FALLINFORMATION Der Preis der Katastrophen: Betroffene von Fabrikbrand in Pakistan verklagen KiK Warum die Klage? Die Kläger wollen nicht hinnehmen, dass die Unternehmen von der Ausbeutung der Arbeiterinnen und Arbeiter in Südasien profitieren, aber letztendlich keinerlei Verantwortung für deren Sicherheit tragen. Die Klage gegen KiK in Deutschland ist damit auch ein Signal an andere Textilfirmen weltweit: Transnationale Unternehmen sind auch für die Arbeitsbedingungen in ihren Tochter- und Zulieferbetrieben im Ausland verantwortlich. Dafür sind immer mehr Betroffene und Organisationen bereit, vor Gericht zu ziehen. Warum haben die Hinterbliebenen das Angebot von KiK abgelehnt? Kurz nach der Katastrophe zahlte KiK 1. Mio US-Dollar als Soforthilfe für die Überlebenden und Hinterbliebenen. Dieses Geld hat eine unabhängige Kommission in Pakistan an diese Betroffenen und Familien verteilt. Seit Dezember 2012 gab es Verhandlungen über nachhaltige Entschädigungen. Es ging um ein Wiedergutmachungs-Paket für alle Betroffenen. Ziel waren Entschädigungen für den Ausfall des Einkommens des Haupternährers vieler 1 An den Folgen der Brandkatastrophe von Karachi leiden die Überlebenden und Hinterbliebenen bis heute. Sie verlangen von KiK – nach eigenen Angaben Hauptauftraggeber der Fabrik – Gerechtigkeit. Und sie wollen zeigen, dass sie als Überlebende und Hinterbliebene nicht bloß die „armen Opfer“ der Brandkatastrophe sind, sondern aktiv werden. Fallbeschreibung: Textilfabrikbrand Pakistan 260 Tote und 32 zum Teil schwer Verletzte: Die Arbeiterinnen und Arbeiter der Textilfabrik Ali Enterprises in Karachi haben bei der Brandkatastrophe am 11. September 2012 mit ihrer Gesundheit und ihrem Leben für die Kleidung von KiK gezahlt. Zuvor hatten sie zu einem Hungerlohn und unter menschenunwürdigen Bedingungen gearbeitet. Das ist der Preis der Textilproduktion für den westlichen Markt - nicht nur in Pakistan, sondern auch in Bangladesch, Myanmar und anderen Ländern Südasiens. Familien. Die Betroffenen forderten den pakistanischen Mindestlohn von drei Jahren. Außerdem sollte KiK seine Mit-Verantwortung für die Feuerschutzmängel in der Fabrik anerkennen. Doch KiK hat die Überlebenden und Hinterbliebenen der Katastrophe von Karachi erst hingehalten und im Dezember 2014 dann ein inakzeptables Angebot gemacht. Das Unternehmen gab darin zu verstehen: Es wird kein Schmerzensgeld geben. Unterm Strich sollten die Betroffenen eine Zahlung von zunächst ca. 1.000 $ erhalten. Auf konkrete Zahlen für eine langfristige Entschädigung wollte sich das Unternehmen aber nicht festlegen. Jegliche Verantwortung für die Toten und Verletzten von Karachi wies KiK von sich. KiK ist nicht der Täter: Was genau ist Gegenstand der Klage? Auf welcher Grundlage klagen die Betroffenen in Deutschland? Bei Ansprüchen auf Schadensersatz, die aus sich nicht aus einem Vertrag ableiten, bestimmt bei grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten die Rom IIVerordnung, welches Recht anzuwenden ist. Wenn beispielsweise ein Deutscher in Frankreich einen Autounfall verursacht und die geschädigte Französin am Wohnsitz des Deutschen in Deutschland auf Schadensersatz klagt, dann regelt diese Verordnung welches Recht anzuwenden ist. Im Regelfall danach das Recht des Landes anwendbar, in dem der Schaden entstanden ist – in diesem Beispiel wäre das Frankreich. Zuständig sind für solche Klagen die Gerichte am Wohnort des Beklagten, in diesem Fall also Deutschland. D.h., die geschädigte Französin könnte den Deutschen wegen der 2 Die Klägerinnen und Kläger haben Klage auf Schadensersatz eingereicht. Sie fordern 30.000 Euro Schmerzensgeld pro Opfer. Sie begründen dies damit, dass KiK für die Feuerschutzmängel in der pakistanischen Fabrik eine rechtliche (Mit-)Verantwortung trägt und folglich auch für die Schäden haftet, die durch die Brandkatastrophe entstanden sind. Fallbeschreibung: Textilfabrikbrand Pakistan Dieses Angebot hat die Baldia Factory Fire Association, die Selbstorganisation der Betroffenen am 08. Februar 2015 abgelehnt. Bei dem Treffen in Karachi bestimmte die Organisation auch die vier Personen, die Klage eingereicht haben. Die