FEBRUAR 2016 DAS MAGAZIN DES HILFSWERKS DER EVAN INDONESIEN 10 JAHRE NACH DER KATASTROPHE KIRCHEN SCHWEIZ ÜBERLEBENSKAMPF Eine Reportage aus der DR Kongo INFOSCHWEIZ 50+ Pilotprojekt für ältere Asylsuchende INHALT IMPRESSUM NR. 331 / FEBRUAR 2016 HANDELN Das Magazin des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen Schweiz Erscheint 4-mal jährlich AUFLAGE 52 000 REDAKTIONSLEITUNG Dieter Wüthrich (dw) REDAKTION Bettina Filacanavo (fb) BILDREDAKTION Sabine Buri Mobilität in der von Armut und Gewalt zerrütteten DR Kongo: eine Gruppe junger Männer, unterwegs auf einem «Chukudu» in Goma (Provinz Nord-Kivu). Foto: Teun Voeten/Panos Pictures TITELBILD Annette Boutellier KORREKTORAT korr.ch THEMA HEKS wirkt Erfolgreiche Wiederaufbauarbeit in Indonesien IN DIESER NUMMER 3Editorial 4Indonesien HEKS blickt auf erfolgreiche Wiederaufbauarbeit zurück 8 «Kongo fatigue» Enwicklungszusammenarbeit in einem zerrütteten Land 10Interview Simon Engeli und Andrea Hämmerle erzählen von ihren Eindrücken aus der DR Kongo 16Pilotprojekt InfoSchweiz 50+ unterstützt Asylsuchende im Seniorenalter 18Prävention Katastrophenvorsorge auf den Philippinen 21Persönlich 10 Fragen an Nora Wittchen, freiwillige Mitarbeiterin 22Patenschaft Starthilfen für Frauen in Senegal 23Aktuell Winterhilfe für Flüchtlinge in Serbien 2 GESTALTUNG Joseph Haas und Corinne Kaufmann-Falk, Zürich DRUCK Kyburz AG, Dielsdorf PAPIER Refutura / Recycled / FSC ABONNEMENT Fr. 10.– / Jahr wird jährlich einmal von Ihrer Spende abgezogen ADRESSE HEKS Seminarstrasse 28 Postfach 8042 Zürich Telefon 044 360 88 00 Fax 044 360 88 01 E-Mail [email protected] www.heks.ch www.eper.ch HEKS-SPENDENKONTO: Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz PC 80-1115-1 EDITORIAL LIEBE LESERIN LIEBER LESER Haben Sie sich schon einmal überlegt, unter welchen Umständen Sie sich dazu entschliessen würden, alleine oder mit Ihrer Familie aus der Schweiz zu fliehen und dabei Ihr ganzes Hab und Gut zurückzulassen? Es wären wohl die gleichen Gründe, aus denen Menschen seit jeher diese schwierige Entscheidung getroffen haben: Krieg, Hunger, Armut – und die vage Hoffnung, in einem anderen Land ein Leben in Sicherheit, vielleicht sogar bescheidenem Wohlstand führen zu können. Für die EZA-Projekte von HEKS bedeutet dies dreierlei: Zum einen müssen wir uns mit weniger Mitteln noch stärker auf unsere EZA-Kernkompetenzen – Entwicklung ländlicher Gemeinschaften, Zugang zu Land sowie Konfliktbearbeitung – fokussieren. Und uns damit möglicherweise – wie dies auf den Philippinen per Ende 2015 geschehen ist – aus einigen Ländern zurückziehen (vgl. Seiten 18/19). «Wir wollen die grösstmögliche positive Wirkung für unsere Begünstigten erzielen.» Die Frage, wie der erzwungenen Migration von Hunderttausenden von Menschen Einhalt geboten werden kann, wird oft gestellt. Eine auch hierzulande viel gehörte Antwort lautet: Statt Millionen von Franken in unser Asylwesen zu pumpen, sei es besser, diese Menschen in ihren Heimatländern zu unterstützen. Was wiederum heissen würde, nicht nur in die kurzfristige humanitäre Hilfe, sondern auch mehr Mittel in die langfristige Entwicklungszusammenarbeit (EZA) zu investieren. So bedenkenswert dieser Ansatz sein mag, so wenig korrespondiert er leider mit der aktuellen politischen Realität. Tatsächlich werden Schweizer Hilfswerke in den kommenden Jahren wohl mit markant weniger Bundesmitteln für ihre EZA-Projekte auskommen müssen, nachdem National- und Ständerat für 2016 entsprechende Kürzungen beschlossen haben und der Bundesrat weitere Einsparungen für die Jahre 2017 bis 2019 ins Auge gefasst hat. Zum anderen wollen wir unserem Anspruch, mit den eingesetzten Mitteln die grösstmögliche positive Wirkung für unsere Begünstigten zu erzielen, auch in Zukunft gerecht werden. Dazu bedarf es einer verlässlichen Wirkungsmessung wie etwa bei unseren EZA-Projekten in Indonesien (vgl. Seiten 4 – 7). Und drittens bedeutet der Sparkurs des Bundes bei der EZA, dass wir mehr denn je auf private Spenden angewiesen sind. Dafür, dass Sie uns auch in Zukunft unterstützen, danke ich Ihnen deshalb von ganzem Herzen. Andreas Kressler Direktor 3 INDONESIEN Hoffen auf reichen Fang: Fischer auf der Insel Nias tragen einen Korb zu ihrem Boot. AUS TRÜMMERN WÄCHST NEUE HOFFNUNG Letztes Jahr hat HEKS seine Projekte der Humanitären Hilfe in Indonesien abgeschlossen und blickt heute auf eine erfolgreiche Wiederaufbauarbeit auf der Insel Nias und in der Region von Padang und Pariaman in Westsumatra zurück. Text Judith Macchi Fotos Annette Boutellier Vor über zehn Jahren wurden die Menschen auf Nias gleich zwei- mal von Katastrophen getroffen; was im Dezember 2004 nicht bereits der Tsunami zerstört hatte, sank im März 2005 bei einem Erdbeben der Stärke 8,7 in Trümmern. Seither hat sich das Leben der Menschen auf der Insel Nias zum Guten verändert – auch dank den vielfältigen Hilfsmassnahmen von internationalen und lokalen Organisationen. In sechs Dörfern an der nordwestlichen Küste von Nias hat HEKS zusammen mit der lokalen Partner organisation «Holianaa» viel zur positiven Entwicklung beige tragen. Waren vor Tsunami und Erdbeben Frauen nur selten an Dorfversammlungen anzutreffen, gestalten sie heute das Dorf leben aktiv mit. «Früher mussten wir bei den Dorfversammlungen auf dem Boden sitzen und durften nicht mitreden, heute sitzen wir neben den Männern auf Stühlen und dürfen sogar als 4 Erste unsere Meinung zu Entscheidungen äussern», berichtet eine ältere Dorfbewohnerin bei der Schlussevaluation der HEKSProjekte. Die Evaluation hat denn auch gezeigt, dass das Selbstbewusstsein der Frauen gewachsen ist und sich ihr Status innerhalb der Familie und in den Dörfern verbessert hat. Kredit- und Spargruppen 2006, nach der Verteilung von Soforthilfe-Paketen unmittelbar nach der Katastrophe, hat «Holianaa» mit Unterstützung von HEKS damit begonnen, die ökonomischen Lebensgrundlagen der begünstigten Familien wiederherzustellen und nachhaltig zu verbessern. Im Besonderen die Frauen wurden darin unterstützt, Kleinunternehmen aufzubauen, die der Familie ein Zusatzeinkommen und damit eine sichere Lebensgrundlage einbrachten. Um das Kapital für den Unternehmensaufbau sicherzustellen, wurden auf Dorfebene Kredit- und Spargruppen gegründet. Besonders arme Frauen erhielten ein Startkapital, welches sie zur Hälfte zurückzahlen mussten. Zudem wurden die Mitglieder der Kredit- und Spargruppen in Buchhaltung, ökologischer Landwirtschaft und in der Tierhaltung geschult. Schliesslich wurden Frauen und Männer bei gemeinsamen Veranstaltungen für Genderthemen sensibilisiert. Startkapital und Ausbildung für Frauen Die Evaluation hat gezeigt, dass viele der Frauen, die durch das Projekt ein Startkapital zur Unternehmensgründung sowie eine Ausbildung erhalten haben, auch drei Jahre nach Projektabschluss immer noch erfolgreich ihre kleinen Geschäfte betreiben; sie sind heute Schweinezüchterinnen, Gemüse-,Kakao- oder Kautschukhändlerinnen oder sie führen einen eigenen Laden. Auch Asma, 38-jährig und Mutter von sechs Kindern, ist heute Kleinunternehmerin. Sie züchtet Hühner und baut Obst und Gemüse an, das sie dann auf dem Markt verkauft. Über die FrauenSpargruppe konnte sie einen Kredit aufnehmen. «Ich habe Kurse von «Holianaa» besucht, in denen ich alles Wichtige lernte, um eine eigene Hühnerzucht zu betreiben und um Gemüse und Obst anzubauen. Zudem lernte ich, wie ich in der Kooperative mitarbeiten kann», berichtet sie. Sie und ihr Mann, der als Fischer arbeitet, verdienen heute zusammen rund 150 Franken im Monat. Das Geld brauchen sie für den täglichen Lebensunterhalt und für die Ausbildung ihrer Kinder. Im Gegensatz zu Asma hat die 39-jährige Inasafa, Mutter von fünf Kindern, auf Kautschuk gesetzt. Damals, als sie bei «Holianaa» die Ausbildung machte und alles über den Kautschuk lernte, war der Kautschukpreis dreimal höher als heute. «Ich besitze zweihundert Bäume, von denen ich rund acht Kilogramm Kautschuk pro Tag ernten kann», sagt sie. Trotz den tiefen Preisen Mit der Gewinnung von Kautschuk (Bild oben) oder dem Verkauf von geräuchertem Fisch können sich Frauen ein zusätzliches Einkommen erwirtschaften. hat sie, neben den Einnahmen ihres Mannes als Fischer, dank ihrer Plantage ein Einkommen, das der Familie hilft. Aber sie hofft sehr, dass die Preise in Zukunft wieder steigen werden. Diversifizieren Frauen, die wie Inasafa in den letzten Jahre zu einseitig auf die Kautschukproduktion setzten, mussten in den letzten beiden Jahren herbe Einkommenseinbussen in Kauf nehmen: Nach jahrelangem Höhenflug ist der Kautschukpreis vor zwei Jahren ein gebrochen. