Museum Villa Rot: Fleischeslust 18.10. 2015 – 21.02.2016 Fleisch ist ein ganz besonderer Stoff. Ob in der Kunst, im Film, den Massenmedien oder im Lebensmittelangebot der Supermärkte: Überall treffen wir heute auf dieses organische Material aus Muskel-, Fett- und Bindegewebe, auf seine veredelten Formen und kulturellen Inszenierungen, seine Misshandlungen und Überformungen. In einem Spannungsfeld zwischen Stillleben-Tradition und Memento Mori, Kadaver und lebendigem Leib, ästhetisch inszenierter Moral und gewaltsamer Manie, dunkler Phantasmagorie und grellem Faszinosum ist das Fleisch zu einer zentralen Ikone der Moderne geworden. Trotz aller Überpräsenz und –repräsentanz bleibt die Auseinandersetzung mit dem Thema Fleisch einem gesellschaftlichen Tabu unterworfen. Es ist Zeit, sich diesem Tabu zu stellen. Im Neuen Testament steht das Fleisch am Beginn des christlichen Schöpfungsmythos. Kein Mensch, kein Gott, kein Überleben und auch keine Kunst ohne Fleisch. Schon die ersten Kunstwerke der Menschheit, die Jagdszenen der Höhlenmalereien, handeln vom Fleisch. Als Symbol für Leben und Tod, Verfall und Mystik zieht es eine blutige Spur durch die Kunstgeschichte seit den Markt- und Küchenstücken der Renaissance. Von Pieter Aertsen (1508-1575), Joachim Beuckelaer (15301573/74), Maerten van Cleve (1527-1581) oder Rembrandt (1606-1669) über Francisco de Goya (1746-1828) bis hin zu Claude Monet (1840-1926), Max Liebermann (1847-1935), Georges Grosz (1893-1959), Chaim Soutine (1893-1943) oder Francis Bacon (1909-1992) – Künstler liebten und lieben die existentielle Sinnlichkeit des kostbaren Baustoffes, aus dem das Leben besteht. Zeitgenössische Kunst bildet Wirklichkeit ab. Sie dient der Auseinandersetzung mit dem Hier und Jetzt, mit Vergangenheit und Zukunft, Sein und Schein. Eine schier unerschöpfliche Zahl nationaler und internationaler Kunstschaffender befasst sich mit ästhetischen, gesellschaftlichen und ethischen Fragen des Leibes und seiner vergänglichen Materialität. In einem ambivalenten Spannungsfeld zwischen Faszination und Provokation thematisieren jene Positionen der Bildhauerei, Malerei, Zeichnung, Fotografie, Performance- und Video-Kunst, die wir für dieses Ausstellungs- und Buchprojekt ausgewählt haben, den organischen Werkstoff Fleisch als lebendiges plastisches Material, als formal-ästhetisches Motiv und Ausdrucksmittel existentieller Befindlichkeiten, als Symbol der Katharsis und Topos für Aggression, Vitalität, Tod und Konservierung, als Sinnbild für Triebhaftigkeit, Genuss und körperlichen Gestaltungswillen sowie als Metapher der Vergänglichkeit und Metamorphose. Fleisch, das zentrale künstlerische Vanitas-Motiv, ist in der westlichen Konsumwelt nicht nur zu einem erstrangigen Nahrungsmittel, sondern auch zur gentechnischen Ressource und zum Rohstoff von Body-Design geworden. Doch auf uns als Betrachter übt sein Anblick noch immer eine eigenartige Mischung aus Ekel und Faszination aus. Fleisch ist das Obskure des Körpers. Während wir es täglich konsumieren, tarnt es sich gerne in Maultaschenfüllungen oder Chicken Nuggets. In der Folge offenbart sich heute eine unnatürliche Entfremdung des Konsumenten von Geheimnis und Ursprung des Fleisches. Gerade deshalb provoziert und erstaunt sein Anblick noch immer. Dr. Stefanie Dathe ………………………………………………………………………………………………………………………. Umsetzung des Themas mit Schülerinnen und Schülern Einstieg durch Brainstorming über das Thema der Ausstellung: LUST und FLEISCH. • Was verbinden wir mit beiden Begriffen, unabhängig voneinander und in der Kombination „Fleischeslust“? • Was erwarten wir von dieser Ausstellung? 