82 Forum Forum Wie stark identifizieren sich muslimische Jugendliche mit Deutschland? Empirische Analysen und Handlungsansätze für die politische Bildung © dpa von RAHIM HAJJI und SABINE ACHOUR Juniorwahl (www.juniorwahl.de/) ... ist eines der größten Schulprojekte Deutschlands. Es ermöglicht Schülern, den Wahlgang im Klassenverband zu simulieren, und vermittelt dabei politisches Wissen. „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ (Ernst-Wolfgang Böckenförde 1976, 60) Auf die Identifikationen von muslimischen Jugendlichen mit Deutschland wirken verschiedene Faktoren in unterschiedlicher Weise: zum Beispiel Migrationserfahrungen, das Vertrauen in politische Institutionen und der Klassenverband, so die Ergebnisse im Rahmen der Studie zur Juniorwahl in Berliner Schulen (unterstützt durch personelle und finanzielle Ressourcen von Kumulus e.V.). Politische Bildung kann mit der Vermittlung von politischem Wissen und dem Einüben demokratischen Konfliktverhaltens einen Beitrag zur politischen Integration leisten. Einleitung Das Böckenförde-Theorem wurde 1964 formuliert, um die Katholiken in die politi- sche Gemeinschaft Deutschlands zu integrieren. Heute gewinnt es aus einer ganz neuen Perspektive Relevanz: Fast ein Drittel der Schüler/-innen hat mittlerweile einen Migrationshintergrund, ein Großteil davon bezeichnet sich selbst als muslimisch. Das Böckenförde-Theorem wird in den letzten Jahrzehnten v.a. in Bezug auf die Frage nach der politischen Zugehörigkeit von jungen Muslimen in Deutschland diskutiert. In der Forschung existieren dazu mittlerweile zahlreiche quantitative Studien, die wegen ihres defizitorientierten Charakters auch kritisch diskutiert werden. Hier geht es u. a. darum, wie stark die Demokratiedistanz unter Jugendlichen muslimischen Glaubens 83 in Deutschland ausgeprägt ist (Frindte u. a. kollektiven Identifikationsformen (z. B. auch Identifikation mit Deutschland abnimmt. 2012). Dies wird mit einer identifikatorischen demokratiedistanten wie PEGIDA, Islami- Interethnische Freundschaften hingegen Distanz zu Deutschland gleichgesetzt, ohne scher Staat) als soziale Identifikationsfläche wirken sich positiv auf die Identifikation diese allerdings selbst als Untersuchungsge- dienen kann. Das Konstrukt „Identifikation mit dem Aufnahmeland aus (Phinney u. a. genstand zu betrachten. mit Deutschland“ zielt in dieser Studie auf 2006). Der vorliegende Artikel knüpft an die Identifikation mit einer durch MigratiNicht erforscht ist bisher der Zusamdieses Forschungsdesiderat an. Es geht onsprozesse heterogenen Gesellschaft ab. menhang, ob und wie das Vertrauen in um die Frage, wie stark die Identifikation Dabei wird davon ausgegangen und empi- die Institutionen, die Fähigkeit zu demomit Deutschland von Schüler/-innen ist, risch belegt, dass sich die Identifikation von kratischem Konfliktverhalten und die die sich selbst als muslimisch bezeichnen. Jugendlichen muslimischen Glaubens mit Wahrnehmung des Klassenverbandes die Außerdem wird untersucht, wie dies mit der übergeordneten Identitätskategorie Identifikation mit Deutschland beeinflusdem institutionellen Rahmen von Schule Deutschland positiv auf deren weitere sen können. Diese Faktoren sind mögliche und speziell politischer Bildung zusam- politische und soziale Integration auswirkt. Ansatzpunkte, um zu untersuchen, unter menhängt, da die Schule die einzige geEmpirische Studien zeigen, dass Fakto- welchen Bedingungen im schulischen Konsellschaftliche Sozialisationsinstanz ist, ren wie schulische Bildung, Einwanderungs- text multiple soziale Identitäten entstehen die alle Individuen besuchen. Sie hat damit generation, Religiosität und interethnische und wie die Identifikation zu einer übergedie Chance, Jugendliche