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, dass HEKS in seinen Projekten die Begünstigten dafür sensibilisiert, auf mehrere Einkommenszweige zu setzen und Ersparnisse anzulegen. Versiegt wegen der volatilen Weltmarkpreise oder als Folge einer Naturkatastrophe eine Einkommensquelle, kann die Familie noch auf einen anderen Einkommenszweig zurückgreifen und so eine Krise aus eigener Kraft überstehen. 5 KONFLIKTBEARBEITUNG DER RESIGNATION TROTZEN Im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DRK) sehen sich HEKS und seine örtlichen Partner mit einer komplexen und instabilen Lage konfrontiert. Die Kriminalität steigt, einheimisches Personal wird häufig entführt, bewaffnete Gruppen unbekannter Herkunft treiben ihr gewalttätiges Unwesen – und zu alledem besteht das Risiko von Vulkanausbrüchen. Wie arbeitet HEKS unter diesen Bedingungen? Text Thierry Pleines, Programmverantwortlicher DRK Ein Sonntagmorgen im Oktober 2015 auf einer steinigen Strassenpiste in der Provinz Nord-Kivu. 17 Mitglieder einer Partnerorganisation von HEKS sind dort in zwei Kleinbussen unterwegs. Plötzlich versperren bewaffnete Männer den Weg und fordern die Insassen auf, aus den Bussen zu steigen. Die beiden Frauen lassen sie laufen, die Männer behalten sie in ihrer Gewalt und fordern Lösegeld. Die Sicherheitslage in Nord-Kivu im Osten der riesigen DR Kongo ist prekär und instabil. Die kongolesischen Partner von HEKS stehen jeden Tag vor der heiklen Frage, ob sie ihrer Arbeit nachkommen und sich den Gefahren aussetzen oder ob sie im Büro bleiben und sich unnütz fühlen sollen. Manchmal ist ein Gebiet von einem auf den anderen Tag unzugänglich und das Personal muss evakuiert werden. «Kongo fatigue» Die Region ist von Umstürzen wechselnder politischer Allianzen und von Konflikten geprägt, denen schon Hunderttausende zum Opfer gefallen sind. Es herrschen bewaffnete Gruppen, die von Erpressung und dem «Schutz» der Minengebiete leben. Die offizielle Armee kontrolliert nur einen kleinen Teil des Landes und trägt selbst ihren Teil zur Instabilität bei. 8 Viele Diplomaten und Menschen, die sich für die Entwicklung des Landes engagiert haben, sind mittlerweile entmutigt und leiden unter Abnutzungserscheinungen, im Land selber häufig als «Kongo fatigue» bezeichnet. Das Gefühl des Ausgebranntseins erklärt sich einmal durch die absurde, nicht endende Gewalt insbesondere gegen Frauen. Weiter durch die Tatsache, dass in diesem grossen Land viele Probleme ungelöst sind: einerseits fehlt es an integeren politischen Kräften andererseits haben die komplexen ethnischen und wirtschaftlichen Spannungen bereits auf die Nachbarländer übergegriffen. Sogar die «MONUSCO», der grösste friedenssicherende Einsatz der UN-Blauhelme, ist festgefahren. Die Spannung steigt Im Hinblick auf die für 2016 angekündigten Präsidentschaftswahlen mehren sich die Anzeichen für einen erneuten Ausbruch bewaffneter Konflikte. Denn wie in zahlreichen Nachbarländern konzentriert sich auch in der Demokratischen Republik Kongo das politische Leben auf einen Präsidenten, der zu allem bereit ist, um sich seine Herrschaft zu sichern. Selbst ausländische Regierungen, die sich früher in der DRK engagiert haben, haben heute kei- nen Einfluss mehr. Davon zeugt auch die jüngste Verhaftung eines US-Beamten. Der Zugang zu den lukrativen kongo lesischen Bodenschätzen trägt ebenfalls massgeblich zur Instabilität bei. Die Arbeitsbedingungen in den Minen sind erschreckend, vom Verkauf finanzieren sich bewaffnete Gruppen und Politiker. Konzerne, von denen manche ihren Sitz in der Schweiz haben, treiben florierende Geschäfte mit diesen Ressourcen. Hoffnungsschimmer Trotzdem gibt es einen kleinen Hoffnungsschimmer. Anfang 2015 mobilisierte sich die Bevölkerung friedlich und mutig, um sich der geplanten Verfassungsänderung zu widersetzen und Präsident Kabila an einer Verlängerung seiner Amtszeit zu hindern. Studenten nahmen zu anderen jungen Leuten in Burkina Faso und in Senegal Kontakt auf, denen es in ihren Ländern gelungen war, die Demokratie voranzubringen. Auch das landwirtschaftliche Potenzial in der DRK ist enorm. Dafür sorgen der fruchtbare Boden aus Vulkangestein, häu- fige Regenfälle und erfahrene Landwirte. Dank einem fragilen Waffenstillstands abkommen waren die Ernten in den Jahren 2014 und 2015 gut. Freund oder Feind? Ein bewaffneter Soldat der «Congolese Rebel Army FPC» beobachtet eine Gruppe Minenarbeiter auf ihrem Weg zur Arbeit. Foto: James Oatway/Panos Pictures DEMOKRATISCHE REPUBLIK KONGO DIE DR KONGO IST DAS ZWEITGRÖSSTE LAND AFRIKAS ZENTRALAFRIKANISCHE REPUBLIK SUDAN UGANDA REPUBLIK KONGO DEMOKRATISCHE REPUBLIK KONGO SÜD-KIVU Neue Ausrichtung der HEKS-Projektarbeit Vor dem Hintergrund seiner 50-jährigen Erfahrung in der DRK, davon mehr als 20 in Kivu, denkt HEKS trotz allen Schwierigkeiten nicht daran, sein Engagement aufzugeben. Allerdings musste die Strategie mit den Hauptbetroffenen neu definiert werden, um das Landesprogramm 2016 – 2017 auszuarbeiten. So wurden schliesslich verschiedene Massnahmen identifiziert, die tatsächlich eine Verbesserung der Situation bringen können. Nord-Kivu die Aktivitäten eines Netzwerkes von Organisationen unterstützt, die in rund zwölf Dörfern tätig sind. Mit Hilfe der traditionellen, von der Bevölkerung anerkannten Dorfvorsteher sollen die Spannungen zwischen den Gemeinschaften abgebaut werden. Das Programm zur Beilegung von Landkonflikten wird fortgesetzt, da der Zugang zu Grund und Boden als Folge der Flüchtlingsströme in den letzten Jahrzehnten immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen geführt hat. Die erste Massnahme betrifft die Verbesserung des Sicherheitsdispositivs – eine notwendige Voraussetzung, um die Arbeit im Land überhaupt fortsetzen zu können. So werden künftig bei jeder Fahrt systematisch Vorsichtsmassnahmen getroffen, die jedoch die Arbeit nicht übermässig behindern sollen. Das einheimische Personal ist gut ausgebildet und aufmerksam. Gegen die wahrscheinlichsten potenziell gefährlichen Zwischenfälle wurden ebenfalls entsprechende Vorkehrungen getroffen. Als dritte Massnahme wird HEKS die Dorfbewohner bei ihren Bemühungen zur Konfliktbewältigung systematisch unterstützen. Eine Form des Widerstands der Bauern gegen die Plünderungen marodierender Milizen ist der Anbau von Süsskartoffeln: Diese zu ernten, ist für die Soldaten zu umständlich und langwierig – im Gegensatz zu Hühnern und Schafen, die schnell gestohlen und geschlachtet sind. Als zweite Massnahme wird HEKS sein Engagement zur