Ausgabe 5/2013 — Seite 1 Irrtum 40-Stunden-Woche Ein Abgesang auf der deutschen Unternehmen liebste Wochenarbeitszeit Traditionell gibt es in Deutschland die 40-Stunden-Woche. 5 Tage á 8 Stunden, klingt logisch. Die von den Gewerkschaften erstrittene 35- bzw. 38,5-Stunden-Woche wurde nur wiederwillig eingeführt. Wann immer sich eine Möglichkeit bietet z.B. Kostendruck wegen schlechter wirtschaftlicher Lage oder hoher Bedarf an Mitarbeitern in Boom Phasen - wird wieder versucht auf 40 Stunden zurück zu gehen. „Mit durchschnittlich 40,3 Wochenstunden bei abhängig in Vollzeit Beschäftigten sind die Arbeitszeiten in Deutschland im Jahr 2006 bereits wieder auf dem Niveau von 1988 angelangt“ 1 Laut der Europäischen Kommission ist bei deutschen Männern die 40Stunden-Woche mit einem 45,7%Anteil die vorherrschende Arbeitszeit (siehe Tabelle 1). Warum eigentlich? Man könnte doch auch die Wochenarbeitszeit bei 35-37 Stunden lassen und je nach Bedarf die Wochenarbeitszeit temporär erhöhen und über Zeitkonten steuern. Denn bei genauerer Betrachtung gibt es fast nichts, was für 40 Stunden spricht. Denn, 40 Stunden… sind unflexibel verhindern ergonomische Schichtpläne führen gerade im Wechsel- schichtbetrieb tendenziell zu höheren Krankenquoten Diese 3 Thesen werden im Folgenden näher begründet. Tabelle 1: Verteilung der effektiven Arbeitszeiten abhängig von beschäftigten Männern und Frauen in Deutschland (Quelle: Europäische Kommission, 2008) gebracht, weil man in wirtschaftlich schlechten Zeiten oft die Arbeitszeit erhöht hat, ohne die Löhne adäquat anzuheben. So wurden die Stundenlöhne indirekt gesenkt und die Wirtschaftlichkeit erhöht. Dies gilt allerdings nur, wenn auch tatsächlich 40 Stunden pro Woche produktiv genutzt werden und keine Leerzeiten entstehen. In Zeiten mit schwankenden Auftragslagen ist dies gerade in Verbindung mit starren Schichtplänen aber eher unwahrscheinlich. Zudem ist bei einer 40Stunden-Woche die Kapazitätsanpassung nach oben schwieriger, da aufgrund des Arbeitszeitgesetzes nur noch begrenzt möglich. In Zeiten mit immer stärkeren Konjunkturschwankungen und sehr oft ebenfalls starken kurzfristigen Auftragsschwankungen wird es immer wichtiger, das Personal flexibel einzusetzen. Hierfür werden immer öfter Jahresarbeitszeitsystematiken eingesetzt, die je nach Bedarf schwankende Wochenarbeitszeiten ermöglichen. Geht man davon aus, dass man z.B. maximal 48 Stunden pro Woche arbeitet (der Durchschnitt, der maximal gesetzlich erlaubt ist) und auch nicht unter 25 Wochenarbeitszeit in h Obergrenze in h Untergrenze in h Stunden pro Woche gehen möchte, ergibt sich folgendes Bild (siehe Tabelle 2). Bei 35 Stunden kann die Kapazität um ca. 65% schwanken, bei 37,5 Stunden um 62% und bei 40 Stunden um ca. 57%. Der Unterschied wirkt erst einmal nicht so groß. In Summe eines Jahres sollen die Mitarbeiter aber im Durchschnitt Ihre Wochenarbeitszeit erreichen, dies ist nur dann möglich, wenn abbzw. aufgebaute Stunden auf dem Zeitkonto wieder ausgeglichen werden können, wenn sich Plus- und Minusstunden also die Waage halten. Ist die Schwankungsbreite nicht ausgeglichen, besteht die Gefahr, dass dies nicht passiert und am Jahresende auf dem Arbeitszeitkonto ein große Abweichung vom Soll vorliegt. Arbeitet man z.B. bei einer 40 -Stunden-Woche wegen schlechter Auftragslage vier Wochen lang nur 25 Stunden, d.h. man reduziert das Arbeitszeitkonto um 60 Stunden, müsste man knapp 8 Wochen lang 48 Stunden arbeiten, um dies wieder aufzuholen. Dies ist faktisch kaum möglich. 