Geläute des Monats AUGUST 2015 Die Glocken von St. Josef zu Krefeld Ein Bericht von Sebastian Schritt. Krefeld wuchs dank der Samt- und Seidenindustrie bereits im 18. Jahrhundert stark an. Bis dahin war die Stadt reformiert geprägt, doch immer mehr Katholiken zogen hierher. Deswegen entstanden in der Kernstadt zwischen 1854 bis 1915 insgesamt sechs repräsentative katholische Kirchen, die fast alle auch bedeutende Geläute erhielten. Das bedeutendste Geläut, das von St. Josef, möchte ich Ihnen nun vorstellen. Nach Plänen von Caspar Clemens Pickel aus Düsseldorf entstand in den Jahren 1887 bis 1890 Krefelds vierte große katholische Pfarrkirche. St. Josef ist eine dreischiffige Basilika mit Querhaus, drei Chören, zwei kleineren Ost- sowie zwei stattlichen Westtürmen. Der Bau der Haupttürme mußte aus Kostengründen zunächst zurückgestellt werden. Auf Glocken zu verzichten brauchte die junge Gemeinde dennoch nicht: 1890 goß die Gießerei Petit & Gebr. Edelbrock in Gescher zwei kleine Glocken für den nördlichen der beiden Chortürme, die fortan in der Tonfolge cis2 und e2 erklangen. Erst 1897/98 wurde die westliche Doppelturmfront errichtet, die einzige in der Stadt. Bei der inzwischen renommierten Gießerei von Franz Otto in Hemelingen bei Bremen wurde ein fünfstimmiges Geläute in Auftrag gegeben und 1898 geliefert. Es ist mit über elf Tonnen Gesamtgewicht bis heute das größte der Stadt. Am 21. Juli 1898 wurden die Glocken in Krefeld durch Domkapellmeister Carl Cohen aus Köln, Musikdirektor Müller-Reuter aus Krefeld, Musikdirektor Brünsing, Pielken, sowie die Herren Organisten resp. Chordirigenten der Pfarrkirchen unserer Stadt abgenommen. Die Weihe erfolgte am 24. Juli 1898. Die Glocken läuteten erstmals am Abend des 21. August 1898 zur Eröffnung der 45. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands in Krefeld: Damit Gelegenheit geboten werde, das neue Geläute für sich alleine zu vernehmen, wird man in St. Joseph nicht um 6 Uhr, sondern schon um 5 ¾ Uhr mit dem Festgeläute beginnen. Das Geläut kostete insgesamt 19.117,56 Mark; die Gelder waren durch Spenden einiger weniger Gemeindemitglieder aufgebracht worden. Die Glocken mußten 1942 in der Gruppe B abgeliefert werden, kamen aber 1947 aus Hamburg zurück. Erst Ende 1948 konnten die Glocken wieder läuten, da es mit größten Schwierigkeiten verbunden war, Eisen für die neuen Klöppel zu beschaffen. Pfarrer Litterscheid schrieb 1948 an das Landeswirtschaftsamt: Seit einem halben Jahre sind unsere herrlichen 5 Glocken unversehrt zurückgekehrt. ... Sie bedeuten das einzige Broncegeläute der Stadt Krefeld, das bisher zurückgekehrt ist. Alle Vorbereitungen zur Aufnahme der Glocken in die Glockenstühle sind getroffen, aber es scheitert bisher an dem Bezug der Glockenklöppel. Die Firma Otto ... bedarf dafür eines Eisenscheines über 1500 kg. Wir bitten dringend, der Pfarre und Luftaufnahme um 1940 (Photo: Stadtarchiv Krefeld). Äußeres von Südost (alle Photos: Sebastian Schritt). Chorpolygon mit Fenstern von Wilhelm Buschulte. der ganzen Stadt durch Zuweisung dieses Eisenscheines die Freude an dem herrlichen Geläute zu verschaffen. Eine grundlegende Sanierung der Geläuteanlage erfolgte 1985, eine erneute erscheint vor allem im Hinblick auf richtig dimensionierte neue Klöppel dringend geboten. Die große Glocke wird in Krefeld liebevoll die Dicke Anna genannt - ob dies aus Respekt vor dem benachbarten Decken Pitter im Kölner Dom, der größten freischwingenden Glocke der Welt, oder aus eigenem Selbstbewußtsein geschah, läßt sich nicht sagen. Technische und musikalische Daten des Geläuts Glocke I