Friedensförderung intensivieren, indem es sich auf lokal verankerte Prozesse stützt. Namentlich werden in Wider die Komplizenschaft der Rohstoffkonzerne Letzten Endes müssen wir in der Schweiz aber vor der eigenen Haustür kehren. Wir sollten nicht länger hinnehmen, dass Konzerne die Ressourcen der DR Kongo KENIA NORD-KIVU RUANDA BURUNDI TANSANIA ANGOLA SAMBIA Bevölkerungszahl 80 Mio. Fläche in km2 2 344 860 Trotz seinem Rohstoffreichtum zählt der Staat, bedingt durch jahrzehntelange Ausbeutung, Korruption, jahrelange Kriege und ständige Bevölkerungszunahme, heute zu den ärmsten Ländern der Welt. Besonders von Armut betroffen ist die Provinz Kivu. ausbeuten und sich auf diese Weise zu Komplizen der Gewalttäter machen. Deshalb unterstützt HEKS die Konzernverantwortungs-Initiative. Diese verlangt, dass Firmen den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt verbindlich in sämtliche ihre Geschäftsabläufe einbauen. Nein, die «Kongo fatigue» ist bei HEKS nicht ausgebrochen. Aber es bleibt viel zu tun! 9 KONFLIKTBEARBEITUNG DER RESIGNATION TROTZEN Im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DRK) sehen sich HEKS und seine örtlichen Partner mit einer komplexen und instabilen Lage konfrontiert. Die Kriminalität steigt, einheimisches Personal wird häufig entführt, bewaffnete Gruppen unbekannter Herkunft treiben ihr gewalttätiges Unwesen – und zu alledem besteht das Risiko von Vulkanausbrüchen. Wie arbeitet HEKS unter diesen Bedingungen? Text Thierry Pleines, Programmverantwortlicher DRK Ein Sonntagmorgen im Oktober 2015 auf einer steinigen Strassenpiste in der Provinz Nord-Kivu. 17 Mitglieder einer Partnerorganisation von HEKS sind dort in zwei Kleinbussen unterwegs. Plötzlich versperren bewaffnete Männer den Weg und fordern die Insassen auf, aus den Bussen zu steigen. Die beiden Frauen lassen sie laufen, die Männer behalten sie in ihrer Gewalt und fordern Lösegeld. Die Sicherheitslage in Nord-Kivu im Osten der riesigen DR Kongo ist prekär und instabil. Die kongolesischen Partner von HEKS stehen jeden Tag vor der heiklen Frage, ob sie ihrer Arbeit nachkommen und sich den Gefahren aussetzen oder ob sie im Büro bleiben und sich unnütz fühlen sollen. Manchmal ist ein Gebiet von einem auf den anderen Tag unzugänglich und das Personal muss evakuiert werden. «Kongo fatigue» Die Region ist von Umstürzen wechselnder politischer Allianzen und von Konflikten geprägt, denen schon Hunderttausende zum Opfer gefallen sind. Es herrschen bewaffnete Gruppen, die von Erpressung und dem «Schutz» der Minengebiete leben. Die offizielle Armee kontrolliert nur einen kleinen Teil des Landes und trägt selbst ihren Teil zur Instabilität bei. 8 Viele Diplomaten und Menschen, die sich für die Entwicklung des Landes engagiert haben, sind mittlerweile entmutigt und leiden unter Abnutzungserscheinungen, im Land selber häufig als «Kongo fatigue» bezeichnet. Das Gefühl des Ausgebranntseins erklärt sich einmal durch die absurde, nicht endende Gewalt insbesondere gegen Frauen. Weiter durch die Tatsache, dass in diesem grossen Land viele Probleme ungelöst sind: einerseits fehlt es an integeren politischen Kräften andererseits haben die komplexen ethnischen und wirtschaftlichen Spannungen bereits auf die Nachbarländer übergegriffen. Sogar die «MONUSCO», der grösste friedenssicherende Einsatz der UN-Blauhelme, ist festgefahren. Die Spannung steigt Im Hinblick auf die für 2016 angekündigten Präsidentschaftswahlen mehren sich die Anzeichen für einen erneuten Ausbruch bewaffneter Konflikte. Denn wie in zahlreichen Nachbarländern konzentriert sich auch in der Demokratischen Republik Kongo das politische Leben auf einen Präsidenten, der zu allem bereit ist, um sich seine Herrschaft zu sichern. Selbst ausländische Regierungen, die sich früher in der DRK engagiert haben, haben heute kei- nen Einfluss mehr. Davon zeugt auch die jüngste Verhaftung eines US-Beamten. Der Zugang zu den lukrativen kongo lesischen Bodenschätzen trägt ebenfalls massgeblich zur Instabilität bei. Die Arbeitsbedingungen in den Minen sind erschreckend, vom Verkauf finanzieren sich bewaffnete Gruppen und Politiker. Konzerne, von denen manche ihren Sitz in der Schweiz haben, treiben florierende Geschäfte mit diesen Ressourcen. Hoffnungsschimmer Trotzdem gibt es einen kleinen Hoffnungsschimmer. Anfang 2015 mobilisierte sich die Bevölkerung friedlich und mutig, um sich der geplanten Verfassungsänderung zu widersetzen und Präsident Kabila an einer Verlängerung seiner Amtszeit zu hindern. Studenten nahmen zu anderen jungen Leuten in Burkina Faso und in Senegal Kontakt auf, denen es in ihren Ländern gelungen war, die Demokratie voranzubringen. Auch das landwirtschaftliche Potenzial in der DRK ist enorm. Dafür sorgen der fruchtbare Boden aus Vulkangestein, häu- fige Regenfälle und erfahrene Landwirte. Dank einem fragilen Waffenstillstands abkommen waren die Ernten in den Jahren 2014 und 2015 gut. Freund oder Feind? Ein bewaffneter Soldat der «Congolese Rebel Army FPC» beobachtet eine Gruppe Minenarbeiter auf ihrem Weg zur Arbeit. Foto: James Oatway/Panos Pictures DEMOKRATISCHE REPUBLIK KONGO DIE DR KONGO IST DAS ZWEITGRÖSSTE LAND AFRIKAS ZENTRALAFRIKANISCHE REPUBLIK SUDAN UGANDA REPUBLIK KONGO DEMOKRATISCHE REPUBLIK KONGO SÜD-KIVU Neue Ausrichtung der HEKS-Projektarbeit Vor dem Hintergrund seiner 50-jährigen Erfahrung in der DRK, davon mehr als 20 in Kivu, denkt HEKS trotz allen Schwierigkeiten nicht daran, sein Engagement aufzugeben. Allerdings musste die Strategie mit den Hauptbetroffenen neu definiert werden, um das Landesprogramm 2016 – 2017 auszuarbeiten. So wurden schliesslich verschiedene Massnahmen identifiziert, die tatsächlich eine Verbesserung der Situation bringen können. Nord-Kivu die Aktivitäten eines Netzwerkes von Organisationen unterstützt, die in rund zwölf Dörfern tätig sind. Mit Hilfe der traditionellen, von der Bevölkerung anerkannten Dorfvorsteher sollen die Spannungen zwischen den Gemeinschaften abgebaut werden. Das Programm zur Beilegung von Landkonflikten wird fortgesetzt, da der Zugang zu Grund und Boden als Folge der Flüchtlingsströme in den letzten Jahrzehnten immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen geführt hat. Die erste Massnahme betrifft die Verbesserung des Sicherheitsdispositivs – eine notwendige Voraussetzung, um die Arbeit im Land überhaupt fortsetzen zu können. So werden künftig bei jeder Fahrt systematisch Vorsichtsmassnahmen getroffen, die jedoch die Arbeit nicht übermässig behindern sollen. Das einheimische Personal ist gut ausgebildet und aufmerksam. Gegen die wahrscheinlichsten potenziell gefährlichen Zwischenfälle wurden ebenfalls entsprechende Vorkehrungen getroffen. Als dritte Massnahme wird HEKS die Dorfbewohner bei ihren Bemühungen zur Konfliktbewältigung systematisch unterstützen. Eine Form des Widerstands der Bauern gegen die Plünderungen marodierender Milizen ist der Anbau von Süsskartoffeln: Diese zu ernten, ist für die Soldaten zu umständlich und langwierig – im Gegensatz zu Hühnern und Schafen, die schnell gestohlen und geschlachtet sind. Als zweite Massnahme wird HEKS sein Engagement zur Friedensförderung intensivieren, indem es sich auf lokal verankerte Prozesse stützt. Namentlich werden in Wider die Komplizenschaft der Rohstoffkonzerne Letzten Endes müssen wir in der Schweiz aber vor der eigenen Haustür kehren. Wir sollten nicht länger hinnehmen, dass Konzerne die Ressourcen der DR Kongo KENIA NORD-KIVU RUANDA BURUNDI TANSANIA ANGOLA SAMBIA Bevölkerungszahl 80 Mio. Fläche in km2 2 344 860 Trotz seinem Rohstoffreichtum