Stellungnahme von Fachanwalt Hans Karpenstein

KLN
Karpenstein • Longo • Nübel
VERWALTUNGSRECHT KOMMUNALRECHT ENERGIERECHT
Rechtsanwälte in Bürogemeinschaft
STELLUNGNAHME
Energiewende und TRPM (Stand: Juni 2015) zur Windkraft
von Hans Karpenstein, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht
(Persönliche Stellungnahme ohne Auftrag durch einen Mandanten)
Wettenberg, 05.06.2015
1. TRPM achtet nicht auf das wirtschaftliche Umfeld nach neuem EEG
Die Energiewende in Hessen kann ohne hinreichende Nutzung von Starkwindstandorten nicht gelingen. Der Vogelsberg ist die stärkste zugängliche Windregion in ganz
Hessen. Wenn im windstärksten Bereich des VSG Vogelsberg nur 0,7 % der Fläche als
Vorranggebiete ausgewiesen wird, wird die Energiewende in Hessen scheitern.
Die derzeitige Planung weist zu 80 % Vorranggebiete für Windkraft (VRG) an Standorten aus,
die in 140 m Höhe eine durchschnittliche Windgeschwindigkeit von weniger als 6,25 m/s
aufweisen. Erst ab 6,5 m/s und mehr spricht man von Starkwindstandorten. Eine auf einem
Standort mit 7,25 m/s errichtete WEA erzeugt das Doppelte an Energie wie eine WEA, die
bei 5,75 m/s gebaut wird. Pauschal gesagt: der TRPM-Entwurf konzentriert Windkraft auf
Standorten, wo zwei WEA errichtet werden müssen, um die Produktion einer WEA in guten
Lagen zu erreichen. Eine WEA kostet mehr als 4 Mio. €.
Schwachwindstandorte mit WEA zu bebauen ist schon heute, aber vor allem in etwa zwei
Jahren ein wirtschaftlich hochriskantes Wagnis. Das neue EEG senkt die Einspeisevergütung
kontinuierlich ab, ab 2016 sogar in großen Vierteljahresschritten. Das verteuert die Finanzierung, insbesondere für wirtschaftlich fragile Schwachwindstandorte. Bei den geringsten Erhöhungen der Projektkosten drohen die Projekte in rote Zahlen zu geraten. Das heißt, 80 %
der im TRPM ausgewiesenen Flächen haben keine genügende Realisierungssicherheit. Viele
werden nicht bebaut werden, weil der Plan nicht auf Energieeffizienz und die Bedingungen
des neuen EEG abstellt. Deshalb ist der Entwurf des TPRM auch bei Einhaltung des 2 %Zieles nicht geeignet, die dahinter stehende notwendige Energieausbeute abzusichern. Der
bebaute Anteil auf Starkwindstandorten wird sehr gering sein. So können die 28 Terrawattstunden Strom aus Windkraft in Hessen nicht erzeugt werden. Die energetischen Ziele des
Energiegipfels und des LEP 2013 werden verfehlt.
2. Windhöffige Flächen in Mittelhessen
Es gibt durchaus windhöffige Flächen in Mittelhessen mit mehr als 6,5 m/s. Die besten bebauten Standorte — z.B. Ulrichsteiner Kreuz - liefern im Praxistest 7,72 m/s. Gute Standorte
liegen sämtlich in den Höhenlagen der Mittelgebirge in Höhen oberhalb etwa 500 m über
NN, je höher, desto besser.
