Schriftliche Kleine Anfrage und Antwort des Senats

BÜRGERSCHAFT
DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG
Drucksache
21/3444
21. Wahlperiode
04.03.16
Schriftliche Kleine Anfrage
der Abgeordneten Carl-Edgar Jarchow und
Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein (FDP) vom 25.02.16
und
Betr.:
Antwort des Senats
Aktueller Ermittlungsstand zu den Silvestervorfällen 2015/2016
In der Silvesternacht sind in Köln und anderen Städten, so auch in Hamburg,
mehrere Frauen in dem Ereignisraum St. Pauli umringt, bestohlen und einige
von ihnen sexuell belästigt oder gar vergewaltigt worden. In der Sitzung des
Innenausschusses am 14.01.2016 schilderte der Leitende Kriminaldirektor
Herr Heise den aktuellen Ermittlungsstand. Danach lagen 195 Anzeigen mit
306 Geschädigten vor, davon waren 14 Sexualstraftaten. Die eingerichtet
Ermittlungsgruppe sei mit 26 Beamten besetzt, um die Ermittlungen sehr forciert voranzutreiben. Zudem erfolge eine enge Zusammenarbeit und
Abstimmung mit der für diesen Komplex zuständigen Abteilung der Staatsanwaltschaft. Bis zum 14.01.2016 waren acht Tatverdächtige ermittelt worden, denen Tathandlungen an den beiden Tatorten St. Pauli und Jungfernstieg, zugeordnet werden konnten. Gegen 18 – 20 Personen fehlte es noch
an einer konkreten Tatzuordnung. Das Kölner Amtsgericht hat am Mittwoch,
dem 24.02.2016 die ersten Täter wegen der Vorfälle in der Silvesternacht
verurteilt. Im ersten Verfahren wurde ein Marokkaner nach circa zweimonatiger U-Haft zu sechs Monaten auf Bewährung und 20 Tagessätzen zu 5 Euro
verurteilt. Im zweiten Verfahren wurden ein 18-Jähriger aus Marokko zu einer
Jugendstrafe auf Bewährung und ein 22-jähriger Algerier zu einer Haftstrafe
von drei Monaten verurteilt. Medienberichten zufolge sollen sich in Hamburg
derzeit vier Tatverdächtige in U-Haft befinden, unter anderem seit dem
24.02.2016 ein 19-jähriger Afghane, der eine 19-Jährige vom Kiez bis nach
Stellingen verfolgt und anschließend vergewaltigt haben soll.
Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat:
Die strafrechtlich relevanten Ereignisse der Silvesternacht 2015/2016 sind Gegenstand von laufenden Ermittlungsverfahren. Aussagen zu den Straftaten und den bislang ermittelten Tatverdächtigen in diesen Verfahren können immer nur auf Grundlage
des jeweils aktuellen Sachstandes getroffen werden. Bei den Angaben kann es daher
zu Abweichungen gegenüber früher mitgeteilten Sachständen kommen.
Um den Ermittlungserfolg nicht zu gefährden, sieht der Senat von weiteren detaillierten Auskünften zu den einzelnen laufenden Verfahren ab.
Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt:
1.
Wie viele mit den Silvesterübergriffen in Hamburg im Zusammenhang
stehende Strafanzeigen von wie vielen Geschädigten sind aktuell erstattet worden? (Einzelne Aufschlüsselung nach Delikten und Anzahl weiblicher Opfer.)
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Mit Stand vom 29. Februar 2016 werden aktuell durch die Ermittlungsgruppe 161 „Silvester“ (EG 161) die in der nachstehenden Tabelle aufgeführten Strafanzeigen mit
einem Tatzeitraum vom 31. Dezember 2015, 18. Uhr, bis zum 1. Januar 2016, 6. Uhr,
bearbeitet:
3
Anzahl der
weiblichen
Geschädigten
3
21
168
32
9
6
2
241
43
294
36
10
7
4
397
Anzahl der
Vorgänge
Delikt
Vergewaltigung (in Tateinheit mit sexueller Nötigung)
Sexuelle Nötigung
Sexuelle Beleidigung
Sexualdelikt mit anschließendem Diebstahl
Sexualdelikt mit anschließendem Raub
Sexualdelikt mit Körperverletzung
Sonstige Fälle (kein Sexualdelikt)
Gesamt
2.
Mit wie vielen Beamten ist die Ermittlungsgruppe aktuell besetzt?