zählt der Staat, bedingt durch jahrzehntelange Ausbeutung, Korruption, jahrelange Kriege und ständige Bevölkerungszunahme, heute zu den ärmsten Ländern der Welt. Besonders von Armut betroffen ist die Provinz Kivu. ausbeuten und sich auf diese Weise zu Komplizen der Gewalttäter machen. Deshalb unterstützt HEKS die Konzernverantwortungs-Initiative. Diese verlangt, dass Firmen den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt verbindlich in sämtliche ihre Geschäftsabläufe einbauen. Nein, die «Kongo fatigue» ist bei HEKS nicht ausgebrochen. Aber es bleibt viel zu tun! 9 INTERVIEW «DER ALLTAG IST EIN HARTER ÜBERLEBENSKAMPF» Für den Schauspieler und Musiker Simon Engeli war es die Erfüllung eines lange gehegten Wunsches. Um sich ein eigenes Bild der von ihm unterstützten HEKS-Projekte zu machen, reiste er im A ugust 2015 in die Demokratische Republik (DR) Kongo. Begleitet wurde er dabei von alt Nationalrat Andrea Hämmerle, einem Kenner des afrikanischen Kontinents. Im folgenden Gespräch schildern die beiden ihre eindrücklichen Erlebnisse. Interview Dieter Wüthrich Simon Engeli, Andrea Hämmerle, was waren Ihre Beweggründe für diese Reise? Simon Engeli: Ich war schon immer interessiert an entwicklungspolitischen Themen, wie etwa der Frage, woher unser Reichtum hier in Europa kommt. Ich habe auch zahlreiche Bücher über den Kongo gelesen, ein Land mit einer unglaublich wechselvollen und faszinierenden Geschichte. Ein Land, für dessen Entwicklung Europa und damit auch die Schweiz eine grosse historische Verantwortung tragen. Ich hätte es allerdings kaum gewagt, alleine in dieses Land einzutauchen. Deshalb habe ich Andrea gefragt, ob er mich begleiten würde. Und er war sofort Feuer und Flamme für meine Idee. Andrea Hämmerle: Ich hatte Afrika zuvor zwar schon mehrmals bereist, aber in der DR Kongo war ich erst einmal vor vielen Jahren, nämlich 1972. Mich interessierte, wie sich dieses Land im Laufe der letzten Jahrzehnte entwickelt hat. Welches waren für Sie die prägendsten Eindrücke vom Land und der Situation der dort lebenden Menschen? Andrea Hämmerle: Ich bin in meinem Leben schon viel herumgekommen, aber ein so vollkommen zerrüttetes Land wie die DR Kongo habe ich zuvor noch nie gesehen. Es funktioniert dort praktisch nichts. Was boomt, sind einzig die Reli gion mit ihren freikirchlichen Erweckungs predigern, die Bierbrauereien und die Musik, wobei ich nur Letzterer etwas Po- 10 sitives abgewinnen kann. Die öffentliche Infrastruktur liegt hingegen völlig am Boden und trotzdem leben die Menschen dort irgendwie. Wenn ich die Situation heute mit jener anlässlich meines ersten Besuches vor 43 Jahren vergleiche, so stelle ich fest, dass es mit der Entwicklung des Landes eindeutig abwärts ging. Simon Engeli: Der Alltag der Menschen dort ist ein dauernder, harter und nervenaufreibender Überlebenskampf. Ein Beispiel: Als wir einmal im Auto unterwegs waren, wurden wir mitten auf einer Kreuzung von einem Polizisten angehalten. Als wir uns – typisch schweizerisch – schon fragten, ob wir wohl zu schnell gefahren waren oder sonst ein Verbot missachtet hatten, fragte uns der Polizist, ob wir ihm etwas zu essen hätten. Selbst für kongolesische Staatsbeamte ist also das tägliche Brot alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Andrea Hämmerle: Berührt hat mich unsere Begegnung mit Kojak, einem Musiker, der im Hinterhof eines für unsere Begriffe trostlosen Elendsviertels, für dortige Verhältnisse aber eher eines Mittelstandsquartieres, zusammen mit anderen begabten jungen Leuten auf höchstem Niveau musizierte. Zu erleben, wie Kojak diese jungen Musiker coachte und motivierte, war ein kleiner Hoffnungsschimmer inmitten grösster Armut und Perspektivenlosigkeit. Wie beurteilen Sie die Projekte von HEKS in der DR Kongo? Andrea Hämmerle: Die Projekte von HEKS zur ländlichen Entwicklung sind sehr gut und zeigen Wirkung. Als ehemaliger Bauer erlaube ich mir diese Einschätzung. Es wäre zwar illusorisch zu glauben, dass sich mit solchen kleinen Projekten die Situation in der DR Kongo grundlegend verändern liesse. Dafür ist ihre Hebelwirkung letztlich zu gering. Trotzdem sind diese Projekte enorm wichtig, denn sie sie auch tatsächlich bei den Begünstigten ankommen. Man darf allerdings nicht erwarten, dass Projekte der Entwicklungs zusammenarbeit in einem solch schwierigen Umfeld wie in der DR Kongo immer völlig problemlos umgesetzt werden können. In seiner Sammelkampagne 2015 hat HEKS die Frage thematisiert, ob Spenden überhaupt Sinn macht. Was würden Sie nach dem Besuch der HEKSProjekte in der DR Kongo auf diese Frage antworten? Andrea Hämmerle: Man kann mit Projekten wie jene von HEKS in der DR Kongo nicht für alle den Himmel auf Erden schaffen, aber immerhin für einige Menschen die Hölle auf Erden beseitigen. Simon Engeli (*1978) hat an der «Scuola Teatro Dimitri» Bewegungstheater und Theaterkreation studiert. Seit 2004 ist er als freischaffender Schauspieler und Regisseur tätig. Er ist Mitbegründer der Theaterwerkstatt Gleis 5. Für das 100-Jahr-Jubiläum des Schweizerischen Nationalparks 2014 war er zusammen mit Giuseppe Spina mit der künstlerischen Gesamtleitung des Open-AirTheaters betraut. Ab 2016 ist er Mitglied bei «Karl’s kühne Gassenschau». Er lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Kreuzlingen/TG. Andrea Hämmerle (*1946) hat in Zürich und Basel Jurisprudenz studiert. 1979 bis 1984 war er als Gewerkschaftssekretär tätig. 1989 bis 1994 vertrat er die Sozialdemokratische Partei (SP) im Bündner Kantonsparlament. 1991 wurde er in den Nationalrat gewählt, dem er bis 2011 angehörte. Von 2001 bis 2008 wirkte er zudem als Präsident der Eidgenössischen Nationalpark-Kommission. Daneben bewirtschaftete er bis 2003 einen eigenen biologischen Landwirtschaftsbetrieb. Er unternimmt immer wieder ausgedehnte Reisen in die ganze Welt und hat darüber auch ein Buch geschrieben: «Ein Bündner erfährt die Welt». Die neunjährige Brigitte bereitet sich ein Essen aus Maniok zu. Mit Tausenden anderen zusammen ist sie vor Krieg und Gewalt im Grenzgebiet zwischen der Zentralafrikanischen Republik und der DR Kongo geflohen. Foto: Brian Sokol/Panos Pictures Grenzerfahrung: Simon Engeli (links) und Andrea Hämmerle bei einem Halt in einem kongolesischen Dorf. Foto: Annelies Hegnauer vermögen die Lebenssituation von wenigstens einigen Hundert Familien nachhaltig zu verbessern. Simon Engeli: Ich habe die lokalen Mitarbeitenden von HEKS – vom Chauffeur über den Sicherheitschef und die Projektverantwortliche bis zum Landesdirektor – als sehr kompetent, vertrauenswürdig und motiviert erlebt. Diese Menschen sind stolz darauf, für HEKS zu arbeiten. Mir scheinen die unterstützten Projekte sorgfältig und seriös ausgewählt. HEKS schaut sehr genau darauf, was mit den eingesetzten Geldern passiert, und dass Deshalb ist die Behauptung falsch, dass die Entwicklungszusammenarbeit nichts bringe. Tatsächlich hat die Verbesserung der Lebensbedingungen eines jeden Menschen einen hohen Wert. Was nehmen Sie an Erfahrungen und persönlichen Erkenntnissen aus dieser Reise mit? Simon Engeli: Für mich war es ein echter Kulturschock. Und ich bin mehr denn je überzeugt, dass der zivilisatorische Boden, auf den wir uns hier im Westen so viel einbilden, sehr dünn ist. Wenn wir wie die Menschen in der DR Kongo jeden Tag ums Überleben kämpfen müssten, wären wir sicher genauso bereit, uns mit Mitteln der Korruption dieses Überleben zu sichern. Andrea Hämmerle: Auch für mich war es eine Grenzerfahrung, wohl auch eine der grössten Erschütterungen in meinem langen Leben. Ich bereue nicht, all dies gesehen zu haben, aber ich weiss nicht, ob ich nochmals dorthin reisen würde. Aber wie sagt doch ein chinesisches Sprichwort: Einmal sehen ist besser als hundertmal hören. 