Karpenstein • Longo • Nübel
Hauptstraße 27a • 35435 Wettenberg
Telefon +49 641 98 45 71 86
Telefax +49 641 98 45 71 82
[email protected]
www.kln-anwaelte.de
1 von 4
Solche wirtschaftlich und energetisch idealen Starkwindstandorte finden sich in Mittelhessen
aber vorwiegend in Gebieten, die Anfang dieses Jahrtausends im Vogelsberg und Westerwald großräumig als Natura 2000-Gebiete (VSG) ausgewiesen wurden. Damals sagte man
der Kommunalpolitik und der Bevölkerung, das sei nicht mit ökonomischen Hemmnissen
verbunden. Für viele Gemeinden im Vogelsberg und Westerwald ist inzwischen die Windkraftnutzung zum wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden. Nun findet im aktuellen Planungsprozess zum TRPM das genaue Gegenteil statt: Die besten Windstandorte, die allermeisten
davon seit Jahren oder erst kürzlich bebaut oder repowert, sollen Ausschlussfläche werden.
Dort, wo vielfach WEA stehen, soll ein Bauverbot für die Windkraftnutzung etabliert werden.
Wohlgemerkt: Das Bauverbot betrifft die stehenden WEA nicht, die dürfen legal mit hohen
Gewinnen (Finanzierungskosten und Abschreibung mindern den Erfolg nicht mehr) betrieben werden, bis sie technisch völlig verbraucht sind. Das Bauverbot gilt nur, wenn man den
Standort aus Gründen der besseren Energieausbeute oder neuesten naturschutzfachlichen
Erkenntnissen folgend umbauen und verändern will.
3. Artenschutz und die erhebliche Beeinträchtigung von Vögeln und Fledermäusen
Im Verlauf des Planungsprozesses wurde im Auftrag des RP Gießen ein FFH-VU-Gutachten
und für dieses im Auftrag des Wirtschaftsministeriums ein Qualitätssicherungsgutachten erhoben. Ersteres geht mit sehr konservativen Ansätzen also unter Annahme strengster Vorsorge beim Artenschutz im Ergebnis schnell von erheblichen Beeinträchtigungen aus. Das
zweite Gutachten sagt hingegen auf S. 14:
„Von dem FFH-VU-Gutachten wird nicht „der Frage nachgegangen, wie sich die bereits bestehenden
Windenergieanlagen auf den dauerhaft günstigen Erhaltungszustand der Arten auswirken/ausgewirkt haben"
Das heißt aber doch, dass das erste Gutachten, das nun die Planungsansätze der Oberen
Planungsbehörde bestimmt, die Frage der Beeinträchtigung der Arten durch WEA nicht un
tersucht, sondern einfach unterstellt hat. Weiter heißt es in dem Qualitätssicherungsgutach
ten aaO:
„Beispielsweise lassen die Entwicklung der Populationszahlen und die sukzessive Errichtung der Windenergieanlagen für die Vogelarten Rot- und Schwarzmilan keinen negativen Einfluss erkennen."
Sowie S. 41/42:
„Selbst wenn aktuell Bestandsrückgänge einzelner Arten zu verzeichnen sein sollten, bleibt ungeklärt, ob
hierfür ein kausaler Zusammenhang mit dem Ausbau der Windenergienutzung belegbar oder zumindest
fachlich naheliegend und daher eine dauerhafte Veränderung der Bestandssituation (Destabilisierung der
Population) zu prognostizieren ist, oder ob es sich eine in der Natur und insbesondere im vorliegenden
bewirtschafteten Natura 2000-Gebiet übliche und zu erwartende Schwankung handelt."
Im Klartext: Ein negativer Zusammenhang im Sinne einer erheblichen Beeinträchtigung zwischen der Entwicklung der als besonders windkraftempfindlich geltenden Milane und der
stetig zunehmenden Zahl von WEA im Vogelsberg ist nicht erkennbar. Von einer erheblichen
Beeinträchtigung auszugehen, ist eine nicht belegbare Unterstellung für die Art in gutem
Erhaltungszustand. Das heißt, das Erstgutachten geht von nicht belegbaren Annahmen aus
und legt diese seinen Gutachtenergebnissen zugrunde. Auf derart gewonnene Ergebnisse
kann eine Regionalplanung nicht gestützt werden, sie darf nur fachlich Belegtes verwenden.