auf politisches Freundschaften die Identifikation mit dem ordneten sozialen Identitätskategorie durch Engagement in einer heterogenen, von Viel- Aufnahmeland prägen können. Laut Ersa- Interventionen möglicherweise gefördert falt geprägten Gesellschaft werden können. vorzubereiten. Hier wird die These aufgeVertrauen in politische Im Folgenden werden stellt, dass sich das Vertrauen Institutionen, demokratisches in die politischen Institutionen einleitend theoretische Konfliktverhalten und Überlegungen in Bezug auf (wie Bundestag, Parteien, BunKlassenverbundenheit wirken Identifikationsprozesse von desverfassungsgericht, Europäpositiv auf die Identifikation mit Jugendlichen mit Deutschische Union etc.) positiv auf die land dargelegt. Anschließend Identifikation mit Deutschland Deutschland wird die methodische Herauswirkt. Denn ein entsprechenangehensweise vorgestellt, des Vertrauen setzt Kenntnisse danach folgen die Darstellung und die nilli u. a. (2011) identifiziert sich die zweite über deren Funktions- und Arbeitsweisen Diskussion der Ergebnisse. Abschließend Generation stärker mit dem Aufnahme- voraus sowie Konzeptwissen hinsichtlich werden Rückschlüsse für die politische land als die erste Generation. Außerdem ihrer Bedeutung im demokratischen EntBildung gezogen. nimmt mit dem schulischen Bildungsgrad scheidungsgefüge. Ein hohes Vertrauen der Befragten die Identifikation mit dem lässt darauf schließen, dass die Befragten Theoretische Überlegungen und Aufnahmeland zu. Frindte u. a. (2012) unter- von der Integrität der Instanzen überzeugt suchten demokratiedistante Einstellungen sind. Hypothesen Die Identifikation mit Deutschland wird bei Jugendlichen, die sich als muslimisch Demokratisches Konfliktverhalten als als eine soziale Gruppenzugehörigkeit ver- bezeichnen. Aus der Studie lässt sich ablei- weiterer Einflussfaktor umfasst die Fästanden, die neben anderen möglichen ten, dass mit zunehmender Religiosität die higkeit, andere Einstellungen und Urteile nachvollziehen und anerkennen zu können. Es geht einher mit einer Offenheit gegenüber Andersdenkenden, mit der Akzeptanz von Meinungsfreiheit und Mehrheitsentscheidungen sowie der Anerkennung von Kompromissen. Dabei handelt es sich um se cau be Grundwerte, die zum Bestandteil des poli… c mi Isla “ISIS wants to be called ly cal ati tischen Selbstverständnisses Deutschlands m will autom any action against the y ctl exa is gehören. Entsprechende Dispositionen ich wh m, Isla be called a war against könnten die Identifikation mit Deutschland .” what they want it to be positiv beeinflussen. Jordanien Königin Rania von 84 Forum Forum Ebenso wird dies von einem als positiv wahrgenommenen Klassenverband als dritten Einflussfaktor erwartet. Denn die wahrgenommene Verbundenheit und Solidarität zwischen den Mitschüler/-innen mag dazu führen, dass diese als Referenzgruppe für die deutsche Bevölkerung eingeordnet werden, was auf die Identifikation mit der übergeordneten Identitätskategorie `Deutschland´ wirken könnte. Neben den aufgeführten Faktoren wer- gende Einflussrichtungen auf die Identifikation mit Deutschland (vgl. Abb. 1). Methodische Herangehensweise Stichprobenauswahl Die aufgestellten Thesen sind im Rahmen einer explorativen, empirischen Studie überprüft worden. Die teilnehmenden Schulen wurden insbesondere hinsichtlich zweier Kriterien ausgewählt, um eine maximale Varianz für die Einstellung „Identifikati- Wissen über die Institutionen ist eine Grundlage für Identifikationsprozesse Operationalisierung Die theoretischen Überlegungen und die damit einhergehenden entwickelten Faktoren wurden anhand einer Reihe von Fragen erhoben (vgl. Tab. 2). Der Schultyp und der Anteil von Schüler/-innen mit Migrationshintergrund