Wirtschaft aktuell im Unterricht vom 01.10.2015 Inflation: Der Fluch des Ölpreises 1. Kompetenzen Die Schülerinnen und Schüler sollen ... 1. sich Erscheinungsformen und Auswirkungen von Inflation und Deflation erschließen. 2. die Stellung sowie generellen Aufgaben der Europäischen Zentralbank (EZB) ermitteln. 3. Umfang und Zielsetzungen ihrer aktuellen Maßnahmen sowie die hierüber bestehende Diskussion analysieren. 2. Aufgaben 1. Beschreiben Sie die wesentlichen Merkmale von Inflation und Deflation. Erläutern Sie denkbare Folgen, sollten diese in einer Volkswirtschaft lang anhalten. 2. Ermitteln Sie Stellung und Aufgaben der Europäischen Zentralbank (EZB) in diesem Kontext. 3. Überprüfen Sie, inwieweit derzeit in Europa inflatorische bzw. deflatorische Prozesse zu beobachten sind. Benennen Sie die wesentlichen Einflussfaktoren. 4. Fassen Sie die derzeitigen Maßnahmen der EZB zusammen. Erläutern Sie deren Zielsetzungen und Wirkungsweisen. 5. Geben Sie die hinsichtlich der Fortführung der Maßnahmen geführte kontroverse Diskussion wieder. Verorten Sie die Position der Bundesbank in dieser. 6. Analysieren Sie vor diesem Hintergrund die angehängte Karikatur. 1 Wirtschaft aktuell im Unterricht vom 01.10.2015 Inflation: Der Fluch des Ölpreises Die Inflationsrate im Euro-Raum ist gesunken. Muss die EZB beim Anleihekaufprogramm nachlegen? 5 10 15 20 25 30 35 40 Zwei Wochen nach dem Start des Anleihekaufprogramms der Europäischen Zentralbank war die Welt für Mario Draghi noch in Ordnung. Die Investoren reagierten geradezu euphorisch auf den bis September 2016 ausgelegten Plan, mit dem die EZB und die nationalen Notenbanken monatlich Anleihen im Umfang von 60 Milliarden Euro kaufen. Das Programm soll die Kreditvergabe im Euro-Raum und somit die Wirtschaft und die Inflation ankurbeln. Das funktionierte auch erst einmal. Die Anleiherenditen und damit die Finanzierungskosten für Staaten und Unternehmen sanken, und der Euro verlor gegenüber dem Dollar an Wert und verbilligte damit die Exporte aus der Währungsunion. Dazu stiegen noch die Inflationserwartungen der Investoren, und der Aktienmarkt legte weiter zu. „Die jüngsten Daten und Umfragen zeigen, dass das Wachstum an Schwung gewinnt“, sagte Draghi vor gut einem halben Jahr vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuss im Europaparlament in Brüssel. Ein halbes Jahr später sieht die Lage allerdings völlig anders aus. Vor einer Woche musste Draghi vor den Europaparlamentariern neue Töne anschlagen: „Sollten einige der Abwärtsrisiken die Inflationsaussichten über die mittlere Frist stärker schwächen, als wir bislang erwarten, dann würden wir nicht zögern zu handeln“, sagte der EZBChef. Das Anleihekaufprogramm sei entsprechend flexibel. Abwärtsrisiken gibt es inzwischen reichlich. Die Wachstumssorgen in den Schwellenländern - vor allem in China - und der Verfall der Rohstoffpreise haben an den Finanzmärkten Sorgen um die Weltwirtschaft aufkommen und die Aktienkurse einbrechen lassen. Und die Inflation - theoretischer Dreh- und Angelpunkt der Politik der EZB - kommt einfach nicht in Schwung. Im Gegenteil: Im September sind die Verbraucherpreise im EuroRaum nach ersten Schätzungen des Europäischen Statistikamts im Jahresvergleich um 0,1 Prozent gefallen. Und das trotz der Geldflut der EZB. Die ideale Inflation liegt für die EZB