Das Gleiche gilt, soweit die FFH-VU gegen jede statistische Erkenntnis ( 1 Schlagopfer in
Deutschland 1998) eine Schlaggefahr für den Schwarzstorch annimmt. In dem ebenfalls zeit-
Karpenstein • Longo • Nübel
Hauptstraße 27a • 35435 Wettenberg
Telefon +49 641 98 45 71 86
Telefax +49 641 98 45 71 82
[email protected]
www.kln-anwaelte.de
2 von 4
lich nach der FFH-VU vom Wirtschaftsministerium beauftragten KIFL-Gutachten heißt es zur
Koll sionsgefahr beim Schwarzstorch (S.19):
„Während die Störanfälligkeit gegen Menschen insbesondere am Brutplatz belegt ist und Hinweise auf ein
Meideverhalten zu WEA vorliegen, fehlen bislang Hinweise auf eine besondere Kollisionsgefährdung des
Schwarzstorchs"
Das wird näher begründet und dann heißt es auf S. 20/21:
„Das voraussichtlich vernachlässigbare Restrisiko durch Kollisionen an WEA lässt sich durch ergänzende
Maßnahmen zur Mortalitätssenkung im Vogelschutzgebiet auffangen"
Die damit angesprochenen Schutz- und Vermeidungsmaßnahmen, die unbestritten die Erheblichkeit einer Beeinträchtigung im VSG vollständig beseitigen können, hatte die FFH-VU
gar nicht in den Blick genommen.
4. Integratives Gesamtkonzept
Das Qualitätssicherungsgutachten hat (S. 15/16) Vorschläge unterbreitet, wie durch ein „integriertes Gebietsmanagement" die Möglichkeit geschaffen werden könnte, vermehrt WEAVRG-Planungen im VSG vorzunehmen und sagt:
„Auch auf der Grundlage der in der FFH-VU gewählten pauschalen Schwellenwertbetrachtung könnten in
einem größeren Umfang WEA-Vorranggebiete als FFH-verträglich einzustufen sein, wenn in dem sehr
großflächigen Vogelschutzgebiet parallel ein den Anforderungen der Rechtsprechung entsprechendes
Schutzkonzept mit Vermeidungsmaßnahmen, ggf. flankiert mit populationsstützenden Maßnahmen, erstellt
werden würde (integriertes Gebietsmanagement)".
Vorgeschlagen werden (S. 16):
1. Bündelung von zusätzlichen WEA mit vorhandener Windenergienutzung durch
u.a. Repowering , Flächenarrondierung.
2. „Nutzung von Räumen, wo keine Bruthabitate windkraftsensibler Arten, sondern nicht essentielle —Nahrungshabitate betroffen sind, welche an geeigneter anderer
Stelle wiederentwickelt werden können."
3. Berücksichtigung von wirksamen Maßnahmen zur Vermeidung und Schadensbegrenzung (Unterpflanzung der Mastfüße, Attraktivierung von Grünland an entfernter Stelle)
Damit waren die Schutz- 'und Vermeidungsmaßnahmen erstmals in der naturschutzfachlich
und rechtlich gebotenen Weise in die Betrachtung gerückt. Die Oberste Planungsbehörde
erbat unter sehr engen Fristen von den im VSG aktiven Projektierern entsprechende Planungen, was eigentlich eine Aufgabe der Planungsbehörden gewesen wäre. Abgeliefert wurde
von 4 beteiligten Projektträgern im engen Austausch mit der Oberen und der Obersten Planungsbehörde 1000 Seiten mit Kartenwerken und Untersuchungen und Begutachtungen
aufgrund aktueller Kartierungen aus Genehmigungsverfahren und den Altkartierungen der
Behörde. Vor allem die Schutz- und Vermeidungsmaßnahmen waren großräumig und konkret sowie unter Berücksichtigung der Planungen des Nachbarparks dargestellt. Die Projektierer leisteten eine enorme Arbeit, deren Qualität von der Obersten und der Oberen Planungsbehörde wiederholt gelobt wurde (und die Projektträger viel Geld gekostet hat).