waren als Stichprobenmerkmale aufgrund der bewussten Ziehungsauswahl bekannt. Die Antworten der Befragten wurden, wenn angegeben, mittels einer Faktorenanalyse zusammengefasst, um eine Skala für die Auswertung zu nutzen. Ergebnisse Beschreibende Ergebnisse Aus Tabelle 3 lässt sich entnehmen, wie sich die Antworten von nicht-muslimischen Juden die Stichprobenmerkmale (Schulart und on mit Deutschland“ zu erzielen: 1. Anteil gendlichen und muslimischen Jugendlichen, Bevölkerung eingeordnet werden, was auf die Identifikation mit der übergeordneten Anteil an Jugendlichen mit Migrationshin- Lernender mit Migrationshintergrund, 2. unterteilt in muslimische Glaubensrichtungen Identitätskategorie `Deutschland´ wirken könnte. tergrund an der Schule), das Geschlecht, das Schultyp (Gymnasium oder Integrierte (sunnitisch, alevitisch und andere) unterscheiAlter, der familiäre Bildungshintergrund Sekundarschule). den. Danach identifizierenund sich muslimische Neben den aufgeführten Faktoren werden die Stichprobenmerkmale (Schulart Anteil an sowie das finanzielle Budget des FamiliEs wurden insgesamt 566 GymnasiasJugendliche unabhängig von der religiösen Jugendlichen mit Migrationshintergrund an der Schule), das Geschlecht, das Alter, der enhaushalts als Kontrolle in der Analyse tinnen und Gymnasiasten sowie 169 SchüRichtung deutlich geringer mit Deutschland familiäre Bildungshintergrund sowie das finanzielle Budget des Familienhaushalts als mit berücksichtigt. ler/-innen an Integrierten Sekundarschulen als nicht-muslimische Jugendliche. Auch ihr Kontrolle in der Analyse mit berücksichtigt. Zusammenfassend erwarten wir fol- befragt (vgl. Tab. 1). Vertrauen in politische Institutionen ist we- Zusammenfassend erwarten wir folgende Einflussrichtungen auf die Identifikation mit Deutschland: Religion Freundschaften zu Deutschen Demokratisches Konfliktverhalten Bildung Einwanderungsgeneration Vertrauen in Institutionen Identifikation mit Deutschland Klassenverbundenheit Methodische Herangehensweise [Ü2] Abb. 1: Einflussrichtungen auf die Identifikation mit Deutschland Stichprobenauswahl [Ü3] Die aufgestellten Thesen sind im Rahmen einer explorativen, empirischen Studie überprüft worden. Die teilnehmenden Schulen wurden insbesondere hinsichtlich zweier Kriterien ausgewählt, um eine maximale Varianz für die Einstellung „Identifikation mit Deutschland“ 85 Tabelle 1: Stichprobenzusammensetzung Integrierte Sekundarschule Gymnasium Anzahl Schulen Anzahl Schüler/ innen Anzahl Schulen Anzahl Schüler/ innen niedriger Anteil an Schüler/innen mit Migrationshintergrund 2 67 3 398 hohen Anteil an Schüler/innen mit Migrationshintergrund 2 102 3 168 Summe 4 169 6 566 niger ausgeprägt als bei nicht-muslimischen Jugendlichen. Aber mindestens ein Viertel (Bsp: 24 % der sunnitischen Befragten geben an, deutscher Herkunft zu sein.) der muslimischen Jugendlichen macht darauf aufmerksam, dass sie deutscher Herkunft sind. In dem hohen Anteil drückt sich eine bikulturelle Identität aus. Des Weiteren lässt sich ablesen, dass Jugendliche muslimischen Glaubens eher Schulen mit einem hohen Anteil an Schüler/-innen mit Migrationshintergrund sowie häufiger die Integrierte Sekundarschule besuchen. In den Haushalten von Jugendlichen muslimischen Glaubens sind auch weniger Bücher vorhanden, was auf ein weniger privilegiertes Bildungsumfeld als bei nicht-muslimischen Jugendlichen schließen lässt. Identifikation von muslimischen Jugendlichen (Multivariate Ergebnisse) Die signifikant geringere Identifikation muslimischer Jugendlicher mit Deutschland (vgl. Tab. 4 multivariate Regression) ist unabhängig von der religiösen Glaubensrichtung (siehe Regressionsmodell 1). Dieses Identifikationsdefizit lässt sich hier allerdings