Projektskizze: Macht – Flucht – Angst ? Investigatives Theater

Projektskizze: Macht – Flucht – Angst ? Investigatives Theater
Ausgangslage:
Deutschland ist gegenwärtig das Ziel vieler Flüchtlinge und Migranten. Diese erfolgreich in unsere
Gesellschaft zu integrieren wird in der öffentlichen Debatte als eine der großen Herausforderungen
des noch jungen 21.Jahrhunderts diskutiert. Die Komplexität der Fluchtursachen und deren
Hintergründe werden in den Medien, wenn überhaupt, nur verkürzt dargestellt. Auch die
argumentative Auseinandersetzung mit den sog. „besorgten Bürger“ findet selten sachlich statt.
Wenn wir als Gemeinschaft der Menschen gut miteinander umgehen wollen, müssen wir uns
miteinander unterhalten, Vorurteile abbauen, für unterschiedliche, legitime Sichtweisen
sensibilisieren, tolerant und solidarisch auch denen eine Stimme geben, die in unserer Gesellschaft
nicht gehört werden. Das Theater bietet eine ideale Plattform für das „in Szene setzen“ von
unsichtbaren Barrieren und lädt zur Reflexion über ungeahnte Zusammenhänge ein. Es ist gleichsam
geschützter Ort der Welterfahrung und Übungsplatz der Weltgestaltung. Mit Theater können wir
Unterdrückung sichtbar machen und anprangern. Das ist wichtig, denn:
„Um Bürger einer Gesellschaft zu sein, genügt es nicht in dieser zu leben, man muss sie verändern“
– Augusto Boal (Begründer des Theater der Unterdrückten)
Maßnahme: Investigatives Theater
Durch theaterpädagogische Methoden, Dialoge mit Betroffenen/Experten und Diskussionen über die
Wirkungsketten aus der Sicht verschiedener Akteure sollen Jugendlichen im Alter von 15-19 Jahren
die Themenbereiche „Flucht & Migration“ sowie „Fremdenfeindlichkeit & Gewalt“ aktiv und
spielerisch aus einem anderen Blickwinkel kennen und ihren Möglichkeiten entsprechend gestalten
lernen. Beispielhafte Beschreibung (s.u.).
Die hierfür entwickelte, innovative theaterpädagogische Methode „Investigatives Theater“, soll
evaluiert und im Rahmen einer Broschüre der breiten (Fach)Öffentlichkeit zugänglich gemacht
werden.
Für die Durchführung der Methode sollte man idealerweise 3-5 Doppelstunden (à 90 Minuten)
einplanen. Je nachdem wie intensiv welche Themen behandelt werden sollen, kann die Dauer auch
verkürzt oder verlängert werden. Die Methode ist in besonderem Maße für P- und W-Seminare
geeignet, kann aber auch an Projekttagen/-wochen ab der 9.Klasse (schulartübergreifend) eingesetzt
werden.
Projektziele:
 Sensibilisierung von Jugendlichen für die eigene Rolle als Betrachter*innen und
mitverantwortliche Gestalter*innen sozialer Prozesse
 Abbau von Vorurteilen und Stärkung der Empathie durch aktiven Perspektivwechsel
 Besseres Verständnis der Zusammenhänge im Themenkomplex (Flucht – Migration –
Fremdenfeindlichkeit), zur Ermöglichung der Teilnahme an der öffentlichen Diskussion und
des Engagements für die Rechte der Benachteiligten
 Schulung kritischen Denkens und des Begreifens von Situationen als „Gewordene“ und
„Gestaltbare“
Projektträger:
Verwaltungs- und Projektträger ist das evangelische Bildungswerk Bamberg in Kooperation mit
CHANGE e.V.. Die Konzeption und Durchführung der Maßnahme erfolgt durch ein zu diesem Zweck
angestelltes Team aus theaterpädagogisch geschulten Pädagogen und Psychologen.
Kontakt:
Projektverantwortlicher Riccardo Schreck
[email protected]
Gerne stellen wir weitere Informationen bereit und freuen uns über Rückmeldung!
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Zur Durchführung des „Investigativen Theaters“ – ein Beispiel zur Veranschaulichung
Die Durchführung des „Investigativen Theaters“ besteht aus vier Phasen:
Phase I – Szene der Unterdrückung aus der Lebenswelt/dem Alltag der Zuschauer
(Forum-Theater nach Augusto Boal)
Die Theaterpädagogen stellen eine Situation dar – bspw. Diskriminierung von/ Gewalt gegenüber
Flüchtlingen – die von Unterdrückung zeugt und im Alltag der Jugendlichen passieren könnte. Nach
dem ersten Durchlauf werden die Jugendlichen gebeten die Situation zu analysieren und alternative
Verhaltensweisen der Charaktere zu entwickeln. Die Szene wird erneut gespielt und die Jugendlichen
haben nun die Möglichkeit durch „Einwechseln“ die Rolle eines Charakters zu übernehmen, sie
werden zu Zu-Schauspielenden. Nach dem die Szene mehrfach mit unterschiedlichen ZuSchauspielenden gespielt wurde, wird ein Dialog mit der Klasse darüber geführt. Der oftmals
unschöne Ausgang der Szene lässt sich nur schwer durch spielendes Eingreifen verhindern. Das wirft
Fragen über die Hintergründe und Vorgeschichte dieser Szene auf. Wodurch hat der gewalttätige
Junge solche Vorurteile gegenüber Ausländern? Wie kommt es, dass der Flüchtling überhaupt nach
Deutschland gekommen ist und in diese Situation geraten ist? Wir fragen gemeinsam nach den
Ursachen für Flucht und Fremdenfeindlichkeit.