11 REPORTAGE DER HÖLLE ENTKOMMEN Die Demokratische Republik Kongo ist ein von jahrzehntelangen interethnischen Konflikten schwer gezeichnetes Land. Bewaffnete Angriffe, Morde und Plünderungen, verübt von schwer bewaffneten Milizen, lassen das zerrüttete Land nicht zur Ruhe kommen. Leidtragende der herrschenden Gewalt sind vor allem Frauen, die zum Teil traumatische Erlebnisse verarbeiten müssen. In der Provinz Nord-Kivu unterstützt HEKS ein Projekt zur ganzheitlichen psychosozialen Unterstützung für die Opfer sexueller Gewalt. Ein Augenschein vor Ort. Text Annelies Hegnauer Der 1. Januar 2015 hat sich bei der 38-jährigen Regine N. tief ins Gedächtnis eingebrannt. An jenem Tag – Régine war damals im zweiten Monat schwanger – drangen bewaffnete Rebellen in ihr Haus ein. Sie und zwei ihrer Nachbarinnen wur- den auf einen Lastwagen gezerrt und in ein verstecktes Camp der Rebellen entführt. Regine erinnert sich an die schrecklichen Erlebnisse: «Wir wurden immer und immer wieder von allen Männern vergewaltigt und mussten alles tun, was die Banditen von uns wollten. Denn sie drohten, dass sie uns sonst umbringen würden. Es war die Hölle! Sie haben uns auch zum Wasserholen geschickt an einen Brunnen, der einige Kilometer weit entfernt war. Ich nutzte dann einen günstigen Moment der Unachtsamkeit meines betrunkenen Bewachers und floh. Ich rannte die ganze Nacht durch das Gebüsch. Vage erinnerte ich mich, wo die Hauptverbindungsstrasse war. Dann sah ich sie. Immer wieder rief ich um Hilfe. Schliesslich nahm mich ein Velofahrer mit und brachte mich zu meinem Mann, Wimanaya Ntapaka. Ich hatte Glück, denn er verstiess mich nicht, was ansonsten häufig der Fall ist. Er brachte mich ins Spital, denn ich litt furchtbare Schmerzen im Unterleib. Ich musste mich einer Notope ration unterziehen und danach lange im Spital bleiben. Wie durch ein Wunder überlebte mein Mädchen, das wenige Monate später auf die Welt kam. Wir haben unserer Tochter den Namen Njota (Stern) gegeben. Nach einer weiteren Operation musste mein Mann auf Anwei- 12 sung der Ärzte drei Monate auf mich verzichten. Er gestand, dass es schwierig sei, wenn ich neben ihm liege. Weil er meine gesundheitliche Situation respektierte, war er damit einverstanden, dass ich bei einer Nachbarin schlafe. Mein Mann ging zu ‹Maison écoute› und schilderte meine Situation. Eine Mitarbeiterin der Hilfsorganisation besuchte mich daraufhin und seither begleitet sie mich. ‹Maison écoute› übernahm die Spitalkosten, verhandelte mit den Ärzten und in unzähligen Gesprächen suchten wir nach Lösungen für meine unerträgliche Situation. Ich versuche nun, das Ganze mit einer Therapie zu verarbeiten. Denn immer wieder erwache ich schweissgebadet aus schrecklichen Albträumen. Ich bin nicht zur Polizei gegangen, was hätte es auch genützt? Es wäre bloss eine weitere grosse psychische Belastung gewesen und ich wusste ja nicht, wer die Peiniger waren und wo die Vergewaltigungen stattgefunden hatten. Die Unterstützung vom ‹Maison écoute› half mir über das Schlimmste hinweg.» Prävention und Aufklärung Das bewegende Schicksal von Regine ist nur eines von Tausenden. Die von HEKS unterstützte Organisation «AVREO» leistet Aufklärungsarbeit und Gewaltprävention und führt zudem drei «Maisons écoute». Kasereka Inaombi Josephine, die Leiterin des Hauses, erklärt, wie ein solches «Maison écoute» funktioniert: «Die drei Häuser werden von Frauen und Männern aufgesucht, die traumatische Gewalterfahrungen gemacht haben. Sie werden angehört und man sucht gemeinsam nach einer Lösung, wenn die psychische Belastung für die Menschen so gross wird, dass sie alleine keinen Ausweg mehr finden. Sie bleiben einige Nächte, bis klar ist, wie die weitere Therapie aussehen wird. Die Menschen werden so lange psychologisch betreut, bis sie wieder gesund an Leib und Seele sind, soweit dies überhaupt möglich ist. Wenn ein Opfer seinen Fall vor ein Gericht bringen will, können wir eine juristische Begleitung anbieten. Die wenigsten m achen allerdings von diesem Angebot Gebrauch. Unsere Sozialarbeiterinnen machen aber auch aufsuchende Sozialarbeit in den Dörfern. Und wir nutzen für unsere Aufklärungs- und Informationsarbeit das Radio – das ist ein guter Kanal, denn viele Familien besitzen ein kleines Radio.» Die schwere Last der Verantwortung Für Regine war die ganzheitliche Be gleitung überlebenswichtig. Neben den traumatischen Erlebnissen, die sie zu verarbeiten versucht, muss sie zu Hause die ganze Last tragen. Ihr 37-jähriger Mann ist so schwer am Herzen erkrankt, dass er keine Arbeit mehr verrichten darf. Der Foto: Jenny Matthews/Panos Pictures Dank der psychologischen Betreuung im «Maison écoute» hat Regine, hier mit ihrer Tochter Njota, zurück ins Leben gefunden. Foto: Annelies Hegnauer ren könnte. Nun hat sie dank der Unterstützung von HEKS wieder Mut gefasst und schmiedet auch wieder Pläne für ihre Zukunft. Sie wünscht sich, dass ihre Kinder wieder zur Schule gehen können. Wenn sie wieder genügend Kraft hat, will Regine um ein Startkapital bitten, mit dem sie Lebensmittel in grossen Behältnissen kaufen und in kleineren Mengen mit Gewinn wieder verkaufen kann. Sie würde gerne einen kleinen Laden direkt vor ihrem Haus eröffnen, damit sie keine weiten Wege mehr gehen muss. Und sie wünscht sich, dass auch ihre Nachbarinnen, über deren Schicksal und Verbleib sie nichts weiss, wieder freikommen. Sicher, die körperlichen und seelischen Wunden werden mit der Zeit verheilen, aber die Narben werden ein Leben lang sicht- und spürbar bleiben. Die Unterstützung für Regine und 574 weitere gewaltbetroffene und trauma tisierte Erwachsene und Kinder mag wie ein Tropfen auf den heissen Stein wirken, aber für die Betroffenen bedeutet sie alles. Denn trotz all den furchtbaren Er lebnissen sehen sie für sich wieder eine lohnenswerte Zukunftsperspektive. Und vielleicht kann die sich nach wie vor drehende Gewaltspirale dereinst durch flä- chendeckende Aufklärungsarbeit durchbrochen werden. Zu wünschen wäre es den gebeutelten Menschen in Nord-Kivu. Arzt meinte, wenn er sich nicht daran halte, würde er sterben. Die ganze Verantwortung liegt deshalb auf Regines Schultern, auch für ihre sieben Kinder im Alter zwischen fünf Monaten und fünfzehn Jahren. Die Grösseren helfen schon fleissig mit. Sie waren es auch, die den Haushalt führten, als Regine bei den Banditen im Camp litt. Bis vor kurzem hat Regine zusätzlich zu allem anderen noch die ganze Feldarbeit erledigt. In guten Zeiten konnten die beiden Eheleute ein schönes Einkommen erzielen und damit eine Parzelle Land kaufen. Und ein eigenes Haus bauen, das jetzt aber in einem schlechten Zustand ist, weil sich niemand mehr um den Unterhalt kümmern kann. Jetzt kann Regine nicht mehr. Sie ist völlig erschöpft. Die Familie hat deshalb die Parzelle ver- pachtet und erhält dafür einen Zins so- wie rund 20 Prozent der Ernte. Dadurch hat sie zumindest genug zu essen. Leider reicht es für das Schulgeld der Kinder nicht mehr, weshalb sie im Moment nicht zur Schule gehen können. Früher, als ihr Mann noch Kraft hatte, verdienten sie genug, um das Schulgeld für alle Kinder bezahlen zu können. Der Traum vom eigenen Laden Das Schicksal von Regine berührt. Ihr und vielen anderen Opfern von Gewalt konnte mit Unterstützung von HEKS geholfen werden – in einer Situation, in der sie dachten, dass das alles keinen Wert mehr hätte. Auch