II III IV V Turm SW-Turm SW-Turm NW-Turm NW-Turm NW-Turm Name Anna Maria Josef Hermann-Josef Johannes Gießer Franz Otto, Hemelingen bei Bremen Gussjahr 1898 Gewicht (ca.) 4.407 kg 2.654 kg 1.888,5 kg 1.334 kg 1.103 kg Durchmesser 1.899 mm 1.596 mm 1.425 mm 1.267 mm 1.194 mm Schlagring 138 (135) mm 117 (112) mm 102 (100) mm 94 (91) mm 86 (84) mm Schlagton a +2 c +4 d +4 e +3 f1 +3 Unterton A +0 c0 +2 d0 +2 e0 +0 f0 +2 Prime a0 +6 c1 +7 d1 +7 e1 +3 f1 +8 Terz c +7 es +8 f +9 g +6 as1 +7 Quinte e1 +10 g1 +11 a1 +11 h1 +8 c2 +11 Oktave a1 +2 c2 +4 d2 +4 e2 +3 f2 +3 Duodezime e -2 g +0 a +1 h -1 c3 -1 Nachhall 104/54/29 64/34/20 51/37/21 57/29/19 65/27/19 0 1 2 1 1 2 1 1 2 1 1 2 Bezugston a1 = 435 Hz. Abweichungen in 16tel Halbton. Klanganalyse: Gerhard Hoffs (Köln), 16.03.1980; technische Daten: Sebastian Schritt (Trier), 17.07.1998. Beschreibung Die Gestaltung ist bei allen Glocken gleich: Sie besitzen radiale, sechshenkelige Kronen, die Henkel von quadratischem Querschnitt mit gefasten Kanten und kleinen Postamenten (fortan: Standardkrone der Gießerei Otto). Die Kronen sitzen auf flachen Kronenplatten, die mit zwei Absätzen in die Hauben übergehen. Die schräg verlaufenden Hauben leiten mit scharfer Kante zur Schulter über. An der Schulter befindet sich zunächst ein stehender Palmettenfries, nach einem einzelnen Steg folgen die einoder zweizeiligen Inschriften, die oben und unten von einem Steg gerahmt werden. Am Wolm werden alle Glocken durch fünf Stege geziert. Die Glocken besitzen folgende Schulterinschriften in gotisierenden Majuskeln des 14. Jahrhunderts: Glocke I: + MOLE ME MAIOREM DONATRIX ANNAM VOCAVIT. FILIAM ANNAE LAVDO, DEVM ADORO NEPOTEM. + / + FRATRES FIDE VNITOS VNDIQVE ACCELERANTES SANCTA VT DELIBERANT ET IVSTA RITE DECERNANT Glocke 1, genannt „Dicke Anna“. VOX SALUTAVIT. PRIMA IN OMNIBVS IMPERET CHRISTVS ! 1898 [.] (Ich hier, die größt’, nach der Stifterin Anna geheißen, Lobe der Anna Tochter, bet’ an den göttlichen Enkel. Grüße entbot mein Geläute treuen Brüdern, Die von nah und fern gekommen, zu ernster Beratung hier in die Stadt. Zuerst herrsche in allen Christus als König !) Unterhalb des Kreuzes der zweiten Zeile ist die Gießerplakette angebracht. Glocke II: + VOCOR MYSTICA ROSA MARIA. CORONAS ROSARVM NECTITE ROSARII CLEMENTI ET DVLCI REGINAE ! + 1898 [.] (Mystische Rose Maria mein Name. Kommt, wir bringen Rosen, Rosenkranzkönigin dir, du Herrscherin lieblich und milde !) Unterhalb der Jahreszahl Gießerplakette. Glocke III: + IOSEPH NVTRITIVM VNIGENITI QVI TE REDEMIT SPONSUM VIRGINI PVRAE CASTO FOEDERE IVNCTVM / + IOSEPH PATRONVM QVO PLEBS DICATA EXVLTAS COLE DEVOTE ! ROGO ET SONO QVI NOMINOR JOSEPH. Glockenstube im Südwest-Turm. (Joseph, den Nährvater Jesu des Heilandes, der dich erlöste, Keuschen Gemahl der reinsten und heiligsten Jungfrau, Joseph verehre recht fromm, Gemeinde, die du geweiht bist Ihm als Patron! Das bitte und rufe ich, Joseph benannt.) Unterhalb des Wortes „dicata“ Jahreszahl 1898, gegenüber Gießerplakette. Glocke IV: + NOMINE QVOD GESSIT INNOCVVS CVLTOR MARIAE CLARVS EPISCOPVS HABET TEMPLI BENEFICVS AVCTOR / + DICOR HERMANNVS IOSEPH. SEQVIMINI HVIVS EXEMPLVM VIRGINES ET IVVENES PURITATE AMORE MARIAE ! (Hermann Joseph, so hieß einst ein reiner Verehrer Marias, Jenen Namen trägt jetzt ein Bischof, Erbauer der Kirche, Diesem zu Ehren nennt man auch mich so. Des Seligen Beispiel Folge stets, christliche Jugend, bleib rein und liebe Maria !) Unter den Kreuzen Jahreszahl 1898, gegenüber Gießerplakette. Glocke V: + TEMPORE QVO PRIMVS PAROCHIAM PASTOR REGEBAT FVSVS ATQVE VOCATVS EX NOMINE EIVS