Die EG 161 ist aktuell (Stand: 3. März 2016) mit 17 Beamtinnen und Beamten besetzt.
3.
Wie viele Tatverdächtige konnten mithilfe der eingesetzten Ermittlungsgruppe bisher ermittelt werden?
Die Polizei hat bislang 19 Tatverdächtige ermittelt (Stand: 29. Februar 2016).
a.
Welche Tatvorwürfe werden ihnen zur Last gelegt?
In zehn Fällen lautet der Tatvorwurf Beleidigung auf sexueller Basis, davon in zwei
Fällen in Tateinheit mit einem Diebstahl. In neun Fällen lautet der Tatvorwurf sexuelle
Nötigung, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Vergewaltigung und in einem Fall in
Tateinheit mit einem Raub.
b.
Welche Erkenntnisse gibt es zu den jeweiligen Tätergruppen?
Nach derzeitigem Ermittlungsstand stammen die 19 Tatverdächtigen aus den Ländern
Algerien, Iran, Syrien, Afghanistan und Marokko. Alle halten sich als Flüchtlinge in
Deutschland auf. Für ein Zusammenwirken als Tätergruppe liegen derzeit keine
Erkenntnisse vor.
c.
Gegen wie viele Personen wird noch ermittelt, bei denen eine aktuelle Tatzuordnung noch fehlt?
Bei zwei Tatverdächtigen fehlt aktuell noch eine Tatzuordnung.
d.
Wie ist der Ermittlungsstand konkret bei den 14 angezeigten Sexualdelikten? Hat sich die Zahl der angezeigten Sexualstrafdelikte,
nach dem 14.01.2016 noch verändert?
Bei den in der Vorbemerkung der Fragesteller angeführten „14 Sexualstraftaten“ handelt es sich um die 14 Strafanzeigen, die am 1. Januar 2016 erstattet wurden. Unter
diesen 14 Strafanzeigen befanden sich vier Ermittlungsverfahren mit dem alleinigen
Tatvorwurf des Diebstahls. Mit Stand 14. Januar 2016 bestand in 191 der insgesamt
195 Ermittlungsverfahren der Tatverdacht eines Sexualdelikts.
Für die Beantwortung der Frage wird auf Daten aus dem bei der Staatsanwaltschaft
Hamburg eingesetzten Geschäftsstellen- und Aktenverwaltungsprogramm MESTA
zurückgegriffen. Da dieses System nicht für Statistikzwecke konzipiert wurde, erfolgen
diese Angaben mit Vorbehalt und ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
In MESTA sind (Stand: 26. Februar 2016) vier der genannten 14 Verfahren bereits
erfasst.
Drei dieser Verfahren hat die Staatsanwaltschaft zu weiteren Ermittlungen miteinander
verbunden. Hierbei handelt es sich um ein Sammelverfahren gegen noch unbekannte
Beschuldigte, das die Silvestervorfälle zum Gegenstand hat und unter anderem
wegen Verdachts der gemeinschaftlichen sexuellen Nötigung (§ 177 Absatz 1, Absatz
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2 Nummer 2 StGB), des schweren Raubes (§§ 249, 250 Absatz 1 Nummer 2 StGB),
des Bandendiebstahls (§ 244 Absatz 1 Nummer 2 StGB) und der gefährlichen Körperverletzung (§§ 223 Absatz 1, 224 Absatz 1 Nummer 4 StGB) geführt wird. Soweit
Beschuldigte ermittelt werden, erfolgt eine Verfahrensabtrennung, damit das Ermittlungsverfahren gegen die bekannten Beschuldigten beschleunigt zum Abschluss
gebracht werden kann.
Im Übrigen siehe Vorbemerkung.
e.
Wie ist der aktuelle Ermittlungsstand bei den 18 – 20 Personen, bei
denen es noch an einer konkreten Tatzuordnung fehlte?
Durch die Ermittlungen der Polizei konnten gegen elf weitere Personen Strafverfahren
eingeleitet werden; darüber hinaus siehe Antworten zu 3. und 3. d. Gegen weitere
Personen konnte die Verdachtslage bislang nicht erhärtet werden.
4.
Wie viele Tatverdächtige befinden sich wegen Tatvorwürfen, die im
Zusammenhang mit den Silvestervorfällen stehen, derzeit in U-Haft?