Regine hatte die Hoffnung aufgegeben, dass sie wieder auf die Beine kommen und ein normales Leben füh- HEKS-ENGAGEMENT IN DER DR KONGO In der Demokratischen Republik (DR) Kongo setzt sich HEKS für die Verbes serung der sozialen und wirtschaft lichen Lebensbedingungen der ländlichen Gemeinschaften in den Gebieten Rutshuru, Masisi und Lubero in der Provinz Nord-Kivu ein. Unterstützt werden insbesondere Projekte zur Sicherung des Zugangs zu Land und zu den natürlichen Ressourcen, zur Verbesserung der land- und viehwirtschaftlichen Produktion sowie zur ganzheitlichen psychosozialen Unterstützung für die Opfer von Gewalt. www.heks.ch/kongo 13 Die Kabine eines Fischerboots, das am 3. Oktober 2013 vor Lampedusa sank. 266 MigrantInnen ertranken. Das Wrack liegt 50 Meter unter dem Wasserspiegel. (Bild: KEYSTONE / NOOR/Francesco Zizola) SOZIALE INTEGRATION ZUM LERNEN IST MAN NIE ZU ALT InfoSchweiz 50+ ist ein Pilotprojekt von HEKS für Asylsuchende im Seniorenalter, die neu in der Schweiz sind und denen in Französischkursen der schweizerische Alltag nähergebracht wird. Durchgeführt wird das Projekt vom Secrétariat romand in Lausanne. Text Joëlle Herren Laufer Fotos EPER/Olivier Cosandey 16 Miad, Ina, Feda und Opha sind über fünzig Jahre alt, stammen aus Syrien und kamen im Laufe der letzten zwei Jahre in die Schweiz. Sie wurden dem Kanton Waadt zugeteilt, sprechen kaum Französisch und tun sich schwer, sich in unserer Gesellschaft zurechtzufinden. Wie diese vier Männer und Frauen sprechen die meisten Flüchtlinge oder vorläufig Aufgenommenen bei ihrer Ankunft in der Schweiz kaum Französisch; oder der Französischunterricht liegt schon so weit zurück, dass die Kenntnisse nicht mehr ausreichen, um den Alltag ohne fremde Hilfe meistern zu können. So wandte sich die «Fachstelle für Integration und zur Prävention von Rassismus im Kanton Waadt» (BCI) an HEKS mit der Frage, ob die vier Flüchtlinge am bereits bestehenden HEKS-Projekt «AltuM – Alter und Migration» für Seniorinnen und Senioren mit Migrationshintergrund teilnehmen könnten. Da diese Flüchtlinge jedoch im Gegensatz zu den «AltuM»-Teilnehmenden erst seit kurzem in der Schweiz sind, klärte HEKS zunächst die Bedürfnisse dieser Personengruppe ab. Motiviert, sich zu integrieren Es hat sich dann gezeigt, dass sich sehr viele ältere Flüchtlinge wünschen, mehr an der Gesellschaft teilzuhaben – sei es durch eine berufliche Tätigkeit oder mit Freiwilligenarbeit. «Dass sie eine Arbeit finden, ist wegen ihres Alters eher unwahrscheinlich. Deshalb haben wir nach einem Weg gesucht, der es ihnen erlaubt, sowohl sprachlich als auch hinsichtlich der Alltagsbewältigung unabhängiger zu werden. Überrascht hat uns vor allem die Entschlossenheit dieser Menschen, mit der sie die Sprache lernen und Arbeit finden wollen, weil sie der Gesellschaft nicht zur Last fallen und ihr Leben wieder in die eigenen Hände nehmen möchten», erklärt Elma Hadzikadunic, die Verantwortliche des HEKS-Projekts «Alter und Migration». Und: «Wir fördern ihre Integration, ohne dass diese unbedingt über die Arbeitswelt erfolgen muss.» Auf diese Weise entstand die Idee für das Pilotprojekt «InfoSuisse 50+», in Anlehnung an das Integrationsprojekt «InfoSchweiz» der HEKS-Regionalstelle Bern. Wann fährt der Zug? Wie löse ich ein Zugbillett? Die fremdsprachigen Seniorinnen und Senioren machen gemeinsam einen Ausflug. Das Pilotprojekt «InfoSuisse 50+» bietet dreimonatige Französischkurse mit Aktivitäten an. Jede Woche wird an jeweils drei halben Tagen ein bestimmtes Thema behandelt, das einen direkten Bezug zum Alltag der Teilnehmenden hat. «Zum Thema Mobilität haben wir Lehrmittel erarbeitet, die helfen sollen, sich in der Stadt zu orientieren, einen Fahrplan zu lesen oder ein Billett zu kaufen. Um das Thema zu veranschaulichen, sind wir alle gemeinsam zum Bahnhof gefahren und haben ein Zugbillett nach Renens gekauft», erklärt die Lehrerin Valéria Veronesi. «Wenn die neuen Begriffe unmittelbar angewendet werden, lassen sie sich schneller merken.» Fleissige Schülerinnen und Schüler Die Stimmung im Klassenraum ist fröhlich, es wird viel gelacht. Ein Syrer und ein Armenier necken sich gegenseitig, es geht um die richtige Aussprache einer Zahl. Die Teilnehmenden – zehn pro Klasse – sind sehr motiviert und schreiben eifrig mit. Joseph, ein ehemaliger Bankkaufmann, 76 Jahre alt und seit einem halben Jahr in der Schweiz, übersetzt für seine Altersgenossen. Sein Französisch ist beeindruckend und für die Lehrerin ist er beim Übersetzen bestimmter Begriffe eine grosse Hilfe. «Wir haben viel gelernt, aber es gibt noch viel mehr, das wir lernen möchten!» Französischkurs für Flüchtlinge 50+: Die Seniorinnen und Senioren werden aus ihrer Isolation geholt, lernen Französisch und können neue Kontakte knüpfen. Im Französischkurs werden auch wichtige Informationen zu Schweizer Institutionen und zur Gesellschaft insgesamt vermittelt. Auch Computerkurse werden angeboten. Wenn immer möglich, werden zum Thema passende Ausflüge organisiert, die helfen, das im Unterricht erworbene Wissen in der Praxis anzuwenden. Beim Thema «Ernährung» besuchte die Klasse zum Beispiel einen Bauernhof in Cheseau, beim Thema «Rente» ging es zu «Pro Senectute». Sich (wieder) auf den Weg machen «Über den Kurs hinaus versuchen wir den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Ideen für ihre Zukunft zu vermitteln», erklärt Projektleiter Marc Caverzasio. «Selbstverständlich können wir ihr Leben in zwölf Wochen nicht komplett verändern. Aber wir versuchen, sie so zu begleiten, dass sie besser informiert sind, sich im Alltag selbstständig bewegen können und ihren Platz in der Gesellschaft finden.» Nach drei Monaten Französischunterricht haben Anfang Dezember zwei Klassen ihre letzte Lektion beendet. Die Bilanz der Lernenden fällt positiv aus. Vor allem die Ausflüge haben ihnen gefallen, speziell das Modul «Die Schweiz entdecken» mit einer Exkursion nach Bern, aber auch die Besuche der Institutionen. «Wir haben viel gelernt, aber es gibt noch viel mehr, das wir lernen möchten! Wir würden gerne die französische Grammatik vertiefen und unseren Wortschatz erweitern», sagt eine Teilnehmerin. Die Kurse haben die Teilnehmenden nicht nur aus ihrer Isolation herausgeholt, sondern ihnen auch neue Kontakte vermittelt. Joseph, der Gruppenälteste, sagt, dass sie sich weiterhin treffen werden: «Wir sind ja eine richtige Familie geworden. Und unsere Lehrerin Valéria ist eine von uns!» 17 HUMANITÄRE HILFE MIT DEN NATURGEWALTEN LEBEN LERNEN Die Philippinen werden regelmässig von Naturkatastrophen heimgesucht. Nach den Taifunen 2012 und 2013 hat HEKS auf Mindanao und Panay gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen humanitäre Hilfe geleistet und den Wiederaufbau unterstützt. Damit die Menschen und ihre Lebensgrundlagen künftig besser geschützt sind, hilft HEKS den lokalen Behörden bei der Verbesserung der Katastrophenvorsorge. Text Olivier Schmid Rechts: Wiederaufbau nach der Naturkatastrophe. HEKS baute auf der Insel Panay 1800 Häuser, welche 2013 vom Taifun «Haiyan» zerstört worden waren. Foto: HEKS/Beni Basler 2370 Familien werden längerfristig beim Aufbau und der Sicherung ihrer Lebensgrundlagen unterstützt. Sie generieren ihr Einkommen durch Fischerei, Landwirtschaft, Gemüseanbau oder durch Kleingewerbe. Fotos: SRF/Karin Wenger (Bild rechts/ oben rechts) Vor gut einem Jahr haben HEKS und seine philippinische Partnerorganisation «Task Force Mapalad» (TFM) auf der Insel Panay den Wiederaufbau von 1800 Häusern abgeschlossen. Diese waren 2013 vom verheerenden Taifun «Haiyan» zerstört worden. 