Phase II – Die Jugendlichen entwickeln mögliche „Wurzelszenen“ und führen diese vor
In dieser Phase sollen die Jugendlichen selbstständig, mit Zuhilfenahme des didaktischen Materials
der Ausgangsszene, (kausal und chronologisch) vorgelagerte Szenen, sog. „Wurzelszenen“ entwickeln
und aufführen. Diese Szenen veranschaulichen plastisch, wie es zu den Vorurteilen kommen konnte
(bspw. Einfluss der Familie) und was den Flüchtling zur Flucht bewogen hat (bspw. Zerstörung der
Lebensgrundlage durch Klimawandel). Diese eigenständige, informationsgestützte Herstellung und
Darstellung von Ursache-Wirkungszusammenhängen ist für das Begreifen von Entstehungsgeschichten sozialer Praxis und der eigenen Rolle darin elementar. Diese Szenen (bspw. Fluchtentscheidung in der Familie) bieten einen guten Einstieg um, inhaltlich unterfüttert, verschiedene
Ursachen für intolerante, fremdenfeindliche Werthaltungen sowie für Fluchtentscheidungen offen zu
legen und zu diskutieren. Dabei ist es wichtig, dass die Jugendlichen ihre eigene Rolle als Teil unserer
Gesellschaft kritisch reflektieren und sich selbst als mitverantwortlich für bestimmte Prozesse
erkennen (bspw. Klimawandel). Sie werden eingeladen einzelne Stränge der Ursachenkette bis zu
ihrem alltäglichen Verhalten zurück zu verfolgen und sich selbst als Mitgestalter der ihnen in der
Ausgangsszene dargebotenen sozialen Wirklichkeit zu erkennen. Waren sie in der ersten Szene nur
durch das Hineinversetzen in die Unterdrückten und das Spielen aus deren Perspektive involviert, so
tragen Sie jetzt nicht mehr nur als Spieler in einer fiktiven Welt Mitverantwortung, sondern auch als
Zuschauer in der realen.
Phase III – Zeitzeugen/Experten erzählen den Jugendlichen wahre Geschichten
Die Brücke vom Probehandeln im Spiel zur Verantwortung in der Realität, soll durch das Auftreten
eines Zeitzeugen (z.B. Flüchtling) oder einer Expertin (z.B. Migrantenorganisation) untermauert
werden. Was als Spielerei, als fiktiver Übungsraum begann, wird nun mit wahren, erlebten
Geschichten gefüllt und in Kontrast gesetzt. Die referierten Erlebnisse sollen den Jugendlichen vor
Augen führen wie bedeutsam und real, die von ihnen erkannten und diskutierten Zusammenhänge
tatsächlich sind.
Phase IV – Möglichkeiten der Veränderung des ungewollte Szenen produzierenden Verhaltens
Ähnlich wie im Forum-Theater (Phase I), überdenken die Jugendlichen jetzt ihre eigene Rolle und
überprüfen Sie auf Zusammenhänge die zu unerwünschten Szenen führen. Wenn die Welt eine
gemachte ist und jeder an deren Gestaltung unweigerlich teilhat, dann kann man seinen Einfluss
auch für positive Entwicklungen nutzen. Bei der Entwicklung von alternativen Handlungsmöglichkeiten (bspw. klimafreundliches Verhalten) werden die Jugendlichen von den
Theaterpädagogen (und der Lehrkraft) unterstützt. Wichtig ist dabei, dass Sie etwas konkret
Erfahrbares machen können (bspw. Kleiderspenden; Organisation einer Aktion), um die Erkenntnis
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des eigenen Einflusses auf bestimmte Szenen auch eine positive Selbstwirksamkeitserfahrung folgen
zu lassen. Sie sollen begreifen, dass ihr Verhalten die Handlungsbedingungen anderer maßgeblich
beeinflusst und lernen Handlungen von ihren Ursachen und Konsequenzen her zu denken.
Optional kann in dieser Phase ein Handlungsimpuls durch das Erstellen eines Wunschbilds bzw. einer
Utopie gesetzt werden (bspw. wie würde die Ausgangsszene idealerweise laufen?)
Zusammengefasst:
Im investigativen Theater geht es darum, angefangen bei einer negativ besetzten Szene des Alltags
der Jugendlichen, den Bogen zu spannen zu ihrer eigenen Mitverantwortung für die Szenen, die sich
in dieser Welt abspielen. Im Verständnisprozess hilft ihnen sowohl die im eigenen spielerischen
Nachvollziehen der Situation entstandene Empathie als auch die Verknüpfung des Spiels mit den
wahren Geschichten der Gäste. Nach dem das kritische Erschließen einer Szene durch das Fragen
nach dessen Ursachen und Konsequenzen als beispielhafter Prozess für die verantwortungsvolle
Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle in unserer globalisierten Gesellschaft eingeübt wurde,
sollen auch konkrete Möglichkeiten der Verhaltensveränderungen (im Hier und Jetzt) diskutiert und
ausprobiert werden.
Anmerkungen:
In den Unterrichtseinheiten wird von den Theaterpädagogen entwickeltes/zusammengestelltes
Material, das auch der Lehrkraft zur Verfügung gestellt wird, genutzt. Vor und nach den
Schulbesuchen der Theaterpädagogen wird der Lehrkraft Unterstützung angeboten, um bspw. im
Rahmen eines P-Seminars gemeinsam mit den Schüler*Innen ein interessantes Praxis-Projekt zu
entwickeln. Eine gute Absprache mit den Lehrkräften ist wichtig, damit das Projekt nachhaltige
Wirkungen entfalten kann. Die hier beschriebene Methode ist an die Umstände in verschiedenen
Schulen adaptierbar und dient als Rahmenkonzept zur Orientierung.
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