Anorganische Chemie I KFT A. Mezzetti Fragenkatalog IV 1

Anorganische Chemie I
A. Mezzetti
KFT
Fragenkatalog IV
1. Triphenylphosphin reagiert mit NiBr2·3H2O in siedendem Butanol unter Bildung eines dunkelgrünen, paramagnetischen Komplexes A (µeff=2.97 BM). Komplex A ist neutral und enthält
Ni, Br und PPh3. Die Elementaranalyse lautet: 58.25 % C, 4.2 % H, 21.60 Br. Der analoge
Komplex B mit P(CH3)3 ist dunkelrot und diamagnetisch.
– Empirische Formel von A?
– Oxidationszahl, Elektronenkonfiguration und gesamte Elektronenzahl in A und B?
– Diskutieren Sie die Struktur von A und B anhand des VB-Modells!
– Diskutieren Sie die Struktur von A und B anhand des KFT-Modells!
– Vergleichen Sie die Eigenschaften von A und B und erklären Sie die Unterschiede!
–
Empirische Formel von A aus der Elementaranalyse:
100 g Komplex enthalten:
m(X)
n(X)
58.25 g C
4.2 g H
21.60 g Br
4.850 mol C
4.17 mol H
0.2703 mol Br
n(X)/n(Br)
17.9
15.4
1
Das Molverhältnis zeigt, dass 1 Mol Br auf ein Mol PPh3 entfällt. Somit ist die Summenformel [NiBr2(PPh3)2], weil der neutrale Komplex 2 Bromliganden enthalten muss. Die
prozentuale Zusammensetzung ist C, 58.19 %, H, 4.07 %, Br, 21.51.
– Oxidationszahl, Elektronenkonfiguration und gesamte Elektronenzahl in A und B:
Ni(II) → d8
–
16 Elektronen
für beide Komplexe
Diskutieren Sie die Struktur von A und B anhand des VB-Modells:
4L
high-spin d8
Komplex A:
d
low-spin d8
s
px py pz
4L
Komplex B:
d
–
sp3, tetraedrisch
s
px py pz
dsp2, quadratisch planar
Diskutieren Sie die Struktur von A und B anhand des KFT-Modells: Vierfach-koordinierte
Komplexe können entweder tetraedrisch oder planar-quadratisch sein:
[NiBr2(PPh3)2] und [NiBr2(PMe3)2] haben beide die d8-Elektronenkonfiguration aber unterschiedliche Eigenschaften. Die KFT besagt, dass
!t =
4
!o
9
Deshalb absorbieren tetraedrische Komplexe Licht mit grösseren Wellenlängen als planarquadratische Komplexe.
Der grüne Komplex [NiBr2(PPh3)2] absorbiert rotes Licht (niedrigere Energie), die rote Farbe
von [NiBr2(PMe3)2] stammt aus der Absorption im grünen Bereich (höhere Energie). Somit
könnte [NiBr2(PPh3)2] tetraedrisch sein, [NiBr2(PMe3)3] planar-quadratisch. Die magnetischen Eigenschaften der beiden Komplexe erhärten diese Hypothese (siehe Schema).
Wieso aber haben A und B unterschiedliche Strukturen? PPh3 ist grösser als Ligand als
PMe3. Die Winkel betragen etwa 90° im planar-quadratischen B bzw. 109.5° im teraedrischen A. Deshalb ist offenbar die sterische Hinderung im Falle von PPh3 gross genug, die
quadratisch planare Struktur zu destabilisieren.
2.