nicht durch sozio-ökonomische Lebensbedingungen der Jugendlichen erklären (Regressionsmodell 2). Insbesondere die Migrationsgeschichte scheint die geringere Identifikation zu evozieren (Regressionsmodell 3). Bei Berechnungen mit weiteren migrations¬spezifischen Informationen (z. B. Herkunft und Einwanderungsgeneration) reduziert sich der Einfluss der muslimischen Glaubensrichtungen auf die Identifikation mit Deutschland (Regressionsmodell 3). Die Regressions- keinen signifikanten, negativen Einfluss auf die Identifikation mit Deutschland mehr. Die Ergebnisse belegen demnach, Die Ergebnisse unterstreichen die Möglichkeit politischer Bildung, einen Beitrag zu politischen Integrationsprozessen zu leisten koeffizienten für den Einfluss muslimischer Religiosität tendieren gegen 0. Die schiitische Glaubensrichtung besitzt überhaupt dass das Identifikationsdefizit der Jugendlichen muslimischen Glaubens mit dem Migrationsstatus zusammenhängt und Statistische Herangehensweise Zur Prüfung des theoretischen Rahmens wurde eine multivariate Regressionsanalyse zur Erklärung der Identifikation mit Deutschland durchgeführt, um zu prüfen, ob der Einfluss von ausgewählten Faktoren unter Berücksichtigung anderer Faktoren weiterhin Bestand hat. Die Regressionsanalyse wurde schrittweise durch die Liste an zu erklärenden Faktoren erweitert, um die Veränderung der Einflussfaktoren unter Berücksichtigung neuer Faktoren nachzuvollziehen und Ursachen für das Identifikationsdefizit finden zu können. Die Tabelle 3 besteht aus der Darstellung unterschiedlicher Regressionsmodelle im Spaltenkopf und der Abbildung der Einflussstärke der erklärenden Faktoren in den Zeilen bzw. Zellen. Im ersten Regressionsmodell lässt sich ablesen, dass die Einflussstärke des Geschlechts -0,15 beträgt und mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % (*) Einfluss auf die Identifikation mit Deutschland hat. Das heißt, dass sich weibliche Jugendliche im Durchschnitt um -0,15 Punkte weniger als männliche mit Deutschland identifizieren. 86 Forum Forum Tabelle 2: Messinstrumente Frage Tabelle 3: Beschreibende Analyse zu Schüler/innen unterschiedlicher Glaubensrichtungen Antwortkategorien Skalenbildung „1- „“stimme überhaupt nicht zu““ bis 7 - „“stimme voll und ganz zu“““ Faktorenanalyse Identifikation mit Deutschland Ich fühle mich mit Deutschland und seinen Menschen verbunden. 87 NichtMuslimischen Glaubens Sunnitische Glaubens angehörige Alevitische Glaubens angehörige andere musl. Glaubens angehörige 0,11 -0,31 -0,20 -0,36 0,00 Insgesamt Identifikation mit Deutschland Ich bin stolz darauf ein/e Deutsche/r zu sein. Identifikation mit Deutschland Demographische Daten Alter 15,10 15,29 15,43 14,88 15,14 Wann bist Du geboren worden? Geschlecht (Anteil Mädchen) 52 % 57 % 46 % 48 % 52 % Schultyp (Anteil Gymnasium) 80 % 68 % 74 % 59 % 77 % Migrantenanteil auf der Schule (Anteil Schulen mit geringem Anteil an Schül. ausl. Herkunft) 81 % 11 % 20 % 19 % 63 % Anzahl Urlaubsreisen mit dem Flugzeug 2,47 2,32 2,41 2,50 2,44 Anzahl Bücher 3,60 2,52 2,38 2,08 3,28 deutscher Herkunft, nicht eingewandert 82 % 24 % 40 % 30 % 67 % deutscher Herkunft, eingewandert 1 % 1 % 0 % 7 % 1 % teilweise ausl. Herkunft, nicht eingewandert 10 % 17 % 14 % 19 % 12 % teilweise ausl. Herkunft, eingewandert 1 % 2 % 0 % 0 % 1 % ausländischer Herkunft, nicht eingewandert 4 % 54 % 46 % 41 % 17 % ausländischer Herkunft, eingewandert 1 % 2 % 0 % 4 % 1 % Vertrauen in politische Institutionen 0,12 -0,39 -0,14 -0,36 0,00 Vertrauen in nicht-politische Institutionen 0,03 -0,12 0,19 -0,32 0,00 Demokratisches Konfliktverhalten 0,00 -0,04 0,23 -0,10 0,00 Klassenverbundenheit 0,00 0,09 0,03 -0,44 0,00 Anzahl Freunde deutscher Herkunft 4,37 3,56 3,79 3,80 