35 37,5 48 40 48 48 25 25 25 %-Abweichung nach oben 37,1% 28,0% 20,0% 40 Stunden sind unflexibel %-Abweichung nach unten 28,6% 33,3% 37,5% Als Argument für die 40-StundenWoche wird oft die Wirtschaftlichkeit Tabelle 2:Mögliche Kapazitätsschwankungen in Abhängigkeit zur Wochenarbeitszeit 1 Lehndorff, S.; Jansen, A.; Kümmerling, A.: Arbeitszeiten wieder so lang wie vor 20 Jahren. IAQ-Report 2009-01. Essen: Institut Arbeit und Qualifikation, 2009. www.iaq.uni-due.de/iaq-report/2009/report2009-01.pdf, Seite 11 © Dr. Scherf Schütt & Zander GmbH Ausgabe 5/2013 — Seite 2 Wochenarbeitszeit in h 35 37,5 40 realistische Obergrenze in h 45 45 45 realistische Untergrenze in h 28 28 28 %-Abweichung nach oben 28,6% 20,0% 12,5% %-Abweichung nach unten 25,0% 33,9% 42,9% Tabelle 3: Mögliche Kapazitätsschwankungen in Abhängigkeit zur Wochenarbeitszeit bei 45 Stunden Obergrenze Daher sollten die Schwankungskorridore nach oben und unten ausgeglichen sein. Im Szenario der Tabelle 1 hieße dies, dass bei 35 Stunden +- 28,6% (in Summe ca. 57% Schwankungsbreite möglich wären), bei 37,5 Stunden +-28% (56% in Summe) und bei der 40-StundenWoche nur noch +-20% (in Summe also 40%) möglich wären. Dies ist mindestens 16% weniger als bei den kürzeren Wochenarbeitszeiten. In vielen Unternehmen sind aber selbst die 48 Stunden nicht möglich, da z.B. für eine Wechselschicht keine sinnvollen Schichtpläne existieren, die 48 Stunden beinhalten. Oft sind auch Schichten größer neun Stunden pro Tag unerwünscht, um Fehler aufgrund von Konzentrationsmängel zu vermeiden oder die Arbeitsbelastung nicht zu erhöhen. Dann kann man oft nur bis maximal 45 Stunden gehen. Tabelle 3 zeigt die Auswirkung auf die Flexibilitätsreserve für diesen Fall auf. Während man bei 35 Stunden noch eine Schwankungsbreite von +-25% (in Summe 50%) und bei 37,5 Stunden von +-20% (in Summe 40%) hat, ergibt sich bei der 40-StundenWoche nur noch eine Schwankungsbreite von +-12,5% (In Summe 25%). Gruppe A M o D M i i D o F S r a S o F F S S N N N F F S S S F F F Gruppe B Gruppe C N N Gruppe D S S N N Abb. 1: Schichtplan mit 39:22 Stunden Hat man also Phasen im Jahr, in welchen die Bedarfssituation um mehr als 12,5% nach oben oder unten abweicht, muss man entweder für Zusatzkapazität bezahlen oder es entstehen Leerzeiten. 40 Stunden verhindern ergonomische Schichtpläne Der demografische Wandel führt zu alternden Belegschaften. In diesem Zusammenhang kommt der Erhaltung der Arbeitsfähigkeit der Arbeitskraft eine immer größere Bedeutung zu. Hierzu können ergonomische Schichtpläne, die möglichst viele arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigen, einen entscheidenden Beitrag leisten. Eine dieser Erkenntnisse ist, dass es nach Arbeitstagen in einem Schichtplan immer mindestens zwei freie Tage am Stück geben soll, nach Nachtschicht sogar drei. Dies ist bei einer 40-Stunden-Woche faktisch nicht möglich. In einer Wechselschicht kann eine einzelne Schicht (Früh-, Spät-, Nachtschicht) maximal 8 Stunden lang sein (3*8=24) (manchmal ist sie 15 bis 30 Min. länger wegen Übergabezeiten). Laut Arbeitszeitgesetz muss nach sechs Stunden Arbeitszeit eine Pause von mindestens 30 Minuten erfolgen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein Mitarbeiter pro Tag maximal 7:30 Stunden Arbeitszeit leisten kann. (Tatsächlich bekommen die Mitarbeiter im Schichtbetrieb heute ja relativ häufig die Pausen auch als bezahlte Arbeitszeit angerechnet – was ja auch schon ein fauler Kompromiss bzgl. der WAZ ist.) Um pro Woche 40 Stunden zu erreichen, muss er also durchschnittlich an 5,33 Tagen pro Woche (40 pro Woche / 7,5 Stunden pro Tag) arbeiten. Konkret bedeutet dies, dass er durchschnittlich alle 3 Wochen einen 6. Arbeitstag leisten muss, um seine vertragliche Wochenarbeitszeit zu erreichen. D.h. alle drei Wochen hat er sechs Arbeitstage am Stück und danach nur einen Tag frei. Alternativ hat er einmal in vier Wochen 7 Tage am Stück zu arbeiten. In