Myoglobin enthält FeII im high-spin-Zustand. Dieses d6-Ion hat einen Radius von ca. 92
pm, was bedeutet, dass das Eisen nicht in die zentrale Öffnung des Porphyrinringes passt:
Erklärung der Elektronen-Konfiguration in [FeN5] ([ML5]):
Es soll zuerst bemerkt werden, dass das Eisen Atom im fünffach-koordinierten Komplex
oberhalb der xy-Ebene liegt (siehe oben). Zur Bildung von [FeN5] gehen wir vom [FeL6]Fall aus und entfernen wir einen Liganden der z-Achse entlang → Die Entartung der eOrbitale wird aufgehoben und das d(z2)-Orbital wird stark stabilisiert, weil es nun (1) nur
mit einem axialen Liganden in Wechselwirkung steht und (2) die basalen Liganden sich
nicht mehr genau in der Basis der Pyramide befinden. Das d(x2–y2)-Orbital wird nicht
wesentlich destabilisiert, weil das Fe-Atom sich von der xy-Ebene entfernt (siehe oben). In
[ML5] (C4v) wird auch die Entartung der d(xy)-, d(xz)- und d(yz)-Orbitale (t2g in Oh)
teilweise aufgehoben. Im [ML5] werden die d(xz)- und d(yz)-Orbitale durch die Wechselwirkungen mit dem Porphyrin-N-Atomen destabilisiert, da das Eisen-Atom oberhalb der
xy-Ebene liegt.
Oh
C4v
L
L
FeII
L
L
L
L
L
L
[ML6], low-spin d6
x
!1
!o
y
FeII
L
L
[ML5], high-spin d6
eg
z
L
t2g
b1
x2–y2
a1
z2
e
xz, yz
b2
xy
!2
Die Gesamtwirkung der beschriebenen Effekte ist, dass beide Δ1 und Δ2 in [ML5] kleiner
sind als Δο in [ML6]. Deshalb ist [ML5] ein high-spin-Komplex.
Wenn ein O2-Molekül an das Fe(II) bindet, geht letzteres in eine low-spin-d6-Konfiguration
über. Wieso? Das Eisen-Atom wechselt von 5- zu 6-fach-koordiniert. Der Wechsel von
fünf- auf sechsfach-koordiniert verursacht eine Δ o-Zunahme. Der Komplex [ML5(O2)]
ähnelt [ML6]:
O
L
L
FeII
L
O
L
L
Obwohl die Symmetrie von [FeN5(O2)] geringer ist als die von [ML6], haben beide
Komplexe ein ähnliches Energieschema. D. h., dass d(z2) und d(x2–y2) sehr ähnliche
Energien besitzen, obwohl sie nicht entartet sind. Dasselbe gilt für d(xy), d(xz) und d(yz).
Das Energieschema ähnelt dem der oktaedrischen Komplexe der Oh-Punktgruppe. Somit ist
die Energielücke zwischen d(z2) / d(x2–y2) und d(xy) / (d(xz), d(yz)) etwa gleich Δo und
wesentlich grösser als im Falle des quadratisch-pyramidalen Komplexes.
Aus der Kombination dieser Effekte kann man nachvollziehen, dass [FeN5(O2)] ein lowspin Komplex ist!
Wieso beträgt der Ionenradius von low-spin-FeII in oktaedrischen Komplexen nur noch 75
pm anstatt 92 pm in [FeN5]? KFT-Erklärung: Die e-Orbitale sind gegen die Liganden
gerichtet. Im high-spin-Zustand sind sie besetzt. Die Abstossung zwischen e– und den
Liganden führt zu längeren M–L-Bindungen und demzufolge zu einem grösseren Radius.
(Im MO-LCAO-Ansatz werden wir lernen, dass die e-Orbitale M–L-antibindend sind. Im
high-spin-Zustand sind sie besetzt. Dies schwächt die M–L-Bindung ab, die länger wird.
Daraus resultiert ein grösserer Radius für high-spin-Fe(II)!)
3. Aufgabe
Disproportionierung von Co(II) zu Co(I) und Co(III) wird durch bestimmte P(OR)3-Liganden
ausgelöst:
2 Co2+ + 11 P(OR)3 → [Co(P(OR3))5]+ (C) + [Co(P(OR3))6]3+ (D)
Komplex C ist trigonal-bipyramidal. C und D sind beide diamagnetisch.