4,17 Bist Du ein Junge oder ein Mädchen? Demographische Daten Stichprobeninformationen ein Mädchen, ein Junge Religion Welcher Religionsgemeinschaft gehörst Du an? Wie wichtig ist Dir deine Religion? Ich gehöre keiner Religionsgemeinschaft an, katholisch, evangelisch, orthodox, einer anderen christlichen Religionsgemeinschaft, sunnitsch, schiitisch, alevitisch, gehöre einer anderen muslimischen Gemeinschaft an und gehöre einer anderen Religionsgemeinschaft Familärer Hintergrund 1- „überhaupt nicht wichtig“ bis 7 - „sehr wichtig“ Migrationsspezifische Daten Lebensbedingungen Wie viele Bücher hast Du zuhause? 0-10, 11-25, 26-100, 101-200, 201-500, 500+ Wie viele Reisen mit dem Flugzeug machst Du im Jahr, um in Urlaub zu fahren? 0, 1, 2, 3,4-5,6-10, 11+ Migrationsspezifische Daten Bist Du in Deutschland geboren worden? ja, nein Bist Du deutscher Herkunft? ja, teilweise, nein (politische) Dispositionen Vertrauen in Institutionen Wie groß ist dein Vertrauen in …. Gerichte, Politische Parteien, Bundeswehr, Presse, Bundesregierung, Bürgerinitiativen, Großunternehmen, Polizei, Fernsehen, Bundesverfassungsgericht, Bundestag, Europäische Union „1- „“überhaupt kein Vertrauen““ bis 7 - „“sehr großes Vertrauen“““ Faktorenanalyse Klassenklima/Soziales Netzwerk Demokratisches Konfliktverhalten In einem Streit mit anderen, ist es mir wichtig die Meinung anderer zu verstehen und zu berücksichtigten. 1- „überhaupt nicht wichtig“ bis 7 - „sehr wichtig“ Faktorenanalyse Für mich ist es wichtig, dass bei Konflikten eine Lösung gefunden wird, die auch alle anderen zufriedenstellt. Klassenverbundenheit In unserer Klasse verstehen wir uns alle super. „1- „“trifft überhaupt nicht zu““ bis 7 - „“trifft voll und ganz zu“““ In unserer Klasse halten wir alle zusammen. Soziales Netzwerk Wie viele Freunde deutscher Herkunft hast Du? 0,1,2-5,6-10, 11+ Faktorenanalyse davon auszugehen ist, dass das Defizit im Generationenverlauf abnimmt. Denn das Verlassen eines Herkunftslandes ist erst einmal mit dem Verlust einer kulturellen und politischen Heimat verbunden und schwächt sich mit der Zeit ab. Ein weiterer Grund für das Identifikationsdefizit scheint darin zu liegen, dass Schüler/-innen muslimischen Glaubens ein geringeres Vertrauen in die politischen Institutionen haben und dies führt dazu, dass sie sich weniger mit Deutschland identifizieren (Regressionsmodell 4). Das Vertrauen in politische Institutionen der Schüler/-innen besitzt einen signifikanten, positiven und starken Einfluss auf die Erklärung der Identifikation mit Deutschland und hat zur Folge, dass die unstandardisierten Koeffizienten für die Religionsgemeinschaft (mit Ausnahme der Schüler/-innen alevitischen Glaubens) und für die migrationsspezifischen Informationen (mit Ausnahme der Indikatoren für nicht-eingewanderte Schüler/-innen mit einer teilweise deutschen Herkunft) an Bedeutung verlieren und gegen 0 tendieren. Dabei verliert die Zugehörigkeit zur sunnitischen Glaubensgemeinschaft ihren signifikanten, negativen Einfluss auf die Identifikation mit Deutschland, während das gesamte Modell an Erklärungskraft 88 89 Forum Forum Tabelle 4: Multivariate Regression zur Erklärung der Identifikation mit Deutschland Einflussfaktoren Modell 1 unstand. Koef. (Konstante) P-Wert 1,23 Modell 2 unstand. Koef. P-Wert 1,20 Modell 3 unstand. Koef. P-Wert 1,34 Modell 4 unstand. Koef. P-Wert 0,74 Modell 5 unstand. Koef. P-Wert 0,74 Modell 6 unstand. Koef. P-Wert 0,76 Modell 7 unstand. Koef. P-Wert 0,98 Modell 8 unstand. Koef. P-Wert 0,60 Demographische Daten Geschlecht (Referenz: männliche Schüler) -0,15 * -0,15 * -0,16 * -0,12 n.s. -0,12 n.s. -0,15 * -0,14 * -0,13 n.s. Alter -0,08 n.s. -0,08 n.s. -0,08 n.s. -0,02 n.s. -0,02 n.s. -0,01 n.s. -0,02 n.s. -0,03 