2370 der bedürftigsten Fa milien in den Provinzen Capiz und Iloilo werden nun längerfristig beim Aufbau und der Sicherung ihrer Lebensgrundlagen unterstützt. Fischerfamilien reparieren oder ersetzen mit Hilfe von HEKS und 18 TFM ihre vom Taifun zerstörten Boote und Netze und erhalten Unterstützung beim Züchten von Muscheln und Austern. Bäuerinnen und Bauern erhalten Saatgut, Dünger und landwirtschaftliche Werkzeu ge. Damit die Bauernfamilien bei der nächsten Naturkatastrophe nicht ihre gesamte Ernte verlieren, entwickeln sie diversifizierte Anbaumethoden und pflan- zen nebst Kaffee und Reis neu auch Bananen, Mais, Maniok, Gemüse oder Süsskartoffeln an. TaglöhnerInnen, die 2013 wegen des Taifuns ihre Arbeit verloren, erhalten die notwendigen Materialien, um sich eine zusätzliche Lebensgrundlage mit Gemüseanbau oder Kleinviehhaltung aufzubauen. Mehrere Hundert Personen erhalten zudem Unterstützung beim Aufbau eines Kleingewerbes in der Fisch- oder Gemüseverarbeitung, im Handel und in der Produktion von handwerklichen Gütern oder als Rikscha-Fahrer. Foundation Inc» (KRDFI) Kleinbäuerinnen und Kleinbauern bei der Diversifizierung ihrer landwirtschaftlichen Produktion: Sie erhalten Saatgut, Setzlinge und Dünger für Mischkulturen in Kombination mit Gummibäumen und werden bei deren Pflege und der Kautschukgewinnung begleitet. Sieben Gemeinden erhalten zudem Unterstützung beim Aufbau einer verbesserten Katastrophenvorsorge: Mitarbeitende von KRDFI erarbeiten und testen gemeinsam mit den lokalen Behörden individuelle Frühwarnsysteme und erstellen Evakuierungspläne. HEKS und TFM bereits Land erhalten haben, entwickeln in einem zweiten Schritt individuelle Anbaupläne, erhalten landwirtschaftliche Güter und eine Ausbildung in integrierten Anbaumethoden. Foto: HEKS/Karin Desmarowitz (Bild unten) Zugang zu Land für landlose Familien Landlose Familien sind von Naturkatastrophen überdurchschnittlich schwer betroffen: Ihre Häuser sind oft in Risikogebieten gebaut, sie haben keine Reserven, um zerstörte Güter zu ersetzen, und sie verlieren nach Katastrophen oft kurzfristig ihre Arbeit als Saisonarbeiter. Darum informieren HEKS und TFM 600 landlose Familien über ihr gesetzlich verankertes Recht auf Land und unterstützen sie, offizielle Landtitel zu erhalten. 167 Familien, die dank Evakuierungszentren als Schulhäuser Der Taifun «Haiyan» forderte 6300 Tote. Um künftig das Leben der Menschen besser zu schützen, bauen HEKS und TFM in siebzehn Gemeinden auf Panay Island gemeinsam mit den lokalen Behörden so genannte Katastrophenkomitees auf. Solche gab es zwar bereits vor «Haiyan»; da jedoch das Geld und die personellen Ressourcen INDIEN für Trainings fehlten, funktionierte der Katastrophenschutz auf Gemeinde ebene nur ungenügend. Heute erhalten die lokalen Komitees von HEKS und TFM die notwendige Ausbildung und Ausrüstung, sie entwickeln Nothilfepläne und testen diese bei Simulationsübungen. Ab 2016 werden in vier Gemeinden der Provinz Capiz vier neue Evakuierungszentren gebaut. Denn die Zahl der bestehenden Schutzbauten ist unzureichend, und bei vielen ist die Sicherheit bei Überschwemmungen, Schlammlawinen oder Erdbeben nicht gewährleistet. Die vier geplanten Zentren sollen im Notfall ins gesamt tausend Personen Schutz bieten. Ansonsten werden sie für Schulzwecke und Sportaktivitäten genutzt und bieten Platz für knapp 1300 Schulkinder und Lehrpersonen. Mischkulturen und Frühwarnsysteme Auch auf der Insel Mindanao in der Region Caraga ist HEKS seit dem Jahr 2013 aktiv. Im Jahr 2012 zerstörte der Taifun «Bopha» die Lebensgrundlage vieler armer Bauernfamilien. HEKS unterstützt gemeinsam mit seiner Partnerorganisation «Kasangyangan Rural Development PHILIPPINEN HEKS-SCHWERPUNKT: HUMANITÄRE HILFE PANAY MINDANAO Bevölkerungszahl 98,4 Mio. Geschätzte Zahl ArbeitsmigrantInnen 8 Mio. Die Philippinen werden regel mässig von schweren Naturkatastrophen heimgesucht. Der Taifun «Haiyan» im Jahr 2013 kostete über 6300 Menschen das Leben. Millionen von Menschen wurden obdachlos und verloren ihre Lebensgrundlage. 19 RÜCKBLICK KINDER SINGEN FÜR KINDER Text Bettina Filacanavo Fotos Hanspeter Bigler 20 Um sich bei den Spenderinnen und Spendern zu bedanken, haben Kinder von HEKS-Mitarbeitenden Ende November den Weihnachtssong «Ensemble» aufgenommen. «Ensemble» ist der Song der Migros-Spendenaktion, im Original gesungen von 23 bekannten KünstlerInnen aus der Schweizer Musikszene. Bereits zum zweiten Mal ist HEKS Partnerhilfswerk der Migros und erhält einen Teil der Spenden, die die Migros im Rahmen ihrer Weihnachtsaktion zugunsten von bedürftigen Kindern in der Schweiz sammelte. Dank der Grosszügigkeit der Schweizer Bevölkerung konnte die Migros HEKS 1,53 Mio. Franken überweisen. Mit der Spende wird HEKS sozial benachteiligte Kinder und deren Fami lien in der Schweiz unterstützen und den Kindern einen chancengerechten Einstieg in die Schule ermöglichen. Wir bedanken uns ganz herzlich bei der Migros und allen, die diese Aktion unterstützt haben. Unser Dank geht auch an die Video-Produzentin Julia Brütsch (www.juliabruetsch.ch) und das Tonstudio (www.brauereisound.ch) für die tolle Zusammenarbeit. Wer das Video noch nicht gesehen hat, der kann es sich hier anschauen: www.heks.ch/weihnachtsgruss PERSÖNLICH 10 FRAGEN AN NORA WITTCHEN Nora Wittchen ist dreissig Jahre alt und lebt in Bern. Sie engagiert sich seit vier Jahren als freiwillige Mitarbeiterin im Integrationsprojekt «HEKS Neue Gärten Bern». In diesem Projekt erhalten Migrantinnen mit einer Flüchtlingsbiografie die Möglichkeit, auf einem Familiengartenareal eine Parzelle gemeinsam zu bewirtschaften. Nora Wittchen betreut dort jeweils die Kinder, die mit ihren Müttern den Nachmittag im Garten verbringen. Text Bettina Filacanavo Foto Schweizer Illustrierte/Marcel Noecker Was machen Sie heute beruflich? Ich unterrichte Deutsch als Zweitsprache für Kinder einer Primar- und einer Oberstufe und arbeite in der dazugehörenden Tagesschule. Was beschäftigt Sie im Moment am meisten? Im Moment beschäftigen mich privat vor allem die Reisevorbereitungen für eine mehrmonatige Velotour durch Südame rika. Und wenn ich über den Horizont der Fahrradtaschen hinausblicke, frage ich mich immer häufiger, wann wir Menschen endlich bereit sind, das Geschehen auf der Welt als ein Ganzes zu betrachten und das Wohlergehen aller Lebewesen als oberstes Ziel anzuerkennen. Wie sind Sie mit HEKS in Kontakt gekommen? HEKS lernte ich als Kind durch verschiede ne Aktionen kennen. Zum Projekt «Neue Gärten Bern» kam ich vor bald vier Jahren über die Homepage von HEKS. Damals suchte ich nach Möglichkeiten, mich für Migrantinnen und Migranten engagieren zu können. Wie wohnen Sie? Ich wohne mit meinem Partner in einer Blockwohnung mit Morgen- und Abendsonne und einem im Sommer sehr grünen, wunderschön bewachsenen Balkon. Wegen der Nähe zur Aare, zu Wäldern und Feldern und zum Stadtzentrum liegt die Wohnung für mich ideal. Was haben Sie gestern gegessen? Gestern Abend gab es einen leckeren Chicoréesalat, gedämpften Blumenkohl mit Polenta und viel Käse. Was macht Sie glücklich? Es macht mich glücklich, wenn ich sehe, dass ich jemandem weiterhelfen kann, wenn ich im Frühling die ersten Blumen und Blüten entdecke und wenn ich mit meiner Familie und meinen Freunden schöne Momente geniessen darf. rannte, plötzlich stecken blieb und kopfüber im tiefen Schnee landete. Was macht Ihnen Angst? Die Angst und Machtgier vieler Menschen machen mir Angst. Ein schöner Moment, an den Sie sich erinnern? Ein schöner Moment war, nach einer einstündigen Postautofahrt in einem noch schlafenden Tessiner Bergdorf auf der Terrasse eines Restaurants einen Kaffee und die Vorfreude auf eine wunderschöne Wanderung zu geniessen. Was bringt Sie zum Lachen? Im Moment kann ich herzhaft lachen, wenn ich daran denke, wie ich vor kurzem einen verschneiten Hang hinunter- Was ist Ihr grösster Wunsch? Ich wünsche mir, dass wir alle ein «Miteinander» anstreben und mit allen Lebewesen respektvoll umgehen. 