IOANNES, / + MONEO VT PRAECVRSOR CLAMANS VOCE IPSIVS VIAS DEO PARATE FIDELIS SANCTA VISURI ! (Ich ward als Glocke gegossen zur Zeit, da der erste Pfarrer Namens Johannes hier diese Gemeinde St. Joseph verwaltet. Drum wurde auch ich Johannes genannt. Mit des Vorläufers Worten Ruf ich: Bereitet die Wege des Herrn, ihr Tempelbesucher !) Unterhalb des Wortes „Ipsius“ Jahrszahl 1898, gegenüber Gießerplakette. Glockenstuben Die Glocken hängen in beiden Türmen in geräumigen Glockenstuben. Auf jeder Seite der quadratischen Räume dienen jeweils zwei neuromanische Drillingsarkaden der Schallabstrahlung. Die Glockenstuhl im Nordwest-Turm. originalen genieteten Stahlstühle sind eingeschossig, alle Glocken läuten an geraden Stahljochen. Nach unten und oben sind die Glockenstuben mit einer Holzdecke abgeschlossen, die Wände bestehen aus Backstein. Die beiden großen Glocken hängen im Südturm, die drei kleineren im Nordturm. Läuterichtung ist OstWest. Bedeutung Das Geläute der Josefskirche gehört zu den Glanzleistungen der Bremer Glockengießerei Otto. Es dürfte sich - nach übereinstimmender Meinung verschiedenster Campanlogen und Glockensachverständiger - um eines der besten Geläute der Gießerei vor 1945 handeln. Ob es als Renommiergeläute der Gießerei zum damaligen Krefelder Katholikentag gedacht war, kann nicht belegt, darf aber vermutet werden. Gleichzeitig gehört es zu den bedeutendsten, aber weniger bekannten Großgeläuten des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Die äußere Gestaltung präsentiert sich in der für Otto typischen Strenge, die den Glocken ein edles Aussehen verleiht. Klanglich fällt das Geläute vor allem durch seine Gravität und die für die damalige Zeit erstaunlich exakte Innenharmonie auf. Im Abnahmebericht von 1898 heißt es u. a.: Die den Moll-Dreiklang bildenden Töne liefern einen Gesammtton von weichem, angenehmem Wohlklang und von großer majestätischer Fülle. Bei den verschiedenen Kombinationen von zwei, drei und vier Glocken tritt eine reiche Mannigfaltigkeit charakteristischer Geläute zu Tage, und beim Zusammenklingen aller fünf Glocken gewinnt man den Eindruck der Großartigkeit und empfindet die hochfestliche Schönheit des Geläutes. ... Das Gesamtergebnis lautet dahin, daß das ganze Geläute als ein ganz vollkommenes Erzeugnis der Glockengießerkunst bezeichnet werden darf. Deswegen empfehlen wir dem Kirchenvorstande die unbedingte Annahme derselben [sic!]. Auch wir sprechen der Josephspfarre zu dem neuen Geläute welches wohl zu den schönsten am Niederrhein zählen wird, unsere besten Glückwünsche aus. Und Gerhard Hoffs schrieb 1980: In der Anordnung der Schlagtonstimmungslinie ... ist das Geläute für die damalige Zeit (1898) selten gut geraten. Und sieben Jahre später, 1987: Trotzdem muß man feststellen, ... daß es unbedingt zu den besten erhaltenen Geläuten seiner Entstehungszeit gehört. ... Dazu kommt noch, daß die Ausgeglichenheit des Geläutes imponierend ist, auch fällt der Vergleich mit einem ähnlichen Geläute schwer. ... Am Niederrhein nimmt dieses Geläute durchaus eine Spitzenstellung und Ausnahmestellung ein. Die Kirchengemeinde sollte dankbar sein, es zu besitzen und als Kleinod zu behandeln. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen! Quelle: Sebastian Schritt: „Glücklicherweise gibt es noch bei uns Meister, welche echte Kunstwerke zu liefern im Stande sind ...“ Geläute des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts in Krefeld. In: Jahrbuch für Glockenkunde (JbGk), Bd. 11/12 (1999/2000), S. 289312. Dort auch alle Quellenangaben.
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