n.s. Befragte ohne Altersangaben -1,30 * -1,39 * -1,48 * -0,35 n.s. -0,35 n.s. -0,25 n.s. -0,36 n.s. -0,54 n.s. Schultyp (Referenz Integrierte Sekundarstufe) -0,01 n.s. 0,01 n.s. 0,07 n.s. -0,03 n.s. -0,03 n.s. -0,05 n.s. -0,11 n.s. -0,11 n.s. "Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund (Referenz: hoher Anteil)" 0,13 n.s. 0,16 n.s. 0,09 n.s. -0,05 n.s. -0,05 n.s. -0,06 n.s. -0,06 n.s. -0,20 * Sunnitisch -0,42 ** -0,43 ** -0,34 * -0,22 n.s. -0,22 n.s. -0,22 n.s. -0,25 n.s. -0,22 n.s. Alevitisch -0,31 n.s. -0,33 n.s. -0,26 n.s. -0,26 n.s. -0,26 n.s. -0,28 n.s. -0,29 n.s. -0,29 n.s. Schiitisch / andere Musl. Gemeinschaft -0,52 * -0,53 * -0,41 n.s. -0,26 n.s. -0,26 n.s. -0,27 n.s. -0,23 n.s. -0,26 n.s. Wichtigkeit der Religion 0,03 n.s. 0,03 n.s. 0,03 n.s. 0,01 n.s. 0,01 n.s. 0,01 n.s. 0,01 n.s. 0,01 n.s. Anzahl Reisen mit dem Flugzeug 0,00 n.s. -0,01 n.s. -0,01 n.s. -0,01 n.s. 0,00 n.s. 0,00 n.s. -0,01 n.s. Befragte ohne Angaben zur Zahl der Flugreisen 0,57 n.s. 0,58 n.s. 0,42 n.s. 0,42 n.s. 0,42 n.s. 0,40 n.s. 0,35 n.s. Anzahl Bücher des Befragten -0,03 n.s. -0,03 n.s. -0,03 n.s. -0,03 n.s. -0,03 n.s. -0,03 n.s. -0,04 n.s. Befragte ohne Angaben zur Zahl der Bücher -0,46 n.s. -0,50 n.s. -0,53 n.s. -0,53 n.s. -0,54 n.s. -0,54 n.s. -0,63 n.s. eingewanderte Deutsche -0,62 n.s. -0,48 n.s. -0,48 n.s. -0,43 n.s. -0,50 n.s. -0,54 n.s. nicht-eingewanderte, teilweise deutscher Herkunft -0,28 * -0,14 n.s. -0,14 n.s. -0,17 n.s. -0,15 n.s. -0,17 n.s. eingewanderte, teilweise deutscher Herkunft 0,01 n.s. 0,05 n.s. 0,05 n.s. 0,13 n.s. 0,12 n.s. 0,21 n.s. nicht-eingewanderte, ausl. Herkunft -0,25 n.s. -0,22 n.s. -0,22 n.s. -0,25 * -0,22 n.s. -0,22 n.s. eingewanderte, ausl. Herkunft 0,20 n.s. 0,18 n.s. 0,18 n.s. 0,20 n.s. 0,24 n.s. 0,26 n.s. 0,35 *** 0,35 *** 0,33 *** 0,32 *** 0,31 *** 0,15 *** 0,14 *** 0,13 *** 0,12 *** 0,10 ** 0,07 n.s. 0,05 n.s. 0,14 *** 0,12 *** Anzahl deutscher Freunde 0,19 *** Befragte ohne Angaben zur Zahl der dt. Freunde 0,95 *** Stichprobeninformationen Religionszugehörigkeit (Referenz: andere als muslimische / keine Religionsgemeinschaft) Lebensbedingungen Migrationsspezifische Daten (Referenz: Deutsche in Deutschland geboren)" (politische) Dispositionen Vertrauen in politische Institutionen Vertrauen in nicht-politische Institutionen Demokratisches Konfliktverhalten Klassenklima Wahrnehmung der Klassenverbundenheit Soziales Netzwerk p > 0,05 = n.s. ; p < 0,05 = * ; p < 0,01 = ** ; p < 0,001 = *** (korrigiertes) r² 0,04 0,04 0,05 0,15 0,17 0,18 0,19 0,22 N 735 735 735 735 735 735 735 735 90 Forum Forum 91 „Es wäre ein Fehler zu gewinnt (erkennbar an dem sprunghaft angestiegenen r² von 0,05 auf 0,15). Des Weiteren belegen die Analysen unabhängig von der betrachteten Religionszugehörigkeit, dass die Fähigkeit zu demokratischem Konfliktverhalten eine Grundlage darstellt, um sich mit dem demokratischen Selbstverständnis schen Glauben und mit einer geringen bis mittelstark ausgeprägten Identifikation zu Deutschland. Rückschlüsse für die politische Bildung Die Ergebnisse der Studie lassen sich als empirische Untermauerung zentraler Politisches Lernen ist ohne soziales Lernen kaum möglich Deutschlands zu identifizieren (Regressionsmodell 6). Der Effekt des demokratischen Konfliktverhaltens wird durch die wahrgenommene Klassenverbundenheit aufgelöst (Regressionsmodell 7). Aus unserer Sicht ist dies darauf zurückzuführen, dass die Fähigkeit zu einem demokratischen Konfliktverhalten bewirkt, dass man mit den Mitschüler/-innen eine Klassenverbundenheit entwickelt, die sich noch stärker auf die Identifikation mit Deutschland auswirkt, weil die Mitschüler/-innen als repräsentativ für Deutschland erachtet werden. Die Integration der wahrgenommenen