nahe bei zwei Prozent - ein Ziel, von dem sie meilenweit entfernt ist. Im September hatte die Zentralbank ihre Inflationserwartungen für Ende 2016 auf 1,1 und für 2017 auf 1,7 Prozent gesenkt. Selbst das ist nach Ansicht von Michael Schubert, Volkswirt bei der Commerzbank, noch einen halben Prozentpunkt zu hoch. Deflationäre Tendenzen - also sinkende Verbraucherpreise - gab es seit April nicht mehr. Schuld am Preisverfall ist vor allem das Öl. Der Ölpreis hat sich innerhalb eines Jahres in etwa halbiert, was den Verbrauchern zugutekommt. In der Kernrate - also ohne Energie, Lebensmittel, Tabak und Alkohol - stiegen die Verbraucherpreise ähnlich wie im Vormonat um immerhin 0,9 Prozent. Dennoch: „Die Zahlen geben Anlass zur Sorge, denn die Risiken für den mittelfristigen Inflationsausblick sind gestiegen“, meint Elga Bartsch, Europa-Chefvolkswirtin bei der US-Bank Morgan Stanley. Alarmierend ist in der Tat, dass die bei der EZB im Fokus stehenden Inflationserwartungen - abgelesen an Zinssätzen für fiktive fünfjährige Kredite, die in fünf Jahren begeben werden - wieder auf unter 1,6 Prozent gesunken sind. Das ist der niedrigste Stand seit Februar. Von ihrem Rekordtief von 1,48 Prozent im Januar sind die Inflationserwartungen nicht mehr weit entfernt. 2 Wirtschaft aktuell im Unterricht vom 01.10.2015 45 50 55 60 65 Die sinkenden Inflationserwartungen und die tatsächlich gefallenen Verbraucherpreise dürften deshalb laut Alexander Krüger, Chefvolkswirt beim Bankhaus Lampe, „die EZB mehr und mehr auf den Plan rufen“. Denn Draghi hatte das Anleihekaufprogramm im Januar als Reaktion auf deflationäre Tendenzen angekündigt. Im Dezember 2014 waren die Verbraucherpreise nämlich um 0,2 Prozent gesunken, und auch das war vor allem dem Ölpreisverfall geschuldet. „Die Wahrscheinlichkeit, dass die EZB ihr Programm ausweitet, ist deutlich gestiegen“, meint auch Bartsch von Morgan Stanley. Die Debatte im EZB-Rat darüber ist ihrer Meinung nach allerdings noch sehr kontrovers. Offensichtlich ist vor allem die deutsche Seite dagegen. „Der dämpfende Effekt der gesunkenen Energiepreise auf die Inflationsrate sollte nur kurzfristiger Natur sein“, betonte in dieser Woche Bundesbank-Chef Jens Weidmann. Die expansive Geldpolitik sollte seiner Meinung nach „nicht länger als unbedingt erforderlich“ fortgesetzt werden. Auch die deutsche EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger betonte zuletzt, es sei zu früh, um über eine Ausweitung des Anleihekaufprogramms zu spekulieren. Anleihenankäufe Was kauft die EZB? Europäische Zentralbank und nationale Notenbanken kaufen seit 9. März 2015 Staatsanleihen der Euro-Zone, Anleihen von nationalen und internationalen Instituten. Zuletzt wurde die Liste um Bonds von staatsnahen Infrastruktur- und Transportunternehmen erweitert. Dazu kauft die EZB -schon länger als seit dem 9. März - auch Covered Bonds, also gedeckte Anleihen von Banken, die in Deutschland als Pfandbriefe bekannt sind. Zusätzlich erwirbt sie Verbriefungen (Asset Backed Securities, ABS). 70 Wie viel kauft die EZB? Monatlich erwirbt sie Wertpapiere über rund 60 Milliarden Euro, der Löwenanteil entfällt auf Staatsanleihen. 75 Quelle: Cünnen, A., Handelsblatt, Nr. 189, 01.10.2015, 30 3 Wirtschaft aktuell im Unterricht vom 01.10.2015 4
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