Vollkonti-Betrieben geht damit noch einher, dass die ohnehin wenigen freien Wochenenden noch weiter reduziert werden. Abbildung 1 zeigt einen derzeit sehr typischen und in vielen Betrieben verwendeten Schichtplan, der bei 7,5 Stunden pro Tag im Durchschnitt 39:22 Stunden pro Woche enthält. D.h. ein Mitarbeiter muss dann gegenüber dem abgebildeten Schichtplan sogar noch alle 13 Wochen eine Schicht zusätzlich leisten, um auf 40 Stunden zu kommen. In diesem Plan sind zwar jeweils nominell 2 freie Tage zwischen den Arbeitsblöcken, aber wenn man bedenkt, dass man von der Nachtschicht nach 6 Uhr morgens nach Hause kommt, um dann erst einmal zu schlafen, sieht man schnell, dass diese zwei Freizeittage faktisch nur ein wirklicher freier Tag sind. Zusätzlich gibt es noch einen aus ergonomischen Gesichtspunkten M o D M i i D o F r S a Gruppe A F F F F F F Gruppe B S S S S S Gruppe C N N N N N S o Abb. 2: Schichtplan mit 40 Stunden ungünstigen Block mit sieben Arbeitstagen am Stück und nur ein freies Wochenende in vier Wochen. Sehr beliebt ist auch der Schichtplan aus Abb. 2, in dem genau 40 Stunden enthalten sind. Hier sieht man, dass jede dritte Woche ein © Dr. Scherf Schütt & Zander GmbH Ausgabe 5/2013 — Seite 3 sechster Tag gearbeitet werden muss und man hat faktisch nur einen Block mit zwei freien Tagen nach der Spätschicht. Aus arbeitswissenschaftlicher Sicht ist ein Block mit fünf Nachtschichten am Stück ebenfalls mehr als bedenklich. In Summe ist dieser Schichtplan langfristig sehr belastend für die Mitarbeiter. Abbildung 3 zeigt einen Schichtplan mit 35:48 Stunden, der sich nach 22 Wochen wiederholt und auf möglichst viele freie Wochenenden ausgerichtet ist. In 22 Wochen gibt es 7 freie Wochenenden, d.h. fast jedes 3. Wochenende ist komplett frei, 5 davon sind sogar verlängert (3-4 Tage frei). Die Anzahl der freien Wochenenden wurden mit dem kleinen ergonomischen Nachteil erkauft, dass an einigen Stellen nach einer Frühschicht direkt in eine Nachtschicht gewechselt wird. Das Problem, dass nach einer Nachtschicht nur zwei freie Tage folgen kann hier zwar auch nicht vollständig verhindert werden, dafür gibt es aber immerhin 6 Nachtschichtblöcke in 22 Wochen mit einem folgenden drei- oder viertägigen Freizeitblock. In Summe ist dieser Schichtplan deutlich weniger belastend die aus Abb.1 und 2. 40 Stunden führen tendenziell zu höheren Krankenquoten Es ist im Einzelfalle schwierig, einen kurzfristigen Zusammenhang zwischen der Wochenarbeitszeit in einem konkreten Schichtsystem und der Krankheitsquote belegen. Es ist aber arbeitswissenschaftlich hinreichend nachgewiesen, dass es einen Zusammenhang zwischen ergonomisch ungünstigen Schichtfolgen und gesundheitlicher Belastung der Schicht-Mitarbeiter gibt. Wie oben gezeigt, ist es insbesondere unter den Anforderungen eines kontinuierlichen Schichtsystems kaum möglich, ergonomisch empfehlenswerte Schichtpläne zu erstellen. Es darf daher als sicher angenommen werden, dass die durch solche Schichtpläne erzeugte erhöhte Belastung der Mitarbeiter bei gleichzeitig reduzierter Flexibilität, ihre Arbeitszeit persönlichen Bedürfnissen anzupassen, zu erhöhten M o D M i i Woche 1 F F Woche 2 S S N N S S Woche 3 D o F S r a S o S S S S N N F F F F S S S S S F Woche 4 Woche 5 N N Woche 6 S N N Woche 7 S S N N F F S S S S F F F F F S S S S F F F Woche 8 Woche 9 Woche 10 F Woche 11 N N Woche 12 F N N Woche 13 F F N N N F Woche 14 F F N N N Woche 15 S S N N N Woche 16 S S S N N F F N N F F F F F F Woche 17 N Woche 18 N Woche 19 N N Woche 20 F F Woche 21 S S S N N Woche 22 S S S N N F Abb. 3: Schichtplan mit 35:48 Stunden Krankheitsquoten führt und auch eine der Ursachen dafür ist, warum ein sehr hoher Anteil von SchichtMitarbeitern ihre Tätigkeit ab dem