Klassenverbundenheit stellt folglich einen Mediatoreffekt dar. Weiterführende Analysen zeigen, dass Schüler/-innen mit einem stark ausgepräg- Ziele und Vorstellungen politischer Bildung interpretieren: Die Mündigkeit der Individuen im Sinne ihrer persönlichen Urteils-, Handlungs- und Konfliktfähigkeit, ihr Wissen über und ihre Identifikation mit der Demokratie stabilisieren diese. Wissen über die Institutionen ist eine Grundlage für Vertrauen und schließlich für Identifikationsprozesse. Demokratisches Konfliktverhalten ist eng mit der politischen Urteils- und Handlungskompetenz verbunden, denn beim Austragen von Konflikten stehen sich verschiedene, multiperspektivische Urteile gegenüber und werden politisch ausgehandelt. D. h., die Individuen argumentieren, artikulieren und entscheiden. Auch der positive Zusammenhang von Identifikation und Klassenverbundenheit Politische Bildung, die das Vertrauen in politische Institutionen fördern und das demokratische Konfliktverhalten trainiert, kann Identifikationsgefühle evozieren ten muslimischen Glauben und mit einer starken Identifikation mit Deutschland signifikant weniger interethnische Konflikte im Klassenverband wahrnehmen, über mehr deutsche Freunde verfügen und eine höhere konventionelle politische Partizipationsbereitschaft aufweisen als Jugendliche mit einem stark ausgeprägten muslimi- lässt sich dahin gehend interpretieren, dass politisches Lernen ohne soziales Lernen kaum möglich ist. Das gewaltfreie Austragen von Konflikten unterliegt sozialen Regeln wie Zuhören, Empathie zeigen, Ausreden lassen etc. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Grundlage für einen starken Klassenzusammenhalt, sondern scheint auch ethnischen Grenzziehungen entgegenzuwirken. Zusammenfassend lässt sich die Studie dahin gehend interpretieren, dass ein kompetenz- und handlungsorientierter Politikunterricht – z. B. anhand von Makromethoden –, welcher Konzeptwissen, Urteils-, Handlungs- und Konfliktfähigkeit fördert (Detjen u. a. 2012, Behrmann u. a. 2004), zugleich die Ziele politischer Bildung optimal zu verfolgen vermag. Darüber hinaus lässt der Zusammenhang von demokratischem Konfliktverhalten und Klassenverbundenheit auf einen kompetenten, anerkennenden Umgang mit Vielfalt und Heterogenität z. B. entlang von Differenzkategorien wie Ethnizität, Religion oder Gender schließen. Auch aus der Perspektive der Migrationssoziologie und der Integrationsforschung unterstreichen die Ergebnisse die Möglichkeit politischer Bildung, einen Beitrag zu politischen Integrationsprozessen zu leisten. Alle Individuen – unabhängig von Migrationsbiographien – durchlaufen verschiedene Dimensionen des Integrationsprozesses (Esser 2006, Achour 2013). Die kognitive Dimension bezieht sich auf den Erwerb von Wissen – hier z. B. zu den Institutionen –, Kompetenzen und Sprache und stellt eine Basisdimension für die anderen Dimensionen dar. Die strukturelle Integration bezieht sich auf die Platzierung im Bildungssystem, Arbeitsmarkt oder im politischen System. Im Rahmen der Studie fand dies simulativ über die Juniorwahl statt und erforderte das Anwenden von Wissen und Kompetenzen. Anhand der Anzahl von (interethnischen) Freunden bzw. des positiven Klassenverbandes lässt sich die soziale Integration messen. Werden diese Dimensionen als positiv erfahren, wie hier in der Studie erhoben, verstärkt sich auch die emotionale Integration als Identifikation mit dem gesellschaftlichen System, hier Deutschland. Politische Bildungsprozesse, die das Vertrauen in politische Institutionen fördern und das demokratische Konfliktverhalten trainieren, haben somit die Chance, Identifikationsgefühle zu evozieren. Kon- denken, das gehe uns in Europa nichts an, IS sei weit we g. Im Gegen-teil: Der NA TOMitgliedstaat Türkei gre nzt direkt an Gebiete, die von IS kontrolliert werden. Mit einem militärische n Ereignis an dieser Grenze kann über Nacht der NATO-Bü ndnisfall ausgelöst werden. Dann wäre die gesamte NATO und auch Deutschland gefordert.