die Manifestation typischer Beschwerden achten. Inwieweit es sinnvoll ist ein pubertierendes Mädchen über das Krankheitsbild in vollem Umfang aufzuklären ist sicher eine Einzelfallentscheidung und sollte in Absprache mit den Eltern durch einen erfahrenen Lymphologen erfolgen. Vermieden werden müssen wirkungslose und vor allem schädliche Therapien, die zumeist aus Unkenntnis des Krankheitsbildes ausgesprochen werden. Da es sich beim Lipödem um ein eiweissreiches Ödem handelt, kommt es z. B. durch die Verordnung von Diuretika lediglich zu einer gesteigerten Eiweisskonzentration, die über den bereits beschriebenen Entzündungsprozess eine beschleunigte Gewebefibrosierung induziert (Földi et al. 2006). Diese fördert die Entwicklung eines Lymphödems und erhöht die Gefahr eines lymhogenen Ulcus cruris. Die Einnahme von Abführmitteln ist ebenso unsinnig wie gefährlich. Empfehlungen zu diätetischen und sportlichen Massnahmen sind differenziert zu sehen, da das Lipödem nicht direkt positiv beeinflusst wird. Allerdings verstärkt das häufig gleichzeitig anzutreffende alimentäre Übergewicht das Lipödemsyndrom und begünstigt das Auftreten eines Lymphödems. Eine Gewichtsnormalisierung dient somit der Verzögerung des Krankheitsverlaufes (Zürcher 1996). Ob ein optimiertes Körpergewicht durch entsprechende Nahrungsumstellung und ggf. -ergänzung (Antioxidantien) das Auftreten verhindern oder hinauszögern kann, ist nicht bekannt und bedarf dringend der systematischen Untersuchung. Ebenfalls nicht gesichert ist eine Schmerzlinderung durch Kohlenhydratreduktion, die durch einen antiinflammatorischen Effekt bedingt sein könnte. Nachdrücklich zu warnen ist aber vor jeder radikalen Ernährungsänderung. Eine ausgewogene Alimentation sowie aerober Ausdauersport (Walken, Aquajogging, Schwimmen) sind allerdings ohne Zweifel sinnvoll. Unter präventionsmedizinischen Gesichtspunkten ist die frühzeitig und fachgerecht durchgeführte Liposuktion die einzige Behandlungsmöglichkeit, die die pathologische Vermehrung des Fettgewebes beseitigen und schwere orthopädische Folgeschäden verhindern kann. Will man der Komplexität dieser Er54 Luzerner Arzt 101/2015 Abbildung 5: Aufbau eines Kompentenzzentrums «Lipödem». krankung umfassend, also auch im Sinne der hier beschriebenen Prävention, gerecht werden, so bedarf es der Etablierung von Kompetenzzentren, deren möglicher Aufbau der Abbildung 5 zu entnehmen ist. Von zentraler Bedeutung ist dabei eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Lymphologen, erfahrenem Operateur, Lymphtherapeuten und lymphologisch versiertem Sanitätshaus. Literatur: Allen E, Hines E. Lipedema of the legs: a syndrome characterized by fat legs and orthostatic edema. Proc Staff Mayo Clin 1940; 15: 184-187. Amann-Vesti BR, Franzek UK, Bollinger A. Microlymphatic aneurysms in patients with lipedema. Lymphology 2001; 34: 170-175. Child A, Gordon K, Sharpe P et al. Lipedema: a inherited condition. Am J Med Genet A 2010; 152A: 970-976. Földi E, Földi M. Lipedema. In: Földi M, Földi E, Kubik S, eds. Földi`s Textbook of Lymphology. 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