Derzeit befinden sich drei Beschuldigte in Untersuchungshaft. Ein weiterer Beschuldigter wurde zwischenzeitlich aus der Untersuchungshaft entlassen, weil sich der
ursprüngliche Tatverdacht gegen ihn nicht bestätigt hat.
a.
Wie lange befinden sich die Tatverdächtigen bereits in U-Haft?
Die Beschuldigten wurden am 21. Januar, 5. Februar und 2. März 2016 in Haft
genommen.
b.
Welche konkreten Tatvorwürfe werden den Tatverdächtigen zur
Last gelegt?
Gegen einen Beschuldigten besteht der Verdacht der gemeinschaftlichen sexuellen
Nötigung (§ 177 Absatz 1, Abs. 2 Nummer 2 StGB) und der Beleidigung (§ 185 StGB)
zum Nachteil einer weiteren Geschädigten.
Gegen einen weiteren Beschuldigten besteht der Verdacht der gemeinschaftlichen
sexuellen Nötigung (§ 177 Absatz 1, Absatz 2 Nummer 2 StGB) in drei Fällen, in
einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§§ 223 Absatz 1, 224
Absatz 1 Nummer 4 StGB) und Vergewaltigung (§ 177 Absatz 2 Nummer 1 StGB).
Gegen den dritten Beschuldigten besteht der Verdacht des gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls (§§ 242, 22 StGB) in Tateinheit mit gemeinschaftlicher sexueller
Nötigung (§ 177 Absatz 1 Nummer 1 StGB).
c.
Welche Haftgründe liegen bei den jeweiligen Tatverdächtigen vor?
Es besteht jeweils der Haftgrund der Fluchtgefahr.
5.
In wie vielen Fällen sind die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abgeschlossen? Sofern in keinem Fall die Ermittlungen abgeschlossen sind:
Wann ist mit den ersten Ermittlungsabschlüssen und Anklageerhebungen zu rechnen?
6.
Sind bereits Anklageerhebungen erfolgt beziehungsweise wann ist damit
zu rechnen?
Gegen den am 21. Januar 2016 in Untersuchungshaft genommenen Beschuldigten
wurde mit Verfügung vom 26. Februar 2016 eine Anklage zum Amtsgericht Hamburg,
Schöffengericht, wegen Verdachts der gemeinschaftlichen sexuellen Nötigung und der
Beleidigung fertiggestellt. Die Übersendung der Anklage an das Gericht ist am 1. März
2016 erfolgt.
Im Übrigen dauern die Ermittlungen an. Die Staatsanwaltschaft fördert die Verfahren
priorisiert. Eine konkrete Aussage zu dem Zeitpunkt des voraussichtlichen Abschlusses der Ermittlungen ist gleichwohl nicht möglich.
a.
Welche Amtsgerichte sind konkret örtlich zuständig?
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Örtlich zuständig ist aufgrund des Tatorts bei erwachsenen Tätern regelmäßig das
Amtsgericht Hamburg Mitte. Bei jugendlichen und heranwachsenden Tätern richtet
sich die Regelzuständigkeit nach dem Wohnsitz des Angeklagten.
b.
Welcher Spruchkörper ist in den jeweiligen Verfahren konkret sachlich zuständig?
Siehe Antwort zu 5. und 6.
c.
Gibt es gegebenenfalls eine Anklageerhebung vor dem Landgericht?
d.
Wurde bereits ein Hauptverfahren eröffnet?
Nein.
aa. Wenn ja, in wie vielen Fällen mit jeweils welchen Tatvorwürfen?
Entfällt.
bb. Wenn nein: Wann ist damit zu rechnen? Wie lange dauert es
derzeit, bis das Hauptverfahren eröffnet wird:
i.
vor dem Strafrichter am Amtsgericht? (Bitte aufschlüsseln
nach den jeweiligen Hamburger Amtsgerichten.)
ii.
vor dem Schöffengericht am Amtsgericht? (Bitte aufschlüsseln nach den jeweiligen Hamburger Amtsgerichten.)
iii.
vor der großen Strafkammer des Landgerichts Hamburg?
Da die Staatsanwaltschaft in MESTA nicht die Eröffnung eines Verfahrens durch ein
Gericht erfasst, können die durchschnittlichen Zeitspannen von Anklageerhebung bis
Eröffnungsentscheidung nicht benannt werden.
Bei den Gerichten wird der Zeitraum von Eingang der Anklage bis zum Eröffnungsbeschluss nicht regelhaft erfasst, sodass keine Prognosen gegeben werden können.
e.