“ Henner Für tig, Prof. für Nahost-Studie n an der Univ. Hamburg struktiv erlebte politische Aushandlungsund Entscheidungsprozesse in einer auf Anerkennung basierenden Gruppe scheinen Identifikationsmöglichkeiten darzustellen, die ethnische Grenzziehungen reduzieren. Im Fokus stehen v.a. Verfahren und Grundwerte, die den Rahmen für gesellschaftliche Entscheidungen darstellen und Demokratische Konfliktfähigkeit bildet die essentielle Basis, um gemeinsam eine bunte Gesellschaft zu gestalten mit denen sich alle in einer heterogenen Gesellschaft identifizieren können. So sind PEGIDA und IS z. B. extreme Formen ethnischer Grenzziehungen. Da die Debatte um Migration teils von einer defizitorientierten „Islamdebatte“ überlagert wird und ein Anstieg des antimuslimischen Rassismus zu verzeichnen ist (Decker u. a. 2014), mag dies auch die weniger starken Identifikationsgefühle eines Teiles der muslimischen Jugendlichen erklären. Der Anstieg von Heterogenität in den Lerngruppen ist eine zentrale Herausforderung für Lehrende und Lernende. Diversität hinsichtlich Religion, Kultur, Ethnizität, sozio-ökonomischem Status, sexueller Orientierung, Körper und Geschlecht werden verstärkt die plu- ralistische Meinungsvielfalt prägen, so dass demokratische Konfliktfähigkeit die essentielle Basis bildet, um gemeinsam eine bunte Gesellschaft zu gestalten. Dabei hängen der Erwerb von solchen domänenspezifischen Kompetenzen sowie des zugrunde liegenden Konzeptwissens eng mit der Sprachbildung zusammen. Man kann sich nur mit einem Land identifizieren, in dem man die Menschen, Politiker sowie Institutionen versteht und in dem man sich selbst nicht als Fremder bzw. Vielfalt als Fremdes betrachtet. European Politics, 34: 2, S. 208-234. Esser, Hartmut 2006: Sprache und Integration. Die sozialen Bedingungen und Folgen des Spracherwerbs von Migranten. Frankfurt/M./New York. Frindte, Wolfgang u. a. 2012: Lebenswelten junger Muslime in Deutschland. Ein sozial- und medienwissenschaftliches System zur Analyse, Bewertung und Prävention islamistischer Radikalisierungsprozesse junger Menschen in Deutschland. Bundesministerium des Innern. Phinney, Jean S. 2006: Ethnic Identity Exploration in Emerging Adulthood. In: Arnett, J. J./ Tanner, J. L. (Hrsg.): Emerging Adults in America: Coming of Age in the 21st Century. Washington, DC, S. 117-34. L I T E R AT UR Achour, Sabine 2013: Bürger muslimischen Glaubens. Politische Bildung im Kontext von Migration, Integration und Islam. Schwalbach/Ts. Behrmann, Günter C. u. a. 2004: Politik. Kerncurriculum Sozialwissenschaften in der gymnasialen Oberstufe. In: Tenorth, Heinz-Elmar (Hrsg.): Kerncurriculum Oberstufe II. Biologie, Chemie, Physik, Geschichte, Politik. Weinheim u. a., S. 322-406. Dr. Rahim Hajji ist Professor für Sozial- und Gesundheitswesen mit dem Schwerpunkt Forschungsmethoden an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Böckenförde, Ernst-Wolfgang 1976: Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht. Frankfurt/M. Decker, Oliver u. a. 2014: Die stabilisierte Mitte. Rechtsextreme Einstellung in Deutschland 2014. Leipzig. Detjen, Joachim u. a. 2012: Politikkompetenz – ein Modell. Wiesbaden. Ersanilli, Evelyn u. a. 2011: Do Immigrant Integration Policies Matter? A Three-Country Comparison among Turkish Immigrants. In: West Dr. Sabine Achour ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft, Schwerpunkt Sozialkunde/Didaktik der Politik, an der FU Berlin.
© Copyright 2024 ExpyDoc