Kybernetisches Rechnen für Kinder mit Down

Kybernetisches Rechnen
für Kinder
mit Down-Syndrom?
Von Mag. Bernadette Wieser, Heilpädagogin und Sonderschullehrerin
Seit nunmehr acht Jahren bin ich nun Mutter unserer Nicola, die mit dem DownSyndrom geboren wurde. Als Sonderschullehrerin hatte ich bereits zahlreiche
Erfahrungen mit Kindern mit Down-Syndrom gemacht und wusste, dass gerade
ihre mathematischen Fähigkeiten stark hinter ihrem allgemeinen
Leistungsvermögen nachhinkten. Auch die Literatur hatte nicht viel Erbauliches
anzubieten. „Bleiben im Rechnen auf der Stufe von Sechsjährigen“, war da etwa
in einem Buch zur Erstinformation für Eltern von Babys mit Down-Syndrom zu
lesen. Das wollte ich so nicht akzeptieren und ich suchte für mein Kind nach
Wegen eines geeigneten Zugangs zur Welt der Zahlen. Ich erforschte die
gesamte deutschsprachige Literatur zum Thema „Rechenschwäche“ und lernte
unterschiedliche Fördermöglichkeiten kennen, die oft mit einer Menge an
Materialien verbunden waren. Würfel, Kugeln, Perlen, Platten, Steckelemente
und vieles mehr wurden in ihren Einsatzmöglichkeiten beschrieben, doch vieles
davon erschien mir gerade für unser Kind unüberblickbar und verwirrend. Am
liebsten rechnete Nicola ohnehin mit „echten“ Materialien mit hohem
motivationalem Charakter, wie z.B. Manner-Schnitten oder Smarties-Zuckerln.
Als Nicola sechs Jahre alt war, und somit genau ein Jahr vor ihrer Einschulung
in die erste Klasse stand, konnte sie zügig und sicher bis 12 zählen. Doch sie
hatte keinerlei Mengenbezug zu ihrer Zähltechnik hergestellt. Also, sie zählte
beispielsweise „1-2-3“, während sie gleichzeitig 5 Würfel auf den Tisch legte.
Die Verbindung von Zahl und zugehöriger Menge blieb für sie vorläufig im
Dunkeln.
Der Seminartitel „Rechenschwäche mit der kybernetischen Methode vorbeugen“
machte mich neugierig. Sowohl beruflich als auch privat hatte ich großes
Interesse an einer Prävention von Rechenproblemen.
Es war und ist die Einfachheit dieses Ansatzes, die mich mit großer
Überzeugung dazu gebracht, mit meinem Kind diesen Weg zu geben. Unsere 10
Finger haben wir immer dabei, ob im Auto, bei Wartezeiten oder daheim
zwischendurch. Zu Beginn hatten wir unseren 10 Fingern verschiedene
Tiernamen gegeben (z.B. der dritte Bär, oder der sechste Löwe, usw.), und diese
Tiere haben dann geschlafen, wurden munter, haben sich versteckt, usw. Nicola
hatte selbst auch sehr viele lustige Ideen einfließen lassen, und so wurde
spielerisch immer wieder die Zahlenabfolge 1-10 und retour erforscht.
Zur Zeit schließt unsere Tochter gerade die erste Volksschulklasse ab. Sie wurde
nach dem Lehrplan der Sonderschule unterrichtet, hat aber in vielen Bereichen
mit ihren Volksschulkollegen mitarbeiten können. Gerade der mathematische
Bereich ist ihr Steckenpferd geworden. Sie löst mit der kybernetischen Methode
völlig selbstständig Additionen und Subtraktionen im Zahlenraum 10 und wird
dabei immer sicherer. Zur Zeit bahnt sie sich gerade den Weg zu einem weiteren
Abstraktionsschritt, der eine bedeutende Weiterentwicklung darstellt: Nicola
stellt nicht mehr alle Additionen mit ihren Fingern dar, viele errechnet sie allein
aus dem Blick auf die Finger. Unsere Tochter ist sehr stolz auf ihre Leistungen,
wir natürlich mit ihr, und die Rechenaufgabe wird jeden Tag als erste erledigt.
Allein und vielfach völlig richtig.
Im nächsten Schuljahr wird der Aufbau des Zahlenraums 20 den Schwerpunkt
bilden. Wir bereiten bereits jetzt spielerisch auf die Rechenstäbchen vor, indem
wir unserem Struwwelpeter haben lange Fingernägel (Rechenstäbchen) wachsen
lassen.
Da Kinder mit Rechenschwächen auch meinen Berufsalltag entscheidend
prägen, kann ich auch hier von überwiegend positiven Erfahrungen mit der
kybernetischen Rechenmethode berichten. Viele Kinder sind damit zu
entscheidenden Aha-Erlebnissen gelangt, und beginnen nach vielen Jahren der
„mathematischen Qual“ nun erstmals zu be-greifen (im wahrsten Sinne des
Wortes).
Dank der Erfahrungen des Ehepaars Dreher hat nun das „Schreckgespenst
Mathematik“ für viele Kinder mit Down-Syndrom- und deren Eltern und
Lehrer- den Schrecken verloren.