4. Der Wert guter Arbeit
Eingebracht wurden so 11 WEA-Standorte innerhalb des VSG Vogelsberg. Alle weisen
Windgeschwindigkeiten von wenigstens 6,5 m/s auf, die meisten deutlich mehr als 7 m/s, in
Karpenstein • Longo • Nübel
Hauptstraße 27a • 35435 Wettenberg
Telefon +49 641 98 45 71 86
Telefax +49 641 98 45 71 82
[email protected]
www.kln-anwaelte.de
3 von 4
einem Fall sogar mehr als 8 m/s. Es handelt sich also um die besten Produktionsflächen für
Windstrom im gesamten Regionsgebiet. Solche Standorte, die sicher bebaut werden, fehlten
bisher in der Planung so weitgehend, dass die Regionalversammlung den Zusatzbeschluss
fasste.
Alle Projekte wurden mit umfangreichen naturschutzfachlichen Untersuchungen und Gutachten hinterlegt. Das gilt insbesondere für die Darstellung der Schutz- und Vermeidungsmaßnahmen, die wesentliche Gefährdungen reduzieren und die deutliche Aufwertung und Neuerrichtung von Nahrungshabitaten insbesondere für Schwarzstorch und Rotmilan umfassten.
Entscheidender Wert wurde zudem auf die Erkenntnis gelegt, dass die vor 15 Jahren und
mehr zugelassenen kleinen WEA im Offenland aufgrund des Jagdverhaltens von Raubvögeln
aber auch Fledermäusen eine größere Gefahr für geschützte Arten darstellen als hohe moderne WEA im Wald oder mit Unterpflanzungen, soweit sie auf Offenlandstandorten stehen.
Am Ende umfasste diese Planung aller Projektierer den vorzeitigen (teuren) Abbau von 36
WEA im Offenland, die naturschutzfachlich heute als unerwünscht betrachtet werden und die
Neuerrichtung von 35 modernen WEA mit Nabenhöhen von 140 oder 150 m. Diese auf Verlangen der Planungsbehörden erstellte Planung hätte einerseits Gefährdungsbeseitigung im
großen Stil und andererseits Produktionssteigerung in erheblichem Umfang bewirkt.
Nach den am 27.5.15 und 2.6.15 präsentierten Ergebnissen der Planungsbehörden
bleiben von dieser Planung enttäuschende etwa 11 bis max. 12 neue WEA als möglich
übrig, was nur 0,7 % der windhöffigen VSG-Fläche bedeutet. Das beste Windfeld Hessens am Ulrichsteiner Kreuz wird z.B. auf 0 gestellt. Die geringe Zahl der zugelassenen
Neubauten kann wirtschaftlich den Rückbau der 36 Altanlagen nicht tragen.
Von den oben aufgezählten 3 Vorschlägen des Qualitätssicherungsgutachtens soll nur Vorschlag 1 wirksam werden. Planungen, die naturschutzfachlich hochbedeutsamen Vorschläge
2 und 3 aufnahmen, bleiben unberücksichtigt. Vorhandene Spielräume nutzen die Planungsbehörden also nicht aus.
Was passiert? Der Neubau von 11 oder 12 WEA wird versucht werden. Selbst wenn alle neuen WEA errichtet werden können, bleibt der Zuwachs weit hinter den Möglichkeiten des integrativen Gebietsmanagements zurück. Die Altanlagen aber werden weiterbetrieben werden, bis ihre technische Verfügbarkeit endgültig nicht mehr besteht. Den TRPM 2016 werden
sie vielfach überdauern.
Dem Artenschutz wird ein Bärendienst erwiesen.
Gleichzeitig wird die Energiewende ausgebremst.
Hans Karpenstein
Rechtsanwalt • Notar a.D.
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Karpenstein • Longo • Nübel
Hauptstraße 27a • 35435 Wettenberg
Telefon +49 641 98 45 71 86
Telefax +49 641 98 45 71 82
[email protected]
www.kln-anwaelte.de
4 von 4