Wie ist der Stand der Ermittlungsverfahrens bei den acht Tatverdächtigen, die in der Sitzung des Innenausschuss am
14.01.2016 bereits feststanden?
Die Ermittlungen zu den Verfahren dieser acht Tatverdächtigen dauern an.
Im Übrigen siehe Antworten zu 3. a., 3. b., 3. d. sowie Vorbemerkung.
7.
Wie erklärt der Senat, dass in Köln die ersten Ermittlungsverfahren
abgeschlossen sind, es nach erfolgter Anklageerhebung durch die Kölner Staatsanwaltschaft bereits zu ersten Verurteilungen kam?
Erkenntnisse über Verfahren, die außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Staatsanwaltschaft Hamburg bearbeitet werden, liegen dem Senat nicht vor.
8.
Liegen der Hamburger Polizei derzeit Erkenntnisse dahin gehend vor,
dass die Täter gezielt und strategisch vorgegangen sind? Verfolgt die
Hamburger Polizei derzeit Ermittlungsansätze, die in Richtung organisierte Kriminalität gehen?
Nein; Ermittlungsansätze, dass es sich um eine Form von Organisierter Kriminalität
handeln könnte, liegen derzeit nicht vor.
9.
Gab es nach den Silvestervorfällen, zu einem anderen Tatzeitpunkt,
Strafanzeigen, die das Phänomen „Sexualisierte Gewalt“ zum Gegenstand hatten?
Wenn ja, wie ist der Ermittlungsstand?
Nein, im Übrigen entfällt.
10. Was tut der Senat dagegen, um zu verhindern, dass sich dieses Tatmuster „Sexualisierte Gewalt“ in naher Zukunft in Hamburg wiederholt?
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a.
Welche Präventionsmaßnahmen ergreift der Senat aufgrund der
Ereignisse, um insbesondere junge Frauen auf der Reeperbahn
sowie angrenzenden Plätzen und Straßen vor derartigen Übergriffen
zukünftig zu schützen?
b.
Mit welchem Konzept sollen solche Taten zukünftig im Vorfeld verhindert werden?
Im Bildungsbereich wird in allen Schulstufen und -formen von der Grundschule an
zum Thema „Grenzverletzungen“ altersgerecht sensibilisiert. Dazu beraten und qualifizieren die Abteilung Beratung – Vielfalt, Gesundheit und Prävention des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) sowie die Beratungsstelle Gewaltprävention der für Bildung zuständigen Behörde in Kooperation mit Fachberatungsstellen
schulische Fachkräfte zur Prävention von sexualisierter Gewalt. In diesem Rahmen
werden regelhaft Geschlechteraspekte wie die Stärkung von Mädchen und Frauen
sowie die Wahrnehmung von Grenzen bei Jungen aufgegriffen.
Im Rahmen von Präventionsprojekten, wie beispielsweise „Echt Klasse“, „Trau Dich!“,
„Echt krass!“ oder „Sei eigen mit Respekt“, werden Themen wie „Eigene Grenzen
erkennen und äußern“, „Hilfe holen bzw. Unterstützung nutzen“ sowie „Grenzen
akzeptieren“ mit den Kindern beziehungsweise Jugendlichen bearbeitet.
In Elternveranstaltungen zu diesen Präventionsprojekten, zur Pubertät und zur
Gewaltprävention erhalten Eltern Hinweise und Unterstützung zur Stärkung und Sensibilisierung ihrer Kinder. Durch die Bereitstellung des sogenannten Notfallhandys des
Jugendinformationszentrums (JIZ) werden Jugendliche, insbesondere auch Mädchen
und junge Frauen, ermuntert, sich Unterstützung zu holen (siehe
http://www.hamburg.de/jiz/3893574/notfallnummern/). Zurzeit wird vom LI entsprechendes Unterrichtsmaterial unter dem Titel „Miteinander leben – Grundrechte vertreten – Gesellschaft gestalten“ zum Thema „Wertebildung“, wozu auch der Aspekt
Gleichberechtigung gehört, für pädagogische Fachkräfte in Vorbereitungsmaßnahmen
für geflüchtete Kinder und Jugendliche entwickelt und im April bereitgestellt (siehe
http://li.hamburg.de/wertebildung).
Im Übrigen siehe Drs. 21/2739 und 21/2798, die Prüfungen sind noch nicht abgeschlossen.
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