21 PATENSCHAFT STARTHILFEN FÜR FRAUEN 70 Prozent der Menschen, die weltweit in extremer Armut leben, sind Frauen. Häufig müssen sie für den Lebensunterhalt ihrer Familien aufkommen. In Senegal leben viele von ihnen von der Sammelwirtschaft. Ihre Einkommensgrundlage ist aber bedroht. Text Olivier Schmid Foto HEKS/Karin Desmarowitz An der «Petite Côte», in der Umgebung von Senegals Hauptstadt Dakar, sammeln die Frauen seit Jahrzehnten Heilpflanzen und Wildfrüchte, die sie trocknen, verarbeiten und auf den lokalen Märkten verkaufen. Weil für die Holzkohlegewinnung aber seit Jahren exzessiv Raubbau betrieben wird, sind von den ehemals ausge dehnten Wäldern nur kleine Flächen übrig geblieben. Die ursprünglich grosse Pflanzenvielfalt ist weitgehend verschwunden, der Boden von Erosion bedroht. Ohne den Schutz und die Wiederaufforstung der Wälder und Wildpflanzen verlieren die Frauen ihre Einkommensgrundlage. HEKS unterstützt darum zusammen mit seiner lokalen Partnerorganisation «Association d’actions concertées pour l’entraide et la solidarité» (ACCES) Frauengruppen dabei, offizielle Landtitel für brachliegendes Gemeindeland zu erhal- 22 ten. 1500 Frauen aus 19 Dörfern wandeln das Land unter fachlicher Anleitung in geschützte Allmenden, so genannte «aires protégées», um. Sie legen Baumschulen an und ziehen einheimische Baumsetzlinge und Pflanzen auf, die vom Aussterben bedroht sind. Schutzhecken schützen die jungen Pflanzen vor Wind, Erosion und Kleintieren. Ziel ist es, dass die Frauen mit den geernteten Früchten, Blättern, Samen, Baumrinden und Sträuchern ihr Einkommen sichern. Die Bewässerung der Allmenden ist jedoch sehr aufwändig. Die Frauen müssen viele Kilometer laufen, um Wasser zu holen. HEKS und ACCES haben deshalb sechs Brunnen gebaut, um den Frauen die Bewässerung der Jungpflanzen in den geschützten Allmenden zu er leichtern. Zusätzlich erhalten acht Frauengruppen Kleinkredite zu günstigen Konditionen. Diese nutzen die Frauen als Startkapital für den Handel mit ihren Produkten: Sie verkaufen Tee und Heilpflanzen, aber auch selbst hergestellte Seife und gefärbte Stoffe. Weiterbildungen unterstützen die Frauen dabei, ihre Produkte rentabel zu verarbeiten und zu vermarkten. WERDEN SIE PATIN ODER PATE! Mit einer Patenschaft «Starthilfe für Frauen» für 360 Franken im Jahr verhelfen Sie Frauen zu mehr Selbstbestimmung und Lebensqualität: HEKS und seine lokalen Partnerorganisationen fördern die Alphabetisierung, Vernetzung und Weiterbildung von Frauen oder geben ihnen ein Startkapital, damit sie eine Geschäftstätigkeit aufbauen können. Aus dem Erlös kaufen die Frauen Kleider für die Kinder, bezahlen Schul- oder Gesundheitskosten und entwickeln ihr Geschäft weiter. Weitere Informationen zur Patenschaft sowie einen Einzahlungsschein finden Sie in der Beilage. Kontakt: Jeannette Voegeli, Tel. direkt 044 360 88 08, [email protected]. AKTUELL HEKS-Benefizkonzert in der Tonhalle Winterhilfe für Flüchtlinge in Serbien Wir freuen uns, unseren Spenderinnen und Spendern dieses Jahr mit der weltweit gefeierten Janáček Philharmonie Ostrava unter dem Dirigat von Heiko Mathias Förster ein Musikerlebnis der besonderen Art präsentieren zu können. Gönnen Sie sich diesen wundervollen Konzertabend und unterstützen Sie damit gleichzeitig bedürftige Familien auf der Flucht. Das Sinfonieorchester besteht aus rund hundert erstklassigen Musikerinnen und Musikern und ist in Ostrava, Tschechische Republik, beheimatet. Mit dem geschmeidigen Klang seiner Streicherinnen und Streicher und dem treibenden Bläser-Ensemble hat das Orchester Weltruhm erlangt. Heiko Mathias Förster wurde schon mit 23 Jahren zum Chefdirigenten des Brandenburger Theaters ernannt. Als Gast dirigierte er zudem Orchester auf der ganzen Welt. Seit 2014 leitet er die Janáček Philharmonie Ostrava. Das Orchester spielt Werke von Bedřich Smetana, Adrian Enescu, Johann Strauss jun., Franz Liszt und Antonín Dvořák. Die Kälte macht den Flüchtlingen auf ihrem Weg nach Europa zu schaffen. Konnten sie im Sommer noch draussen in Parks oder auf einem Feld übernachten, sind sie bei tiefen Temperaturen dringend auf feste Unterkünfte angewiesen. HEKS leistet seit September 2015 gemeinsam mit seiner Partnerorganisation «Ecumenical Humanitarian Organisation» (EHO) Soforthilfe in Serbien. Während der Wintermonate unterstützt HEKS die Flüchtlinge zusätzlich mit warmer Kleidung und stellt Unterkünfte in der Umgebung von Šid (serbisch-kroatische Grenze) zur Verfügung. Kurzfristig konnten HEKS und EHO mithelfen, das Motel «Adaševci» als Empfangszentrum für die Flüchtlinge einzurichten EHO verteilt im Empfangszentrum Adaševci sowie in Bussen und Zügen täglich 1200 bis 2000 Hilfspakete. Die Pakete enthalten Nahrungsmittel, Wasser sowie Hygieneprodukte. Verteilt werden zudem Decken, Rucksäcke, Socken, Schuhe, Un terwäsche, Mützen, Handschuhe, warme Jacken und Decken. Das EHO-Medical-Team leistet Erste Hilfe, verarztet Wunden und verteilt Medikamente. SAMSTAG, 23. APRIL 2016, 19.30 UHR Tonhalle Zürich, Grosser Saal Tickets sind erhältlich: in der Tonhalle, bei Musik Hug, im Musikhaus Jecklin oder bei Jelmoli in Zürich. Online-Bestellungen: www.tonhalle.ch, Billettkasse: 044 206 34 34 Weitere Informationen: www.heks.ch/soforthilfe-serbien SPENDENKONTO 80-1115-1, VERMERK «FLÜCHTLINGE WELTWEIT UND IN DER SCHWEIZ» Filmtipp Der Film «La buena vida» erzählt den Kampf der indigenen Wayúu um ihr Dorf Tamaquito im kolumbianischen Regenwald. Der grösste Kohletagebau der Welt, hinter dem mächtige Rohstoffkonzerne wie «Glencore» stehen, frisst sich immer näher an ihre Siedlung heran. Doch die Wayúu wollen sich nicht kampflos umsiedeln lassen und misstrauen den Versprechungen der Minenbetreiber auf ein «besseres» Leben in modernen Häusern mit Stromversorgung. Es beginnt ein Kampf David gegen Goliath ... Der Film dokumentiert auf eindringliche Weise die Situation im Norden Kolumbiens, wo auch HEKS Dorfgemeinschaften unterstützt, die vom Kohletagebau bedroht sind und zur Umsiedlung gezwungen werden. «LA BUENA VIDA» LÄUFT SEIT DEM 21. JANUAR 2016 IN VERSCHIEDENEN KINOS IN DER DEUTSCHSCHWEIZ Foto-Ausstellung Um die Integration von Flüchtlingen zu fördern, mietet HEKS in verschiedenen Gemeinden und Städten Gartenparzellen in öffentlichen Familiengartenarealen und bearbeitet diese gemeinsam mit den Flüchtlingen. Die Gärten sind zugleich Arbeitsort und sozialer Treffpunkt. Die MigrantInnen pflanzen Blumen und Gemüse, lernen den biologischen Gartenbau kennen, können sich mit anderen Menschen über das Leben in der Schweiz austauschen und dabei ihre Deutschkenntnisse verbessern. Schweizweit bestehen zurzeit mehr als dreissig Gärten. Die Wanderausstellung erzählt, wie die gemeinsame Gartenarbeit und Gespräche helfen, Vertrauen zu gewinnen und das Fremde kennen und schätzen zu lernen. ERÖFFNUNGSFEIER UND VERNISSAGE: «IN DER NEUEN HEIMAT WURZELN SCHLAGEN», 11. MÄRZ 2016, 18 UHR Pauluskirche, Blumenrain 24, 2503 Biel 23 Falls sie sich Fragen, ob spenden sinn macht, Fragen sie ihn. www.fragen-sie-ihn.ch Im Kleinen Grosses bewirken. PC 80-1115-1 www.heks.ch
© Copyright 2024 ExpyDoc