Alte von Mitte bis Ende 50 nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr ausüben kann. Abbildung 4 zeigt ebenfalls einen ungünstigen Zusammenhang zwischen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und der Höhe der Wöchentlichen Arbeitszeit auf. Gründe, die doch für 40 Stunden sprechen könnten… Abb. 4: Psychovegetative, muskuloskelettale und andere gesundheitliche Beeinträchtigungen in Abhängigkeit von der wöchentlichen Arbeitszeit in Deutschland (Quelle: Nachreiner, F.; Rädiker, B.; Janßen, D.; Schomann, C.: Untersuchun- gen zum Zusammenhang zwischen der Dauer der Arbeitszeit und gesundheitlichen Beeinträchtigungen - Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie. Abschlussbericht an die Hans-Böckler-Stiftung. Oldenburg: GAWO, 2005, S. 28) Aufgrund der bisherigen Ausführung erschließt sich, dass eine 40Stunden-Woche im Hinblick auf aktuelle Anforderungen, wie sie aus dem demografischen Wandel oder dem Bedarf an Flexibilität entstehen, nicht mehr zeitgemäß ist. © Dr. Scherf Schütt & Zander GmbH Ausgabe 5/2013 — Seite 4 Andererseits gibt es aber zunehmend Branchen, in welchen das Lohnniveau so niedrig ist, dass die Mitarbeiter darauf angewiesen sind, mindestens 40 Stunden zu arbeiten, um finanziell über die Runden zu kommen. In derartigen Branchen gilt es, die versteckten Kosten solcher Arbeitszeitsysteme zu prüfen: Welche Kosten entstehen ggf. aufgrund zu starrer Schichtpläne, die vermeidbare Mehrarbeit einerseits und Leerzeiten andererseits verursachen? Wie hoch sind die Krankheitskosten? Welche Kosten entstehen durch die vorzeitige Leistungsminderung oder Berufsunfähigkeit von Schicht-Mitarbeitern? In vielen Fällen stellt sich dabei heraus, dass der Kostenvorteil der 40-Stunden-Woche nur theoretischer Natur ist. Würde man bei gleichem Monatsentgelt die Stundenanzahl reduzieren und auf dieser Basis gesündere und gleichzeitig bedarfsgerechtere Schichtpläne erstellen, würden die höheren Entgeltkosten durch vermiedene Leerzeiten, gesunkene Krankheitskosten und reduzierte Vorruhestandskosten bei weitem ausgeglichen. Und zusätzlich erhält man noch zufriedenere Mitarbeiter. großen Nachteile entstehen. Aufgrund der beschriebenen Auswirkungen im Hinblick auf Flexibilität, Arbeitsbelastung und Krankenständen dürfte aber für die meisten Unternehmen mit Schichtbetrieb die 40-Stunden-Woche eher nachteilig sein. Daher sollte jedes Unternehmen mit 40-StundenWoche bewusst prüfen und nachrechnen, ob diese Wochenarbeitszeit wirklich noch passt oder ob sie ein Relikt alter Tage ist, das man unkritisch immer weiterführt. Ist Arbeitszeit oder Schichtplanung ein Thema in Ihrer Fazit Organisation? Sprechen Sie uns an! Senden Sie eine Email Es kann Situationen geben, in an [email protected] oder welchen sich die 40-Stunden- rufen Sie an unter: +49. 89. Woche für Unternehmen rechnet 437 37-259. und für die Mitarbeiter keine allzu Autor Guido Zander studierte Wirtschaftsinformatik an der OttoFriedrich-Universität in Bamberg. Seit 1995 arbeitet er in den Themen Arbeitszeitmanagement, Personaleinsatzplanung und Demografieentwicklung. Die Rollen als Berater, Team- und Bereichsleiter sowie Mitglied des Management- Herausgeber: Dr. Scherf Schütt & Zander GmbH Olympiastraße 2a 85622 Feldkirchen boards in einem börsennotierten Softwareunternehmen gaben ihm dabei Gelegenheit, die Themen sowohl operativ als auch strategisch zu durchdringen. Seit 2005 ist er Geschäftsführender Partner bei der Dr. Scherf Schütt & Zander GmbH. Fon +49. 89. 437 37-259 Fax +49. 89. 437 37-260 Web http://www.ssz-beratung.de Sitz der Gesellschaft: Feldkirchen HRB 186701 Amtsgericht München Geschäftsführer: Dr. Burkhard Scherf, Guido Zander © Dr. Scherf Schütt & Zander GmbH
© Copyright 2024 ExpyDoc