(a) Oxidationszahl, Elektronenkonfiguration und gesamte Elektronenzahl in E und F? (1 Punkt):
Komplex C:
Co(I)
d8
18 Elektronen
Komplex D:
Co(III)
d6
18 Elektronen
(b) Diskutieren Sie die Struktur von C und D anhand des VB-Modells! (1 Punkt):
5L
low-spin d8
Komplex C:
dsp3
d
low-spin d6
s
px py pz
6L
Komplex D:
d
s
px py pz
d2sp3, oktaedrisch
Wie oben erwähnt, sagt das VB-Modell nichts darüber aus, ob Komplex C quadratischpyramidal oder trigonal-bipyramidal ist. Wir werden in einer späteren Übung sehen, dass πAkzeptor-Liganden die trigonale-bipyramidale Struktur stabilisieren.
(c) Anhand der KFT entwerfen Sie ein qualitatives Aufspaltungsmuster für die Energien der dOrbitale. Wieso ist C diamagnetisch?
Aus der Charaktertafel erkennt man, dass die d-Orbitalen in drei Sätzen aufgespaltet werden:
(a’1: z2; e’: x2–y2, xy; e’’: xz, yz)
Ein qualitatives Aufspaltungsmuster für die Energien der d-Orbitale eines fünffach-koordinierten Komplexes mit D3h-Symmetrie kann man durch das Entfernen eines Liganden
aus einem oktaedrischen Komplex entwickelt werden.
Zuerst soll man bemerken, dass in der trigonalen bipyramidalen Struktur die d(x2–y2)- und
d(xy)-Orbitale entartet sind. Somit besitzen sie die gleiche Energie. Gegenüber dem
oktaedrischen Komplex wird das d(x2–y2)-Orbital stark stabilisiert, weil ein Ligand
vollständig entfernt, und ein weiterer zur Überlappung mit dem d(xy)-Orbital gebracht wird.
Dadurch steigt die Energie des d(xy)-Orbitals an. In der D3h-symmetrischen Struktur sind die
Energien der d(x2–y2)- und d(xy)–Orbitale gleich:
Oh
D3h
L
L
L
M
L
L
L
Oh
–L
D3h
L
L
M
L
L
L
für d8:
a1 '
a1'
e'
e'
e''
e''
(siehe Skript, S. 98)
NB: Da der Komplex diamagnetisch ist, besetzen die 8 Elektronen nur die e’- und e’’Orbitale. Obwohl kleiner als die eg–t2g-Aufspaltung in einem oktaedrischen Komplex, ist
offenbar die a1’–e’-Energiedifferenz immer noch gross genug, um den low-spin-Zustand zu
stabilisieren. Ein wichtiger Beitrag dazu leistet P(OR)3, welcher ein stark-Feld-Ligand ist!
Kommentar: Beim genaueren Hinsehen der Tabelle im Skript erkennt man, dass alle
Wechselwirkungen – entweder Stabilisierungen oder Destabilisierungen – in der TBPStruktur kleiner sind als im ursprünglichen oktaedrischen Komplex.
KFT-Erklärung: Trigonal-bipyramidalen Komplexen enthalten fünf anstatt sechs Liganden,
die weniger "gezielt" auf die Orbitale gerichtet sind. Die Situation in der trigonalen Ebene
(xy-Ebene) ist entscheidend: 3 Liganden destabilisieren 2 Orbitale (e'). In oktaedrischen
Komplexen destabilisieren 4 Liganden nur 1 Orbital (x2–y2)!
Wichtige Bemerkung: Was die Aufgabe verlangt, ist die Ermittlung der elektronischen
Struktur des Komplexes aus den experimentellen Daten und nicht die a priori Vorhersage
von low-/high-spin-Zuständen!