WIRTSCHAFT Firmenportrait: Ionovation GmbH (Osnabrück) Doppelt hält besser Klassische Osnabrücker Erfolgsartikel sind Tiefkühltorten, Erich Maria Remarque und der VW Karmann-Ghia. Vielleicht muss man in Zukunft auch künstliche Lipiddoppelschichten dazu zählen. „Im Bilayer-System hat man eine reine Umgebung, in der sichergestellt ist, dass alle Messungen allein von dem zu untersuchenden Protein stammen und nicht von Verunreinigungen in der Zellmembran.“ Der promovierte Physiker Gall hatte beim Hamburger Pharmaunternehmen Evotec in der damals noch vorhanden Technologieentwicklungssparte Erfahrungen mit der Fluoreszenz-Korrelations-Spektroskopie (FCS) sammeln können. Diese optische Messtechnik erlaubt in Kombination mit einem konfokalen Mikroskop die Ermittlung von Diffusionskonstanten und Dynamiken sowie die Konzentrationsbestimmung fluoreszierender Moleküle in einem definierten, sehr kleinen Volumen. Gall erinnerte sich an seinen ehemaligen Kooperationspartner an der Uni Osnabrück: „So ist die Idee entstanden, diese „Treffen sich ein Optiker und ein Elektrophysiologe: Gründen wir ‘ne Firma!“, fasst Karsten Gall die Entstehungsgeschichte seiner Firma Ionovation zusammen. So oder ähnlich muss es wohl gewesen sein, als der Osnabrücker Wissenschaftler Gall mit seinem Kollegen Richard Wagner im Jahr 2004 zu einer GmbH fusionierte. Mit Fusion kennt sich der Biophysiker Wagner aus, studiert er doch mittels Bilayer-Technik das Feld der einzelmolekülaufgelösten Elektrophysiologie. Ein Bilayer ist eine wenige Nanometer dünne Lipiddoppelschicht aus amphiphilen Molekülen (Lipide mit einem hydrophilen und einem hydrophoben Anteil), die zwischen zwei gepufferten Lösungen Der Ionovation Scout: eine Doppelmembran mit einem ein vollautomatisierter Gigaohm-Widerstand bildet. Eine Messstand für elektrosolche künstliche Membran kann der physiologische Experimente geschickte Forscher mit integralen Membranproteinen und porenbildenden Proteinen spicken, indem er diese zum Einzelmolekül-fluoreszenzbasierten TechBeispiel in Proteoliposome verpackt. Diese niken, die ich bei Evotec entwickelt hatte, fusionieren anschließend mit dem Bilayer. mit den Technologien von Richard Wagner Und schon können mithilfe von Elektroden zusammen zu führen und daraus das Unterauf beiden Seiten der Membran elektrische nehmen zu gründen“, fasst Gall zusammen. Ströme, optimalerweise an einzelnen MoDamit auf die kühne Idee nicht Ernüchlekülen, gemessen werden! terung folgt, holte sich das Duo neben finanzstarken Gesellschaftern und gestandenen Vertrieblern den Juristen Stefan Reduzierte Modellsysteme Dartsch mit ins Boot. Der „Bekannte aus Bilayer dienen als Modellsysteme für biStudienzeiten“ kümmert sich als Geschäftsologische Zellmembranen. Derart reduziert führer seither um Patente, Finanzierung erlaubten sie die Funktionsaufklärung defiund Kaufmännisches. Heute arbeiten für nierter Transmembranproteine, betont Gall das junge Unternehmen ein knappes Dutden großen Vorteil künstlicher Membranen: zend Biologen, Chemiker und Physiker. 46 LJ_116_WIRTSCHAFT.indd 46 „Mal mehr, mal weniger“, so Dartsch – und erklärt die Schwankungen mit kommenden und gehenden Doktoranden, Master- oder Bachelorstudenten. Übers Land verstreute Belegschaft Auch sonst ist die niedersächsische Firma hochdynamisch: Nur fünf Personen sind am Tag des Laborjournal-Besuchs tatsächlich vor Ort, die anderen sitzen beispielsweise in Bremen (wie der inzwischen in Rente gegangene Richard Wagner, der sich auf einer sogenannten Wisdom-Professur an der Bremer Jacobs-Universität grundlagennaher Forschung widmet), besuchen und beraten Ionovation-Geräteanwender oder forschen ausgelagert in den Laboren der zahlreichen Kooperationsstätten. Gerade letztere – die externen Labore – sind ein wahrer Segen für Ionovation, da dem Unternehmen in den Räumen des Umwelt- und Technologiezentrums im Osten Osnabrücks keine S1-zertifizierten Räume zur Verfügung stehen. Chemische Experimente finden deshalb beispielsweise in Laboren der ortsansässigen Hochschule statt. Im Gegenzug können Doktoranden nicht nur ihre Projekte mit lebensnaher Wissenschaft aufpeppen, sondern werden oftmals gar von Ionovation finanziert. Das Gros der Geräteentwicklung finde jedoch nach wie vor in den Räumen an der Westerbreite 7 in Osnabrück statt, so Gall. Weltweit seien sie die einzige Firma, die sich nicht nur auf elektrophysiologische Messstrategien beschränke, sondern diese mit optischer Methodik verknüpfe, betont er. Hierzu war es notwendig, den in der Regel senkrechten Bilayer in die Horizontale zu befördern. Mit einem inversen konfokalen Mikroskop und entsprechenden Fluoreszenzmarkern könne die Dynamik am über Stunden stabilen Bilayer sowie die Beweglichkeit einzelner Ionenkanäle und Transportermoleküle in der künstlichen Membran in Echtzeit beobachtet werden. 