1 • Wer isst gerne Fleisch oder Wurst, wenn ja, welches? Wer ist Vegetarier oder Veganer? Ziele der Ausstellung: • Sensibilisierung für die stofflichen Aspekte eines Nahrungsmittels und des Stoffes, aus dem wir selbst bestehen • Diskussion über die Provokation durch Kunst: warum? • Ästhetik des Alltags schulen • Thema Stillleben in der Kunst – memento mori, vanitas ………………………………………………………………………………………………………………………. Praxisbeispiele für die Umsetzung im Unterricht • Die Wurstscheibe - Klassische Zeichenstudien | Buntstift In Anlehnung an die Zeichnungen von Santiago Sierra Die Schülerinnen und Schüler legen jeweils eine Scheibe Wurst vor sich auf den Tisch und zeichnen diese Wurstscheibe mit Holzstiften ab. Am Ende der Zeichenstudie wird die Wurstscheibe gegessen. (Vegetarische Wurst als Alternative für Veggis oder Veganer) (vereinfachte Version für Grundschüler: helle schwarz-weiß-Kopien von Fleisch- oder Wurstwerbung erstellen, evtl. das Einzelmotiv vergrößern und den Kindern als Zeichenvorlage zur Verfügung stellen) • Alternative zum Zeichnen: Die Wurstscheibe als Moosgummi-Collage • Fantastisches Wurst-Fleisch-Objekt | Pappmaschée In Anlehnung an Iris Schieferstein Die Schülerinnen und Schüler bilden Zweier-Teams. Ein Partner formt aus Draht einen fiktiven Pappmascheé-Tierkopf, der zweite Partner formt einen fiktiven Tierkörper. Beide Teile werden mit Abbildungen von Wurst- und Fleischwerbung beklebt und zu „einer gemeinsamen Tierskulptur“ zusammen gefügt. • Mein kunstvolles Vesperbrot | Handyfilm-Projekt In Anlehnung an Fischli-Weiss und Nina Rike Springer Die Schülerinnen und Schüler treffen sich in der Schulküche und jede-r formt und baut sich sein eigenes „Pausenbrot“ zusammen. In Zweier-Teams filmen die Schülerinnen und Schüler gegenseitig die jeweilige Entstehung des Pausenbrotes. Zum Abschluss werden alle Brote verzehrt. • Fleischkleid – Fleisch-Sessel | Interview In Anlehnung an Jana Sterbak, Lady Gaga, Zhang Huan, Robert Gligorov 2 Die Schülerinnen und Schüler entwerfen in Teams Fragen zum Thema Fleisch und Fleischkonsum und suchen sich verschiedene Interview-Partner: Schlachthof, Metzgerei, Mc Donalds, Döner Kebap-Produzent, Steakhouse, Biobauer, Reformhaus (vegetarischer Fleischersatz), Imbisskunden, Passanten, Mitschüler … Im Rahmen der Gespräche zeigen sie Kopien vom Fleisch-Sessel, Fleisch-Kleid usw. und holen Meinungen darüber ein. • Selbstporträt - Ich bin aus Fleisch und Blut | Fotografie In Anlehnung an Rico und Michael, Ivonne Thein Die Schülerinnen und Schüler bilden Zweier-Teams. Jeder Team-Partner „inszeniert“ ein Stück seines eigenen Körpers vor der Kamera. Dabei sind Verzerrungen oder Detailaufnahmen möglich. Auch für die Hintergrund-Kulisse müssen die Schüler selbst sorgen, um eine möglichst perfekte Inszenierung zu erzielen. Die Partner fotografieren sich gegenseitig. • Mein Lieblingsgericht | Plastisches Arbeiten mit Playmais In Anlehnung an die gesamte Ausstellung, ideal für Kleinere Die Schülerinnen und Schüler formen sich aus Playmais ein Tellergericht auf einem Pappteller, mit oder ohne Fleisch, siehe Bildbeispiel. ………………………………………………………………………………………………………………………. Wir freuen uns immer über Fragen, Fotos von eigenen Aktionen und / oder Rückmeldungen an: [email protected] oder [email protected] 3
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