Betroffenen haben sich vor dieser Entscheidung lange vorbereitetet und gut informiert. Schäden des Autounfalles an seinem Wohnsitz in Deutschland verklagen. Das deutsche Gericht würde französisches Recht anwenden. Rom II dient im Fall KiK als „Einfallstor“ in deutsches Recht: Bei dem Brand bei Ali Enterprises ist pakistanisches Recht anwendbar. Das pakistanische Rechtssystem gehört zum Common Law Rechtssystem. Pakistanische Gerichte sehen sich in der Regel an die Rechtsprechung indischer und britischer Gerichte gebunden. Daher ist die Anwendung der in der UK und Indien weiterentwickelten common law Ansprüche angebracht. Diese Ansprüche sind vergleichbar mit den deutschen Schadensersatznormen des BGB (§§ 823, 831). Auch hier ist eine Haftung für untergeordnete Mitarbeiter vorgesehen. Im Common Law sind diese Haftungstatbestände aber deutlich weitergefasst als in Deutschland. Als Organisation setzten wir auf die „Nutzbarkeit“ des Rechts. Wir gebrauchen das Recht, um ungerechte Verhältnisse zu ändern. Wir wollen gegen das System der „organisierten Un-Verantwortung“ in den globalen Zulieferketten vorgehen. Wir kämpfen dafür, dass unser Rechtssystem den globalen Wirtschaftsstrukturen Rechnung trägt. Dazu gehört beispielsweise, dass bei derartigen Brandkatastrophen das einkaufende Unternehmen, das von den Produktionsbedingungen profitiert, zur Verantwortung gezogen wird. Die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte des UNMenschenrechtsrates legen die Verantwortung von Unternehmen für ihre gesamte Zulieferkette fest. Diesen internationalen Standard, der den Konsens der Staatengemeinschaft widerspiegelt, müssen auch nationale Gerichten umsetzen. Wir brauchen grundlegende Rechtsreformen, damit die Opfer von 3 Welche Rolle spielt das ECCHR bei der Klage? Fallbeschreibung: Textilfabrikbrand Pakistan Wir stützen die Klage auf aktuelle Entwicklungen im Common Law, die insbesondere durch pakistanische, indische und britische Gerichte gefestigt wurden. Die Urteile dieser Gerichte tragen modernen Wirtschaftsstrukturen zunehmend Rechnung: Die Gerichte sehen eine Haftung von auftraggebenden Unternehmen für zuliefernde Unternehmen dann als gegeben an, wenn eine hinreichend nahe Beziehung zwischen den Unternehmen bestand. Da die pakistanische Fabrik fast ausschließlich für KiK produziert hat und KiK mehrfach versichert, all seine Zulieferbetriebe regelmäßig zu besuchen und selbst zu kontrollieren ist die Geschäftsbeziehung zwischen KiK und der pakistanischen Fabrik als eng und „nahe“ anzusehen. Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen überhaupt in den Ländern klagen können, in denen die Mutterfirmen ihren Sitz haben. Um dieses Ziel zu erreichen verfolgen wir gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen verschiedene Rechtswege: Das ECCHR arbeitet seit zwei Jahren mit verschiedenen pakistanischen Partnerorganisationen und 190 betroffenen Familienangehörigen an der juristischen Aufarbeitung des Brandes bei Ali Enterprises und unterstützt damit die Klage. Bei mehreren Recherchereisen haben ECCHR-Mitarbeiterinnen die Berichte von Überlebenden, Hinterbliebenen und Zeugen der Brandkatastrophe dokumentiert. Die Aussagen der Betroffenen sowie die juristische Expertise des ECCHR sind die Grundlage für die Klage vor einem deutschen Gericht. 4 Fallbeschreibung: Textilfabrikbrand Pakistan Darüber hinaus hat das ECCHR im Strafverfahren gegen die Besitzer der abgebrannten Textilfabrik Ali Enterprises, das in Pakistan anhängig ist, vor dem High Court of Sindh in Karachi ein Rechtsgutachten zur Ausweitung der Ermittlungen eingereicht. In dem Gutachten fordern wir mit unseren Partnerorganisationen den Staat Pakistan auf, das Verfahren auszuweiten und die Rolle der beiden europäischen Unternehmen KiK und RINA zu untersuchen. In Italien unterstützen wir das Ermittlungsverfahren gegen die Zertifizierungsfirma RINA ebenfalls mit unserer juristischen Expertise. RINA hatte der Ali Enterprises Fabrik wenige Wochen vor dem Brand das SA 8000 Zertifikat ausgestellt und damit der Fabrik hohe Feuer-Sicherheitsstandards bescheinigt.
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