1-2/2016 Laborjournal 26.01.16 19:19 WIRTSCHAFT Dabei sollten die Systeme von Ionovation ein leicht und zügig anzuwendendes Werkzeug sein, konkretisiert Gall, wie die fertigen Messkammern als Einmalprodukte, eben ein Mittel zum Zweck. Automatisierung sei das Ziel, um dem Nutzer Routineschritte abzunehmen. Zum Beispiel würde im Ionovation Explorer nach Zugabe einer definierten Lipid-Menge automatisch ein Bilayer gezogen, dessen Qualität das Gerät zudem direkt prüfe. Selbst die Fusion des Bilayers mit dem zu testenden Protein verlaufe weitestgehend automatisch. Wozu braucht man das? Seine Kunden finde Ionovation in akademischen Einrichtungen, Max-Planck- und Fraunhofer-Instituten, „die irgendwo zwischen Grundlagenforschung und Anwendung beheimatet sind“, erläutert der Physiker. Aber auch forschende Pharma- und Biotech-Unternehmen seien an den Geräten der Firma interessiert, um beispielsweise die Technologie in der präklinischen Phase zur Entwicklung von Testverfahren einzusetzen. Mit Gerätepreisen von 20.000 bis 70.000 Euro für die höchste Ausbaustufe des Bilayer Explorer mit allem Schnickschnack seien die Kosten durchaus überschaubar, sind sich beide Geschäftsführer einig. 2010 justierten die Osnabrücker einige Stellschrauben neu. Dartsch sagt, ihm und seinen Mitstreitern sei klar gewesen, dass das reine Gerätegeschäft endlich sei. Irgendwann sei die Frage aufgekommen, so Gall, warum bestimmte Biomoleküle partout nicht durch eine Membran diffundieren wollten: „Und so kam die Chemie ins Spiel.“ Und mit ihr Helmut Rosemeyer. Der Osnabrücker Chemiker habe ein Verfahren entwickelt, mit dem hydrophile Moleküle durch das Anhängen lipophiler Gruppen transient lipophilisiert werden könnten, erläutert Gall. Derart „getunte“ Moleküle, beispielsweise membrangängig gemachte therapeutische Nukleinsäuren, hätten im Hinblick auf die Pharmaforschung ein riesiges Potential. Schwer bioverfügbare, kleine (bis 500 Dalton) potentielle Wirkstoffe, die aufgrund hydrophiler Eigenschaften auf ihrem Weg zum Wirkort an der Passage der Zellmembran scheiterten, könnten so gezielter und effektiver in die Zelle eingebracht werden. Das Osnabrücker Verfahren namens „Ionochem“ setzte sich beim Innovationsförderprogramm „Horizon 2020“ der EU durch: Als eines von nur sieben deutschen mittelständischen Unternehmen konnte Ionovation Mitte 2015 den Phase-I-Zuschlag von 50.000 Euro ergattern und muss noch bis Februar 2016 mit einem hieb- und stichfesten Businessplan beweisen, dass seine Technologie mehr als nur eine Idee ist. In Phase II winken bereits bis zu 2,5 Millionen Euro für die Weiterentwicklung zukunftsweisender Technologien. Optische Pinzette „anders herum“ Dass damit noch lange nicht Schluss ist, zeigt das neuste Projekt der Niedersachsen. Gemeinsam mit der Uni Bielefeld hat Ionovation eine optische Pinzette entwickelt, die noch zur Marktreife gebracht werden muss. Deren Besonderheit: Bei herkömmlichen „Optical Tweezers“ erfolge an einem inversen Mikroskop die Manipulation kleinster Objekte sowie eine mögliche Kraftdetektion von oben, wodurch der Raum oberhalb der Probe verbaut sei, erklärt Gall. Bei ‚PicoTweezers‘ geschehe beides von unten. In Kombination mit der Bilayer-Einheit „Ionovation Explorer“ könne so beispielsweise die Interaktion von Substanzen, die mit der optischen Pinzette immobilisiert wurden, mit Membranproteinen getestet werden; gleichzeitig sei eine videobasierte Auswertung möglich. Der Experimentierraum bliebe frei und könne zum Pipettieren oder gar für den Einsatz eines Roboters genutzt werden. All dies sei auf jedes Standardmikroskop installierbar, versichert Gall, oder könne zumindest mithilfe eines Adapters angepasst werden. Und fügt hinzu: „Wenn nicht, dann masiGRid mÄRZ chen wir‘s passend!“ Laborjournal 1-2/2016 LJ_116_WIRTSCHAFT.indd 47 Fotos (2): Sigrid März Das IonovationKernteam (von links) BTA Niklas Brending, der technische Leiter Roland Hemmler, Finanzchef Stefan Dartsch, Ingenieur Jonas Künzer und Geschäftsführer Karsten Gall. 47 26.01.16 19:19
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